Das Portemonnaie

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Josie

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"Heute stand ein Artikel über dich in der Zeitung", strahlte Arno stolz, "ich habe ihn eben entdeckt und ausgeschnitten. Hier, sieh selbst!". Und hielt Susanne eine Zeitungsnotiz hin, die er im Sichtfenster seines weinroten Nappaleder-Portemonnaies verewigt hatte. - Die erste Narbe ihrer blutjungen Ehe.

Es war an einem heißen Sommertag im Juli. Schon am frühen Vormittag hatte Susanne sich aufgemacht um die malerische Kleinstadt zu erkunden, die seit zwei Wochen ihr neues Zuhause war. Vier Wochen war sie jetzt mit Arno verheiratet, die gemeinsame Wohnung war fertig eingerichtet, Susannes Umzug geschafft. Ihr neues Leben konnte beginnen.
Sie parkte ihr Auto auf dem Parkplatz gegenüber der Drogerie, denn von hier aus konnte sie viele Geschäfte bequem und schnell zu Fuß erreichen.
Sie genoss diese Art von Kleinstadt-Milieu und bummelte neugierig die Marktstraße entlang. Fühlte sich wie ein Abenteurer auf Entdeckungsreise. Lugte in jedes Schaufenster hinein und ließ verspielt ihre Finger durch die Kleidungsständer vor den Boutiquen gleiten. Am Marktplatz angekommen legte sie eine kurze Rast ein, setzte sich am Eiscafe draußen an einen der zierlichen Tische und bestellte sich einen Kaffee.
Es machte ihr Spaß die Menschen zu beobachten, wie sie gemütlich am Markt von Stand zu Stand schlenderten oder geschäftig an diesem bunten Treiben vorbei eilten.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und brannte auf Susannes schwarzes Haar herab. `Ist ja schon bald Mittag!´, fiel ihr siedend heiß ein,´wie schnell die Zeit vergangen ist.´
Sie bezahlte eilig ihren Kaffee, denn sie hatte noch ihre
Pflichten als Hausfrau zu erfüllen. Es war ihr wichtig, dass die Wohnung sauber und gemütlich war, wenn Arno von der Arbeit nach Hause kam. Zügig erledigte sie ihre Lebensmittel-Einkäufe und ging dann zum Parkplatz zurück.

Die Straßen der Kleinstadt waren ihr noch nicht vertraut. Darum fuhr sie sehr langsam den Weg zurück, um die Abzweigung am Kirchhofplatz nicht zu verpassen. An der Abzweigung hielt sie kurz an, um den Gegenverkehr vorbeizulassen, nutzte diesen Augenblick und streifte die wunderschöne Johanneskirche mit einem ehrfürchtigen Blick.
Als der Gegenverkehr vorbei, warf sie vorsichtshalber noch einen Blick die Straße hinauf: Alles frei. Dann bog sie links ab.
Im selben Moment hörte sie einen Knall und nahm ein Blitzen vor ihrer Frontscheibe wahr. Stieg auf die Bremse, ihr Auto stand sofort. Um sie herum, Stille.
`Was war das?´, sah sie verdutzt durch das linke Autofenster auf die Straße. In unmittelbarer Nähe ihres Autos lag ein Fahrrad. Sein leuchtendes Rot hob sich krass vom grauen Asphalt ab.`Wo kommt das denn her?´, fragte sie sich verwirrt. Erst dann nahm sie den jungen Mann wahr. Er lag seitlich gekrümmt neben dem Fahrrad und bewegte sich nicht. Erschrocken stieg Susanne aus dem Auto aus, setzte an, um auf den Verletzten zuzugehen. Doch ihre Beine gehorchten ihr urplötzlich nicht mehr, zitterten. Unfähig sich zu bewegen stand sie wie angewurzelt an der Unfallstelle. Ein grauer Schleier legte sich auf ihre Augen, trübte ihren Blick.
Vor dem Verletzten kniete ein Mann. Wo kam er her? Wann war er gekommen? Irgendwann hob er den Kopf zu Susanne: " Er ist ansprechbar", hörte sie ihn sagen. Sein Blick war irgendwie kühl, verächtlich. Warum? Susanne fröstelte.
Wie durch einen Nebel drangen Stimmen zu ihr: "Bestimmt hat die Sonne sie geblendet, sie konnte ihn nicht sehen." "Nein, er ist viel zu schnell gefahren, mit seinem Rennrad. Sie konnte nicht mehr bremsen." Dann vernahm sie ein Flüstern: "Sie ist schuld. Sie ist zu früh abgebogen."
Susannes Kopf begann zu schmerzen. Ein Dröhnen machte sich in ihm breit, drängte ihr einen entsetzlichen Verdacht auf: `Bin ich schuld?´ Der Schleier vor ihren Augen wurde dünner, ihr Blick wieder etwas klarer.
Sie sah Menschen vor der Johanneskirche stehen. Sie sahen zu ihr herüber. Susanne starrte sie verzweifelt an. Die Schmerzen in ihrem Kopf wurden stärker.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Polizist vor ihr, stellte ihr Fragen. Susanne versuchte ihm zu antworten, konnte sich ihm aber nicht verständlich machen. Ihr Kopf fühlte sich an, wie mit Watte gefüllt.
Dann hörte sie das Signal eines Rettungswagens. Empfand es wie eine Anklage, fühlte sich schuldig. Endlich gab sie dem Brennen in ihren Augen nach, ließ ihren Tränen freien Lauf - und fühlte sich mutterseelenallein, in ihrem neuen, fremden Zuhause.

Der Radfahrer hatte eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, lag einige Zeit im Krankenhaus. Schadenersatzansprüche kamen auf Susanne zu, mussten anwaltlich geregelt werden. Den Schaden an ihrem Auto ließ Arno notdürftig reparieren, das blutige Haarbüschel, dass sich hartnäckig im Autodach festgesetzt hatte, entfernen.

Einige Tage nach ihrem Unfall begannen die schon lange geplanten Sanierungsarbeiten im Ortskern. Auch der Kirchhofplatz wurde verschönert, der graue Asphalt durch rustikale Pflastersteine ersetzt, Fußgängerüberwege geschaffen, bunt bepflanzte Blumenrondelle zur Verkehrsberuhigung aufgestellt.
Diese Veränderungen machten es Susanne leicht, dieses Erlebnis in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu verdrängen. Sie verdrängte es ebenso, wie die Zeitungsnotiz über ihren Unfall, im Sichtfenster eines weinroten Nappaleder-Portemonnaies. - Die erste Narbe ihrer Ehe.

( überarbeitet am 29.06.05; 30.06.05; 02.07.05 )
 

jon

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Teammitglied
Ich fühle mich berührt. Das ist genau diese Art "Verwundung", die mich außerordentlich beschäftigt…

Deshalb greif ich gleich in die ganz Vollen und verpasse dem Text ein „echtes Lektorat“:

Generell:
** ICH weiß (oder glaube zu wissen), worin die Narbe besteht – für Leute, die sich in dieser Richtung nicht auskennen, fehlt aber sicher noch was. Vielleicht ein Hinweis, wie Arno damals reagierte und/oder wie er (inzwischen) „es“ (er denkt: das Ereignis, in Wirklichkeit: das Schuldgefühl) herunterspielt.
** Es ist sehr wichtig zu erfahren, was mit dem Radfahrer passierte. Erstens ist das für die Story wichtig (, diese „Geschichte“ muss inhaltlich abgeschlossen werden) und es ist wesentlich für die Aussage. Es mag nach Nuancen klingen, ist aber gravierend: Wenn der Radfahrer einen bleibenden Schaden behalten hat oder gar tot ist, dann ist Arnos Aktion zynisch oder sogar bösartig. Ist der Radfahrer inzwischen wieder topfit, ist Arno „nur“ gedankenlos und unsensibel.
** Ich komme mit dem Zeitablauf nicht ganz klar: Der Zeitungsartikel ist doch der vom Unfall – der erste Abschnitt findet also unmittelbar nach dem Unfall statt. Der letzte Abschnitt klingt so, als sei er eine (modifizierte) Wiederholung des ersten Abschnitts – und das kann nicht sein (denn immerhin ist eine Ortskernsanierung „drüber gegangen“).
Eine andere Rahmen-Struktur wäre wohl gut: Erster Abschnitt – sie findet das (inzwischen alte) Portmonee und sieht, dass der Zeitungsausschnitt immer noch drin ist (, am besten noch ohne Hinweis auf das Traumatische). Dann der Unfall. Dann „Arno hebt den Zeitungsauschnitt auf“ (eventuell mit der Info: „Der Radfahrer befindet sich auf dem Weg der Besserung/starb auf dem Weg ns Krankenhaus“) und „Arno spielt‘s runter“. Dann wieder zur ersten Szene und diese fortführen (wirft sie das Portmonee weg, „löst“ sie ihr Problem, steckt sie es zurück in Arnos Tasche, ist das Problem schon seit einiger Zeit keins mehr; am stärksten wäre, wenn Arno dazukommt und {ohne zu bemerken, was in Susanne vorgeht} das Potmonee nimmt und einsteckt – dann haben die beiden ein echtes Problem).

Generell 2:
Manchmal ist weniger mehr – man muss nicht immer die farbigsten Worte wählen. Sowas wirkt schnell überladen oder gar „künstlich aufgeblasen“. Manchmal reicht einfach nur die sachliche Info…

Generell 3:
Der Kontrast zwischen dem ganz entspannten Bummeln und dem Unfall selbst spiegelt sich zu wenig im Klang des Textes. Ich sehe zwar anhand der Bilder und Aussagen, was du beabsichtigst, aber ich höre es nicht anhand der „Melodie“. Die etwas längeren, weichen Sätze der Bummel-Szene sind ok – im Unfallgeschehen fehlt aber die Action und auch das nur nach und nach und bruchstückhafte Bewusst-Werden (kurze/kurzatmige, an besonders „kräftigen“ Stellen sogar ultrakurze Sätze).


Details:


"Heute stand ein Artikel über dich in der Tageszeitung" [blue] Sagt man das? „Tageszeitung“? Oder doch nur „Zeitung“… [/blue] , strahlte Arno stolz, "ich habe ihn eben entdeckt und ausgeschnitten. Hier, sieh selbst!". Und hielt Susanne eine Zeitungsnotiz hin, die er im Sichtfenster seines weinroten Nappaleder-Portemonnaies verewigt hatte. - Die erste Narbe ihrer blutjungen Ehe.

Es war an einem heißen Sommertag im Juli. Von Abenteuerlust gepackt [blue] Zu dick: Sie ist neu und schaut sich um – das reicht als Motiv. Abenteuerlust ist als Erklärung üüüüberhaupt nicht nötig. Bestenfalls Neugier auf die neue Heimat fände ich noch „un-überladen“. [/blue] machte sich Susanne schon am frühen Vormittag auf um die malerische Kleinstadt zu erkunden, die seit zwei Wochen ihr neues Zuhause war. [blue] Nicht wirklich nötig, aber mir kam die Frage: Wieso ist sie neu? Ist Susanne zu Arno gezogen? [/blue]
Sie parkte ihren kleinen Fiat [blue] Völlig belanglos, was das für ein Auto ist. Halbwegs wesentlich ist nur, dass sie dort parkt, weil auch Arno immer dort parkt ODER weil die Wege von dort kürzer sind. [/blue] auf dem Parkplatz gegenüber der Drogerie. Dort [blue] Oder lieber „hier“? [/blue] stellte Arno auch immer sein Auto ab, denn man konnte von dort aus viele Geschäfte bequem und schnell zu Fuß erreichen.
Sie genoss diese Art von Kleinstadt-Milieu und bummelte neugierig die Marktstraße entlang. Fühlte sich wie ein Abenteurer [blue] HIER passt es. Oben ist ein Motiv, hier ein sich einstellenden Gefühl. [/blue] auf Entdeckungsreise. Lugte in jedes Schaufenster hinein, dass [red] das [/red] ihren Weg säumte[red]KOMMA [/red] [blue] EIN Schaufenster kann den Weg nicht säumen, ergo auch nicht jedes (für sich). Aber: Sie betrachtet (fast) jede Auslage in der Schaufensterfront, die ihren Weg säumte.[/blue]und ließ verspielt ihre Finger durch die Kleidungsständer vor den Boutiquen gleiten. Am Marktplatz angekommen legte sie eine kurze Rast ein, setzte sich am Eiscafe draussen [red]draußen[/red] an einen der zierlichen Tische und bestellte sich einen Kaffee. Es machte ihr Spass [red]Spaß[/red] eine Weile [blue] Nein: Es machte ihr Spaß, die Menschen zu beobachten, also tat sie das ein Weile. Weil: Etwas macht eine Weile Spaß – nur gaaaaanz selten: es macht Spaß, etwas eine Weile zu tun.[/blue] die Menschen zu beobachten, wie sie gemütlich am Markt von Stand zu Stand schlenderten oder geschäftig an diesem bunten Treiben vorbei eilten.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und brannte gnadenlos [blue] Zu viel: Sie brannte, das ist unangenehm genug. [/blue] auf Susannes langes, schwarzes Haar [blue]Wofür ist das wichtig? Schwarz reicht – um den Sonnen-Effekt zu verstärken – aber lang ist ein Tick zu viel.[/blue] herab. Es ging auf Mittag zu. [blue]… das ist meist so, wenn die Sonne hoch am Himmel steht ;) .[/blue]
Gerne hätte Susanne noch länger hier verweilt, aber sie hatte noch ihre Pflichten als Hausfrau zu erfüllen [blue]Aah ja! Es war also gar nicht die brennende Sonne, die sie vertrieb! Lass es also einfach „auf Mittag zugehen“ und Susanne aus Zeitgründen aufbrechen.[/blue] und wollte, dass die Wohnung sauber aufgeräumt und gemütlich war, wenn Arno von seinem ersten Arbeitstag nach seinem [blue]störende Dopplung / Und: Ist es denn nur sein Urlaub gewsen?[/blue] Urlaub nach Hause kam. [blue] …das ist dann doch etwas viel Info für einen Satz. Am besten nach „Pflichten erfüllen“ teilen. [/blue] Also erhob sie sich, bezahlte ihren Kaffee, erledigte anschliessend zügig ihre Lebensmittel-Einkäufe [blue]Das klingt sehr sperrig. Warum nicht einfach „…bezahlt ihren Kaffe, erledigte die restlichen Einkäufe und marschierte …“?[/blue] und marschierte dann mit strammem Schritt [blue]Klingt deplaziert – zu burschikos für den Rest des Textes. Außerdem wissen wir ja, dass sie es jetzt eilig hat.[/blue] zum Parkplatz zurück.
Langsam fuhr sie den Weg zurück, den sie gekommen war. Obwohl sie sich den Weg gut eingeprägt hatte fuhr sie dennoch sehr langsam [blue] Störende Dopplung von „langsam“, ja der ganzen Aussage. Der ganze Absatz lässt sich – weil die konkreten Bauten und so auch nicht wichtig für die Story sind – einfach zusammenfassen: „Sie fuhr langsam, denn sie fühlte sich noch immer etwas unsicher in der neuen Stadt. Am Abzweig am Kirchhofplatz hielt sie kurz an, …“[/blue] , um die Abzweigung am Kirchhofplatz nicht zu verpassen. Denn in der anderen Richtung kannte sie sich noch nicht aus. An der Abzweigung hielt sie kurz an, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. Sie nützte [red] nutzte [/red] diesen Augenblick und streifte die wunderschöne Johanneskirche mit einem ehrfürchtigen Blick.
Als der Gegenverkehr vorbei war [red]KOMMA[/red] warf sie vorsichtshalber noch einen Blick die Strasse [red]Straße[/red] hinauf: Alles frei. Dann bog sie links ab.
Im selben Moment war ihr, als würde etwas ihr Auto kräfig schütteln. [blue]“Kraftig schütteln“ ist wie „ausheben und shaken“ – passiert das wirklich? / Und: Oh je! In der Zeit, die dieser Satz braucht, kann man ganze Städte erzittern lassen! Im Ernst: Das Ganze ist ein Augenblick – schreib es auch so. So vielleicht: „Da passiert es: Das Auto wackelte, es gab einen Knall und gleichzeitig sah Susanne etwas vor sich aufblitzen.“[/blue] Sie hörte einen Knall und sah etwas Metallartiges [blue] Ich bezweifel, dass sie das sah. Sie sah es blitzen – aber sie sah noch nicht mal, ob es ein Reflexion oder ein Funke oder ein Aufleuchten einer Lichtquelle war. geschweige denn, ob das, was aufblitze, matallisch aussah.[/blue] vor ihrer Frontscheibe aufblitzen. Intuitiv trat sie fest auf die Bremse. [blue]Zu lang – klar, dass sie intuitiv handelt, man hat keine Zeit zu überlegen. Also: „Sie bremste.“ oder „Sie stieg auf die Bremse.“[/blue] Ihr Auto stand sofort. Um sie herum war Stille. `Was war das´", [red],Was war das?‘,[/red] fragte sie sich erschrocken. [blue]Zu lang – so lange dauert „Erschrecken“ nicht. Und: Erst erschrickt man, dann setzen die Gedanken ein und man fragt sich. Und: Dass sie erschrocken ist, ist klar. SAG es dem Leser nicht – die Bremsaktion hat es schon GEZEIGT. / Besser fände ich, wenn du auch die Frage zeigst – so?: „…Stille. Susanne reckte sich, um besser sehen zu können, und schaute sich um. Auf den ersten Blick war nichts zu erkennen. Dann sah sie links …[/blue] Erst dann sah sie links neben ihrem Auto ein Fahrrad liegen. Daneben lag [blue]störende Dopplung von lag/liegen[/blue] ein junger Mann, gekrümmt, auf dem heißen Asphalt [blue]Zu dick: Susanne nimmt sicher nicht den Asphalt oder gar dessen Hitze wahr (, die SIEHT man ja auch gar nicht).[/blue] . Er bewegte sich nicht.
Susanne schaffte es noch auszusteigen. [blue]Das SAGT zu viel – ZEIG es: Susanne stieg aus. Sie trat zu dem Mann und dem Fahrrad und starrte hinab. Sie sah jedes Detail – das sich noch immer drehende Hinterrad, die seltsman verdrehten Füße des Mannes und die blinkende CD im aufgeprungen Walkman.[/blue] Von dem Zeitpunkt an, aber, stand sie nur noch wie angewurzelt an der Unfallstelle, unfähig sich zu bewegen. Nahm die Umgebung wie durch einen Schleier wahr.
Sie sah Passanten vor der Johanneskirche stehen [blue]DAS dauert noch – dazu muss sie erstmal wieder „aufwachen“. Ist es nicht eher so, dass sie auf die Passanten erst aufmerksam wird, als die ersten Geräusche von dort, die ersten Worte von dort in ihr Bewusstsein dringen?[/blue] . sie [red]Sie[/red] sahen zu ihr herüber, zu ihr und dem Mann, der immer noch reglos auf der Straße lag. Ein Schatten löste sich aus der Menge. Es war ein älterer Herr. Er ging mit schnellem Schritt auf den jungen Mann zu [blue]Sollte er sich nicht ein bisschen durchdrängeln müssen und dabei das obligatorische „Ich bin Arzt“ murmeln?[/blue] , kniete sich vor ihn, sprach auf ihn ein und hob irgendwann den Kopf zu Susanne, sah sie kühl an. [blue]Das „irgendwann“ schreit förmlich danach, den Zeitabstand durch Satz-Trennung „hörbar“ zu machen.[/blue] '"Er ist ansprechbar", hörte sie ihn sagen.
Ein Frösteln lief Susanne über den Rücken, bei seinem kühlen Blick. [blue] Moooment! Der Kühle Blick war vorher, jetzt sollte Susanne auf die WORTE reagieren. Oder: „Er ist ansprechbar“, sagte der Mann und sah Susanne dabei kühl an.“ / Was heißt eigentlich. Er sah sie kühl an? Emotionslos sachlich? Das ist ja ok, dann reicht aber „Er sah sie an.“. Vorwurfsvoll? Warum? [/blue] Dann breitete sich ein entsetzlicher Verdacht in ihrem Bewusstsein aus: [blue]GUUT! Sie denkt nicht, es „wird in ihr gedacht“ Aber…[/blue] "Bin ich etwa schuld an diesem Unfall?" entfuhr es ihr bestürzt. [blue]… das ist zu lang. Erstens „entfährt“ einem sowas Langes nicht, höchstens ein „War ich das?“, und zweitens formt sich der Verdacht erst wortlos und gipfelt mit dem PUNKT (kein langer „ „Rede“, sagte dieser und jener so und so“-Satz“) der Erkenntnis (hier als Frage). [/blue]
Eisiges Schweigen. [blue]… ich weiß nicht. Sind die Passante schon mit dem eignen Schreck und der Neugier fertig, dass sie diese „Anklage“ so vehement erheben können?[/blue] Der Blick des älteren Herrn sagte mehr, als Worte es hätten tun können. [blue]Ausgelutschtes Klischee.[/blue]
Ein Gefühl der Schuld kroch in Susanne hoch. Raubte ihr einen Moment die Luft zum Atmen. [blue]Klingt „falsch gemixt“. Entweder die Schuld kroch hoch und raubt ihr den Atem, oder sie überfällt sie und raubt ihr für einen Moment den Atem.[/blue] Sie fühlte sich schuldig, ohne zu wissen, warum. [blue]Dopplung: Du sagtest schon, dass das Schuldgefühl in ihr hochkroch. Und: Um „ohne Grund“ festzustellen, müsste sie ihrer Gedanken schon wieder so mächtig sein, dass sie sich die Frage nach dem “Warum“ stellt. Und: Vom Schuldgefühl zu „Nur ein Traum!“ fehlt was. Genau genommen ist „Schuld“ schon zu viel – Das Schuldgefühl ist real, „Alles nur ein Traum“ ist aber eine Reaktion auf „Entsetzen“ {das unsere Psyche „gern“ für grundlos erklärt, indem es uns weigern lässt, an die Realität der Situation zu glauben.}[/blue] `Das ist nur ein Traum´, versuchte sie sich zu beruhigen, `nur ein Traum. gleich [red]Gleich[/red] wache ich auf, und alles ist gut´. [red]…ist gut.‘[/red]
Wie durch einen Nebel drangen Stimmen zu ihr: "Bestimmt hat die Sonne sie geblendet", sagte die eine, " sie konnte ihn nicht sehen"... [red]Was ist hier ausgelassen, dass du Auslassungspünktchen setzt?[/red]"Nein", sagte eine andere, "er ist viel zu schnell gefahren mit seinem Rennrad. Sie konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen". [blue]Moooment! Mit den Blicken haben die Leute Susanne schon verurteilt – warum nehmen sie es hier wieder zurück??[/blue]
Dann erreichte Susanne ein leises Flüstern: " Sie ist schuld daran, sie ist zu früh abgebogen!". Unbarmherzig wuchsen diese leisen Worte in Susannes Kopf zu einem Donnergrollen an. [blue]Genau! JETZT erst kommt der Vorwurf. Und JETZT erst – als Susanne wieder einigermaßen zu denken beginnt – kommt auch die Erkenntnis, dass sie schuld sein könnte. Und damit das Schuldgefühl.[/blue]
`Ich bin schuld?´, schrie ihre innere Stimme fragend. Ihr Kopf dröhnte, begann zu schmerzen. [blue]Das ist inhaltlich richtig, aber irgendwie klingt das mit der inneren Stimme zu „ausgelutscht“ und zu „groschenromanmäßig“.[/blue]
Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Polizist vor ihr, stellte ihr Fragen. Susanne hörte seine Worte, aber sie konnte sich ihm nicht verständlich machen. [blue]Inhalt übersprungen: Sie hörte die Worte. Sie verstand sie auch. Sie wusste auch die Antworten. (Wusste sie sie??) Sie konnte sie nur nicht formulieren.[/blue] Nur wirre Satzfetzen kamen über ihre Lippen. Ihr Kopf war wie mit Watte gefüllt.
Dann hörte sie das alles übertönende Signal [blue]Wir wissen, dass das laut ist, es mit „alles übertönend“ zu beschreiben wäre nur sinnvoll, wenn es etwas – und zwar etwas Lautes – zu übertönen gäbe.[/blue] eines Rettungswagens. Und fühlte sich mutterseelenallein, in ihrem neuen, fremden Zuhause. Allein, mit einem Gefühl von Schuld, für das sie keine Erklärung fand. [blue]Nein: Sie fühlt sich erst allein, als der Rettungswagen weg ist, der Polizist den Block eingepackt hat und gegangen ist und die Passanten sich getrollt haben. Und sie immer noch da steht es es nicht recht fassen kann./ Was heißt: „keine Erklärung fand“?! Die Erklärung ist einfach: Sie hat einen Menschen verletzt. Es kann zwar sein , dass sich – später – herausstellt, dass sie den Unfall nicht verursacht hat, dann aber ist die Erklärung noch immer die selbe (sie fühlt sich schuldig, weil sie einen Menschen verletzt hat). Ob sie Schuld hat ist was anderes – davon ist nicht Rede, es im von Schuldgefühl die Rede. / Frage am Rande: Warum zu Teufel kümmert sich niemand um die Frau? Sie ist im Schockzustand – das ist ein medizinisches Problem![/blue]

Einige Tage nach ihrem Unfall setzten die längst fälligen Sanierungsarbeiten im Ortskern ein. [blue]Arbeiten setzen nicht ein (Wehen setzen ein;) ), Arbeiten beginnen oder – genauer – werden begonnen. Und: Mir fehlt hier – außer der Absatzbildung – noch eine Luft-Hol-Trennung. Ein Hinweis darauf, dass es eine Zeit zwischen dem Unfall und den „rettenden“ Umbaumaßnahmen gab, eine Zeit, in der Susanne in Gedanken noch bei dem Unfall ist. / Der Satz klingt ein bisschen, als sei der Unfall Anlass für den Umbau.[/blue] Auch der Kirchhofplatz wurde verschönert: der [red]Der[/red] graue Asphalt wurde durch rustikale Pflastersteine ersetzt, neue Fußgängerüberwege geschaffen, bunt bepflanzte Blumenrondelle zur Verkehrsberuhigung aufgestellt. [blue]… also hat der Unfall doch dafür gesorgt, dass man jetzt endlich umbaut? / Diese Aufzählung sol wohl zeige, dass jetzt allesa nders aussieht. Nur: Wir haben gar nicht erfahren, wie es vorher aussah. Es wäre – für dieses Stilmittel – wichtig, dass man (wie in es in Susanne passiert) die alte Optik direkt mit dem Unfall verknüpft und dann hier „spürt“, wie der „Unfall wegsaniert“ wird.[/blue]
Diese Veränderungen führten dazu, dass Susanne schnell Abstand fand, zu diesem traumatischen Erlebnis. [blue]Das ist zu flach, das ist GESAGT (, „traumatisch“ ist ein Wort für Gerichtsgutachten – nicht, um Gefühle darzustellen). In diesem Vorgang steckt so viel Potential – HIER kann man ZEIGEN, wie tief die Erschütterung in Susanne sitzt. Wie oberflächlich die „Verarbeitung“ ist – aus den Augen, aus dem Sinn sozusagen. [/blue] Es rückte mehr und mehr in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins, wurde unrealistisch. Dann verdrängte sie es ganz. [blue]Zu sehr GESAGT. „Verdrängen“ ist der psychologische Fachbegriff – was in Susanne passiert ist: „…sie dachte nicht mehr daran.“ (Oder so – man müsste das noch besser sagen können, ich lass mir das mal durch den Kopf gehen.)[/blue]
Verdrängte es ebenso, wie die Zeitungsnotiz über ihren Unfall, [blue]…wenn sie es (inkl. Zeitungsnotiz) also „vergisst“ – bei welcher Gelegenheit findet dieser Textabschnitt statt? Es ist so: Natürlich kann ein Allwissender Erzähler sehen, dass Susanne es verdrängt, und hier dem Leser sagen, was passiert. Aber: Der ganze Text ist aus der Perspektive der Susanne geschrieben – also nimmt man diesen Abschnitt auch so wahr. Und tatsächlich wäre „es“ ja – zumindest für längere Zeit – erledigt, wenn Susanne „es“ (erfolgreich) verdrängt hätte. Das Problem ist doch aber eher, dass es eben nicht ganz verdrängt ist, dass es – wenigstens ab und zu – wiederkommt. Oder? [/blue] im Sichtfenster eines weinroten Nappaleder-Portemonnaies. - Die erste Narbe ihrer Ehe. [blue] GUUUT formuliert – oben war es noch die „blutjunge“ Ehe, hier ist zu sehen, dass es eine Narbe (oder eigentlich Wunde) ist, der noch viele folgten. Höchstwahrscheinlich nicht nur chronolgisch sondern auch ursächlich[/blue]
 

Josie

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Danke !

Hallo Jon

Jetzt bin ich berührt.
Vielen herzlichen Dank, dass du dir soviel Arbeit gemacht hast! Das sind klare Ansagen, die ich nachvollziehen kann. Bei einigen deiner Kritikpunkte habe ich mir an die Stirn geklopft und mich gefragt, wieso mir das nicht selbst aufgefallen ist. Aber insgesamt gesehen sind sehr viele Schwachpunkte im Text, die ich selbst niemals gefunden hätte.
Ich lese meine eigenen Texte noch zuviel als Autor, kann sie noch nicht so recht mit den Augen des Lesers, und schon gar nicht mit den Augen des Lektors, beurteilen.

Ich denke, ich habe diesen Text "zerarbeitet". Immer wieder habe ich ihn mir vorgenöpft und anhand deiner Anregungen ist mir jetzt klar geworden, dass vieles von dem, was dir im Text fehlt, ursprünglich einmal vorhanden war. Ich habe gekürzt, wo es nicht passte und bin ausschweifender geworden, wo es nicht nötig war.

Was den Rahmen, den Aufbau betrifft, damit war ich auch nicht zufrieden. Ich kam nicht dahinter, was hier nicht passt. Es sollte ursprünglich ein 3-fach-Zeitsprung sein. Als Experiment gedacht. Die einleitenden Sätze in der Vergangenheit, der nachfolgende Text in der Vorvergangenheit, der Schluss eine Mischung aus Vorvergangenheit und Gegenwart. Dieses Experiment ist misslungen. Soviel ist klar.

Was den älteren Herrn betrifft,der sollte keinen Arzt darstellen sondern einen hilfreichen Passanten. Er hat ja lediglich versucht festzustellen, ob der junge Mann ansprechbar ist. Dazu musss man nicht Arzt sein. Ich hätte natürlich einen Arzt aus ihm machen können, aber das kam mir zu geplant vor, zu "soap-mäßig".

Mit "ß" und "ss" - das krieg ich einfach nicht in meinen Kopf. Ich muss mich mal eingehender mit der neuen Rechtschreibung beschäftigen. Und die Kommas, herrje.

Es freut mich sehr, dass du, trotz der vielen Schwachpunkte, dennoch die "Verwundung" herauslesen konntest. Das gibt Auftrieb. Es kommt nämlich selten vor, dass die Gedanken hinter meinen Worten von einem Leser erkannt werden. Und dieses Hintergründige ist nun mal das, was ich rüber bringen möchte. Darin liegt für mich der Spaß am Schreiben.

Nochmals vielen, vielen Dank, Jon! Da kommt jede Menge Arbeit auf mich zu. Ich werde einige Zeit dafür brauchen. Wäre furchtbar nett von dir, wenn du nach meiner Überarbeitung mein "Portemonnaie" noch mal lesen würdest.

LG Josie
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wäre furchtbar nett von dir, wenn du nach meiner Überarbeitung mein "Portemonnaie" noch mal lesen würdest.
… na klar doch.


Der Nicht-Arzt: Er muss kein Arzt (oder Krankpfleger oder so) sein, aber ich hatte sofort diesen Gedanken. Es "klang" nur so, als müsste er beim Vortretenirgdnwas sagen. Er könnte auch einfach nur sagen "Darf ich mal?" und sich dann zu dem Radfahrer runterbeugen.
Nicht immer sind Klischees schlecht, sonst würden sich diese "vorgefertigten Formen" nicht so hartnäckig halten. Im Randgeschehen erspart es einem oft lange Erklärungen – es sind schnell erfasste Infos. Die Kunst ist (neben dem Erkennen von Klischees – das ist auch nicht ganz ohne) zu erkennen, wo man es wie intensiv einsetzen kann und wo es tödlich wäre.


Zu "ss" und "ß" – das ist (entschuldige ;) ) die einfachste Regel der Neuen RS: Spricht man den Vokal davor kurz, ist es "ss" (analog zum "mm", "nn" etc.), ist es ein "normaler" Vokal (oder ei, eu, au etc.), dann ist es ein "ß" (, das "stimmlose S" – probier: reisen – reißen). Einziger (?) Stolperstein ist nach wie vor "das - dass", weil es hier nach dem Inhalt und nicht nach dem Klang geht (, wie schon bei "das - daß")

Was das Erkennen der "Verwundung" angeht: Das ist wirklich saumäßig schwierig, weil es um "unlogische" Gefühle geht. Es gibt eigentlich keinen GRUND so zu fühlen – trotzdem ist das Gefühl da. (Ich nenn es manchmal "Es ist eben so"-Gefühle/Eigenschaften.) Es ist keine einfache Kette der Art "weil ich ihn liebe, sorge ich mich um ihn" oder "ich hasse ihn, deshalb kann ihn nicht ertragen". Es ist sowas wie "ich liebe ihn, deshalb kann ich ihn nicht ertragen". Oder eben: "Ich will nicht an mein Leiden erinnert werden, aber wenn du so tust, als litte ich nicht, verneinst du einen wesentlichen Teil von mir."
Es ist schwierig, herauszufinden, was genau passiert. Noch schwieriger ist, es zu zeigen (und nicht nur zu sagen – DAS glaubt einem sowieso keiner ;) ) Aber wenn uns (mein Anligen ist das auch) gelingt, diese "unlogische, unbegründbare Seite" menschlicher Emotion zu zeigen, klar zu machen, wie unglaublich stark die sind (, vielleicht, weil sie mit keiner Logik zu brechen sind?), dann ist das Literatur wie sie – meiner Meinung nach – sein muss.
 

Zefira

Mitglied
Liebe Josie, liebe jon,

mich hat diese Geschichte sofort an einen Vorfall in meiner weiteren Verwandtschaft erinnert: Ein Mann wurde bei einem Unfall schwer verletzt, lag in der Klinik eingegipst und an Schläuchen - seine Frau ging her und fotografierte ihn mit den ganzen Infusionen und Kabeln, um das Bild dann den an seinem Befinden interessierten Verwandten und Freunden zu zeigen.

Voll daneben.

Man weiß nicht so genau warum - oder vielmehr man ahnt es, aber es lässt sich eben nicht so einfach in einem Kausalsatz zusammenfassen und im Zweifelsfall kann sich der "Täter" immer auf ein gekränktes "ICH mein es doch nur gut!" zurückziehen. Was noch mehr daneben ist ...

Euch beiden herzlichen Dank für diesen Thread. Man kann einiges daraus lernen - sowohl aus dem Text aus auch aus dem Lektorat.

Grüße von Zefira
 

Josie

Mitglied
Habe teilweise überarbeitet

Hallo Jon, hallo Zefira

Jon:
Ich habe den Text eben teilweise überarbeitet. Zumindest das Gröbste. Mehr krieg ich jetzt nicht mehr hin. Bin müde. Muß ins Bett.
Danke auch für die zusätzlichen Ratschläge! Die Sache mit dem älteren Herrn hab ich erst mal nur grob gelöst. Bin mir noch nicht so ganz im Klaren, wie ich die Szene am Besten gestalte.

Zefira:
Danke für die lieben Worte! Tut gut.

Liebe Grüße euch Beiden.
Gute Nacht.
Josie
 
hallo,

Dem kann man ja nichts mehr hinzufügen ... eigentlich.

Ich habe mich jedoch beim Bummeln gefragt, weshalb du mir das erzählst, ich will doch wissen, was in dem Artikel stand. Und dann noch so viel Autofahren ... Natürlich hab ich verstanden, dass es um den Unfall ging, doch weshalb erzählst du vom Einkaufsbummel? Ich hätte auch so geglaubt, dass sich deine Protagonistin nicht wohlfühlt und langsam gefahren ist... :)

Und dann möchte ich mich nicht aufdrängen, aber das ist doch noch keine Erzählung, das zählt eindeutig zur Kurzprosa. ;)

Liebe Grüsse
SCARLETT
 

Josie

Mitglied
Hallo Scarlett

Danke für deine ehrliche Meinung.
Kurzprosa-Texte sollen nur 1 Manuskriptseite lang sein, hab ich hier irgendwo gelesen. Darum hatte ich diesen Text in "Erzählungen" gesetzt.

Ich werde mein Werk hier nicht verteidigen. Es gibt wohl keinen Text, der jedem Leser gefällt. Aber dass diese Geschichte mit "unterdurchschnittlich" bewertet wird, das gibt mir dann doch sehr zu denken. Das muß ich erst mal ein paar Tage verdauen. Und mich dann entscheiden ob ich sie hier lösche oder sie stehen lasse.

LG Josie
 

Zefira

Mitglied
Liebe Scarlett, warum sollte der Text keine Erzählung sein? Er schildert eine Folge von Ereignissen in epischer Form und ist jedenfalls keine Kurzgeschichte. Als Erzählung mag er relativ kurz sein, aber meines Wissens gibt es für Erzählungen keine Mindestlänge.

Einige Tage nach ihrem Unfall begannen die geplanten Sanierungsarbeiten im Ortskern. Auch der Kirchhofplatz wurde verschönert, der graue Asphalt durch rustikale Pflastersteine ersetzt, Fußgängerüberwege geschaffen, bunt bepflanzte Blumenrondelle zur Verkehrsberuhigung aufgestellt.
Diese Veränderungen machten es Susanne leicht, dieses Erlebnis in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu verdrängen.
Solche Passagen, die gleichsam im Zeitraffer einen längeren Zeitraum zusammenfassen, sind m.E. für Erzählungen typisch.

Nach Monfous Forentext für Kurzprosa gehört der Text jedenfalls dort mit Sicherheit nicht hinein.

lG
Zefira
 
Ich hab das anders gelernt ... aber wer weiß schon, wo die Grenzen verlaufen ... :) erzählung, Kurzprosa ... nun ja!

Ansonsten glaube ich nicht, dass ich so hart gegen deinen Text gesprochen habe. Tschuldige, wenn du jetzt nichts mehr publizierst wäre es doch schade... und es gibt echt nur eines --- üben macht den Meister ...
Wenn du diese Kritik schon so schlimm gefunden hast, dann wird Schreiben sicher nicht die Quelle für den Brotverdienst, nur die Quelle deiner Freude sollte es bleiben ... es tut mir ernstlich leid, wenn du deswegen jetzt so vorm Schreiben und Überarbeiten zurückschreckst! :/

Grüsse
Scarlett
 
Aber dass diese Geschichte mit "unterdurchschnittlich" bewertet wird, das gibt mir dann doch sehr zu denken. Das muß ich erst mal ein paar Tage verdauen. Und mich dann entscheiden ob ich sie hier lösche oder sie stehen lasse.
[/B]
Hallo Josie,
möchte noch einen Nachtrag setzen... Ich denke, dass hier nicht prinzipiell dein Werk gemeint ist. "Unterdurchschnittlich" ist meines Wissens nach die vier oder fünf auf der Skala von Eins bis zehn ... und da würde ich nicht so den Wert auf den Ausdruck legen. Hinzukommt, dass manche mehr als nur eine Stimme und manche weniger als eine Stimme zählen ... ist also auch noch ein Problem!

Aber ganz ehrlich, ich habe schon schlechtere Bewertungen bekommen, die Texte waren sich nicht schlechter als dieser. Es ist und bleibt eine Geschmacksfrage u auch ein bisserl Konkurrenzsache, glaub ich zumindest! In anderen Foren habe ich deutlich positivere Resonanz als hier, ganz ganz deutlich ...
Inzwischen weiß ich, dass ich schreiben kann und muss mir das nicht durch eine Bewertung von irgendwem in Frage stellen lassen!

Kopf hoch
LG
Scarlett
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Diese Fassung (vom 2.7.) gefällt mir viel besser als die allererste Version – alles ist irgendwie runder. Vor allem die Szene des Unfalls und die Abläufe bis zum In-Tränen-ausbrechen erscheinen mir nun viel glaubhafter. Richtig gut gelungen ist die Passage mit dem Mann – hier fühlt man die Verwirrung (der Schock) von Susanne richtig, hier setzt auch ihr Denken wieder ein und das gleich in die entscheidende Richtung (Richtung Schuldgefühl).
 

herb

Mitglied
hallo,

ich finde die Erzählung könnte allerdings länger werden. Die Schilderung von diesem grellen Blitz aus dem Normalleben in so eine Situation hinein, müsste noch intensiver beschrieben sein. So, dass man förmlich jede Sekunde spürt.
In der wörtlichen Rede kann man eigentlich nur sagen, sprechen, reden, allenfalls flüstern, vielleicht auch schreien.... das findet man unter Synonyme. Auf keine Fall kann man Worte strahlen. Mich störte das am Anfang, smile, vielleicht steh ich allein.
Auch müsste die Heldin noch glaubhafter unter Schock stehen, selbst als ihr Mann so gefühllos dieses Foto zeigte, könnte sie zum Beispiel anfangen, unkontrolliert zu zittern u.ä.
Da gibt es doch so einen Bewertungssatz: "mit etwas mehr Mühe..." und so, ich werd mal diesen Punkt wählen.
Unter uns, Bewertungen sind völliger Quatsch, grins und

Gruß

herb
 

axel

Mitglied
Hallo Josie.
Nachdem sich so viele Leute schon geäußert haben und du die Geschichte mehrmals überarbeitet hast noch mal ans Eingemachte? Vielleicht willst du dich gar nicht mehr mit dem Text beschäftigen, ich versuche es trotzdem:
Am Tag, da ihr Mann den Artikel aus der Zeitung ausschneidet, ist das für Susanne sicherlich keine Narbe, sondern eine offene Wunde, und noch dazu ein ziemlicher Schock.
Wenn der Unfall heute in der Zeitung steht, dann ist er nicht „an einem heißen Sommertag im Juli“ passiert, sondern gestern oder vorgestern. (zur Zeit sind wir natürlich gerade in diesem Monat, aber ich denke, du weißt, was ich meine, oder?)
Bevor du anfängst, Worte auszutauschen, solltest du dich vielleicht noch einmal grundsätzlich fragen, was du mit diesem Text ausdrücken möchtest. Wenn du unbedingt mit dem Portemonnaie beginnen willst, dann müsste das Verhältnis zu Arno die gesamte Rückblende durchziehen, denn seine Tat hat sicherlich den Schock des Unfalls überlagert.
Was mache ich eigentlich hier in dieser fremden Stadt? (Der Einkaufsbummel müsste ihr doch jetzt in einem ganz anderen Licht erscheinen)
Für Susanne ist alle neu: die Ehe, die Umgebung – beginn den Text doch einfach damit und, da stimme ich herb voll und ganz zu, mach es viel, viel länger!
Hatte sie Bedenken, ihrem Mann in die neue Umgebung zu folgen? Wie fühlt sie sich?
Dann beginnt sie, die neue Heimat zu erkunden, glaubt daran, sich dort wohlfühlen zu können, dann passiert der Unfall.
Diese ganze Passage finde ich durchaus gelungen.
Was danach kommt, müsste aber wiederum viel ausführlicher behandelt werden.
Wie sagt sie es ihrem Mann? Wie reagiert er?
Bevor er den Artikel ausschneidet, müssten wir wissen, was darin steht. Eine Schlagzeile würde ja genügen. Gibt man Susanne die Schuld?
In der Geschichte steckt viel Potenzial, viel mehr, als du genutzt hast.
Schönen Gruß von Axel.
 

Josie

Mitglied
Hallo Axel

Vielen Dank für deinen Kommentar!
Die Erzählung zu verlängern, ausführlicher zu erzählen, daran habe ich zwar auch schon mal gedacht, und nach Herbs Kommentar habe ich es mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Und komme immer wieder zu dem selben Ergebnis: Der Text würde zu langatmig werden! Ich wäre gezwungen Dialoge miteinzubauen, damit das Erzähltempo nicht einschläft. Und die Erzählung bekäme dann eher den Charakter einer Kurzgeschichte. Das war nicht mein Ziel. Es sollte ein Erzähltext werden, der durch zeitraffende Passagen einen größeren Zeitabschnitt darstellen kann, als es eine Kurzgeschichte möglich macht. Denn eine Kurzgeschichte beschränkt sich auf einen einzigen Schauplatz, einen einzigen Konflikt, ist eine "grell beleuchtete Szene".
Wenn ich den Anfang, so wie du vorgeschlagen hast, umstelle und mit dem Einkaufsbummel die Geschichte beginne und Susannes Ehe mit Arno durchgehend als Hintergrund nehme, dann wird aus dem Text eine Kurzgeschichte. Und damit fehlt mir die Möglichkeit die späteren Auswirkungen des Schocks anzudeuten. Denn das Verdrängen setzt nicht am Unfalltag ein, sondern erst einige Tage später, als die Sanierungsarbeiten im Ortskern beginnen. Durch diese äußerlichen Veränderungen wird der Unfall in Susannes Bewusstsein "weggewischt", weil die Umgebung der Unfallstelle nicht mehr so aussieht, wie am Tag des Unfalls. So war es von mir geplant. Gleichzeitig mit dem Beginn der Sanierungsarbeiten sollte der Artikel zum Unfall in der Zeitung erscheinen. Und so in einem die Gefühllosigkeit von Arno für längere Zeit mit "weggewischt" werden.

Im Ursprung war dieser Text nur eine Unfallszene. Der Schock von Susanne sollte der Kern der Handlung sein. Aber es hatte, so dargestellt, irgendwie weder "Hand noch Fuß". Darum hatte ich als Rahmen andeutungsweise die Ehe drumherum gesponnen. Die Tatsache, dass Arno den Zeitungsartikel über Susannes Unfall stolz in seinem Portemonnaie mit sich herumträgt, anstatt diese Erinnerung an den Unfalltag von ihr fernzuhalten, bis sie diesen Schock verwunden hat - das sollte die seelische Verletzung am Ende in Zusammenhang mit dem Unfallschock so krass darstellen, dass die Verdrängung glaubhaft erscheint.

Mittlerweile bin ich mir aber darüber im Klaren, dass ich mir mit dieser Erzählung, mit dem was ich rüber bringen wollte, die Meßlatte zu hoch gelegt habe.
Ich werde aber noch einmal alles überdenken. Sicherlich werde ich mir den Text noch einmal vorknöpfen, eventuell etwas umstrukturieren. Doch dazu fehlt es mir im Moment noch an Distanz zum Text. Ich muss mich von dem Text, wie ich ihn bisher geschrieben habe, erst wieder "loslösen" um mich aufs Neue hineingraben zu können und neue Wege zur Gestaltung zu finden. Am Wichtigsten ist mir dabei, eine Atmosphäre zu schaffen, die nicht lesbar, aber fühlbar ist.

Vielen Dank noch mal, Axel, für die Denkanstösse.

LG Josie
 



 
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