Das Schild

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titatom

Mitglied
Das Schild

Eigenartig, dachte er, als er durch das alte Gebäude schlenderte. Hatte er all die Jahre dieses Blechschild übersehen? Vom Schmutzrand her zu schließen hing es schon ewig lang an diesem unbeachteten Platz. Eigenartig, dass er sich auch nicht mehr nach der Zigarettenkippe bückt, die vor ihm im Staub liegt. Das wäre früher undenkbar gewesen. Nur so durch die Halle schlendern ebenso. Ohne bewusstes Ziel, ohne gewählte Aufgabe. Kein Weg umsonst, war über Jahrzehnte seine persönliche Devise. Lerne aus den Fehlern, bleib sachlich, jahrelang. Rückschläge stärken dich, war sein Lebensmotto. Konstruktive Kritik erfordert aktives Zuhören. Unsachlichkeit lässt sich nicht ändern, wenn auch sie dich innerlich viel zu oft zur Weißglut trieb. Inzwischen hört er nicht mal mehr die gut gemeinten Ratschläge. Eigenartig, dachte er beim Betrachten des Schildes und schloss die Tür hinter sich. Eigenartig, wie lange es doch dauert, bis der letzte Funken Hoffnung in dröge Gleichgültigkeit umschlägt.
 

Rainer

Mitglied
hallo titatom,

dein text gefällt mir ausgesprochen gut. ich habe nur einen kritikpunkte: ich würde das jeweils zweite "eigenartig" ersetzen, es stört etwas den rhytmus (für mich).
aber ansonsten mal seit langem mal wieder ein text, der vielen interpretationen gegenüber offen ist, ohne völlig vage zu sein - ein gewinn für die ll.

gruß

rainer
 

titatom

Mitglied
Hallo rainer,

erst mal freut mich dein geschätztes Lob, geht natürlich runter wie Öl bei 'nem Frischling wie mir...

Das zweite "eigenartig" war eher beabsichtigt, aber frag mich nicht warum. Ansichtssache, ich weis, daher besonderen Dank für die konstruktive Kritik.

Gruß
Tom
 

Zefira

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Ein starker Text, besonders gut gefällt mir die Sammlung von unpersönlichen Managerkalendersprüchen (falls es Managerkalender geben sollte)...

Streichen würde ich nur das allerletzte "eigenartig", weil es wirklich sehr schnell auf das vorletzte folgt. Statt dessen den Satz mit "Wie lange es doch dauert...." beginnen lassen.

Grüße,
zef
 

titatom

Mitglied
Hallo Zefira,

Ebenfalls kräftigen Händedruck für den Kommentar.

Zu den vier "eigenartig" in der wirklich arg kurzen Geschichte gibt es vielleicht folgende Erklärung. Ich bin mit der absatzfreien Textgestaltung selbst nicht so ganz zufrieden, weil sie nicht die Aussagen so rüberbringen kann, wie ich mir das vorstelle. Sieh die Einleitung und den Schluß zwischen dem "Managerkalendersprüchen"-Hauptteil eher als in Gedanken ausgesprochene Sätze mit eben Gedankenpausen dazwischen. Ist es dann verständlicher?

Ich hab es diesmal einfach nicht besser hingekriegt,
aber ich werde mich bessern. Versprochen ;-)

Gruß
Tom
 
Q

Quidam

Gast
Ein sehr interessanter Text.
Die vier "eigenartigen" Wörter sind meiner Meinung nach ein Muss. Ich würde keines streichen.


(Bitte nur als Anregung verstehen:)
-> Vom Schmutzrand her zu schließen hing es schon ewig lang an diesem unbeachteten Platz.

anstatt "Schmutzrand" würde ich schreiben: "Staubschicht"
Und dann im nächsten Satz den Staub streichen.

-> Unsachlichkeit lässt sich nicht ändern, wenn auch sie dich innerlich viel zu oft zur Weißglut trieb.

anstatt "trieb": "treibt" oder ist dem nicht mehr so?


Ansonsten: prima!

*winke*
quid
 

titatom

Mitglied
Hallo Quidam,

erst mal Danke für deinen Kommentar,

mit den vier "eigenartig" bin ich deiner Meinung (was'n Wunder! :D )

"Schmutzrand" und "Staubschicht" habe ich auch lange abgewogen, bin aber dann zu dem Schuss gekommen, dass eine Staubschicht ja nur aus der Nähe zu bemerken ist oder wenn man dagegen bläst. Der Schmutzrand ist auch von einiger Entfernung zu erkennen und es ist nicht klar ersichtlich, ob der Protagonist so nahe vor dem Schild steht, dass er den Staub sehen kann. (Das Schild, dass mich inspiriert hat, hängt tatsächlich kurz unter der Decke). Und auf den darauf folgenden "Staub", in dem normalerweise eine Kippe ihr Ende findet, wollte ich dann auch nicht verzichten.

Zu "-> Unsachlichkeit lässt sich nicht ändern, wenn auch sie dich innerlich viel zu oft zur Weißglut trieb. "trieb" bzw."treibt" oder ist dem nicht mehr so?"
Eigentlich "treibt", da gebe ich dir recht. Anderseits hat er ja mit seiner Motivation bereits abgeschlossen, also eigentlich "trieb". Oder doch "treibt"... ;)

Herzliche Grüße
Tom
 



 
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