Das Urteil

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Wie das Gesetz es vorschrieb, wurde C. das Todesurteil im Flüsterton mitgeteilt. Der Prozess fand in einem kleinen fensterlosen Raum hinter verschlossenen Türen statt. Anwesend waren neben dem Angeklagten C. nur der Richter und die Anklägerin. Beide waren auch zwei der vier Wächter des Gefängnisses, in dem C. lebte.

Er wusste nicht, wie lange er schon an diesem Ort war. Es gab keine Erinnerung an die Zeit davor, sodass er sogar glaubte, dort geboren zu sein. Man konnte nicht behaupten, dass es ein unangenehmer Ort war. Er bekam genug zu essen, auch wenn die Mahlzeiten rationiert und meist dasselbe waren. Zudem boten die Wächter ihm manchmal Unterhaltungsprogramm, auch wenn auch das in den letzten Jahren nachgelassen hatte. C. wusste nicht, warum er hier war, wofür er so sorgsam am Leben gehalten wurde. Es gab Regeln, die er nicht verstand und er hatte doch keine andere Wahl, als sie zu befolgen. Er konnte sich sogar frei bewegen, nur das Gebäude nie verlassen. Die Türen waren verschlossen, die Fenster immer verriegelt. Bis zum gestrigen Tag.

„Du weißt, du darfst nicht nach draußen“, flüsterte die Anklägerin leise. Niemand außerhalb des Raumes sollte erfahren, was hier vor sich ging. Sie hielt C. am Nacken fest und strahlte ihm mit einer Taschenlampe ins Gesicht.
„Draußen ist es gefährlich und schmutzig. Du könntest sterben! Aber bei uns ist es sicher“.
„Wir haben leider keine andere Wahl, als dich dafür zu bestrafen“, übernahm der Richter feierlich das Wort. Er trug einen Schlafanzug, wie die Anklägerin auch und hielt außerdem einen Stock wie einen Zepter in der Hand.

C. wusste nicht, ob das Fenster aus Unachtsamkeit einer der Wärter offen stand oder ob es ein Test gewesen war. Nur einmal zuvor – er erinnerte sich sehr verschwommen daran – hatte er sein Gefängnis verlassen. Er war noch sehr jung gewesen und er merkte, dass ihm in seiner Abgeschiedenheit etwas sehr Grundlegendes fehlte. Innerlich aufgewühlt hatte er begonnen, die Gegenstände um ihn herum zu zerstören. Die Wächter wurden wütend und packten ihn in eine abgedunkelte Kiste mit einem kleinen Gitterfenster. Er wurde an einen anderen Ort abtransportiert und in einem Raum mit grellem Neonlicht herausgelassen. Ein Mann in einem weißen Kittel gab ihm eine Spritze und die nächste Erinnerung war, dass er wieder in seinem alten Gefängnis aufwachte und sich sein Gemüt seitdem beruhigt hatte.

„Für uns ist es nicht gefährlich, aber du musst hier bleiben“, fuhr die Anklägerin fort. Es ließen sich Schritte vor der Tür vernehmen.
„Ruhe im Gerichtssaal!“, zischte der Richter sofort.
Dann hörte man das Plätschern von Wasser im Raum nebenan. Nun wusste C. was ihm bevorstand und er versuchte sich panisch aus dem Griff der Anklägerin zu winden.
„Pscht, keine Angst, es wird nicht so schlimm, wir machen es ganz schnell“, wisperte sie ihm ins Ohr.
C. versuchte sich jaulend an der Wand festzukrallen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde.

„Kinder, was macht ihr hier? Ihr sollt nicht mit der Katze spielen, die hat sich draußen in irgendwelchen Mülltonnen herumgetrieben!“
„Ja, Mama, wir waschen sie ja gleich…“, maulten die beiden Geschwister und trugen C. widerwillig ins Badezimmer.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo pacapacaacapac, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 
Wie das Gesetz es vorschrieb, wurde C. das Todesurteil im Flüsterton mitgeteilt. Der Prozess fand in einem kleinen fensterlosen Raum hinter verschlossenen Türen statt. Anwesend waren neben dem Angeklagten C. nur der Richter und die Anklägerin. Beide waren auch zwei der vier Wächter des Gefängnisses, in dem C. lebte.

Er wusste nicht, wie lange er schon an diesem Ort war. Es gab keine Erinnerung an die Zeit davor, sodass er sogar glaubte, dort geboren zu sein. Man konnte nicht behaupten, dass es ein unangenehmer Ort war. Er bekam genug zu essen, auch wenn die Mahlzeiten rationiert und meist dasselbe waren. Zudem boten die Wächter ihm manchmal Unterhaltungsprogramm, auch wenn auch das in den letzten Jahren nachgelassen hatte. C. wusste nicht, warum er hier war, wofür er so sorgsam am Leben gehalten wurde. Es gab Regeln, die er nicht verstand und er hatte doch keine andere Wahl, als sie zu befolgen. Er konnte sich sogar frei bewegen, nur das Gebäude nie verlassen. Die Türen waren verschlossen, die Fenster immer verriegelt. Bis zum gestrigen Tag.

„Du weißt, du darfst nicht nach draußen“, flüsterte die Anklägerin leise. Niemand außerhalb des Raumes sollte erfahren, was hier vor sich ging. Sie hielt C. am Nacken fest und strahlte ihm mit einer Taschenlampe ins Gesicht.
„Draußen ist es gefährlich und schmutzig. Du könntest sterben! Aber bei uns ist es sicher“.
„Wir haben leider keine andere Wahl, als dich dafür zu bestrafen“, übernahm der Richter feierlich das Wort. Er trug einen Schlafanzug, wie die Anklägerin auch und hielt außerdem einen Stock wie einen Zepter in der Hand.

C. wusste nicht, ob das Fenster aus Unachtsamkeit einer der Wärter offen stand oder ob es ein Test gewesen war. Nur einmal zuvor – er erinnerte sich sehr verschwommen daran – hatte er sein Gefängnis verlassen. Er war noch sehr jung gewesen und er merkte, dass ihm in seiner Abgeschiedenheit etwas sehr Grundlegendes fehlte. Innerlich aufgewühlt hatte er begonnen, die Gegenstände um ihn herum zu zerstören. Die Wächter wurden wütend und packten ihn in eine abgedunkelte Kiste mit einem kleinen Gitterfenster. Er wurde an einen anderen Ort abtransportiert und in einem Raum mit grellem Neonlicht herausgelassen. Ein Mann in einem weißen Kittel gab ihm eine Spritze und die nächste Erinnerung war, dass er wieder in seinem alten Gefängnis aufwachte und sich sein Gemüt seitdem beruhigt hatte.

„Für uns ist es nicht gefährlich, aber du musst hier bleiben“, fuhr die Anklägerin fort. Es ließen sich Schritte vor der Tür vernehmen.
„Ruhe im Gerichtssaal!“, zischte der Richter sofort.
Dann hörte man das Plätschern von Wasser im Raum nebenan. Nun wusste C. was ihm bevorstand und er versuchte sich panisch aus dem Griff der Anklägerin zu winden.
„Pscht, keine Angst, es wird nicht so schlimm, wir machen es ganz schnell“, wisperte sie ihm ins Ohr.
C. versuchte sich jaulend an der Wand festzukrallen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde.

„Kinder, was macht ihr hier? Ihr sollt nicht mit der Katze spielen, die hat sich draußen in irgendwelchen Mülltonnen herumgetrieben!“
„Ja, Mama, wir waschen sie ja gleich…“, maulten die beiden Geschwister und trugen C. widerwillig ins Badezimmer.
 
S

steky

Gast
Frage:

Stammt der erste Satz von Dir?

Nachdenklich

Steky
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo pacapacaacapac,

Der Auftaktsatz stammt aus der Einladung zur Enthauptung von Vladimir Nabokov. Das solltest du als Zitat kenntlich machen.

Beste Grüße

Blumenberg
 

FrankK

Mitglied
Hallo, pacapacaacapac
(was für ein Avatar-Name ;) )
Zunächst auch von mir ein herzliches Willkommen im grünen Haifischbecken der Leselupe.

Den Einstiegssatz, übernommen aus einem anderen Werk, solltest Du wirklich irgendwie kennzeichnen. Klar, ein Zitatblock am Anfang sieht blöd aus.
Aber wie wäre es mit einer Zeilenschaltung und einem davorliegendem Sternchen?*
Am Ende des Textes könntest Du dann nach vier/fünf Leerzeilen ...




*die Quelle nennen.



Ansonsten - ein gelungener Einstiegstext. Die Überraschung am Schluß ist Dir gelungen. Ich habe bis zum Ende gerätselt, worauf es hinausläuft.

ein paar winzige Erbsen sind mir aufgefallen:
Zudem boten die Wächter ihm manchmal Unterhaltungsprogramm, auch wenn [strike]auch[/strike] das in den letzten Jahren nachgelassen hatte.
Es gab Regeln, die er nicht verstand und er hatte [strike]doch[/strike] keine andere Wahl, als sie zu befolgen.
„Draußen ist es gefährlich und schmutzig. Du könntest sterben! Aber bei uns ist es sicher[red].“[/red]
(Satzzeichen am Ende)

Mehr ist mir nicht aufgefallen.


Grüße aus Westfalen
Frank
 
Hallo,

vielen Dank schon mal für die Anmerkungen!

Der erste Satz stammt nicht von mir. Aus meinem Ursprungsbeitrag wurde meine Einleitung herausgenommen, wo ich erklärt habe, dass wir eine Kurzgeschichte für die Uni schreiben sollten ausgehend auf diesem ersten Satz.

Ich werde den Text auf jeden Fall noch bearbeiten und freue mich auf weitere Anregungen.

Merci merci an alle!
 



 
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