Das böse Wort

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Elbbatz

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"Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Gewiss, die Höhenlage und die Wiesenhänge unter Birken und Eichen, Linden und Ahornbäumen haben mir gleich gefallen. Aber das winzige rechteckige Schwimmbecken fand ich schrecklich. Da zog ich mir die Wostra vor, draußen in Kleinzschachwitz. Dort kann man in einer ehemaligen Kiesgrube hinaus schwimmen, von Boje zu Boje."
Der Mann verstummte. Er hatte sich mit einem Früchtetee auf den freien Stuhl des Zweiertischs am Imbisskiosk im FKK-Bad Dölzschen gesetzt und einfach losgeredet. Langsam, ein wenig melancholisch. Dabei tat er so, als setzte er ein unterbrochenes Gespräch fort. Doch sie kannte ihn nur vom Sehen. Er war wie sie Stammgast in diesem Bad. Über die Fünfzig hinaus, ziemlich braun, kurz geschnittene weiße Haare. An der rechten Hand trug er einen Ehering.
"Ich kam 2002 das erste Mal her, als die Wostra wegen des Hochwassers geschlossen hatte. Nach und nach habe ich mich an den kleinen Pool gewöhnt. Und die Hänge, wo man zwischen Sonne, Schatten und Halbschatten wählen kann, sind wunderbar. Ich kann meine Arbeit zum großen Teil hier machen: Bücher lesen, als Kritiker für eine Tageszeitung."
Er schob den leeren Teller weg. Seine Augen, von undefinierbarer Farbe zwischen Braun und Grün, gingen hinauf in den wolkenlosen blauen Himmel, von dem die Sonne wie schon seit Tagen erbarmungslos hernieder brannte.
"Natürlich schaue ich nicht nur in die Bücher. Ich dusche, schwimme, tauche und freue mich meines Lebens. Manchmal liege ich auch einfach da und lasse die Augen schweifen. Aber ich bin kein Voyeur. Ich nehme sogar die Brille ab, ehe ich mich umsehe. Frauen in unmittelbarer Nähe sind sowieso tabu, und von allen anderen erkenne ich ohne Brille nur die Umrisse. Mehr will ich auch gar nicht. Es gibt da ganz andere Typen. Schauen Sie sich den Kerl dort an, den mit dem Buch auf dem Schoß. Ja, auf der Bank am Bademeisterhäuschen. Der liest nicht wirklich. Nein, der beäugt die jungen Muttis, die mit ihren Kleinen im Planschbecken spielen. Das ist seine neueste Masche. Voriges Jahr ist er noch über die Wiese gezogen, ein Handtuch überm Arm, hat scheinheilig zum Himmel empor geblickt, als wolle er den Sonnenstand prüfen, und sich dann unweigerlich nur Zentimeter unterhalb eines weiblichen Beckens platziert. Es dauerte meist eine Weile, bis die Betreffende ihn bemerkte. Manchmal genügte ein strafender Blick, damit er verschwand. Wenn nicht, drehte sie sich halt weg oder suchte sich ein neues Plätzchen. Und er zog weiter zum nächsten Objekt. Jetzt sitzt er am Planschbecken und hat trotzdem seine Abwechslung. Er sucht gynäkologische Einblicke – ich finde das pervers. Mir geht es um etwas ganz anderes. Das Schlüsselbein und die Schulterblätter, die Kniekehlen und die Nackengegend einer Frau gehören zum Schönsten, was es auf dieser Welt gibt. In einer Reihe mit Rosen und Kindern oder den berühmtesten Bildern und Bauwerken."
Es war sengend heiß. Sie trank ihre Apfelschorle aus und spielte mit dem Gedanken, aufzustehen und zu gehen. Aber irgend etwas an der Redeweise des Mannes hielt sie fest.
"Ich sehe die schöne Kontur, nicht mehr und nicht weniger. Ein einziges Mal war alles anders, Ende Juni oder Anfang Juli. Da hatte ich die Brille noch auf, mein Buch gerade weggelegt. Und sah eine traumhafte junge Frau. Man redet ja manchmal von den ‚Kindfrauen.’ Aber für solche Lolitas mit mageren Körpern und wissenden Blicken interessieren sich nur Männer, die am liebsten Kinder schänden würden. ‚Mädchenfrau’ – das würde es schon eher treffen, denn sie vereinte die Anmut eines Mädchens mit dem Charme einer Frau. Ehe ich die Brille abnahm, bemerkte ich, dass sie freundlich zu mir herüber sah. Ich habe das nicht überschätzt. Wahrscheinlich hat sie meine Bewunderung bemerkt und sich ein wenig darüber gefreut. Mehr war nicht. Ich bin schüchtern. Am nächsten Tag kam sie später als ich und breitete ihre Decke in meiner Nähe aus. Nicht meinetwegen natürlich, aber immerhin war ich kein Grund, dass sie ihren gewohn-ten Platz aufgab. Wieder trafen sich unsere Blicke. Da sagte ich mir, überwinde dich dieses eine Mal, sprich sie an! Zwar hatte ich Angst vor den neugierigen Mienen der Leute ringsum, wenn ich zu ihr ging. Doch ich beschloss, leise bis hundert zu zählen. Dann stand ich tatsächlich auf. Und musste mit ansehen, wie ein schwarzhaariger junge Mann, der weiter weg gelegen hatte, lächelnd auf sie zuging. Zunächst hockte er neben ihr, dann legte er sich ins Gras. Sie redeten und lachten. Schließlich holte er seine Sachen und breitete sein Handtuch neben ihr aus. Dann gingen sie zusammen zum Kiosk, übrigens an diesen Tisch hier. – Ach, möchten Sie noch etwas trinken?“
Sie sagte, noch eine Schorle wäre nicht schlecht. Er nahm die Gläser und musste eine Weile anstehen, ehe er sie gefüllt wiederbrachte.
"Zufällig hatte ich mitgehört, wie sie am Handy jemandem ihre Adresse nannte. Am Abend hielt ich es zu Hause nicht aus. Ich fuhr zu ihrem Haus, direkt an einer Haltestelle der Straßenbahn. Als ich zu den Fenstern hinauf sah, stand auf einmal der junge Mann neben mir, einen Rosenstrauß in der Hand. Er musterte mich von Kopf bis Fuß. "Sagen Sie mal, stellen Sie etwa meiner Kirsche nach?" Ich schwieg. Er grinste. "Altersgeilheit muss schlimm sein."
Nie im Leben bin ich mir so gedemütigt vorgekommen. Dann sah ich, dass er klingelte. Und die bloße Tatsache, dass er noch keinen Hausschlüssel hatte, half mir. Ich konnte wieder klar denken und schlüpfte hinter ihm ins Haus.
Tags darauf kam sie allein ins Bad. Immer wieder blickte sie zum Eingang und auf die Uhr. Nach einiger Zeit stand ich auf, ohne auch nur bis drei zu zählen, und ging zu ihr. "Nehmen Sie es nicht so schwer! Die Männer kommen und gehen, aber Ihre Schönheit bleibt." Natürlich war sie viel zu jung, das versteckte Stalin-Zitat zu erkennen.
Sie warf mir einen finsteren Blick zu. "Lassen Sie mich in Ruhe, Sie altersgeiler Sack!"
Da war es wieder, das böse Wort! Aber diesmal warf es mich nicht aus der Bahn. Erhobenen Hauptes ging ich zu meinem Platz zurück.“
Sie sah ihn lange an. "Und das ist das Ende der Geschichte?"
"Beinahe. Die junge Frau ist auch heute da. Allein. Und das Ende kommt bald. Nichts wird offen bleiben."
Er stand auf, nickte ihr zu und ging zum Ausgang. Sie blickte ihm nach, dann sah sie seine Brieftasche auf dem Tisch liegen. Sie griff danach. Ein Personalausweis glitt heraus. Das Passbild zeigte einen jungen Mann mit schwarzen Haaren. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Im gleichen Augenblick hörte sie das Quietschen einer Bremse und mehrere spitze Schreie. Sie begann zu zittern.
Vom Eingang kam eine dicke Frau herangewankt und ließ sich schwer atmend auf den freien Stuhl sinken. "Furchtbar! Da ist einer geradewegs in den Lieferwagen gelaufen, der Getränke ins Bad bringt. Geradewegs! Das muss Absicht gewesen sein. Irgend etwas hat er nicht mehr ausgehalten. Ehekrach. Oder Krebs. Es gibt ja so viel Elend auf der Welt."
"Manchmal reicht ein böses Wort, und zwei Menschen müssen sterben."
Sie hatte das vor sich hin gemurmelt. Als die andere nachfragte, winkte sie ab. "Schon gut. Die Hitze macht uns noch alle fertig."
 

Amadis

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Stolpersteine!!

hallo,
beim lesen des textes kommen mir vorrangig leider weder konstruktive vorschläge, noch spontane leseeindrücke in den sinn. dafür stören die vielen unmotivierten trenn- und schrägstriche viel zu sehr. ich finde, es ist doch nicht zu viel verlangt, wenn bei einem derart kurzen text wenigstens die "technik" stimmt, oder? (ohne den inhalt zu beurteilen!) du solltest demnächst vor der veröffentlichung solche stolpersteine entfernen. ich schätze, du arbeitest mit word oder einem ähnlichen textverarbeitungsprogramm und hast die automatische silbentrennung aktiviert. wenn du die deaktivierst, verschwinden zumindest schon einmal die sinnlosen trennstriche. ansonsten wäre es auch nicht soooo viel arbeit, die unnötigen zeichen nach dem einkopieren des textes manuell zu löschen, denn der text ist ja recht kurz. so wie er jetzt ist, wirst du wenig resonanz finden ...

gruß
mike
 

Der Autor

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das gute Wort

Also zuerst möchte ich dich für deine Geschichte loben.
Es war sehr interessant zu lesen, obwohl sie so kurz war.
In diesem Fall würde ich auch sagen, sollte die Geschichte auch so sein.
Auch dein Schreibstil gefällt mir, sehr bildhafte Beschreibungen.
Und die Distanz zu der Frau und dem Leser erfüllt auch seine Aufgabe. Es trägt-meiner Meinung nach-entscheidend zu der Story bei.
Was ich mir vielleicht besser gewünscht hätte, wäre jedoch, eine etwas(nur klein wenig vielleicht) mehr fassungslosere Reaktion der Frau am Ende, als sie erfuhr, dass der alte Mann den Schwarzhaarigen getötet hat, aber ansonsten, wirklich, deine Geschichte finde ich gelungen.
 



 
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