Das Leben wird komplizierter

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Alles rächt sich irgendwann. Zurzeit nehmen gerade täglich Ungeschicklichkeiten grausamste Rache an mir.
Was habe ich mich früher, als ich noch jung und gelenkig war, über tollpatschige Alte amüsiert. Es war mir eine echte Schadenfreude, über sie zu lästern.
Heute – als Senior - versuche ich, vor allem über einen alten Tollpatsch zu lachen. Über mich.
Und das fällt mir manches Mal nicht wirklich leicht.
Neulich griff ich nicht zur Zahnpasta sondern zur Tube daneben und versuchte, mir mit Fußpilzsalbe die Zähne zu reinigen. Mit dem widerlichen Zeugs im Mund, lässt sich wahrlich nicht gut über sich lachen.
Meiner Frau ist es offenbar noch peinlicher als mir, wenn ich mich zum möglichen Gespött der Leute mache.
Mit Vorliebe in voll besetzten Restaurants sucht sie mit Argusaugen meinen Bart nach Speiseresten ab. Sie findet immer welche und macht mir dann Zeichen, die mir signalisieren, zu meiner Serviette zu greifen, um mir den Bart gründlichst zu säubern.
Doch das gestaltet sich schwierig, denn zumeist sind die Speisereste in den Tiefen meiner mundumgebenden Haarespracht bereits angetrocknet.
Mit ermunternder Putzfrauengestik übt sich meine bessere (und wohl auch sauberere) Hälfte in dezenter Unauffälligkeit, ohne zu registrieren, dass längst mehr Gäste grinsend auf sie als auf meinen Bart sehen.
Und entdeckt sie es, greift sie entschlossen zu ihrer Serviette und beginnt in meinem Bart herumzuwühlen.
Merke ich dann auch noch an, sie sei wie meine Mutter, lehnt sie sich beleidigt zurück und verkündet lauthals: „Ja, dann mach dich doch zum Gespött der Leute.“
Versöhnlich rücke ich an sie heran und halte ihr den Bart hin, den sie nach einigem Zögern erneut mit ihrer Serviette traktiert.
Als älterer Mensch bin ich inzwischen reichlich abgebrüht und empfinde nur noch in wenigen Situationen so etwas wie Scham.
Im Restaurant jedoch erröte ich jedes Mal wieder, vor allem wenn ich danach noch mitten durch den Gastraum zur Toilette gehen muss. Der Gang gleicht einem Spießrutenlauf, bei dem ich wegen meiner bemüht stolz-aufgerichteten Gangart auch noch über Stuhlbeine oder Stufen stolpere. Und das wiederum gerade, wenn ich jüngere Frauen passiere und - dem männlich bedingten Reflex folgend - die Luft anhalte. Die verlässt umgehend den aufgeblähten Brustkorb und fließt in meinen Bauch zurück, der sich ungeniert über meiner durch einen stramm angezogenen Leibriemen tief eingeschnittenen Gürtellinie ausbreitet.
Was hätte ich früher über derart alte Gockel gelacht…?
Heute halte ich sie für traurige Gestalten, die sich mit den Tücken des Lebens im fortgeschrittenen Alter abmühen müssen.
Genau so einem Altersgenossen begegnete ich neulich in meiner Stammkneipe. Mit unkontrolliertem Schwung hatte er sein Kölsch-Glas umgestoßen.
Die junge Kellnerin, auf die er - Entschuldigungen murmelnd - herabblickte, wischte gerade das Kölsch vom Boden auf.
Als sie sich erhob und lachend behauptete: „Macht doch nichts. Kann jedem mal passieren.“ Stellte ich mich neben ihn und tätschelte ihm tröstend die Schulter. Mit Schmröte im faltenreichen Gesicht sah er mich an und meinte verzagt: „Warum macht das Alter aus erfahrenen Männern bloß solche Trottel?“
Die junge Kellnerin, schon auf dem Weg zur Theke, drehte sich lächelnd um. Mein ungeschickter Vater meint immer: „In der Jugend kannst du aus Fehlern lernen und dich verbessern. Im Alter kannst du die Fehler nur noch wiederholen.“
Hoppla! Beinahe wäre sie über die Schwelle zur Küche gestolpert. Doch geschickt, wie sie noch war, fing sie sich.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
So geht's halt ...

Langsam komme auch ich in das Alter wo ich erkennen muss, dass die frühere Dynamik in der Bewegung und die Fähigkeit der gekonnten Inszenierung des persönlichen Auftritts nachlässt, und proportional dazu die täglichen kleinen Peinlichkeiten zunehmen. Aus diesem Grund kann ich deine Schilderung auch (schon) ganz gut nachvollziehen.

Ich stemme mich zwar mit Macht und Einfallsreichtum gegen die beginnende herbstliche Verfärbung meiner Person als Ganzes und meiner Feinmotorik im Besonderen, betreibe aber immer mehr Aufwand dabei und werde mich in einigen Jahren wohl dem Schicksal fügen müssen, dass auch ich einer von denen bin, die ständig irgendwo im Weg rumstehen und das nicht mal merken.

Nein, toll geschrieben und mit viel Mut zur Selbsterkenntnis für Kenner mit grauen Haaren und Bauchansatz. Das kann nicht jeder und macht fast keiner. Also den Erwähnten einziehen, Luft anhalten und bei Peinlichkeiten so tun, als wären sie bewusst von Dir herbeigeführt worden.

Gruss … Ironbiber
 
S

Schriften

Gast
Lieber Karl :),

wieder ein ganz tolles Stück :). Ich habe sehr oft geschmunzelt. Schön geschrieben, flüssig lesbar und naja..du weißt schon...es hätte ruhig noch weiter gehen können!

Zum Inhalt: Lass mal, auch wir mittelalterlichen machen manchmal merkwürdige Dinge. So stand ich neulich gedankenverloren vor dem Kühlschrank und wunderte mich, warum der Toaster da nicht hinein passt. Ohne zu bemerken, dass er dort gar nicht hineingehört.

Zu dem Bart: Mein Vater hatte auch einen -also der Bart ist inzwischen ab. Man konnte immer genau erkennen, was es zum Mittag gegeben hatte *lach*. Meine Mutter war immer eifrig bemüht, sie aus seinem Bart zu puhlen. Er scherzte dann immer: "Lass mal, das ist für schlechte Zeiten!"

Ich würde dir gerne ein *a* schenken!
Und im letzten Absatz ist nicht ganz klar, ob die Kellnerin spricht, tut sie bestimmt, aber der Beginn der wörtlichen Rede müsste dann anders gesetzt sein.

Ganz Klasse auch wieder das Ende:

Doch geschickt, wie sie noch war, fing sie sich.
Was so ein klitzekleines Wort wie "noch" für eine Ironie "machen" kann! Das merke ich mir :)!
Liebe Grüße
Diana
 
Lieber Ironbiber,
danke für die mitfühlenden Zeilen eines noch nicht ganz so alten. Ich kann nur empfehlen, sich frühzeitig in Selbstironie zu üben, frei nach der Weisheit: Die Pubertät endet mit der Entscheidung, dich nicht mehr lächerlich zu machen sondern über dich zu lachen selbst, wenn du noch zu spätpubertären Auffälligkeiten neigst.
Herzliche Grüße
Karl
 
Liebe Diana,
herzlichen Dank für dein Mitfühlen. Natürlich habe ich alles ein wenig zugespitzt. Aber im Prinzip geht es mir nicht selten so,
Danke auch für dein aufmerksames´Lesen. Ich werde Beides korrigieren.
Liebe Grüße
Karl
 
Alles rächt sich irgendwann. Zurzeit nehmen gerade täglich Ungeschicklichkeiten grausamste Rache an mir.
Was habe ich mich früher, als ich noch jung und gelenkig war, über tollpatschige Alte amüsiert. Es war mir eine echte Schadenfreude, über sie zu lästern.
Heute – als Senior - versuche ich, vor allem über einen alten Tollpatsch zu lachen. Über mich.
Und das fällt mir manches Mal nicht wirklich leicht.
Neulich griff ich nicht zur Zahnpasta sondern zur Tube daneben und versuchte, mir mit Fußpilzsalbe die Zähne zu reinigen. Mit dem widerlichen Zeugs im Mund, lässt sich wahrlich nicht gut über sich lachen.
Meiner Frau ist es offenbar noch peinlicher als mir, wenn ich mich zum möglichen Gespött der Leute mache.
Mit Vorliebe in voll besetzten Restaurants sucht sie mit Argusaugen meinen Bart nach Speiseresten ab. Sie findet immer welche und macht mir dann Zeichen, die mir signalisieren, zu meiner Serviette zu greifen, um mir den Bart gründlichst zu säubern.
Doch das gestaltet sich schwierig, denn zumeist sind die Speisereste in den Tiefen meiner mundumgebenden Haarespracht bereits angetrocknet.
Mit ermunternder Putzfrauengestik übt sich meine bessere (und wohl auch sauberere) Hälfte in dezenter Unauffälligkeit, ohne zu registrieren, dass längst mehr Gäste grinsend auf sie als auf meinen Bart sehen.
Und entdeckt sie es, greift sie entschlossen zu ihrer Serviette und beginnt in meinem Bart herumzuwühlen.
Merke ich dann auch noch an, sie sei wie meine Mutter, lehnt sie sich beleidigt zurück und verkündet lauthals: „Ja, dann mach dich doch zum Gespött der Leute.“
Versöhnlich rücke ich an sie heran und halte ihr den Bart hin, den sie nach einigem Zögern erneut mit ihrer Serviette traktiert.
Als älterer Mensch bin ich inzwischen reichlich abgebrüht und empfinde nur noch in wenigen Situationen so etwas wie Scham.
Im Restaurant jedoch erröte ich jedes Mal wieder, vor allem wenn ich danach noch mitten durch den Gastraum zur Toilette gehen muss. Der Gang gleicht einem Spießrutenlauf, bei dem ich wegen meiner bemüht stolz-aufgerichteten Gangart auch noch über Stuhlbeine oder Stufen stolpere. Und das wiederum gerade, wenn ich jüngere Frauen passiere und - dem männlich bedingten Reflex folgend - die Luft anhalte. Die verlässt umgehend den aufgeblähten Brustkorb und fließt in meinen Bauch zurück, der sich ungeniert über meiner durch einen stramm angezogenen Leibriemen tief eingeschnittenen Gürtellinie ausbreitet.
Was hätte ich früher über derart alte Gockel gelacht…?
Heute halte ich sie für traurige Gestalten, die sich mit den Tücken des Lebens im fortgeschrittenen Alter abmühen müssen.
Genau so einem Altersgenossen begegnete ich neulich in meiner Stammkneipe. Mit unkontrolliertem Schwung hatte er sein Kölsch-Glas umgestoßen.
Die junge Kellnerin, auf die er - Entschuldigungen murmelnd - herabblickte, wischte gerade das Kölsch vom Boden auf.
Als sie sich erhob und lachend behauptete: „Macht doch nichts. Kann jedem mal passieren.“ Stellte ich mich neben ihn und tätschelte ihm tröstend die Schulter. Mit Schamröte im faltenreichen Gesicht sah er mich an und meinte verzagt: „Warum macht das Alter aus erfahrenen Männern bloß solche Trottel?“
Die junge Kellnerin, schon auf dem Weg zur Theke, drehte sich lächelnd um. "Mein ungeschickter Vater meint immer: „In der Jugend kannst du aus Fehlern lernen und dich verbessern. Im Alter kannst du die Fehler nur noch wiederholen.“"
Hoppla! Beinahe wäre sie über die Schwelle zur Küche gestolpert. Doch geschickt, wie sie noch war, fing sie sich.
 



 
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