BlauerRegen
Mitglied
Thomas ist auf seinem Motorrad unterwegs. Die Strasse verläuft geradlinig, es geht immer nur geradeaus. Die Verbindung zwischen den beiden Dörfern ist Nachts unheimlich, weil es durch einen Wald führt, der dicht bewachsen ist. Ab und zu kommt ein Auto entgegen. Die Strasse ist nicht beleuchtet. Der Fahrtwind ist kalt. Aus dem Dunkel des Waldes leuchten Augen hervor. Das sind die Wölfe. Sie treiben durch die Wälder ständig auf der Suche nach Beute. Am Telefon klang sie ruhig und sachlich, aber bestimmt. Er müsse sofort kommen, weshalb wollte sie nicht sagen. Sie lebt allein in ihrem kleinen Haus und sie ist vor ein paar Tagen 81 geworden. Seit sein Vater tot ist hat sie keinen Mann mehr angesehen. Sie ist sehr wunderlich geworden, in ihrem Dorf tuschelt man sogar, sie sei verrückt. Ihre Mutter sei schizophren gewesen und im KZ umgekommen. Ihr Leben sei nicht lebenswürdig gewesen wegen ihrer Schizophrenie. So hieß es damals. Manchmal glaubt Thomas, dass er auch schizophren ist. Er hat diese seltsamen Momente, in denen er sich so erleuchtet fühlt. Die Umwelt verändert sich, sie ringt sich um ihn und schnürt ihn ein. Weshalb hat sie ihn zu sich gerufen? Das hat sie das letzte Mal getan, als sie ihm erklären wollte, dass er ein Auserwählter ist. Er habe die Augen des Grossen Johannes, ein Vorfahr von ihm, der angeblich Blinde sehend und Tote lebendig machen konnte. Er soll im 13 Jh. gelebt haben. Es ist 2.35 Uhr in der Nacht, als er das Dorf seiner Mutter erreicht. Das Haus seiner Mutter liegt zu Fuße eines kleinen Hügels, es steht frei mit einem großen Garten davor. Es herrscht Totenstille als er den Motor des Motorrads abstellt. Wieder leuchtende Augen aus der Dunkelheit, die ihn beobachten. Diesmal ist es eine Katze. Die rostige Zauntür des Vorgartens quietscht beim Öffnen, sie ist nicht abgeschlossen. Er schreitet den Weg durch den Garten. Auf halbem Weg bemerkt er plötzlich noch weitere Augen. Er bleibt stehen und sieht sich um. Da sind noch viel mehr Augen. Rechts, links und hinter sich... auf einmal sind überall die reflektierenden Katzenaugen zu sehen. Thomas durchfährt es. Ihn überkommt die Angst. Angst vor der Gewissheit des Unbekannten in der Dunkelheit. „Komm her“, hört er die zittrige Stimme seiner Mutter aus dem Haus rufen. Er kann sich aus seiner Haltung nicht lösen, er ist wie festgewachsen. Sie sind da, überall und sie schauen ihn an. Aber sie geben keinen Laut von sich. „Komm her“, ertönt es wieder aus dem Haus. „Mutter?“ ruft Thomas jetzt mit lauter Stimme und beginnt auf einmal auf das Haus loszurennen. Er stolpert, fällt hin, steht aber sofort wieder auf, rennt weiter. Die Tür ist angelehnt. „Komm rein, mein Sohn“ sagt sie und er schließt schnell die Tür hinter sich. Kalter Schweiß auf seiner Stirn. Das Herz rast. Seine Mutter sitzt mit dem Rücken zur Tür gewand in ihrem Ohrensessel vor dem Kamin. „Hallo Mutter“, bringt er schnaufend über die Lippen. „Komm her, Thomas, und setz dich zu deiner alten Mutter“, entgegenet sie ihm ohne sich umzudrehen. Das Licht im Zimmer flackert von den Flammen des Kaminfeuers. Er geht langsam auf sie zu und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie schaut ihm aus glasigen Augen ins Gesicht und lächelt liebevoll. Sie weist mit der Hand auf einen Sessel: „Setz dich Herr Sohn“. Sie hat ihren Humor immer noch nicht verloren. „Jawohl, Frau Mutter“, erwidert Thomas und nimmt Platz. Sie schauen sich einen Moment lächelnd an.
Thomas: „Wie geht es dir?“
Mutter: „Wie es halt so geht. Ich habe meine Zipperlein, aber das ist bei dem Alter auch kein Wunder. Und wie geht es Dir? Du siehst gut aus.“
Thomas: „Mir geht’s ganz gut. Ich hab mich mit meiner Ela wieder vertragen und den Kindern geht es auch gut.“
Mutter: „Das ist schön. Aber ich habe dich zu mir gerufen, weil ich denke, dass die Zeit reif ist“
Thomas: „Zeit wofür?“
Mutter: „Es ist Zeit, die Macht weiterzugeben. Ich lebe nicht mehr lange und dich habe ich von meinen Söhnen ausgewählt, um dir alles zu offenbaren“
Thomas wird mulmig zu Mute. Ist sie jetzt völlig verrückt geworden? Bestellt mich mitten in der Nacht zu sich, um mir den Inhalt ihres Wahnsinns zu erzählen?
Sie zückt ein kleines Buch mit Goldrand hervor. Darauf steht in gotischen mittelhochdeutschen Lettern etwas geschrieben, was er nicht lesen kann.
Thomas: „Was ist das?“
Mutter: „Ich will dir erklären, was das ist. Der Grosse Johannes, von dem ich dir schon einmal erzählte, hat dieses Buch geschrieben. Wer dieses Buch besitzt, hat die Macht“
Thomas: „Welche Macht und worüber? Was erzählst du mir da? Warum muss das mitten in der Nacht sein?“
Mutter: „Du wirst es verstehen. Vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann bestimmt. Hierin liegt der Geist des Unbekannten“
Thomas etwas ärgerlich: „Ich verstehe kein Wort“
Mutter: „Die Gläubigen nennen es den Teufel, die Ärzte nennen es die Krankheit, die Lebenden nennen es den Tod, die Kommunisten nennen es den Kapitalismus, Kinder sagen böser Geist zu ihm, in Afrika sagt man Hunger aber hinter all dem steckt nur ein einziges Geheimnis. Es ist das Schwarze Wesen. Es beschützt den Besitzer dieses Buches, aber bringt Unheil über alles und jenen, die der Besitzer verdammt.“
Thomas schaut ungläubig und winkt ab: „Mutter, ich glaube wir gehen morgen mal zu einem Arzt“
„Neiiiiiiin, Junge, was ich sage ist die Wahrheit. Dieses Buch wird von Generation zu Generation weitergegeben. Und jedes Mal, wenn es den Besitzer wechselt, stößt dem vorigen Besitzer das Schlimmste zu, wozu er einen anderen Menschen während des Besitzes verdammt hat.“
Thomas will sich das nicht weiter anhören und versucht das Gespräch zu einem Ende zu bringen: „Also wenn Du willst, dass ich das Buch nehme, dann tu ich das. Aber ich werde trotzdem einen Termin für dich beim Arzt machen. Du leidest doch an totalem Realitätsverlust“. Er nimmt das Buch und steckt es in seine Jackentasche.
Mutter: „Du wirst es schon noch verstehen, aber gib das Buch niemals aus der Hand. Gib es irgendwann mal einem deiner Kinder, das du am liebsten hast.“
Thomas: „Ist gut Mutter, ich werde jetzt aber wieder gehen. Ich komme Morgen noch einmal vorbei und dann reden wir weiter. Ich bin jetzt müde und ich muss auch früh aufstehen.“
Mutter: „Ist gut mein Sohn, aber du wirst es erleben. Du brauchst deine Zeit, ich habe es damals auch nicht geglaubt“
Thomas verabschiedet sich und verlässt das Haus, dieses mal sind keine leuchtenden Augen in der Dunkelheit zu sehen. Er geht zu seinem Motorrad, setzt sich drauf und fährt nach Hause, um sich schlafen zu legen.
Am nächsten Morgen klingelt das Telefon um 6:30 Uhr. Thomas schreckt aus dem Schlaf hoch und geht zum Telefon. „Ja, Baumann“, meldet sich Thomas. „Hier ist die Polizei, sind Sie der Sohn von Gerda Baumann?“, ertönt es aus dem Hörer.
Thomas: „Ja der bin ich, ist was passiert?“
Stimme: „Es geht um ihre Mutter.“
Thomas: „Was ist mit ihr, erzählen sie schon“ spricht Thomas energisch.
Stimme: „Wir haben ihre Mutter vor einer Stunde von der Strasse im Dorf aufgelesen. Sie ist irgendwie in die Dorfkirche eingebrochen und hat die Glocke nachts zum Läuten gebracht. Anwohner haben sich beschwert. Wir haben sie daraufhin in eine geschlossene Psychiatrie gebracht. Sie kam uns sehr verwirrt vor. Sie bat uns, sie zu benachrichtigen.“
Thomas: „Welches Krankenhaus ist es denn?“
Polizei: „Wir haben sie in das St. Hedwig Krankenhaus gebracht. Sie ist auf der Station 39.“
Thomas: „Ja ist gut, ich fahr gleich los“
Thomas legt auf. Ihm schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Ich hätte sie gestern nicht allein lassen sollen. Ich hab doch gemerkt, dass sie nicht bei Trost ist. Zur Arbeit geh ich dann eben später. Thomas zieht sich schnell an, legt sich einen Schal um und fährt los. Es ist 6:45 Uhr. Er braucht 20 min. bis er am Krankenhaus angekommen ist. Ihm ist mulmig zu Mute. Wie wird sie sein? Was hat sie sich nur dabei gedacht? Hoffentlich geht es ihr gut. Er steigt in den Fahrstuhl des 11-Stöckigen Gebäudes und fährt in die 10. Etage, wo die Station 39 ist. Alles wirkt sehr steril. Die dicke Panzerglastür am Eingang der Station ist verschlossen. Man muss auf die Klingel drücken, um hineinzukommen. Er wirft einen Blick in die Station und sieht eine junge Frau, die auf dem Boden liegt. Sie liegt in ihrem Erbrochenen, als plötzlich Pflegeleute kommen und sie in ein Zimmer schleifen. Von rechts tritt ein Mann von etwa 30 Jahren im Schlafanzug ins Blickfeld. Er kommt näher an die Tür heran und bleibt davor stehen. Aus traurigen und leblosen Augen schaut er durch die Scheibe in das Gesicht von Thomas. Er ist ein Schatten seiner selbst. Seine Kinnlade hängt nach unten, er hat tiefe Augenringe und er zittert. Er sieht so entkräftet aus und scheint jede Hoffnung verloren zu haben. Thomas zögert, bevor er auf die Klingel drückt. Er hat sich die Psychiatrie nicht so voller Elend vorgestellt. Eine Pflegerin ganz in weiss sieht ihn dort stehen und kommt zur Tür. Sie ist groß und sehr kräftig. Ihre Wesenszüge haben etwas androgynes. Kurze Haare, männlicher Gang, allein ihr Gesicht und ihre Brüste verraten, dass es sich hierbei um eine Frau handeln muss.
Pflegerin: „Ja bitte“
Thomas: „Guten Morgen, mein Name ist Baumann. Ich komme wegen meiner Mutter, die vor kurzem hier eingeliefert worden ist. Ich würde sie gern sehen.“
Pflegerin: „Sie können gern ab 14 Uhr kommen, dann ist Besuchszeit. Jetzt ist ein bestimmtes Programm hier an der Tagesordnung, wo kein Besuch empfangen werden darf.“
Die Pflegerin will die Tür wieder schließen, als Thomas nun etwas zudringlicher wird.
Thomas: „Warten sie. Ich möchte doch nur wissen, was mit ihr los ist und wie es ihr geht.“
In diesem Moment läuft der Stationsarzt an der Tür vorbei und geht direkt auf Thomas zu. Er tuschelt kurz etwas mit der Pflegerin und lächelt dann freundlich: „Herr Baumann?“
Thomas: „Ja, der bin ich.“
Arzt: „Mein Name ist Höhne, ich bin der Stationsarzt und habe eben die Erstuntersuchung an ihrer Mutter vorgenommen“
Thomas: „Ja, und was ist dabei rausgekommen?“
Arzt: „Ihre Mutter befindet sich in einem sehr desolaten psychischen Zustand. Sie ist der Überzeugung, sie sei die heilige Maria und sie seien Jesus. Wir mussten sie auf dem Bett festschnallen, weil sie die ganze Station wachschrie. Wir haben ihr eine Depotspritze Haldol und ein Beruhigungsmittel gegeben. Die Diagnose lautet: endogene Schizophrenie.
Thomas: „Wie geht es dir?“
Mutter: „Wie es halt so geht. Ich habe meine Zipperlein, aber das ist bei dem Alter auch kein Wunder. Und wie geht es Dir? Du siehst gut aus.“
Thomas: „Mir geht’s ganz gut. Ich hab mich mit meiner Ela wieder vertragen und den Kindern geht es auch gut.“
Mutter: „Das ist schön. Aber ich habe dich zu mir gerufen, weil ich denke, dass die Zeit reif ist“
Thomas: „Zeit wofür?“
Mutter: „Es ist Zeit, die Macht weiterzugeben. Ich lebe nicht mehr lange und dich habe ich von meinen Söhnen ausgewählt, um dir alles zu offenbaren“
Thomas wird mulmig zu Mute. Ist sie jetzt völlig verrückt geworden? Bestellt mich mitten in der Nacht zu sich, um mir den Inhalt ihres Wahnsinns zu erzählen?
Sie zückt ein kleines Buch mit Goldrand hervor. Darauf steht in gotischen mittelhochdeutschen Lettern etwas geschrieben, was er nicht lesen kann.
Thomas: „Was ist das?“
Mutter: „Ich will dir erklären, was das ist. Der Grosse Johannes, von dem ich dir schon einmal erzählte, hat dieses Buch geschrieben. Wer dieses Buch besitzt, hat die Macht“
Thomas: „Welche Macht und worüber? Was erzählst du mir da? Warum muss das mitten in der Nacht sein?“
Mutter: „Du wirst es verstehen. Vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann bestimmt. Hierin liegt der Geist des Unbekannten“
Thomas etwas ärgerlich: „Ich verstehe kein Wort“
Mutter: „Die Gläubigen nennen es den Teufel, die Ärzte nennen es die Krankheit, die Lebenden nennen es den Tod, die Kommunisten nennen es den Kapitalismus, Kinder sagen böser Geist zu ihm, in Afrika sagt man Hunger aber hinter all dem steckt nur ein einziges Geheimnis. Es ist das Schwarze Wesen. Es beschützt den Besitzer dieses Buches, aber bringt Unheil über alles und jenen, die der Besitzer verdammt.“
Thomas schaut ungläubig und winkt ab: „Mutter, ich glaube wir gehen morgen mal zu einem Arzt“
„Neiiiiiiin, Junge, was ich sage ist die Wahrheit. Dieses Buch wird von Generation zu Generation weitergegeben. Und jedes Mal, wenn es den Besitzer wechselt, stößt dem vorigen Besitzer das Schlimmste zu, wozu er einen anderen Menschen während des Besitzes verdammt hat.“
Thomas will sich das nicht weiter anhören und versucht das Gespräch zu einem Ende zu bringen: „Also wenn Du willst, dass ich das Buch nehme, dann tu ich das. Aber ich werde trotzdem einen Termin für dich beim Arzt machen. Du leidest doch an totalem Realitätsverlust“. Er nimmt das Buch und steckt es in seine Jackentasche.
Mutter: „Du wirst es schon noch verstehen, aber gib das Buch niemals aus der Hand. Gib es irgendwann mal einem deiner Kinder, das du am liebsten hast.“
Thomas: „Ist gut Mutter, ich werde jetzt aber wieder gehen. Ich komme Morgen noch einmal vorbei und dann reden wir weiter. Ich bin jetzt müde und ich muss auch früh aufstehen.“
Mutter: „Ist gut mein Sohn, aber du wirst es erleben. Du brauchst deine Zeit, ich habe es damals auch nicht geglaubt“
Thomas verabschiedet sich und verlässt das Haus, dieses mal sind keine leuchtenden Augen in der Dunkelheit zu sehen. Er geht zu seinem Motorrad, setzt sich drauf und fährt nach Hause, um sich schlafen zu legen.
Am nächsten Morgen klingelt das Telefon um 6:30 Uhr. Thomas schreckt aus dem Schlaf hoch und geht zum Telefon. „Ja, Baumann“, meldet sich Thomas. „Hier ist die Polizei, sind Sie der Sohn von Gerda Baumann?“, ertönt es aus dem Hörer.
Thomas: „Ja der bin ich, ist was passiert?“
Stimme: „Es geht um ihre Mutter.“
Thomas: „Was ist mit ihr, erzählen sie schon“ spricht Thomas energisch.
Stimme: „Wir haben ihre Mutter vor einer Stunde von der Strasse im Dorf aufgelesen. Sie ist irgendwie in die Dorfkirche eingebrochen und hat die Glocke nachts zum Läuten gebracht. Anwohner haben sich beschwert. Wir haben sie daraufhin in eine geschlossene Psychiatrie gebracht. Sie kam uns sehr verwirrt vor. Sie bat uns, sie zu benachrichtigen.“
Thomas: „Welches Krankenhaus ist es denn?“
Polizei: „Wir haben sie in das St. Hedwig Krankenhaus gebracht. Sie ist auf der Station 39.“
Thomas: „Ja ist gut, ich fahr gleich los“
Thomas legt auf. Ihm schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Ich hätte sie gestern nicht allein lassen sollen. Ich hab doch gemerkt, dass sie nicht bei Trost ist. Zur Arbeit geh ich dann eben später. Thomas zieht sich schnell an, legt sich einen Schal um und fährt los. Es ist 6:45 Uhr. Er braucht 20 min. bis er am Krankenhaus angekommen ist. Ihm ist mulmig zu Mute. Wie wird sie sein? Was hat sie sich nur dabei gedacht? Hoffentlich geht es ihr gut. Er steigt in den Fahrstuhl des 11-Stöckigen Gebäudes und fährt in die 10. Etage, wo die Station 39 ist. Alles wirkt sehr steril. Die dicke Panzerglastür am Eingang der Station ist verschlossen. Man muss auf die Klingel drücken, um hineinzukommen. Er wirft einen Blick in die Station und sieht eine junge Frau, die auf dem Boden liegt. Sie liegt in ihrem Erbrochenen, als plötzlich Pflegeleute kommen und sie in ein Zimmer schleifen. Von rechts tritt ein Mann von etwa 30 Jahren im Schlafanzug ins Blickfeld. Er kommt näher an die Tür heran und bleibt davor stehen. Aus traurigen und leblosen Augen schaut er durch die Scheibe in das Gesicht von Thomas. Er ist ein Schatten seiner selbst. Seine Kinnlade hängt nach unten, er hat tiefe Augenringe und er zittert. Er sieht so entkräftet aus und scheint jede Hoffnung verloren zu haben. Thomas zögert, bevor er auf die Klingel drückt. Er hat sich die Psychiatrie nicht so voller Elend vorgestellt. Eine Pflegerin ganz in weiss sieht ihn dort stehen und kommt zur Tür. Sie ist groß und sehr kräftig. Ihre Wesenszüge haben etwas androgynes. Kurze Haare, männlicher Gang, allein ihr Gesicht und ihre Brüste verraten, dass es sich hierbei um eine Frau handeln muss.
Pflegerin: „Ja bitte“
Thomas: „Guten Morgen, mein Name ist Baumann. Ich komme wegen meiner Mutter, die vor kurzem hier eingeliefert worden ist. Ich würde sie gern sehen.“
Pflegerin: „Sie können gern ab 14 Uhr kommen, dann ist Besuchszeit. Jetzt ist ein bestimmtes Programm hier an der Tagesordnung, wo kein Besuch empfangen werden darf.“
Die Pflegerin will die Tür wieder schließen, als Thomas nun etwas zudringlicher wird.
Thomas: „Warten sie. Ich möchte doch nur wissen, was mit ihr los ist und wie es ihr geht.“
In diesem Moment läuft der Stationsarzt an der Tür vorbei und geht direkt auf Thomas zu. Er tuschelt kurz etwas mit der Pflegerin und lächelt dann freundlich: „Herr Baumann?“
Thomas: „Ja, der bin ich.“
Arzt: „Mein Name ist Höhne, ich bin der Stationsarzt und habe eben die Erstuntersuchung an ihrer Mutter vorgenommen“
Thomas: „Ja, und was ist dabei rausgekommen?“
Arzt: „Ihre Mutter befindet sich in einem sehr desolaten psychischen Zustand. Sie ist der Überzeugung, sie sei die heilige Maria und sie seien Jesus. Wir mussten sie auf dem Bett festschnallen, weil sie die ganze Station wachschrie. Wir haben ihr eine Depotspritze Haldol und ein Beruhigungsmittel gegeben. Die Diagnose lautet: endogene Schizophrenie.