Das erste Mal

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mavys

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Das erste Mal





Der Regen war zu hören, wie er das Dach trommelte. Jack Johnson drehte sich leise im CD-Player und nie hätte er gedacht, dass dieser Abend einen Mann aus ihm machen sollte. Nicht weil er wirklich eine Erkenntnis darüber erlangte was einen Mann wirklich ausmachte. Sondern weil er zum ersten Mal die Liebe fühlte, die wahre, die, die einzige ist. Und weil diese Art Liebe jede Frau zur Frau werden läßt und jeden Mann zum Mann. Nie hätte er gedacht er könnte diese Nähe ertragen. Nie hätte er gedacht er könnte sich so einsam fühlen wie er es jetzt tat.
Maik saß vor dieser geschlossenen Tür. Er stand auf und nahm sich die halbvolle Weinflasche vom Tisch. Die beiden Weingläser blieben stehen. Er war gerade zwanzig geworden und die Tatsache, dass er Wein bevorzugte machte ihn in seiner Altersstufe zur Ausnahme. Irgendwie war er stolz auf seinen Geschmack und ziemlich sicher, dass er sich von dem der anderen unterschied.
„Willst du Wein?“ Rief Maik zur Tür und trank einen guten Schluck aus der Flasche.
Doch auch seine ganze Erfahrung, die er den Leuten in seinem Alter voraus hatte, schützten ihn jetzt nicht davor sich lächerlich zu fühlen, notgeil, unreif.
„Ich nehme das als nein“, rief er als von der Tür keine Antwort kam. „Ich liebe dich.“ Fügte er hastig, hinzu.
Er setzte sich wieder neben die Tür und war plötzlich ganz froh, dass sie zwischen ihnen stand. Er lächelte über den Gedanken, dass er sich mit dieser geschlossenen Tür freier fühlte. Freier Dinge zu sagen, die sich drückend auf den Kehlkopf pressen. Worte wie Knoten. Sätze wie ‚ich liebe dich‘ oder wie ‚ich will mit dir leben‘.....
„Ich verstehe, dass du Angst hast...... Bei meinem ersten Mal hatte ich auch total Schiss. Aber ich war auch so neugierig.“ Was soll das denn jetzt? Fragte er sich und trank noch einen Schluck. Irgendwas Großes ging in ihm vor, doch er wußte nicht was. Maik wußte, es war nicht der Fick, der heute stattfinden sollte; es war auch nicht die gewohnte Rolle als Entjungferer, die ihn nervös machte. Irgendetwas Großes ging in ihm vor und er suchte danach. Komisch das es so seltsam wehtat.
„Ich hab das noch nie erlebt, ehrlich. Weißt du ich würde gerne mit dir schlafen. Ich bin total geil auf dich.... Aber ich fühle soviel weißt du? Ich bin verwirrt. Ich möchte dir soviel sagen und wenn du wirklich nicht willst, dann tun wir es nicht heute. Ich will dich nicht bedrängen ich will nur..... Ich will, dass du glücklich bist.“ Er war überrascht. Während man dachte, wie man jemanden seine Liebe, seine Gefühle darlegt, wirkte alles so verrückt, lächerlich und unsagbar. Doch während man sprach, erfüllte einen Ruhe, irgendetwas Richtiges ging in ihm vor.
„Wenn du raus kommen willst, komm ruhig. Wenn du gehen willst, geh. Ich will, dass du frei bist.... Wenn du mir einen Gefallen tun willst, bleib noch drin. Wenn ich dir nicht so direkt in die Augen gucken muß, kann ich irgendwie besser reden....... Ich fühle soviel...“
Plötzlich war er ganz traurig, weil er kurz dachte er könnte den Mut nicht aufbringen so sehr zu lieben. Die Angst vor Enttäuschung war da und er kratzte an der grünen Weinflasche als ob er glaubte er könne dadurch ein bißchen Hoffnung unter seinen Fingernägeln sammeln.
„Dein erstes Mal. Hört sich das nicht schön an? Du hast Kerzen gekauft. Wir haben Musik und gekocht. Wir haben Wein und ich liebe dich. Alles ist perfekt. Und nur weil du dich schämst, werde ich dich nicht weniger lieben, im Gegenteil...“ Er schämte sich seiner Worte, doch er wollte diese Chance nicht verstreichen lassen. Er wollte Sex. Doch er wollte soviel mehr. Vor allem wollte er geben. Und in dem Moment wo er sich eingestand, dass er nur geben wollte, bereit war sich völlig auf zu geben, aus Liebe, in dem Moment war er zum ersten Mal in seinem Leben zufrieden. Er ging ein Paar Schritte im Zimmer herum und blieb vor einem Spiegel stehen und lächelte sich an. Er hätte die Zeit gerne angehalten. Da er das nicht konnte, fühlte er schon im nächsten Augenblick eine starke Sehnsucht nach Umarmung. Der Regen hatte sich in Hagel verwandelt und prasselte so laut auf das Dach, das er die Musik übertönte.
„Komm raus, bitte. Ich möchte dich sehen..... ich glaube ich habe keine Angst mehr. Weißt du, dass ich zum ersten Mal zufrieden mit mir bin? Ich glaube, ich liebe zum ersten Mal.... Und es fühlt sich an als könnte ich dich für immer lieben.... Natürlich, ich weiß nicht was wird aber jetzt gerade fühlt es sich so an......“ Die Scham wich nicht. Maik trank einen Schluck und suchte nach Worten. Nur Worte konnten ihm das Fieber nehmen, diese große Angst. Er hatte schon ein großes Stück gewagt und die Tür, die glanzweiß, glatt die Flamme der Kerzen reflektierte schwieg. Er schöpfte Mut aus ihrem Schweigen, berührte sie mit der flachen Hand und legte ein Ohr auf ihre kalte Oberfläche. Er fand einen Satz und war belustigt über den Knoten in seinem Hals, den die unausgesprochenen Worte flochten. Die Angst schien besiegt. Ihr war der Schrecken genommen.
„Weißt du?“ Begann er mit fester Stimme. „Ich will mit dir leben.....“, sagte er und die Stimme zitterte. Doch es machte ihm nichts mehr aus. Mit einem Lächeln auf den Lippen holte er seine Zufriedenheit zurück und die Sehnsucht trat in den Schatten. Der Hagelschauer verlor seine Kraft. Sein leises Knistern begleitete die letzten Klänge der Musik und dann war Stille. Und als hätte er nur darauf gewartet um sich Gehör zu verschaffen, trat diese Duft von gebackenem Käse in den Raum.
„Ich glaub, die Pizza ist fertig. Ich geh´ mal schnell nach unten.“ Eine Weile passierte nichts, nur Geklapper aus der Küche drang nach oben.
Er stellte das Blech auf den Tisch. Und da er den Raum unverändert fand. Nahm er sich die Weinflasche und die Zigaretten und setzte sich neben die Tür.
„Bleib ruhig drin..... Bist du eingeschlafen? Hallo!“ Maik klopfte an die Tür. Irgendwie hatte er das Gefühl er könne alles schaffen. Maik hatte Mut.
„Jetzt komm halt raus. Ich werd` langsam sauer ..... irgendwie.“ Und schon war alles wieder weg. Lustig, dachte er, wie Achterbahn fahren, nur nicht so laut. Maik saß da wie vorher, neben der Tür, kratzend an der grünen Weinflasche. Auf der Sehnsucht war ein Spot gerichtet und Sein Blick fing sich in den geraden Fugen des Dielenbodens. Er zog an der Zigarette und fühlte sich so fern von ihm. Und gerade als er bereit war, die Zufriedenheit als Illusion zu betrachten; gerade als seine Sehnsucht und seine Sinnsuche den größten Zweifel in Form eines spitzen Stachels entdecken wollten, schob sich die Tür leise quietschend auf. Maik sprang auf und sie standen sich eine Ewigkeit schweigend gegenüber, denn die Augen redeten zu laut als das man Worte hätte verstehen können. Maik küßte ihn auf den Hals und umarmte ihn wie etwas Zerbrechliches.
„Lass uns essen!“ Sagte er noch.
 

Ralf Langer

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hallo mavys,

mir gefällt die Art und Weise wie du diese Geschichte in Szene
gesetzt hast.
Die Situation sozusagen zwischen Tür und Angel.
das wie ein selbstgespräch geführte Reden des Prot
mit dem unsichtbaren Anderen hinter der Tür.

Das Alles ist gefällig und auch angenehm zu lesen.

Allein der Plot ist mir zu aufdringlich:
Mag sein das es daran liegt , das ich als Hetero etwas außen vor stehe.

Ich weiß auch nicht ob es diesen Plot nötig hat.
Denk mal darüber nach, wenn du magst, ob sich das Ende nicht offener stellen lässt.

Die Frage ob schwul oder nicht schwul, ist glaube ich nicht die existentielle Problematik des Prot.

Gerne gelesen
Ralf
 
Realistisch?

Der Text gibt sich realistisch - aber wie realistisch sind ein solcher Ablauf und insbesondere ein solcher Monolog? Falls Überrumpelung des Lesers beabsichtigt war, so ist sie in meinem Fall gelungen. Bis zum vorletzten Absatz (einschließlich) stand für mich zweifelsfrei fest: Hinter der Tür befindet sich eine Sie. Falls mich meine eigenen Erinnerungen nicht trügen, läuft zwischen aneinander interessierten jungen Männern ganz anderes ab, auch im Verbalen.

Stellt man beim Aufbau der Handlung nicht die erwartete Leserreaktion in den Mittelpunkt, sondern das Thema einer solchen Begegnung an sich, wird man also etwas anders vorgehen.
Das könnte z.B. im Andeuten einer Coming-out-Situation und den damit verbundenen Problemen bestehen. Nur andeuten - der Leser soll sich nachher sagen können: Warum habe ich es nicht gleich bemerkt ... Hier ist er eher in der Situation eines Menschen, der einem vermeintlichen Staubsaugervertreter die Wohnungstür geöffnet hat und dann wird ihm ein Zeitschriftenabonnement aufgeschwatzt.

Trotzdem den Text mit Neugier und gewisser Spannung zu Ende gelesen ...

Arno Abendschön
 



 
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