Das Meer-Prinzip

3,00 Stern(e) 1 Stimme

peaches

Mitglied
Krachend fällt die Tür hinter ihm ins Schloss, wie schon so viele Male davor, aber diesmal hat es etwas endgültiges.
Sie sitzt regungslos am Küchentisch und starrt blicklos immer noch Richtung Wohnungstür, so als könne sie durch reine Gedankenkraft wieder rückgängig machen, was gerade geschah. So richtig verstehen kann sie es sowieso noch nicht, dafür ging es jetzt zum Schluss einfach viel zu schnell.
Er hat einfach seine paar Sachen zusammengepackt und schon ist er weg, natürlich hat es noch die üblichen Betteleien ihrerseits gegeben und die Versprechen, dass sie sich ändern würde und das doch alles wieder gut werde und das sie ihn noch immer liebe, aber er hat darauf überhaupt nicht mehr reagiert. Er hat nur gesagt, dass er das alles nicht mehr hören könne und ob ihr nicht auch mal was Neues einfallen würde und dann ist er raus, raus aus der Tür und damit wohl auch aus ihrem Leben.
Tränen laufen ihr übers Gesicht, aber sie bemerkt es gar nicht, als sie mit hochgezogenen Knien, die Hände davor verschränkt, auf dem Küchenstuhl sitzt und sich daran erinnert, wie alles begann, damals...

Es war fast wie in einem dieser kitschigen Liebesfilme, wo die Leute sich rein zufällig über den Weg oder noch besser über den Haufen laufen. So ähnlich fing es auch bei ihnen an.
Es war letztes Jahr im Mai wieder einmal dieser Tage, wie sie sich so endloslang aneinandergereiht hatten in ihrem Leben, einer so ereignislos wie der andere. Sie war auf dem Nachhauseweg aus dem Büro und hatte schnell noch beim Supermarkt um die Ecke einen kleinen Einkauf getätigt und bog mit der Einkaufstüte unterm Arm um die Straßenecke, als dieser Typ aus dem kleinen Blumenladen stürmte und geradewegs in sie hineinlief. Ehe sie sich versah, lag sie auf dem Boden und ein sehr verlegenes, etwas sorgenvolles, aber genauso auch attraktives Männergesicht geriet in ihr Blickfeld.
„Oh Mann, das tut mir schrecklich leid, geht`s ihnen gut? Alles in Ordnung mit ihnen?“
Sie hatte die Fragen gar nicht richtig wahrgenommen, sondern war immer noch von diesen Augen wie hypnotisiert. Sie erinnerte sich, seine Augen waren das erste gewesen, was ihr an ihm aufgefallen war, groß, dunkel, irgendwie geheimnisvoll und in diesem Augenblick fragend und voller Mitgefühl.
Erst mit ein paar Sekunden Verzögerung nahm sie die ihr hilfreich entgegengestreckte Hand wahr, die sie etwas zögerlich ergriff und die ihr dann kraftvoll wieder auf die Beine half. In der anderen Hand hielt er einen dieser kleinen, bunten Frühlingssträuße, wie es sie so eben nur im Frühling zu kaufen gibt.
„Tut mir leid, ist sonst eigentlich nicht meine Art, schöne Frauen einfach über den Haufen zu laufen“, sagte er mit einem etwas spitzbübischen Lächeln auf den Lippen und musterte sie interessiert von oben bis unten.
„Darf ich sie als Wiedergutmachung zu einem Kaffe einladen,“ fragte er und wies auf das kleine Café nur zwei Häuser weiter.
„Danke, aber das ist wirklich nicht nötig, war ja halb so schlimm und mir fehlt ja auch nichts“, erwiderte sie, ganz entgegen der Gefühle in ihrem Bauch und so beeilte sie sich ein, „aber warum nicht“, dranzuhängen und versuchte ihr schönstes Perlweißlächeln hervorzuzaubern
So nahm damals alles seinen Anfang.
Aus dem einen Kaffee wurden drei Cappuccino und ehe sie sich versahen, saßen sie fast zwei Stunden zusammen und redeten. Es war schon irgendwie komisch, eigentlich war sie der eher zurückhaltende Typ und brauchte immer eine Weile um mit jemandem warm zu werden, aber bei ihm war das ganz anders. Von Anfang an verstanden sie sich richtig gut und konnten über so vieles reden, weil sie eben viele gemeinsame Interessen hatten, wie sie schnell feststellten.
Am Ende verabredeten sie sich fürs Wochenende und dann drückte er ihr noch den Blumenstrauß in die Hand, „als Entschuldigung für meinen stürmischen Auftritt vorhin“.
Erst viel später erfuhr sie, dass der Strauß eigentlich für seine Mutter zum Hochzeitstag gedacht war, aber so war er halt, spontan und immer für etwas Überraschendes gut, das sollte sie dann auch noch häufiger erfahren.

Von nun an sahen sie sich öfter und regelmäßiger und bei ihr machte sich ganz allmählich dieses Gefühl breit, das sie schon so lange Zeit vermisst hatte. Da war wieder dieses Kribbeln im Bauch, immer wenn sie an ihn dachte und dieses Gefühl, dass alles was sie ihm sagte irgendwie eine besondere Bedeutung haben könnte. Zwischen ihnen entwickelte sich diese Vertrautheit, die sie schon so lange vermisst hatte. Irgendwann waren sie einfach zusammen und keiner von ihnen konnte genau sagen, wie und wann es dazu gekommen war. Es hatte sich eben so ergeben, ohne dass sie darüber groß nachgedacht hatten, so, als wäre es vorherbestimmt gewesen.
Er hatte diese jungenhafte Art an sich und sie konnte ihm auch nie wirklich lange böse sein, wenn er mal wieder etwas verbockt oder vergessen hatte. Denn eines stellte sie dann doch sehr schnell fest, trotz vieler Gemeinsamkeiten waren sie total unterschiedliche Typen und manchmal zweifelte sie schon daran, ob diese Beziehung wohl Zukunft hätte. Aber nicht umsonst sagt man ja auch, Gegensätze ziehen sich an und wahrscheinlich ist es einfach so, dass man und frau von diesen Gegensätzen irgendwie fasziniert ist. Entscheidend dabei ist wohl nur, wie lange diese Faszination anhält und ob der Partner auch noch interessant ist, wenn die Anfangseuphorie verflogen ist.

Aber bei ihnen waren nun letztlich die Unterschiede wohl doch zu groß gewesen. Sie war eben mehr der häusliche Typ, sie brauchte sich nicht unbedingt ständig auf Partys und Feiern auszutoben, ihr war meistens eher nach einem gemütlichen Abend zu Hause, allein zu zweit. Er dagegen brauchte immer in irgendeiner Weise „Action“, wie er sagte. Er war fast immer unterwegs und brauchte ständig Leute um sich, brauchte ihre Bestätigung und das Gefühl gemocht zu werden und hielt es alleine nie sehr lange aus. Und er flirtete für sein Leben gern, leider oft nicht mit ihr, sondern mit anderen weiblichen Wesen. Obwohl er immer wieder beteuerte, dass das Ganze für ihn nur ein Spiel sei und er nur sie liebe, war das eine seiner Eigenarten, mit der sie überhaupt nicht zurechtkam. Flirten war auch einfach nicht so ihr Ding, dafür war sie zu schüchtern und zu ängstlich, außerdem sah sie das nicht als Spiel an, sondern für sie war das eine sehr ernste Angelegenheit und kein bloßer Zeitvertreib oder Spaß. Und obwohl sie wusste, dass er diese kleinen Flirts nicht ernst nahm und meinte, war das ein Punkt, über den sie sich immer wieder aufregte und ihm dann deswegen auch häufig Vorwürfe machte.
Leider waren es eben gerade diese „Kleinigkeiten“, die immer wieder für Missstimmungen in ihrer Beziehung sorgten, denn im selbem Maße, wie er spontan und überraschend war, war er auch unpünktlich und unzuverlässig, manchmal eben unberechenbar. Für sie war so ein Verhalten in einer Partnerschaft aber auf Dauer nicht tragbar, weil sie Zuverlässigkeit für sehr wichtig hielt. Außerdem war da immer eine unterschwellige Angst bei ihr vorhanden, dass er, wenn er so unzuverlässig war, es vielleicht auch mit der Treue nicht so genau nehme.
Er dagegen regte sich oft über ihre konservative und spießige Einstellung auf, schließlich sei man nur einmal jung und überhaupt, keiner wisse, was morgen sei und so lebe er eben auch. Und seinen Spaß und seine Freiheit wolle er sich auf keinen Fall nehmen lassen, das müsse sie halt verstehen oder wenigstens akzeptieren.
So zog sich das Ganze nun schon über ein Jahr hin und bisher hatte es nie lange gedauert, bis sie sich nach einem Streit auch wieder versöhnten, denn ohne den anderen hielten sie es höchstens zwei oder drei Tage aus. Aber heute ist es anders als sonst, heute ist es irgendwie endgültig, heute hat er all seine Sachen eingepackt und dabei nicht einmal seine Zahnbürste vergessen.

Sie erhebt sich vom Küchenstuhl und geht langsam zum Fenster. Dort bleibt sie stehen und schaut hinaus in den Park auf der anderen Straßenseite, wo sie so viele Male zusammen im Gras gelegen und über Gott und die Welt philosophiert haben. Wehmütig erinnert sie sich daran, wie ausgelassen sie miteinander gelacht haben und daran, wie er ihr immer den Nacken geküsst hat, so sanft, dass sie jedesmal einen wohligen Schauer verspürt hat.
Als ihr Blick so ziellos in die Ferne schweift, ohne dass sie wirklich etwas sieht, muss sie an ihre beste Freundin denken und daran, was sie immer über die Liebe sagt. Und in diesem Moment huscht zum ersten Mal an diesem Tag ein Lächeln über ihr Gesicht, ein kleines, schwaches, etwas leidendes Lächeln zwar, aber immerhin.

Ihre Freundin ist auch ein sehr lebensfroher und lebendiger Typ und sie sagt immer, mit der Liebe ist es wie mit dem Meer. Das einzig gleichbleibende und immer wiederkehrende sind Ebbe und Flut, ein beständiges sich entfernen und wiederkommen. Genauso sei es eben auch bei der Liebe.
Zu Beginn ist es wie mit der Flut, sie steigt immer höher und überspült alles, was so am Meeresboden liegt, bis man nur noch Wasser sieht, soweit das Auge reicht.
Am Anfang der Liebe ist es ganz ähnlich, dieses Gefühl bricht wie die Flut über einen herein, ohne dass man sich dagegen wehren kann. Sie überspielt alles, was man sonst vielleicht wahrnehmen würde, aber wie sagt man ja so schön, Liebe macht blind. Deshalb sieht man zuerst immer nur die guten Seiten eines Menschen und die weniger guten fallen einem erst gar nicht auf, man übersieht sie einfach.
Doch nach und nach fallen einem auch diese nicht immer schönen Seiten an einem Menschen auf, seine Macken und Eigenarten, seine Probleme und Schwachstellen, all das, was einen Menschen manchmal so liebenswert macht, aber leider oft auch einfach unausstehlich.
So wie mit der Ebbe nach und nach das Wasser zurückweicht und mehr und mehr von dem offenlegt, was die Flut verdeckt, so offenbart die Zeit in der Liebe nach und nach immer mehr von dem, was wir an unseren Partnern weniger mögen und weswegen wir dann auch unsere Partner weniger mögen.
Manchmal gelingt es uns über diese Ebbezeiten hinwegkommen oder hinwegzusehen und dann kehrt die Liebe zurück, so wie die Flut und alles erscheint wieder so, wie man es sich immer wünscht und vorstellt. Manche Menschen finden gerade dieses ständige Wechselspiel besonders reizvoll und sagen dann, dass es doch nichts Schöneres gäbe, als sich nach einem Streit auch immer wieder zu versöhnen.
Oft aber sorgt dieses Wechselspiel von Ebbe und Flut dafür, dass die Liebe die Zeit nicht überdauert und daran zerbricht.
So ist es ihnen nun ergangen, oft schon ist die Flut zurückgekommen und hat allen Streit hinweggespült, aber früher oder später hat es dann immer wieder Zeiten der Ebbe gegeben und letztlich hat die Ebbe in ihrer Beziehung gesiegt.

Aber ihre Freundin ist der Meinung, dass es sich mit der Liebe eben wie mit Ebbe und Flut verhält. Auch wenn Ebbe herrsche und die Liebe in fast unerreichbarer Ferne liege und nichts daraufhin deute, dass sie noch einmal zurückkomme, so könne man sich doch darauf verlassen, dass sie wiederkehre, so wie die Flut immer wiederkehre.
Jetzt im Moment ist nun mal Ebbe angesagt, aber früher oder später wird es auch wieder eine Flut geben, so ist das halt, sowas nennt man wohl ein Naturgesetz.
Oder so wie ihre Freundin immer wieder sagt, „das ist halt das Meer-Prinzip!“
Der einzige wirkliche Unterschied zwischen der Liebe und dem Meer ist, dass man beim Meer Ebbe und Flut sehr genau vorhersagen kann, nur bei der Liebe klappt das eben nicht ganz so gut.

Aber in diesem Augenblick ist ihr das auch völlig egal, denn was zählt war ganz allein dieser, wenn auch im Moment, schwache Trost:
Die nächste Flut ist praktisch schon auf dem Weg zu ihr, auch wenn sie sie jetzt noch nicht sehen kann, aber sie wird kommen, früher oder später, ganz sicher...
 

Zefira

Mitglied
Lieber peaches,

ein schönes Persönlichkeitsbild und auch der Vergleich mit dem Meer ist gut ausgedacht und sehr schön ausgebaut.

Was ich als zu lang und eher wenig bis nichts-sagend empfunden habe, ist der Absatz, der mit

>Von diesem Tag an sahen sie sich dann immer öfter und regelmäßiger ...< beginnt. Das ist die Schilderung einer beginnenden Liebe mit - sei mir nicht böse - Allgemeinplätzen. Eine Vertrautheit, als würden sie sich schon lange kennen.... er konnte sie zum Lachen bringen... ich finde diesen ganzen Absatz eigentlich überflüssig.

Viel sprechender sind Situationsschilderungen, wie z.B. die mit dem Blumenstrauß. Da hat man sofort ein Bild vor sich.

>„Danke, aber das ist wirklich nicht nötig, war ja halb so schlimm und mir fehlt ja auch nichts“, erwiderte sie, ganz entgegen der Gefühle in ihrem Bauch und so schob sie möglichst schnell ein, „aber warum nicht“, nach und versuchte ihr schönstes Perlweißlächeln hervorzuzaubern <

... den Satz würde ich noch etwas vereinfachen. Bei dem Satzteil "... in ihrem Bauch und so schob sie möglichst schnell ein..." dachte ich unwillkürlich an Essen ("Bauch" und "einschieben") und kam von diesem Bild nicht mehr los... :D

lieben Gruß,
Zefira
 



 
Oben Unten