Das Versteck

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„Bring ihn hier rüber, Issi. Bring ihn genau HIERHER!“
Man, Franky hatte eine Scheiß Laune. Er stand da, stützte die Hände auf dem Rand des Elektroherds ab und hatte seinen Oberkörper ein wenig nach vorn gebeugt.
„Issi, verdammte Scheiße“, flüsterte er, „bring den verdammten Köter her.“
Ich drehte mich um und presste meinen blutenden Unterarm gegen meine Hüfte.
Dieser verdammte Rüde hatte mich vielleicht gebissen! Ich drehte mich zurück und sah, wie der Hund sich verängstigt in der hinteren Ecke des Wohnzimmers herumdrückte.
Warum wollte ihm Franky was antun? War doch bloß `n blöder Köter.
Ich seufzte.
Leise.
Plötzlich stand Franky hinter mir und ließ seine riesige Mordwerkzeughand auf meine Schulter knallen. Stumm sackte ich zu Boden.
„Steh auf und bring mir den Köter.“
„Is doch bloß `n Köter, Franky.“ Keuchend schob ich mich auf dem blank polierten Dielenboden etwa einen halben Meter von ihm fort.
Franky betrachtete den Hund, der in diesem Moment wimmernd aufjaulte.
„Bist selbst n´Köter“, sagte Franky und krempelte sich die Ärmel seines karierten Holzfällerhemdes hoch.
„Franky!“
„Halts Maul“, sagte Franky und ging auf den Hund zu.
„Dann mach ich es eben selbst.“


Franky nannte ihn immer Issi, mit langem S, weil er lange brauchte, um easy zu werden.

Issi stand vor dem Spiegel des Badezimmers und presste das Handtuch auf die Wunde an seinem Arm.
„Mist!“ Wenn er das Handtuch jetzt abnahm, würde er sich wieder übergeben. Wahrscheinlich würde er heulen. Issi drückte den Arm, um den das Handtuch gewickelt war gegen seinen Bauch.
„Mist.“ Wenn er das Handtuch noch länger auf der Wunde ließ, würde es festkleben. Wenn das Blut dann trocken war:
„Mist, Mist, Mist!“ Issi schloss die Augen.

„Was wird denn das, wenn´s fertig ist?“ Frank nahm einen großen Schluck aus der, mit Papier umwickelten Flasche und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
„Zeig mal her!“ Issi hielt ihm zitternd den rechten Arm hin. Vorsichtig taste Frank mit seinen Mordwerkzeughänden am Rand der Wunde herum.
„Tut das weh?“ Er hielt Issi am Kragen gepackt, damit er nicht vorn überfiel. Issi stöhnte.
„Wenn´s weh tut, lebst du noch. Vergiss das nicht!“ Frank wickelte vorsichtig das Handtuch von der Wunde und warf es achtlos auf den Boden.
„Guck nicht hin!“, schrie er Issi an.
„Guck jetzt nicht hin“, flüsterte er. Issi kniff die Augen zusammen.
Frank ließ mit dem Daumen seiner rechten Hand den Deckel von der Whiskeyflasche sausen und umklammerte Issis verletzten Arm mit der Linken.
„Mal schauen, ob du noch lebst.“
Frank grinste, als er Issi die halbe Flasche Whiskey über den Arm goss.

Die Nacht war warm und schwül. Im Zimmer nebenan schlief Issi seinen Rausch aus.
Frank stand am Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus.
`Was für ein Land, in dem ein Mann furchtlos am Fenster stehen konnte, um die Welt mit seiner Erektion zu bedrohen.´ Genüsslich nippte Frank an der Whiskeyflasche, verschloss den Hals mit dem Daumen und drückte sich dann den kalten Flaschenboden gegen den Unterleib.
Er zog den Daumen zurück und der Inhalt der Flasche plätscherte wie Urin auf den Boden.
Als die Flasche gänzlich leer war, stellte er sie auf dem Fensterbrett ab und drehte sich um.
„Issi! Komm, steh auf, wir müssen los.“ Frank ging zu einem Kleiderschrank, öffnete ihn und nahm gleich mehrere dunkle Anzüge von ihren schicken, weißen Kleiderbügeln. Nacheinander hielt er sie sich vor den nackten Oberkörper und betrachtete sich nachdenklich im Spiegel der Kleiderschranktür.
„Nein.“
„Nein.“
„Nein.“
Ein Anzug nach dem anderen landete vor seinen Füssen, bis er schließlich einen fand, der nach seinem Geschmack war. Er zog die weit geschnittene dunkle Hose aus dem Kleiderbügel und stieg mit seinen nackten Beinen in sie hinein.
„ISSI!“
Frank zog sich den dunklen Schlips zu Recht und ging ins Nebenzimmer.
„Komm Issi, steh auf.“

Ich wurde langsam wach. Mein Gott, wie mein Kopf dröhnte! Können Sie sich das vorstellen, wie das ist, wenn man langsam nach vorn kommt?
Mein Arm schmerzte wie verrückt und irgendwie wusste ich, dass nicht nur ich, sondern die ganze Bude nach Alkohol stank, das ganze Haus.
Ich brauchte jetzt was zu rauchen, ne Kippe.
„Frank?“ Im Zimmer nebenan hörte ich es knistern.
„FRANK?“ Das helle Licht, das aus dem Zimmer zu mir herüber schien, leuchtete in allen Farben von Gelb und Rot.
Irgendwie erinnerte ich mich daran, dass wir verstecken gespielt hatten. „Verstecken!“
Das hieß, dass man irgendwo einbrach und solange wartete, bis der Besitzer nach Hause kam.
Und wenn er dann nach Hause kam …

„Miststück!“, schrie Frank. „Miststück! Schaff mir den Köter vom Hals!“ Er hatte die schreiende Frau bei den Haaren gepackt und schlug ihren Kopf wieder und wider gegen den Türrahmen. Der riesige Schäferhund hatte sich wie ein Fangeisen in seinem Unterarm verbissen.
„ISSI! SCHEIßE, ISSI, SCHAFF MIR DEN KÖTER VOM HALS!“

Vorsichtig stand ich auf. Ich wusste nicht ganz genau, ob mein Kopf von der stärker werdenden Hitze oder vom Alkohol brannte.
Irgendwie schaffte ich es bis zur Tür. Mein Gott, Frank hatte das Haus in Brand gesteckt! Durch die Flammen hindurch, die sich quer durch den Raum zogen, konnte ich schemenhaft seine Gestalt erkennen – groß, brutal. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und grinste mich an.

„Komm schon“, rief er, „ich kann nicht alles alleine machen.“

Und dann sah ich es. Mir wurde schwindlig. Irgendwie schienen Franks Umrisse zu verschwimmen. Das Feuer loderte überall um ihn herum. Und noch immer stand er da, aufrecht, grinsend.
„FRANK! Hinter Dir!“
Frank drehte sich nicht um. Hörte er denn nicht, wie das Tier sich winselnd auf ihn zu bewegte? Wie es kroch? Wie seine zur Unkenntlichkeit verkohlten Pfoten über das aufbrechende Parkett schliffen? Mein Gott, ich musste mich abwenden, als ich das vom Herdfeuer lippenlos gemachte Maul sah. Die Zähne, Frank! Ich sank zu Boden.
„Frank.“ ; ein Flüstern.
„Die Zähne.“

Frank schrie auf, als sich die Fänge des Tieres, wie glutheiße Nägel in seine linke Wade bohrten. Feuer überall. Mit seinen riesigen Mordwerkzeughänden packte er das Tier und riss wie verrückt daran herum, während er immer noch schrie und schrie und schrie.
„Ich kann das nicht alles alleine machen!
Ich kann das nicht alles alleine machen!
ICH KANN DAS NICHT ALLES ALLEINE MACHEN!“

Und ich sah, wie er zu Boden fiel und sich herumwälzte, wie das Tier ihm immer wieder entglitt und wie dessen Hautfarbe langsam von einem brüchigen Schwarz in ein sattes Rot wechselte, ebenso Rot, wie das Feuer, das jetzt überall war.
Ich musste mich von diesem Blick, wie Frank von den Fängen des sterbenden Tieres losreißen. Ich schrie, als ich sah, wie Frank von dem Feuer erfasst wurde. Ich kroch, als würde mich sein Todeskampf gefangen halten und als schleppte ich seinen anklagenden Blick wie ein totes Tier hinter mir her.

Ich wusste, als ich stöhnend in die Kühle der Nacht hinaus humpelte und den leblosen, verbrannten Kadaver des Schäferhundes auf der Schwelle liegen sah,

DAS war Franks anklagender Blick.

Und dann sah ich ihn stehen, oben, mitten im Feuer, die Mordwerkzeughände in die Hüften gestemmt,
groß, brutal,
Frank.

„Komm schon“, rief er und blieb ganz ruhig stehen, als die Fensterscheiben unter dem Ansturm der Hitze in tausend Stücke brachen.

„SOLL ICH DENN ALLES ALLEINE MACHEN?“
 

Buffy

Mitglied
Oh je.....

Hallo Markus,
habe deinen Text ein paar mal lesen müssen. Zum Inhalt kann ich nicht viel sagen. Mir fällt nur Jack Nicolson (ist der Nachnahme so richtig?) ein. Als Tierliebhaberin und Gegner von Brutalität hat die Story mich an meiner Schwachstelle erwischt.
Das macht dein eindringlicher, bildhafter Erzählstil. Könnte glatt als Kurzfilm gedreht werden.
Nur die Frau in der Story sollte noch einen festeren Platz bekommen. So wirkt sie auf mich überflüssig.

Ansonsten, mein Kompliment, eine großartige Leistung.
Gruß Buffy
 
Danke Buffy,
aber die Geschichte bitte nicht überinterpretieren. Die Frau IST überflüssig, deshalb wird sie auch nur nebenbei erwähnt, ich glaube, in einer Art Rückblick. Die "Jungs" brechen halt in irgendein Haus ein, bringen alles um, was da drin lebt und besaufen sich und säubern ihre Wunden.
Für mich sind Frank und Issi eh eine Person, die jeweils den unsicheren und den sicheren Teil einer Persönlichkeit ausmachen.
Und wenn der Hund zum Schluss Frank angreift, dann sehe ich es, als ob Issi in den Spiegel schaut und sich selbst betrachtet.

Alles ein wenig verwirrend, ich weiß. Aber du hast Recht, bei solchen Geschichten habe ich immer so etwas wie einen Kurzfilm im Kopf.

Gruss, Marcus
 



 
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