Das Vakuum

Raniero

Textablader
Das Vakuum

Gebannt ruhten die Augen der unzähligen Teilnehmer der Zeremonie, und nicht nur diese, auf dem kleinen Musiker auf der Tribüne.
Daheim an den Fernsehschirmen verfolgte quasi die ganze Nation das Geschehen, und darüber hinaus nahm praktisch mehr als der halbe Erdball teil an diesem herausragenden Moment der Geschichte.
Ein neuer Präsident wurde vereidigt, in den Vereinigten Staaten von Amerika, und dieses Mal gab es ein Novum in der Geschichte dieser ungemein traditionsreichen Feierlichkeit.
Zum ersten Mal war es ein Schwarzer, der die Eidesformel sprechen würde, ein Umstand, den viele Zeitgenossen noch vor weniger als einem Jahrzehnt für undenkbar gehalten hätten.
Durch seine begeisternde, mitreißende Art war es ihm nicht nur gelungen, als erster schwarzer Präsident der USA in die Geschichte einzuziehen, sondern nebenbei hatte er dafür gesorgt, dass ein anderes Novum bei dieser Wahl nicht zum tragen kam, indem er gleichzeitig die erste Frau als amerikanische Präsidentin verhinderte. Diese Dame hatte er in einem ungemein spannenden parteiinternen Wettkampf im Vorfeld nach und nach all dieser Hoffnungen beraubt und anschließend im finalen Kampf gegen den Kandidaten der Partei des Amtsinhabers schließlich gesiegt, mit seinem alles und alle mitreißenden Slogan:
Yes, we can.
Ja, wir können es, jubelten ihm seine Anhänger zu, und in kürzester Zeit hatte dieser Ausspruch als so genanntes geflügeltes Wort die ganzen Welt erobert.
Nun aber stand er unmittelbar vor seinem größten Triumph, als gewählter Präsident der Vereinigten Staaten, und die Spannung näherte sich dem Höhepunkt.

Zuerst aber wurde in einer feierlichen Zeremonie den noch lebenden ehemaligen Präsidenten sowie dem scheidenden Amtsinhaber ein würdiger Empfang zuteil, bevor man nach einem kurzen musikalischen Intermezzo zuerst zur Vereidigung des neuen Vizepräsidenten schritt.
Dann aber hielt die Welt den Atem an, denn in diesem Augenblick war die stärkste Macht auf Erden, die einzige noch verbliebene Weltmacht, ohne Führung, wenn auch nur für eine ganz kurze Zeitspanne.
Diese Zeitspanne wurde wiederum, so sah es das Protokoll vor, von einer musikalischen Einlage ausgefüllt.
Ein einziger Musiker, ein junger Gitarrist aus Kenia, dem Heimatland des neuen Präsidenten, war hierzu auserkoren; ihn hatte der neue schwarze Hoffnungsträger selbst mit ausgesucht, und er hatte das unbedingte Vertrauen desselben.
Ein einziges kurzes Stück würde er spielen, instrumental, ein Stück, maßgeschneidert zu dieser Vereidigung des ersten schwarzen Präsidenten der USA, den Song Ebony and Ivory
Ein absolut gelungener Beitrag, dieser Welthit; vor Jahren von zwei weltberühmten Zeitgenossen der Popmusik, einem schwarzen und einem weißen Sänger komponiert und gesungen, hatte er innerhalb kürzester Zeit seinen Siegeszug rund um den Erdball angetreten und war als symbolisches Versöhnungslied zwischen Schwarz und Weiß in die Geschichte eingegangen.

Die Augen der gesamten Weltöffentlichkeit ruhten auf dem jungen Gitarristen aus Kenia; er war sich dessen mehr als bewusst, und er hatte, obwohl er viele Auftritte als Solospieler zu absolvieren pflegte, ein nie zuvor erlebtes Lampenfieber.
Bei der Vereidigung eines Präsidenten der USA zu spielen, ganz allein, etwas, was nur alle vier Jahre geschah, dazu noch beim Amtsantritt des ersten Präsidenten, der die gleiche Hautfarbe besaß wie er selbst, das war in der Tat ein nicht gerade alltägliches Vergnügen.
Darüber hinaus wurde der junge Gitarrist noch von einer anderen, fast panischen Nervosität heimgesucht; nicht nur, dass er allein auf weiter Flur vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit aufspielen würde, sondern dass er dieses genau in diesem historischen Moment des Vakuums in der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika täte, des kleinen aber feinen Zeitraums, in welchem die große Weltmacht ohne Führung wäre.
Mein Gott, nicht auszudenken, was in dieser Zeitspanne alles passieren könnte.
Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen, der größten, die das Land jemals gesehen hatte.
Attentate, Akte der Gewalt, was alles passieren konnte, in einem solch Augenblick.
Er durfte gar nicht darüber nachdenken.
Leider aber hatte er genau das getan, der junge Musiker, darüber nachgedacht, die letzte Woche, und seitdem praktisch kein Auge mehr zugemacht.
Doch was hilft's, sagte er sich, ‚da muss ich durch’

Der Augenblick war gekommen, nun gab es kein Zurück mehr.
Äußerlich ruhig, nahm er sein Instrument zur Hand, die innere Anspannung merkte man ihm, so schien es, nicht an.
Mit leichtem Zittern begann er das Stück, dieses Stück, das er in- und auswendig kannte, das er in der letzten Zeit häufiger gespielt hatte als alles andere in seinem bisherigen Musikerleben.
Der Präsident in spe lächelte ihm aufmunternd zu.
Du spielst es für mich, Junge, nur für mich, schien er ihm zu sagen.
Über riesige Bildschirmwände wurde das Spiel des Gitarrensolisten weithin sichtbar übertragen.
Plötzlich, mitten im Stück, mitten im Vakuum der Führung der verbliebenen Weltmacht geschah es, ereignete sich das Unfassbare, nicht vorhergesehene!
Ein lauter Knall, alle hörten ihn, einige duckten sich, die Sicherheitsleute griffen zu ihren Waffen, steckten sie wieder weg.
Eine Saite der Gitarre war gerissen, und der junge Musiker wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Hatte er doch das Stück mit mehr oder weniger leichter Hand über die Runden gebracht, die Passage des Vakuums fast überstanden, und nun so etwas.
Doch nicht nur er zeigte sich fassungslos; die gesamte Nähe des neuen Präsidenten, Honoratioren über Honoratioren, gesegnete und ungesegnete Häupter, wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Dem Adjutanten des Obersten Richters des Staates fiel die Bibel aus der Hand, die Bibel, auf welche der neue Präsident zu schwören hatte. Überall, wo hin man schaute, nur entsetzte Gesichter, keiner wagte zu atmen.
Nicht so der neue Hoffnungsträger der Menschen des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, der erste schwarze Präsident.
„What is it for a string?“ rief er dem verdutzten Musiker zu.
Dieser wusste zuerst nicht, was er sagen sollte. Der künftige Präsident der USA fragte ihn, welche Saite an der Gitarre gerissen sei.
„It's the D“, antwortete er nach kurzem Zögern.
„It's always the same, always the D“, sprach der künftige neue Mann im weißen Haus und griff zur Überraschung des gesamten Hofstaates in die die Hosentasche und hielt sie dem verblüfften Gitarristen hin.
„Let me help you, I see, you're a little bit nervous.”
Gemeinsam zogen sie die neue D Saite auf, die beiden Farbigen aus Kenia, und die Massen waren nicht mehr zu halten.
„Yes, he can“, skandierten sie in Abwandlung des berühmten Slogans, „yes, he can do that also!“

Sodann aber spielte der junge Gitarrist auf ausdrücklichen Wunsch des neuen Amtsträgers das schöne Lied noch einmal von Anbeginn bis zu Ende, ungeachtet der weiteren Verlängerung des Machtvakuums.
Die letzten Takte der Musik waren kaum verklungen, da brach ein derart lang anhaltender Jubel aus, dass er sogar die gesamte Vereidigungszeremonie übertönte, doch das macht niemandem mehr etwas aus, am wenigsten dem neuen Staatsoberhaupt.
Der junge Musiker aber legte ebenfalls einen Eid ab; er schwor sich, bei der erneuten Vereidigung dieses Präsidenten in vier Jahren eine elektrische Gitarre zu verwenden;
die hat bekanntlich Stahlsaiten.
 
B

bluefin

Gast
hallo @raniero, nach
Gebannt ruhten die Augen der unzähligen Teilnehmer der Zeremonie, und nicht nur diese, auf dem kleinen Musiker auf der Tribüne.
hab ich schon fast nicht mehr weiter gelesen.

was ausser den augen der unzähligen teilnehmer ruhte denn sonst noch auf dem "kleinen musiker"? arme, beine, hände? läuse? hoffnungen?

mit so einem einstieg ruinierst du alles, ganz egal, welche botschaft noch kommen mag.

kenia ist nicht das heimtland obamas, sondern das seines vaters. seine mutter ist amerikanerin, geboren wurde er in hawaii. das stück, das unmittelbar vor der (missglückten) vereidigung geplaybackt wurde, hieß "air and simple gifts" (und wurde von einem komponisten namens williams x-tra für diesen anlass aus vierschiedenen stücken zusammengeklaut). die d-saite einer gitarre ist immer eine stahlsaite, elektrisch oder nicht.

tipp: fehler ausbessern und das langatmige märchen auf max. zehn prozent eindampfen - dann könnt's vielleicht wirklich wie ein rührender witz wirken.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Raniero

Textablader
Hallo

bluefin.

Vielen Dank für Deinen Kommentar.

Dass Kenia nicht das Heimatland Obamas ist und dass vor der Vereidigung ein anderes Stück gespielt wurde, ist auch mir bekannt.
Hier handelt es sich um eine Satire, nicht um eine Realitätsschilderung, und daher sind m. E. die von Dir genannten Einwände nicht schlüssig.

Liebe Grüße

Raniero
 
B

bluefin

Gast
ob du meine einwände für schlüssig hältst oder nicht, spielt keine rolle, @raniero.

eine satire muss sich an der wirklichkeit anlehnen können, sonst funzt sie nicht. deine geschichte ist nicht nur von fehlern durchzogen, die jeder erkennen muss, sondern so weit hergeholt, dass sie vielleicht als märchen oder als fantasie durchginge, nicht aber als "satire". wo wäre denn da, angesichts der wahren verhältnisse, der witz??

liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
Oben Unten