Das goldene Drachenei

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Das goldene Drachenei

Die Drachenfrau Talia kannte viele Geschichten und jeden Abend erzählte sie ihrem Sohn Terzo mindestens eine. Terzo hörte stets gebannt zu und oftmals träumte er in der Nacht von den Geschichten. Dann war er ein starker großer Drache, dessen Flugkünste von allen bewundert wurden und den die Drachenmädchen mit schwärmerischen Blicken bedachten. Oder ein Held, der ein ganzes Dorf vor bösen, feuerspeienden Monstern beschützte und von allen bejubelt wurde. Terzos Lieblingsgeschichte aber war die von dem goldenen Drachenei. Immer wieder bat er seine Mutter, sie ihm zu erzählen.
Eines Tages beschloss Terzo, das goldene Drachenei suchen zu gehen. Das goldene Drachenei zu besitzen würde ein auf ewig sorgenfreies Leben bedeuten, denn wer es fand, würde für immer Glück haben. Und Glück konnte Terzo gerade wahrlich gebrauchen. Seine Flügel waren noch viel zu klein, um ans Fliegen überhaupt denken zu können und die Kinder, mit denen er tagsüber gern spielte, liefen viel schneller als er. Da nützte es auch nichts, dass seine Mutter ihm erklärte, dass er in einigen Jahren ganz bestimmt fliegen könnte und damit jeden Läufer überholen würde. Und ihr Argument, dass er mit seinen kurzen Beinchen viel besser durch kleine Öffnungen schlüpfen konnte, tröstete ihn genauso wenig.
Zuerst ging Terzo in den Wald, schaute unter Steine und in hohle Baumstämme, doch alles, was er fand, war ein Ameisennest. Die durch die Störung wütenden Ameisen setzten ihm so zu, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als in ein nahes Bächlein zu flüchten. Und das, wo er Wasser doch so hasste! Niesend und prustend watete er am anderen Ufer an Land. Wenn seine Beine doch nur länger wären! Dann hätte er jetzt keinen nassen Bauch. Wenigstens war heute ein sehr warmer Tag und er somit bald wieder trocken.
Doch trotz dieses unerfreulichen Zwischenfalls wollte Terzo noch nicht aufgeben. Er lief durch Felder und dann zum Strand. Seine Welt bestand nur aus der Insel, auf der er aus dem Ei geschlüpft war, also war für ihn klar, dass das goldene Drachenei irgendwo hier sein musste. Aber auch in dem Sand, den er durchwühlte und bei den Klippen, wo er unter Steine schaute, fand er nichts. Lediglich einen großen roten Krebs schreckte er auf, der ihn daraufhin verärgert in die Nüstern zwickte.
Aufjaulend schüttelte Terzo den Kopf, so dass der freche Krebs weit von ihm geschleudert wurde und mit einem lauten Platschen im Meer landete. Er schielte auf seine Nüstern und schnaufte und schniefte, was ihm, ebenso wie der Schmerz in ihnen, bewies, dass sie noch da waren.
Terzo trabte weiter am Strand entlang. Nachdem er nun schon so viel durchlitten hatte, wollte er nicht aufgeben.
Es wurde dunkel und plötzlich spürte Terzo einen leichten Windzug. Seine Mutter war neben ihm gelandet. „Was läufst du denn so spät noch durch die Gegend?“, fragte sie.
„Ich suche das goldene Drachenei“, erwiderte Terzo und war froh, sie zu sehen. Mutter wusste immer auf alle seine Fragen eine Antwort. „Weißt du, wo ich es finden kann?“
„Oh mein Liebling, das ist doch nur eine Geschichte. Es gibt keine goldenen Dracheneier.“
„Was?“ Terzo starrte sie groß an.
„Wirklich, mein Liebling. Es ist nur eine Geschichte, nicht mehr und auch nicht weniger.“ Talia sah die Enttäuschung auf dem Gesicht ihres Sohnes. „Und du brauchst auch kein goldenes Drachenei, um glücklich zu sein. Du hast Freunde, die bedeuten Glück, genauso wie die Strahlen der Sonne und der Duft einer Blume.“
Terzo dachte daran, dass das Spielen mit den Kindern sehr viel Spaß machte. Mit einem goldenen Drachenei konnte man sicher nicht verstecken oder fangen spielen. Und es konnte auch nicht reden, um Geschichten zu erzählen. „Ja, ich glaube, du hast recht. Aber richtig glücklich wäre ich, wenn du mir jetzt eine Geschichte erzählst.“
Talia lachte und kam seinem Wunsch gern nach.


ENDE
 



 
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