Das Letzte

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wondering

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War für mich als Text schwer einem Forum zuzuordnen...drum hier:

Das Letzte


Eben habe ich noch gehört, ich sei das Letzte, dann flog die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss. Rumms, Tür zu und ich denke nach... Es war nichts Besonderes vorgefallen, nur mein übliches Gemäkel an herumliegenden Kleidungsstücken, leeren Lebensmittelverpackungen im Kühlschrank und unverschlossener Zahnpastatube nebst hochgeklapptem Toilettendeckel. Ein nicht ungewöhnlicher Disput am Frühstückstisch mit meinem pubertierenden Sohn. Doch das Attribut „das Letzte“ läßt mich nach innen horchen.

Wer oder was ist das Letzte? Gibt es eine eindeutige Definition für das Letzte? Ist das Letzte ein Zeitpunkt, ein Augenblick oder eher ein Synonym für etwas, das hinten steht oder hinter anderem abfällt? Ist es ein Attribut für etwas Schlechtes und ist nach „dem Letzten“ wirklich Schluss?

Der Duden zählt unter „letzte/r/s“ eine ganze Reihe von Beispielen für den Sprachgebrauch auf, doch eine Definition findet sich nicht. Offensichtlich handelt es sich um ein Adjektiv, das dem dazugehörigen Substantiv Endlichkeit verleiht: das letzte Einhorn, das letzte Paradies, das letzte Kleinod, will uns sagen, danach ist Schluss. Diesmal steht also „das Letzte“ für etwas Endliches, das so nicht wiederkehrt. Unser letztes Stündlein, das jedem von uns eines Tages schlägt, kann als Paradebeispiel herhalten.
Weniger dramatisch muten die Alltagssituationen an, in denen „das Letzte“ eine Rolle spielt:
die letzte Bahn zu verpassen, kann teuer werden, oder wenn einem als Letzten die Hunde beißen, wird es schmerzhaft. Wer als Letzter die Türe schließen muss, spürt alle Blicke auf sich, während der Letzte in der Warteschlange weiß, dies kostet ihn Zeit und Nerven. Aber hier ist Nichts zu Ende, es kommt am frühen Morgen wieder eine Bahn und beim nächsten Mal anstehen zu müssen, geht man einfach eher los, um nicht der/die Letzte zu sein.
Anders ist es da schon mit dem letzten Bier am Abend, der letzten Zigarette oder dem letzten Kuss am Bahnsteig, bevor der geliebte Mensch davon fährt. Denn dieses letzte Bier eines schönen Abends, für das man entschieden hat, dass man danach zu Bett gehe, nimmt man bewusster zu sich, als jedes andere zuvor. Ebenso ergeht es dieser letzten Zigarette, sei es die letzte des Abends oder sogar des Lebens, Zug für Zug wird sie genossen, und der letzte Kuss ist keineswegs so flüchtig, wie zum Beispiel der, den man am Morgen auf dem Weg zur Arbeit pflichtgemäß vergibt. Hier steht das Letzte als Adjektiv neben einer Sache oder einer Handlung, um das Bewusstsein dafür zu schärfen. „Mein letztes Hemd“ gebe ich schließlich auch nicht einfach so her.
Erstaunlich!
Dazu fällt mir noch ein, dass ich in einer Zeitschrift über Grönemeyer’s „letzte CD“ gelesen habe. Wird er das Singen aufhören? Nein, gemeint ist seine jüngste CD. Für einen Augenblick bin ich wie elektrisiert von der Erkenntnis, dass mit dem Letzten durchaus noch eine Variante, nämlich das Vorderste gemeint sein kann: die letzte Version einer Software, oder „der letzte Schrei“, mit dem immerhin die neueste Mode gemeint ist.
Und schließlich findet sich in der Bibel, dass die Letzten die Ersten sein werden. Dieser Satz gibt einer ganzen Wissenschaft Anlass, sich mit dem „Umkehrungsprinzip“ auseinander zu setzen. Plötzlich stehen die eingefahrenen Ordnungen auf dem Kopf, wird der/die/das Letzte an die Spitze verwiesen und menschliche Maßstäbe für „das Letzte“ umgekehrt. Diesem schmächtigen David hätte niemand zugetraut, den Kampf gegen Goliath zu gewinnen, um nur ein Beispiel aus dem Buch der Bücher zu nennen.
Und auch das Aschenputtel wird am Ende Prinzessin, das blinde Huhn findet schließlich auch sein Korn.

Was also bleibt als Letztes?
Nicht nur jener Augenblick, nein, auch manchmal jedes einzelne Wort verdienen es, genau betrachtet und bewusst wahrgenommen zu werden. Dies muss nicht in einer unangenehmen „Über-Wachheit“ ausarten, sondern sollte jene Leichtigkeit behalten, die Lehren aus der Vergangenheit, Wahrnehmungen aus der Gegenwart in Gestaltung der Zukunft vereint.

Das Allerletzte wäre, am Leben vorbei zu leben.
 



 
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