Das Hohelied der Zivilcourage

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petrasmiles

Mitglied
Das hervorstechendeste Merkmal von Manfred ist seine Unauffälligkeit.
In einer Menge Menschen gleitet der Blick über ihn hinweg.
Wenn man ihn näher kennen lernt, fallen seine warmen braunen Augen auf,
flankiert von einem schüchternen Lächeln.
Manfred kann aber auch stur sein und wenn man ihn einige Zeit beobachtet,
bemerkt man seine Eitelkeit.
Glaubt man den Geschichten, hat er einen Stein im Brett bei seinen Vorgesetzten.
Natürlich männlichen Vorgesetzten. Da scheint er eine Art Welpenschutz zu genießen, den es in der Natur so gar nicht gibt.
Für Frauen gilt er eher als Zuträger.

Einmal gebärdete sich seine Firma wie ein zotteliger, in den Regen gekommener Hund. Er schüttelte sich und was nicht angewachsen war, landete in einer Pfütze auf dem Boden.
Obwohl es einige gab, die den Regen kommen sahen und sich schon früh in Sicherheit brachten.
Nicht so Manfred.
Aber Manfred hat sich mit seinen kurzen Ärmchen ganz fest gekrallt.
Ihn gibt es noch.

Auch Renate sah keinen Grund, das Weite zu suchen.
Wie eine echte Führungskraft hat sie schon früh ein gerüttelt Maß ihrer Arbeitszeit darauf verwendet, auf PR-Tour in eigener Sache zu gehen.
Gut sieht sie aus in ihrem grauen Kostüm.
Sie ist der Typ Rassefrau, die um so anziehender wirken, je einfacher ihr Aufzug ist. Es macht Spaß, mit ihr in der Kantine gesehen zu werden.
Immer umgibt sie eine Aura der Geschäftstüchtigkeit und sie kann gut mit Excel umgehen.
Sie wird nicht müde, sich an Meetings und Workshops zu beteiligen, die nur entfernt mit ihrer Arbeit zu tun haben.
Sie bringt dann ihren Bereich ein.
Ganz besonders gut kann sie Arbeitsaufwand in andere Bereiche hineindelegieren, bevorzugt an Mitarbeiter, die noch nie ‚nein’ sagen konnten.
Nach der Schüttelkur stieg sie zur Teamchefin auf.
Solche Leute sind eben unverzichtbar.

Man sollte auch Thorsten nicht vergessen. Thorsten ist Sportsmann.
Er hat so ein ausgesprochen jungenhaftes Lächeln im Gesicht.
Wenn er den Raum betritt, scheint die Luft von seiner Energie zu knistern.
Man wartet darauf, dass ihm die Hemdknöpfe von der breiten Brust springen, so vital und männlich wirkt er trotz der Neutralisierung durch den Anzug.
Thorsten ist ein Künstler an der Tastatur, kennt alle Kniffe, auch die traurigsten Wahrheiten in ein attraktives Format zu gießen.
Er ist immer ganz bei sich, weiß immer, was er will und hat meist auch eine Idee, wie er es bekommt. Gleichzeitig, und das ist sein wahres Talent, verbreitet er den Eindruck, allzeit bereit zu sein.
Und bei den richtigen Leuten ist er es auch.
Er hat nicht wirklich einen Ehrgeiz, der über die nächste Ziellinie hinausgeht, aber er lebt in der Gewissheit, dass sich der Weg nach oben aus einer Kette solcher Ziellinien zusammensetzt und ist frohen Mutes.
Sein Optimismus ist begründet.
Er zählt zu den Davongekommenen.

Und da ist Peter. Peter hat schon immer viele Freunde gehabt.
Jeder kann zu Peter mit seinen Wehwehchen kommen.
Ganz zornig vor Empörung wird er, wenn es um Ungerechtigkeiten geht,
und er hat schon so manchen Strauß ausgefochten.
Peter lebt und arbeitet in der Gewissheit, die Seele des Betriebs zu sein.
Wenn eine neue Software eingeführt wird, ihn kann man alles fragen.
Keiner, der nicht meint, der Peter sei ein feiner Kerl.
Peter kommt gerne ein bisschen später.
Auch ansonsten ist er ein bisschen eigenwillig, weil er gerne Spaß an der Arbeit hat und gute Arbeit zu schätzen weiß.
Aber er mag seinen Chef, und sein Chef mag ihn.
Auf dem Weg zur Kantine muss er viele Menschen grüßen.

Manfred und Renate treffen sich in der Kantine.
Geübten Blickes erfassen sie die gelichteten Reihen.
Man tauscht sich aus darüber, mit wem man es demnächst an welcher Stelle zu tun haben wird.
Ein ‚Hast Du schon gehört?’, und ‚Wie ist das nur möglich?’, wird geflüstert, nach rechts gegrüßt, nach links genickt.
‚Nein, wirklich Peter?’ ‚Na, ja, eigentlich ja keine Überraschung.’ ‚Da hat er sich wohl einen Feind zuviel gemacht.’ Man blickt betreten zur Seite. ‚Ist aber auch untragbar, diese Unruhe, die er reingebracht hat.’
Renate lächelt nach links. Manfred nickt grüßend nach rechts.

Am Nachbartisch sitzt Thorsten schäkernd neben der neuen Auszubildenden, die verlegen lächelnd ihre Salatblätter sortiert.
 

Gabriele

Mitglied
Sehr gut,

mit scharfem Blick und treffsicherer Ironie hast Du da die einzelnen Typen herausgearbeitet.
Allein die Idee, die Firma mit einem "zotteligen, in den Regen gekommenen Hund" zu vergleichen...
Ein paar (nicht wirklich bedeutsame) Kleinigkeiten sind mir beim Lesen aufgefallen:

Sie ist der Typ Rassefrau, die um so anziehender wirken, [strike]desto [/strike] je einfacher ihr Aufzug ist.
Sie wird nicht müde, sich an Meetings und Workshops zu beteiligen, die [strike]auch[/strike] (vielleicht stattdessen bestenfalls? oder ganz weglassen) nur entfernt mit ihrer Arbeit zu tun haben.
Ansonsten ein toller kleiner Text!
Liebe Grüße
Gabriele
 
H

HFleiss

Gast
Petrasmiles, das ist keine Kurzgeschichte, sondern eine Anreihung von Behauptungen, die sich zwar ganz nett lesen, aber mehr ist dieser Text nicht. Mach dich mal schlau, wie eine Kurzgeschichte aufgebaut wird, es gibt genügend Literatur dazu.

Gruß
Hanna
 

GabiSils

Mitglied
Hanna, du siehst die Geschichte zwischen den "Behauptungen" nicht. Sie ist aber trotzdem da, und es gefällt mir sehr gut, wie unaufdringlich hier die Aussage transportiert wird. Petra hätte auch einen "Betroffenheitstext" schreiben können, zum Glück hat sie es nicht getan.
 
H

HFleiss

Gast
Gabi, die Kurzgeschichte könnte da sein, nämlich dann, wenn sie ihre Personen, die sie ganz gut beschreibt, in eine Situation stellt, wo sie die Beschreibungen beweist. Es gibt keine Story, keinen Konflikt - nichts. Es gibt nur Personenbeschreibungen, und das ist die Vorarbeit für eine Kurzgeschichte (hat selbst aber darin überhaupt nichts zu suchen). Hört man doch schon an der Bezeichnung des Genres: KurzGESCHICHTE. Wo aber ist sie? Natürlich kann ich mir eine ganze Menge denken, wenn ich mir vorstelle, diese Leute geraten in eine Entscheidungssituation. Aber Petrasmiles erfindet eben diese Situation nicht, insofern kann man hier wohl kaum von einer GESCHICHTE reden, denke ich.

Gruß
Hanna

Gruß
Hanna
 
M

michy

Gast
es

gibt immer wieder leute - die zwischen den zeilen nicht lesen (können). das bleibt beklagenswert :(

mir ist das eine satte geschichte, Petra, die ich im 'macht'gefüge und gebrauch auf teile der mitglieder 'hier' lese -, doch das muss man nicht :)

l.gr.
michy
 
H

HFleiss

Gast
Michy, nun lass mal alle Verschwörungstheorien, klar, es gibt hier Gruppen, aber das ist überall so. Ich sehe bei diesem Text einfach die Geschichte nicht, er ist unter Kurzgeschichten eingestellt, und Kurzgeschichten sind ein eigenes Genre, die nach eigenen Regeln geschrieben werden. Und die sind hier nicht beachtet worden. Ich sag doch nicht, dass ich den Text schlecht finde. Nein, er ist amüsant, schön ironisch - aber Petrasmiles macht daraus nichts. Und das finde ich eben schade. Und das habe ich mir erlaubt zu sagen. Ich bin die erste, die sie lobt, wenn aus diesen Bausteinen eine wirkliche Geschichte entsteht. Versprochen.

Gruß
Hanna
 
M

michy

Gast
liebe

Hanna, wenn ich nun nett antworte, werde ich verschoben. antworte ich nicht nett, auch - doch sei gewiss, ich weiß, wie du es meinst, näml. gut :)

l.gr.
michy
 
M

Melusine

Gast
Hallo Petra,
eine "leise" Geschichte, die mir inhaltlich sehr gut gefällt - aber, um ehrlich zu sein, ich finde sie etwas ermüdend zu lesen. Kann's im Moment noch nicht an konkreten Stellen festmachen. Ich glaube, du könntest sie sozusagen ein wenig "spannender" machen, ohne ihr die ruhige Feinheit zu nehmen.

Liebe Grüße
Mel
 

petrasmiles

Mitglied
An alle ...

... vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Ich habe länger nachgedacht und auch erwogen, ob Du Recht hast, Hanna, dass dieser Geschichte ein Faden fehlt, dass man sie runder machen kann, dass sie nicht so karg daher kommt, oder nicht so ermüdend ist, wie Du meinst, Melusine?

Aber ehrlich gesagt, ich könnte es nicht. Dafür sehe ich diese Geschichte als viel zu real an; der Titel ist nicht zufällig gewählt oder eine 'Geistesfrucht'. Es ist im Grunde geronnenes Entsetzen, eine niederschmetternde Erkenntnis. Ich habe das nicht oft, aber dieses Mal war es so, dass diese Geschichte geschrieben werden wollte. Aus einer Beobachtung heraus saß mir dieses Gefühl in den Knochen, und ich konnte erst wieder durchatmen, als ich sie geschrieben hatte.

Weil es so ist im Berufsleben, weil es in unserem Alltag kaum Gelegenheiten gibt, Zivilcourage zu lernen, anzuwenden, die Konsequenzen zu sehen. Vielleicht war das noch nie anders, aber Menschen, die Zivilcourage zeigen, gehören in dieser Gesellschaft zu den Losern.
Ich hätte das nicht 'gefälliger', emotionaler oder regelgerechter schreiben können, sonst wäre sie mir zu ... ich weiß nicht wie ... geraten.

Ich hab' es nicht so mit Regeln, Hanna, weil die nur von denen aufgestellt werden, denen sie nutzen. Ich glaube eher an universale Gesetze, die man intuitiv befolgen kann, wenn man einfach Mensch unter Menschen sein will.
Ich muss damit leben, dass das nicht jedem zusagt. Ich freue mich über jeden, den ich erreichen konnte.

Vielen Dank nochmal!

Liebe Grüße
Petra
 



 
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