Das falsche Körbchen

Raniero

Textablader
Das falsche Körbchen

„Sie wünschen, bitte“, richtete die Verkäuferin der größeren Feinkosthandlung die Frage an Hubert Heckenschrot, den älteren Herrn, der, sich mit distinguiertem Blick umschauend, in die kleine Käuferschlange eingereiht hatte.
„Oh, bin ich schon dran“, freute er sich und warf verschämt einen Blick auf seinen Einkaufszettel, „zweihundert Gramm Krautsalat, bitte“.
„Noch einen Wunsch?“ wollte die Dame hinter der Theke wissen und legte den Salat in ein Plastikkörbchen.
„Oh, ach ja“, blickte der Kunde zerstreut auf seinen Zettel, „dreihundert Gramm Wurstsalat, bitte“.
„Sonst noch etwas?“ fragte die Verkäuferin, wog den Wurstsalat ein, packte ihn ein und packte ihn ebenfalls in den Korb.
„Ja, warten Sie mal. Aha, da steht’s; fünfhundert Gramm Spargel, bitte“.
„Den Spargel bekommen Sie bei meiner Kollegin nebenan, an der Gemüsetheke. Haben Sie noch einen Wusch an Delikatessen?“
„An Delikatessen?“ zeigte sich der Mann irritiert.
„Ja, hier bei mir“, lachte die Verkäuferin.
Wiederum nahm der Kunde seinen Zettel zur Hand.
„Ach, so, nein danke, das wär’s hier bei Ihnen“.
„Bitte schön“, antwortete die Verkäuferin und reichte das Körbchen ihrer Kollegin weiter, „Körbchen fünfzehn“, rief sie dem Kunden hinterher, der sich unsicheren Schrittes Richtung Gemüsetheke bewegte.
Auch an dieser Theke, bei der nächsten Verkäuferin, einer üppigen Blondine, las Hubert fein säuberlich all die Einkaufswünsche ab, die ihm seine Frau daheim aufgetragen hatte. Endlich war sie abgearbeitet, die lange Liste.
„Das wär’s dann“, bestätigte er, unendlich erleichtert.
Die junge Dame packte die Waren zusammen.
„Welches Körbchen, der Herr?“
„Wie bitte, Sie meinen?“ fragte Hubert zurück.
„In welches Körbchen soll ich das Gemüse legen? Meine Kollegin hat Ihnen doch bestimmt eine Nummer angegeben, für Ihr Körbchen“.
„Mein Körbchen? Meine Nummer?“
Hubert verstand nicht so recht.
Allerdings war das nicht verwunderlich, denn sooft ging er nicht alleine einkaufen.
Eigentlich war es das erste Mal, dass er ein Feinkostgeschäft ohne die Begleitung seiner Frau betrat, denn er gehörte zu einer Spezies von Ehemännern, die lieber draußen warten, im Auto, nach dem Motto: Hier darf ich nicht rein. Nun aber, in dieser Situation, schien er doch überfordert, denn mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet, der pensionierte Mathematiklehrer.
Was wollte denn die vollbusige Verkäuferin mit ihrem Körbchen?
Oder hatte er sich verhört, und sie hatte sich im Plural ausgedrückt und etwas anderes gemeint, etwa ihre eigenen…..? Aber doch nicht hier, im Ladenlokal.
Die Frau hinter der Theke zeigte sich geduldig; sie verfügte über genug Erfahrung mit derartigen Kunden: „Sehen Sie, mein Herr, das verhält sich so. Jeder Kunde hier bei uns bekommt zu Beginn seines Einkaufs ein nummeriertes Körbchen zugewiesen, in welches wir all seine Waren hineinlegen von den verschiedenen Abteilungen, an denen, wie Sie sehen, jeweils andere Kolleginnen arbeiten. Wir müssen das so machen, sonst verlieren wir einfach die Übersicht, besonders bei Hochbetrieb, verstehen Sie? So, anschließend wandert dieses Körbchen zur Kasse, und der Kunde wird dort aufgerufen, ich meine, die Nummer seines Körbchens, die er sich vorher gemerkt hat“.
Hubert hatte sich diese Nummer nicht gemerkt; ein wenig beschämt gestand er es ein.
„Sie gehen wohl nicht allzu oft einkaufen, was?“ lachte die nette Dame.
Hubert bekam einen roten Kopf und bestätigte die Mutmaßung.
„Aber das macht ja nichts, ich frage mal nach. Ursula, was hat der Kunde hier für eine Nummer?“
Die Kollegin von der anderen Theke schaute kurz herüber.
„Das weiß ich auch nicht mehr. Das muss er doch selbst wissen“, blickte sie Hubert vorwurfsvoll an, „was hat er denn gehabt?“
Hubert bezog diese in der dritten Person gestellte Frage auf sich und zog aufgeregt den Zettel aus der Tasche. Verdammt, was war das denn noch.
Aha, da steht’s ja noch.
„Zweihundert Gramm Krautsalat und dreihundert Gramm Wurstsalat“, verkündete er nicht ohne Stolz.
Die erste Verkäuferin sah kurz die Körbchen auf der Ablage durch.
„Körbchen acht, das hatte ich ihm aber gesagt, laut und deutlich“.
„Ist ja gut, Ursula“, antwortete die zweite Verkäuferin.
„Körbchen acht?“ platze es aus Hubert Heckenschrot heraus, „das geht nicht, meine Damen“, rief er lautstark, „das kann ich nicht akzeptieren“.
„Wie bitte“, entgegneten beide Verkäuferinnen gleichzeitig, mit ungläubigem Staunen.
„Weißt du, was der meint, Gisela?“ rief die erste Verkäuferin, so laut, dass es im gesamten Laden zu hören war.
„Ich meine damit“, beeilte Hubert sich, zu erklären, „dass ich, so Leid es mir tut, diese Nummer, die Sie genannt habe, nicht so ohne weiteres hinnehme. Nicht ein solch ordinäre Zahl“, fügte er hinzu.
Mittlerweile waren auch die Verkäuferinnen hinter den anderen Theken aufmerksam geworden, wie auch zahlreiche Kunden, auf den sich anbahnenden Disput. Was war das denn für ein Kauz, der die ihm zugeteilte Zahl für ein schlichtes Einkaufs- körbchen verweigerte.
„Sie müssen wissen“, fuhr Hubert ungerührt fort, „ich habe mein ganzes Berufsleben verbracht, mit ganz anderen Zahlen und Ziffern, als ehemaliger Mathematiklehrer, und daher stelle ich gewisse Ansprüche, da können Sie mir nicht mit so einer schnöden, einfachen Zahl daher kommen. Ich schlage Ihnen daher in aller Freundschaft vor, mein Körbchen mit einem anderen mathematischen Wert zu benennen“.
Mit einem anderen mathematischen Wert zu benennen?“ wiederholte Ursula, die Verkäuferin, die Hubert zuerst bedient hat, und schüttelte sich vor Lachen.
„Haben Sie das gehört, meine Herrschaften“, rief sie amüsiert, „der Kunde hier ist nicht mit der Zahl von seinem Körbchen zufrieden, der will was Besonderes. Was darf’s denn sein“, wandte sie sich an Heckenschrot, „eine mathematische Formel vielleicht?“
Hubert überhörte die Ironie.
„Es muss keine Formel sein, eine Bezeichnung aus der Geometrie tät’s auch. Was halten Sie von phi, beispielsweise oder delta oder lamda?“
„Lamda!. Ich kenn wohl Lambada“.
Das ganze Ladenlokal brach in lautes Gelächter aus.
„Wollen Sie ein Körbchen mit der Aufschrift Lambada? Dann müssen Sie aber vorher mit mir tanzen“.
„Also hören Sie mal“, wurde Hubert ungeduldig, „das ist nicht die seriöse Art, wie Sie mich behandeln. Für mich ist der Spaß zu Ende, ich meine das im Ernst. Wollen Sie bitte so freundlich sein und meinen Wunsch erfüllen; es muss doch möglich sein, mir statt einer ordentlichen Zahl einen imaginären Wert zuzuweisen“.
„Jetzt habe ich aber die Faxen dicke!“
empörte sich Ursula, nahm den Korb mit der Nummer acht, in welchem sich Huberts Salate befanden und schob ihn mit einem derart energischen Ruck die Ablage entlang, dass dieser sich hochkant stellte; hierbei purzelten die Salate heraus.
Während das halbe Ladenlokal lospustete, vor Lachen, blickte Hubert fasziniert auf das umgekippte Körbchen, dessen Nummer sich gedreht hatte und nun eine liegende Acht bildete.
„Ich danke Ihnen, unendlich, meine Damen“, strahlte er über das ganze Gesicht, „sehen Sie, es geht doch“.

Beim Hinausgehen fasste er den Entschluss, dieses Geschäft künftig des öfteren aufzusuchen.
 



 
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