Das alte Fotoalbum

4,20 Stern(e) 6 Bewertungen

viktor

Mitglied
Das alte Fotoalbum

Wie farblos in Papier gepresste Blüten
seh ich Gespenster der Vergangenheit.
Für meine Zeit fixiert, eh sie verglühten,
Ertrunkene im Meer der deutsche Zeit.

Seh Lippen, die das Lächeln schon verloren,
eh noch ein Lachen je den Mund verließ,
als hätten Ernst und Trauer sich verschworen,
weil ihre deutsche Zeit kein Glück verhieß.

Ihr wart das graue Fleisch, aus dem ich stamme,
das meine Seele trägt seit Anbeginn.
Das graue deutsche Fleisch, das ich verdamme,
das Fleisch, in dem ich selbst gefangen bin.
 

helmut ganze

Mitglied
s.o.

Lieber viktor,

dein Gedicht ist sehr gut. Ich glaube auch, dass sehr viel von seinem Sinn zwischen den Zeilen zu finden ist, ohne dieses immer direkt auszusprechen.
Es passt auch sehr gut in die heutige Diskussion über Recht und Unrecht, die politisch heftig geführt wird.

Liebe Grüße
Helmut
 

viktor

Mitglied
Das alte Fotoalbum

Wie farblos in Papier gepresste Blüten
seh ich Gespenster der Vergangenheit.
Für meine Zeit fixiert, eh sie verglühten,
Ertrunkene im Meer der deutschen Zeit.

Seh Lippen, die das Lächeln schon verloren,
eh noch ein Lachen je den Mund verließ,
als hätten Ernst und Trauer sich verschworen,
weil ihre deutsche Zeit kein Glück verhieß.

Ihr wart das graue Fleisch, aus dem ich stamme,
das meine Seele trägt seit Anbeginn.
Das graue deutsche Fleisch, das ich verdamme,
das Fleisch, in dem ich selbst gefangen bin.
 

helmut ganze

Mitglied
s.o.

Lieber viktor,

deine Antwort ist leider als Buchstabensalat bei mir gelandet,kannst du es bitte noch einmal versuchen?

l.g.
Helmut
 
H

Heidrun D.

Gast
Lieber Viktor,

dein Gedicht gefällt mir außerordentlich gut. - Ich höre darin den Aufschrei eines deutschen Juden.

Zu diesem Text kann ich dich nur beglückwünschen, gerade auch in Anbetracht der unsäglichen Faschismusdiskussion, die hier noch vor wenigen Tagen geführt worden ist.

Gern ziehe ich den Sonnenhut vor dir.
Heidrun
 

viktor

Mitglied
lieber helmut,
das ist ein link zu einem bild, das ich von einem alten familienfoto abgemalt habe - es war der anlass für den text und dürfte vom anfang des 20´jhdts. stammen.
danke, treue heidrun,
ich habe aber garnicht an einen juden gedacht, sondern an die allgemeine freudlosigkeit, die im deutschen wesen verankert ist.
liebe grüße
viktor
 
S

suzah

Gast
hallo viktor,

zufällig lese ich dein gedicht. ich finde es ganz hervorragend!

liebe grüße suzah
 

presque_rien

Mitglied
Hi viktor,

gefällt mir wirklich sehr gut! Dieses Gedicht hat bei mir sofort ein starkes Gefühl von Unbehagen ausgelöst, und ich denke, das wolltest du auch erreichen.

Besonders effektvoll:

"farblos in Papier gepresste Blüten" - schon farblos bevor gepresst

"das graue Fleisch, aus dem ich stamme"

Ein paar Vorschläge/Kritikpunkte dennoch:

"Gespenster der Vergangenheit." - das ist mir doch etwas zu kitschig

"Seh Lippen, die das Lächeln schon verloren,
eh noch ein Lachen je den Mund verließ," - macht für mich irgendwie keinen Sinn, rein logisch *grübel*

"Das graue deutsche Fleisch, das ich verdamme,
das Fleisch, in dem ich selbst gefangen bin." - Die dritte Wiederholung von Fleisch finde ich zuviel. Ich würde in der letzten Zeile sowas schreiben wie: "in dem ich selbst in mir gefangen bin" oder "weil auch ich selbst darin gefangen bin" etc.

Lg presque
 

helmut ganze

Mitglied
s.o.

Lieber viktor,

vielen Dank für deinen Hinweis auf den Link. Ich werde versuchen, ihn zu entschlüsseln.

Liebe Grüße
Helmut
 
H

Heidrun D.

Gast
Lieber Deutschbert ;),

das ist aber auch wirklich ein besonders "grusliges" Foto! Die Konterfeiten schauen mit angestrengter, übergroßer Ernsthaftigkeit in die Gegend und mir bleibt nur zu hoffen, dass du ein etwas fröhlicherer Mensch bist ...

Herzliche Grüße
Heidrun
 

viktor

Mitglied
liebe heidrun,
es ist ein ölbild auf holz, das ich von einem foto abgemalt habe. es dürfte vom anfang des 20. jhdts. stammen...
liebe grüße
viktor
 
H

Heidrun D.

Gast
Oh je,

mit beiden Beinen in die Künstlerehre getreten?

Da ich aber selber fotografiere & male weiß ich natürlich, dass alte Fotografien stets sehr gestelzt wirken, weil die Protagonisten lange Zeit in Regungslosigkeit verharren mussten.

Für eine Ausstellung über die Historie eines Nachbarstädtchens habe ich mal Ähnliches gemacht. - Auf dem Foto hatte man den Leuten Musikinstrumente in die Hand gegeben; es war allerdings auf den ersten Blick erkennbar, dass man diese so nicht bespielen könne.

Dementspechend strahlte auch mein Gemälde Leblosigkeit ab, die aber, wenn es zum Thema passt, ihren eigenen Reiz haben kann.

Wie es ja bestimmt auch bei deinem Ölbild der Fall ist! ;)

Freundlichverpinselte Grüße
Heidrun
 



 
Oben Unten