Das Spiel mit dem Schatten

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Im großen Garten der Elben standen viele Bäume, Sträucher und Stauden, auf denen Obst oder Gemüse wuchs. Manche Sorten konnten sich mit Worten verständigen, aber viele sprachen Dialekte, die nicht jeder verstand. Da hatte die Salatgurke eine Idee. Sie sagte zu allen Bewohnern im Garten: „Ich kenne ein Spiel, bei dem wir uns ohne Sprachkenntnisse kurze, einfache Geschichten erzählen können.“
„Wie soll denn das gehen?“, brummte ein Radieschen und schüttelte ungläubig ihren Kopf.
„Ganz einfach“, meinte die Salatgurke, „wir alle haben Hände oder andere Greifwerkzeuge. Damit können wir ein lustiges Schattenspiel einstudieren.“
Da protestierte ein Chicorée-Salatblatt aufs heftigste: „Ich werde immer von meinem Schatten verfolgt. Er ist mir auf den Fersen bei all meinen Tätigkeiten. Das Chicorée-Blatt war durch den Schatten sehr verängstigt.
„Ich habe viel Spaß mit dem Schatten“, sagte eine Olive. Man braucht keine Angst davor haben. Du kannst vor deinem Schatten nicht weglaufen. Ihn weghaben zu wollen, bedeutet, dich selbst weghaben zu wollen.“ Und ein Apfel wusste: „Ein Schatten kann manchmal dein Schlupfwinkel werden, in dessen Winkel du dich ausruhen und erholen kannst. Wenn die Sonne scheint und die Luft heiß ist, ist ein Schatten eine angenehme Wohltat. Darum befreunde dich mit dem Schatten. Er meint es gut mit dir.“
Es entstand nun eine lebhafte Diskussion. Zum Schluss waren sich alle einig, mit dem Schatten spielen zu wollen.
Die Sonne war bereits untergegangen. Als Leinwand diente die weiße Wand des Hühnerstalls, und alle hofften, dass die Hühner sich schlafen legen würden, bevor die Vorstellung anfing. Erstaunt waren alle, als schon zehn Minuten vor dem Beginn der Platz neben dem Hühnerstall mit Früchten und Gemüse vollbesetzt war und die Neuankommenden keinen Platz mehr fanden.
Die Show begann. Ein riesengroßes Kerzenlicht flackerte leicht im Wind. Eine Paprikaschote stellte sich mit dem Rücken zum Licht zwischen Wand und Lichtquelle. Ihr Schatten war groß und verzerrt durch den Winkel des Lichteinfalles. Eine Möhre versuchte einige Bewegungen mit ihrem Körper. Diese wirkten auf der Wand spielerisch und lustig. Dann stellte sich ein Spargel seitlich und ließ seine Finger an der weißen Wand lustige Schattenspiele ausführen. Jetzt stiegen auch andere Obst- und Gemüsesorten in das Schattenspiel ein und selbst das vorher sehr skeptische Chicoréeblatt hatte Freude an dem neuen Spiel. Im gemeinsamen Erlebnis war es sehr schön, sich mit den verschiedenen Figuren und Charakteren zu identifizieren, mit ihnen Aggressionen zu zeigen oder die Typen, die dort vorkamen, stellvertretend für einen selber leiden zu lassen. Für die meisten steckte im Schatten eine noch nicht entdeckte, faszinierende Wunderwelt.
Die Gemüse- und Obstgruppe war gut aufeinander eingestimmt. Es wurden eigene Ideen entwickelt und dargestellt. Es entstanden faszinierender Effekte. Da wimmelte es nur so von Feen, Hexen, Rittern, Gespenstern und mächtigen Unterwasserwelten! Die Lust am Experimentieren hörte nicht auf. Alle waren begeistert und staunten, was man alles mit Händen, Ästen, Blättern und Wurzeln machen kann.
Nach mehreren Stunden des Spielens und Lachens sagte der Apfel: „Das reicht für heute. Morgen spielen wir weiter. Er blies das Kerzenlicht aus und die Schatten waren nicht mehr da.“
 



 
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