Das afrikanische Glücksarmband

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Meckie Pilar

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Das afrikanische Glücksarmband

Der Nebel hatte sich inzwischen fast vollständig verzogen. Sie waren den Burgberg durch einen lichten, noch ganz kahlen Buchenwald hinaufgefahren. Die Sonne kam gerade vorsichtig heraus und warf schwache Schatten mit weichen Konturen. Plötzlich war vor ihnen die Burg aufgetaucht.
Außer ihnen stand zu dieser Vormittagsstunde nur noch ein einziges Auto verloren auf dem Parkplatz an der Burg. Sie stellte den Motor aus und während sie den Schlüssel abzog, ging es ihr plötzlich durch den Kopf, wie sehr sie sich in den vergangenen Monaten so einen Tag wie heute herbeigewünscht hatte. Und nun war alles so einfach, so selbstverständlich, so als könne es gar nicht anders sein. Sie waren zusammen und besuchten an diesem Aprilsamstag irgendein Schloss, einfach weil es Freude machte und weil sie gerne zusammen waren.
Sie stiegen aus, atmeten beide erfreut die noch kühle, frische Luft ein und reckten sich ein wenig. \"Es gibt hier einen hübschen Burggarten\", sagte er. Und sie wandten sich dem Eingang dieses Gartens zu, der gleich neben dem Parkplatz lag. Sie stiegen ein paar verwitterte Treppenstufen hinauf, aus deren Ritzen und Fugen überall aprilfrisches Grün von Moos und kleinen Kräutern hervordrängte und traten durch das schmiedeeiserne, schmale Tor. Er ließ ihr den Vortritt. Und da stand sie mit einem Mal in einem verwunschenen Garten, hinter dessen dichten Hecken der Frühling bereits begonnen hatte, seinen Zauber auszuschütten. Zwischen hohen, noch blattlosen Bäumen wandten sich schmale, eingefasste Pfade hindurch. Und wo man nur hinsah, standen in kleinen Gruppen an den Wegrändern intensiv blaue, weiße und sonnengelbe Frühlingsblumen und leuchteten auf dem braunen, mit Herbstblättern bedeckten Boden. Die Forsythienbüsche verteilten sich wie helle Frühlingsfeuer über die Berg- und Hügellandschaft, in der der Garten angelegt war.
\"Hier ist ja schon Frühling!\", sagte sie entzückt und sah ihn strahlend an. \"Ich hatte dir doch angekündigt: Wir machen eine Reise in den Frühling!\" Er lächelte und griff nach ihrer Hand.
Sie wehrte sich nicht. Und während sie nun Hand in Hand kreuz und quer durch die kleinen, verschlungenen Wege des Burggartens schlenderten, spürte sie die altbekannte und so vermisste Wärme in sich aufsteigen. Sie hatte sich so lange danach gesehnt: nach seiner Hand, nach seinem Körper neben ihr, nach seiner Stimme, seinem Gesicht mit den leicht geröteten Wangen und den hellen Augen unter dem schon ein wenig grauen Haarschopf. Sie hatte sich gesehnt und hatte es sich immer wieder aus dem Kopf geschlagen und hatte sich dennoch gesehnt.
Als sie heute früh bei dichtem Nebel losgefahren war, um ihn in der kleinen Stadt seiner Kindheit abzuholen, wo er gerade seine Schwester besuchte, da hatte sie noch ein ironisches Lächeln auf den Lippen. Es konnte ja nichts schaden, sich noch mal zu treffen nach so langer Zeit. Dieses Städtchen hatte sie sowieso schon immer mal kennen lernen wollen. Aber ansonsten war nichts zu erwarten. Sie machte sich keine Illusionen mehr in ihrem Leben. Sie hatte es hinter sich.
Aber später dann, als sie beide zusammen die muffige, enge Wohnung seiner älteren Schwester zurückließen, entkommen und vergnügt wie kleine Kinder, die der bösen Tante endlich ausgebüchst sind und als sie dann in die karge, verheißungsvolle Vorfrühlingslandschaft hinausgefahren waren, hatte sie angefangen, ihr Herz wieder zu spüren. Er zeigte ihr den Garten vor der Stadt, wo er als kleiner Jungen gespielt hatte. Als er ihr den dicken, hohlen Baum mit der kleinen Bank in der Baumhöhle zeigte, in dem er zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte, fühlte sie einen Stich in der Brust. Sie erschrak und versuchte zu lachen. Am Tümpel neben dem hohlen Baum blühte ganz einsam eine wilde Wasserlilie. Mit ihren zarten Farben und den klaren filigranen Linien erschien sie ihr wie eine verzauberte Fee. Die lächelte ihr zu.
Auf dem Weg zur Burg hatte sie versucht, sich wieder zu fangen. Dies war ein kleiner, netter Wochenendausflug mit einem ehemaligen Liebhaber. Er zeigte ihr eine Ecke von Thüringen, die sie noch nicht kannte. Mehr war es nicht. Sie würden später noch einen Kaffee zusammen trinken. Dann wollt er noch einen ehemaligen Klassenkameraden besuchen. Also, was wollte sie? Sie war schon lange alt genug, um mit Anfällen von Sentimentalität fertig zu werden.
Und nun gingen sie doch hier Hand in Hand durch diesen Zaubergarten und es war fast so, als seinen die letzten Monate der Trennung nicht gewesen. „Ich darf das eigentlich nicht zulassen“, dachte sie mühsam. Aber ihre Hand lag in der seinen, als gehöre sie da hin. Ihre Hand machte einfach, was sie wollte.
Plötzlich blieb er stehen und kramte in seiner Jackentasche. \"Ich hab was für dich mitgebracht\", kündigte er geheimnisvoll an. Er holte eine kleine, unscheinbare Papiertüte hervor und öffnete sie. \"Das ist ein afrikanisches Glücksarmband. Ich habe es vom Ökomarkt am Prenzlauerberg. Du kennst ja den Stand.\"
\"Das geht doch so nicht\", dachte sie verwirrt. Aber sie hielt ihm lächelnd den Arm hin und er streifte das Band über ihre Hand. Es war aus lauter glänzend weißen Muscheln geknüpft und fühlte sich angenehm kühl auf der Haut an. Afrika war der Kontinent seiner Träume. Er liebte Afrika. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen.
\"Wie komme ich zu dieser Ehre?\", fragte sie mit bewusst skeptischer Stimme. Sie musste plötzlich an die anderen Frauen denken und an ihre Verzweiflung in den letzten Monaten. Ihre Knie waren ganz weich geworden.
\"Ich dachte, es würde dir gefallen!\", sagte er nur und als er sah, dass sie an Tränen schluckte, fügte er mit weicher Stimme hinzu: \"Hör mal, glaubst du, ich würde jeder Frau die Orte meiner Kindheit zeigen?\"
Sie wusste nicht, was diese Worte bedeuten sollten. Aber ihr Herz hoffte, es zu wissen.
Als sie noch immer dastand und zögerte, nahm er sie in die Arme und küsste sie. Die Sonne war jetzt richtig durchgebrochen und blendete. Sie schloss die Augen und ließ sich in die Arme fallen, die sie so lange entbehrt hatte.
Viel zu früh ließ er sie wieder los.
\"Komm, wir schauen uns die Burg noch von innen an! Ich war schon mal da und sie ist eigentlich ganz schön.\"
Sie nickte wie im Traum. Dass er wieder ihre Hand nahm, als sie weitergingen, war jetzt schon wieder selbstverständlich. Sie ging neben ihm her, als gehöre sie für immer an seine Seite.
Inzwischen waren noch mehr Besucher eingetroffen. Sie mussten an der Burgkasse ein paar Augenblicke warten. Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt und sie fühlte, dass sie so ewig stehen könnte, dass es ihr nichts ausmachen würde, alle Burgen dieser Welt mit ihm anzusehen oder auch bis zum Abend einfach nur hier zu stehen und zusammen mit ihm zu warten. Es gab keine Wünsche mehr.
Das Armband mit seinen perlweißen Gliedern schimmerte verheißungsvoll an ihrem linken Handgelenk.
Neben der Kasse hing ein großes Plakat, auf dem lauter Burgen abgebildet waren, lauter Burgen in Thüringen, die man besuchen und erwandern sollte. \"Kennst du die alle?\", fragte sie. Es gab so viel Schönes in diesem Land, das eigentlich ja seine Heimat war aber nun auch das Land, in dem sie lebte. Mit ihm zusammen würde sie es so gerne richtig kennen lernen!
\"Wollen Sie auch den Burgenpass?\", fragte die Frau an der Kasse. \"Ich habe gesehen, dass Sie das Plakat betrachtet haben. Wenn Sie alle diese Burgen besucht haben, nehmen Sie an einer Verlosung teil. Es macht Spaß. Viele Leute machen mit!\"
\"Na klar\", antwortete sie übermütig. Die Burg, in der sie sich heute befanden, war die 8. der abgebildeten Burgen und sie bekamen einen Stempel in ihren Pass. Nun mussten sie nur noch neun Mal auf Burgenschau losziehen.
Die Frau kassierte den Eintritt und schob ihnen den Burgenpass zu. \"Viel Spaß mit unseren Burgen\", meinte sie lächelnd.
\"Wer nimmt ihn an sich, du oder ich?\", fragte sie im Weitergehen.
\"Komm, steck du dir das ein!\", sagte er zu ihr mit einer leicht nervösen Stimme. \"Du kannst ja mit deiner Tochter mitmachen. Für mich hat das doch keinen Sinn. Ich werde ja wohl so schnell nicht wieder herkommen.\"
Als er erneut danach griff, ließ sie ihm ihre Hand. Die war eiskalt.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Meckie,

Du beschreibst sehr eingehend die Nuancen der Unsicherheit und Gefühlsschwankungen zwischen den ambivalenten Gedanken der Protagonistin. Das fande ich spannend zu lesen.

Die Umgebungsbeschreibungen finde ich fast ein wenig zu ausgeschmückt für eine KG. (Ich mag es halt lieber karger.)

Viele Grüße

Elke
 

BikeXdream

Mitglied
Hallo Meckie,

die Story war schön zu lesen!

Das Ende ...
Als er erneut danach griff, ließ sie ihm ihre Hand. Die war eiskalt.
... will mir so nicht ganz gefallen, da ich etwas rätseln muß, wie es wohl gemeint ist. Ich denke es ist nicht deine Absicht, dem Leser hier zu viel Freiraum zu lassen.
Warum ließ sie ihm ihre Hand? Sie ließ sie ihm vorher doch auch!? War seine Hand eiskalt, oder ihre? Hätte sie nicht die Hand zurückziehen sollen oder wollen!?
Vielleicht ist anderen alles klar, aber ich komme mit dem letzten Satz irgendwie nicht zurecht!

Ansonsten finde ich die Geschichte ganz gut, so wie sie verstohlene Liebeshoffnungen zwischen Menschen beschreibt, welche (glauben) die "Hoch-Zeit" ihres Lebens hinter sich gebracht (zu) haben!

LG
Bike :)
 

Meckie Pilar

Mitglied
Hallo Bike,
danke für deinen Hinweis.
So wurde mir klar, dass ich am Ende den Vorgang nicht wirklich klar gemacht habe.
Während sie sich in ihren Hoffnungen in die Zukunft einer Beziehung träumt, bei der er sie besuchen wird, wo sie gemeinsames unternehmen etc., spürt sie in seinen Worten die Distanz, die er zu dieser Frage hat und sein mäßiges Interesse an ihr und so einer Beziehung. Sie merkt, dass das nur ihre Träume sind.
Deshalb ist ihre Hand kalt. Und sie läßt sie ihm trotz ihrer Erkenntnis, weil sie sich vor Enttäuschung und vor Sehnsucht ganz und gar nicht wehren kann.
Das muss ich alos versuchen besser und klarer zu gestalten.
Danke nch mal
Meckie
 

BikeXdream

Mitglied
Hallo Meckie,

du solltest/kannst nur die letzten beiden Sätze
- "Als er erneut danach griff, ließ sie ihm ihre Hand." -
ändern und ihre Entäuschung darin noch etwas besser andeuten, um es klar zu machen!

z.B.:
"Als er erneut danach griff, gab sie ihm ihre Hand, kalt, entäuscht und ohne Hoffnung."
(Na ja, vielleicht so ähnlich?! ;) )

LG Bike :)
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Meckie,

den Schluß bitte nicht ändern! Ich finde, es ist völlig klar, was das bedeutet.

Es wäre schön, wenn du dem Text ein paar Absätze gönntest und bei der Gelegenheit die Schrägstriche entfernst.

Gruß,
Gabi
 



 
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