Das Loch

Bad Rabbit

Mitglied
25. Dezember 2003

„Darmstadt hat uns Beagle übergeben. Die Verlustmeldung geht grade raus. Sind Sie soweit?“
„Die Maschine ist betriebsbereit. Alle Parameter im grünen Bereich.“
Mit der Faszination eines Kleinkindes starrte Peter Hauser auf den riesigen LCD-Monitor, der fast die gesamte rückwärtige Wand der Kommandozentrale einnahm, die wie eine kleinere Version des Command Centers der NASA aussah.
In drei nebeneinander angeordneten Fenstern konnte man die Maschine auf der Erde, die auf dem Mars und die wichtigsten Daten sehen.
Die Geräte, die der Einfachheit halber nur „Die Maschinen“ genannt wurden, sahen aus wie mit Kupfer umwickelte Ringe eines Löwendompteurs, die jemand auf einen aufgemotzten Computer gesteckt hatte.
„Dwight?“, fragte Peter in das Mikro seines Headsets.
„Was geben, mein Freund?“, antwortete Dwight Loup mit seinem schweren schottischen Akzent.
„Sprich lieber Englisch, Kumpel. Wir legen heute Abend auch eine kleine Übungsstunde ein, versprochen. Ich sehe da ein leichtes Flackern in der Marskamera. Siehst du das?“
Peter konnte mit Dwight Deutsch reden, denn dieser verstand ihn ziemlich gut. Sprechen war eine ganz andere Baustelle.
„Ja, ich sehe es“, antwortete er.
„Bisher keinem aufgefallen. Cool! Die Sender, die uns die Daten übermittelt, verursacht wohl Int....Intefferenzen.“
„Du bist unbelehrbar. Ok, wir starten die Maschinen in zwei Minuten.“
„Wir müssen uns heute Abend sowieso treffen. Ich will dir unbedingt etwas zeigen.“
Dwights Stimme hatte einen verschwörerischen Unterton, den Peter gut kannte. Letzte Woche hatte er eine Runde Strip Poker mit zwei Ingeneurinnen organisiert. Was hatte sein Kumpel diesmal ausgeheckt?
Achtung, Countdown. Start in zwei Minuten.
Die Lautsprecherdurchsage bewirkte, dass es in der Kommandozentrale plötzlich ruhig wie in einem Grab war. Die eben noch quirligen Wissenschaftler sprachen nur noch, wenn es absolut notwendig war. Jeder schaute auf den Monitor seines Arbeitsplatzes, auch Peter, der das Kühlsystem der Erd-Maschine überwachte.
„Testobjekt ist bereit“, gab Doktor Tillich über Funk durch.
Das Testobjekt war eine kleine weiße Maus in einer Luftdichten Plastikbox. Sollte der Durchgang stabil sein, so wäre sie das erste Wesen, das von Menschen durch ein Wurmloch geschickt wurde. Andernfalls würde man in ein paar Monaten eine neue Maus brauchen.
Achtung, Start in Zehn, neun,...
„Doktor Tillich,“ gab Peter über Funk durch.
„einige meiner Anzeigen kommen ab und zu in den roten Bereich.“
...fünf, vier,...
Andere Wissenschaftler sprachen von Energiespitzen, die aber immer noch im vertretbaren Bereich waren.
...zwei, eins, Zündung!
Der Bildausschnitt, der die Erdmaschine zeigte, wurde schneeweiß, und wenige Sekunden später folgte auch der Andere. Es vergingen nur wenige Sekunden, gefühlte Minuten der Ungewissheit, bis wieder etwas erkennen ließ. Die Bildstörungen waren beträchtlich, dennoch war der Anblick einfach unglaublich.
In beiden Ringen befand sich ein grüner, rotierender Strudel, dessen Beschaffenheit mit dem derzeitigen Wortschatz nicht zu beschreiben war. Peter musste an die seltsame Materie aus den Geschichten von H. P. Lovecraft denken.
Klatschen und Jubel erfüllten die Kommandozentrale für einige Sekunden.
„Cool!“ sagte Dwight. “Durch das Wurmloch haben wir jetzt Videoübertragung in Realtime. Das Signal ist trotzdem schlecht. Ich versuche es weiter.“
„Ok, wir schicken Tinky jetzt durch“, gab Dr. Tillich über Funk durch.
Auf dem Monitor war trotz des verzerrten Bildes zu erkennen, wie ein Roboter, der denen zur Bombenentschärfung ähnelte, die Box mit der Maus langsam in das Portal schob.
„Sie ist gleich drin, gleich....Oh!“
Die Box war von einer Sekunde auf die Andere verschwunden.
„Ok,“ sagte Tillich, „warten wir bis sie auf der anderen Seite rauskommt. Herr Loup, das Bild wird eher schlechter als besser. Bekommen Sie das noch hin?“
„Nein, sorry! Irgendwie wird es immer schlechter. Weiß nicht, warum!“
Peter hatte seine Arbeit völlig vergessen und verfolgte gebannt den Funkverkehr.
Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, etwas auf dem großen Monitor zu erkennen.
Schließlich kam etwas durch das Portal auf der Marsseite. Es war nicht die Box.
Es sah aus wie eine Art Tentakel. War es lebendig? Bevor Peter mehr erkennen konnte brach die Übertragung endgültig zusammen. Über Funk redeten jetzt Tillich, Dwight und ein Dutzend weiterer Wissenschaftler durcheinander.
„Habt ihr das gesehen? Das war nicht die Box!“
„Ja, was zum Teufel war das?“
„Das werden wir nie erfahren, wenn Loup die Übertragung nicht wieder hinbekommt!“
Schließlich sagte Tillich: „Ich gehe in den Versuchsraum.“
Plötzlich waren alle ruhig und warteten auf Tillichs nächste Durchsage.
Peter bekam ein seltsames Gefühl im Magen. Er wurde nervös. In Filmen endete so etwas immer in einem riesigen, blutigen Scheißhaufen.
„Ok, ich bin im Versuchsraum und sehe das Portal. Es ist wunderschön. Großer Gott, es ist so unglaublich schön! Ich mache ein paar Aufnahmen mit meiner Kamera.“
Er klang, als müsste er gleich weinen.
Stille. Peter hielt die Luft an, denn er hatte Angst, sein Atem könnte etwas übertönen.
Dann meldete Tillich sich wieder:
„So, ich stelle jetzt einen Signalverstärker auf. Irgendeine Besserung?“
„Nein“, sagte Dwight.
„Ok, dann stelle ich einen Weiteren hier hin. Der Roboter soll ihn durch das Portal....was zum Teufel?“
Gemurmel breitete sich aus.
„Da kommt irgendwas durch das Portal. Es ist....oh mein Gott! Nein, bitte, holt mich hier raus! Es hat...“
Rauschen. Angst.
McCraft, Tillichs Stellvertreter, meldete sich nun:
„Zentrale, wir wissen nicht was passiert ist. Wir werden jetzt...oh, Moment! Die Tür geht auf. Es ist Dr. Tillich! Es geht ihm gut!“
Peter atmete tief durch. Es ging ihm gut. Aber was sollte dann diese seltsame Durchsage? War etwas durchgekommen oder nicht? Er beschloss, McCraft weiterhin zuzuhören:
„Doktor, geht es ihnen nicht gut? Sie...oh, Scheiße! Da ragt etwas aus seinem Hinterkopf! Irgendetwas aus dem Portalraum! Bleiben Sie stehen sie....aaaaah!"
Rauschen. Entsetzen.
Der Funkkanal war plötzlich von wildem Gerede erfüllt. Und von Schreien. Schrecklichen, qualvollen schreien.
Peter hörte sich das Alles an:
„McCraft, was...aah!“
„Es ist direkt hinter mir!“
„Es hat Loup, es hat Loup!“
“Hey, Kumpel! Dwight, sag was! Bist du da?“, fragte Peter.
Die Angst verwandelte sich langsam in Panik und kitzelte Peters Hirn.
„Ich bin hier mein Freund.“
Das war eindeutig Dwights Stimme, doch war sie seltsam Monoton.
„Es ist schön hier, willst du nicht kommen und mit uns spielen? Wir haben Strip Poker, Strip Skat, Strip Backgammon....“
Peter riss sich das Headset vom Kopf und rannte zum Ausgang. Einige seiner Kollegen hatten die gleiche Idee, Andere blieben wie angewurzelt an ihren Plätzen. Keiner wusste, was vor sich ging, aber Peter hatte das Gefühl, dass Weglaufen eine ziemlich gute Idee war.
Die automatische Tür schwang auf, und Peter rannte mit einigen anderen Wissenschaftlern in den Korridor, eine hundert Meter lange Betonröhre, an deren einen Ende sich ein Foyer mit dem rettenden Lift befand, und am anderen der gesicherte Aufzug zum Versuchslabor.
Als sie etwa dreißig Meter zurückgelegt hatten, hörten sie ein einen lauten Knall, dem ein Scheppern folgte. Peter und seine Kollegen hielten inne und drehten sich um. Der Anblick war bizarr und widerwärtig. Eine junge Ingenieurin neben Peter kotze einem Kollegen auf die Schuhe, der dies aber gar nicht mitbekam.
Die Stahltüren des Fahrstuhls zum Labor waren aufgebrochen, und nun schlängelten sich Dutzende oberschenkeldicke Tentakel aus dem Schacht. An einigen dieser blaugrauen, gummiartigen Dinger hingen Menschen. Diese armen Teufel waren an ihren Hinterköpfen aufgespießt und aus ihren Ohren, Nasen und Augen lief Blut. Einigen liefen Fäkalien aus den Hosenbeinen.
Und sie redeten. Sie redeten!
„Kommt zu uns, Freunde. Wir wollen nur spielen. Wir sind eure Freunde.“
Peter erkannte sie alle, auch McCraft, Tillich und Dwight.
Die Tentakel brachen die Tür zur Kommandozentrale auf und strömten hinein. Die Schreie der Zurückgebliebenen schallten im Korridor und verursachten Peter Kopfschmerzen. Plötzlich setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Peter erreichte die Tür zum Foyer als Erster, fummelte seine Codekarte aus der Tasche und führte sie durch den Schlitz des Lesegeräts. Die schwere Stahltür glitt zur Seite und Peter stürzte hindurch.
Die Tentakel hatten die Gruppe erreicht und begruben die Hintersten unter sich. Zwei Wissenschaftler waren schon durch, als Tentakel ihre Knöchel umschlungen und sie in den Korridor zerrten. Peter packte einen von Beiden an den Händen und versuchte ihm zu helfen, als ihm ein Tentakel die Füße wegzog. Plötzlich ertönte ein Alarm und die Stahltür glitt zu.
Der Wissenschaftler, dem Peter helfen wollte, schrie wie am Spieß, als er von der Tür knapp unter dem Brustkorb durchtrennt wurde. Die Tentakel um Peters Füße wurden schlaff.
Erst realisierte er gar nicht, was grade passiert war; dann sah er, dass auch die Tentakel von der Tür durchtrennt wurden. Das Gesicht seines Kollegen war fleischgewordenes Entsetzen. Auf der Stahltür war eine glibberige Blutspur, und aus der Leiche lief eine dunkle, stinkende Flüssigkeit heraus.
Peter begann zu weinen, wurde jedoch von einem lauten Klopfen wieder aufgeschreckt.
Die Tentakel versuchten, die Tür aufzubrechen. Jeder Schlag hinterließ eine neue Delle, und jedes Mal rieselte mehr Beton von der Decke.
Peter torkelte zum Lift und führte seine Codekarte durch das Lesegerät. Nichts passierte. Er wiederholte die Prozedur, jedoch ohne Ergebnis. Dann vielen ihm zwei Worte auf dem Display auf:
Quarantäne! Notversiegelung!
Ein lauter Knall und ein ebenso lautes Scheppern. Peter hatte das schon einmal gehört. Langsam drehte er sich um. Die Tentakel hatten die Stahltür, welche nun auf den Überresten von Peters Kollegen lag, überwunden. Wie eine Ranke schlängelten sie sich an den Wänden entlang und kreisten Peter auf diese Weise ein. Aus dem dichten Gewirr im Korridor schwebten einige seiner alten Kollegen herein. Nur schwebten sie nicht wirklich, sondern hingen mit ihren Köpfen an diesen verdammten Tentakeln. Einer von ihnen Dwight, der sich auf Peter zu bewegte. Peter schaute in die leeren Augen seines toten Freundes. Dwights Mund bewegte sich unablässig, und wenn er ihn öffnete, sah man darin kleine, sich windende Tentakel.
„Hallo, Peter“, sagte das Dwight-Ding.
„Ich will dir unbedingt etwas zeigen."
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Schaurig ist's scho'.

Aber mir wimmeln zu viele Tentakel im Text. Dem Gewürm muss doch noch mit anderen Begriffen und (bitte aber eleganten!) Umschreibungen bei zu kommen sein. Wie es da durch den Bau wimmelt, sich windend aus dem Aufzug schlängelt...

Ab da etwa

Einige seiner Kollegen hatten die gleiche Idee, Andere blieben wie angewurzelt an ihren Plätzen.
gerät die Sprache aus dem Takt und tritt dem Inhalt ständig auf die Füße.
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HÄÄÄ???? Was, zum Teufel will Rumpel damit sagen? [/blue]

Ich liebe die Vorstellung dieses verwirrten Ausdruckes auf Deinem Gesicht. ;-))
Lass' mir den Spaß, bis Du weiter gelesen hast, denn noch mehr freut mich die Imagination Deiner Erleuchtung:

Bis dort hast Du konsequent die Innenperspektive Deines Prot eingehalten; dann fährt die Kamera raus und Totale. Im Prinzip nix gegen zu sagen. Nur schießt Du über das Ziel hinaus: es spricht nicht mehr der Reporter vor Ort, sondern der Nachrichtensprecher kommentiert das Geschehen, was er auf dem Studiomonitor verfolgt. In ruhigen, ausformulierten Sätzen, die der hektischen Dramatik der Situation gemächlich hinterher trotten. Dort herrscht Panik! Todesangst! Bleib' dort. Auch mit dem Satzrhythmus. Schnell. Atemlos. Bruchstückhafte Wahrnehmung in diesem Chaos. Keine Luft zum Denken. Rennen!

Ein paar Ansätze hast Du ja schon, wo die Direktübertragung auf Vollbild gestellt wird. Mehr davon, ich will nicht die Krawatte von dem Studioheini bewundern, sondern Blut sehen!

Ungeniert verdünnisiert
 

Bad Rabbit

Mitglied
Hallo!!

Ich weiß, ich habe mir viel zeit mit dieser Antwort gelassen.

Grund: Nachdem ich meinen PC plätten und demnach auch alles neu installieren musste, hatte ich diese Seite ganz einfach vergessen :)

Naja ok, danke fürs Lesen.

Mir ist auch aufgefallen, dass ich zu oft "Tentakel" geschrieben habe.

Nuja, Hauptsache, ich konnte ein wenig unterhalten :)

Danke fürs lesen und kommentieren!
 



 
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