maerchenhexe
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Das letzte Mal
Vier Uhr früh, kalt und Nieselregen. Fünfzig war sie jetzt, kalendarisch gesehen, würde sie jemand fragen, wie sie sich fühlte, wäre ihre Antwort „ wie sechzig“ und „ verbraucht wie mit siebzig“. Seit sechsunddreißig Jahren ging sie diesen Weg, Tag für Tag, bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit.
Heute würde sie ihn zum letzten Mal nehmen, denn ab morgen gab es ihn nicht mehr, „ihren Betrieb“, mit morgigem Datum waren sie und ihre Kollegen abgewickelt. Das Unternehmen selbst, hatte bereits eine neue Niederlassung innerhalb der EU eröffnet. „Die arbeiten da für zwei Euro die Stunde und machen unbezahlte Überstunden. Und diesen völlig unternehmerfeindlichen Kündigungsschutz gibt es dort auch nicht“, hatte der Firmeninhaber ihnen als Begründung für die Schließung genannt.
Ihre Gedanken wanderten zurück... „Du bist vierzehn und mit der Schule fertig“, hatten ihre Eltern damals gesagt, „eine Lehre ist für dich völlig überflüssig. Du heiratest sowieso, bekommst Kinder, bist dann Hausfrau und dein Mann verdient das Geld für die Familie. Besorg dir eine Stelle in der Fabrik, dann verdienst du sofort gutes Geld, kannst für deine Aussteuer sparen und Kostgeld abgeben.“
Wie damals so üblich hatte sie das getan, was die Eltern sagten; sie hatte die Stelle in der Fabrik angenommen, hatte gutes Geld verdient, für die Aussteuer gespart und Kostgeld abgegeben.
Mit achtzehn hatte sie Bernd Hagemann geheiratet; der arbeitete auch in der Fabrik, war acht Jahre älter, fleißig und zuverlässig. Deshalb war er auch schon Vorarbeiter. Ein Jahr später waren sie Eltern von Zwillingen und zogen zur Miete in das Fabrikarbeiterhäuschen, das neben ihren Eltern frei geworden war. „Ist doch gut so“, hatte Bernd gesagt, „dann kann deine Mutter vormittags auf die Zwillinge aufpassen und du kannst halbtags noch ein paar Mark dazuverdienen.“
Sie machten es, wie Bernd gesagt hatte, und von ihrem Dazuverdienten kauften sie sich drei Jahre später einen gebrauchten Kleinwagen. „Klein, aber mein, “ hatte Bernd lachend gesagt, als sie ihn beim Händler abholten.
Sechs Wochen später klingelte es spätabends an ihrer Haustür. Schlaftrunken stand sie vom Sofa auf und dachte: „Ausgerechnet auf der Spätschicht vergisst er seinen Schlüssel.“... Vor der Haustür standen zwei Polizisten, die ihre Hüte verlegen in der Hand drehten und ihr in gemessenen Worten mitteilten, dass ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Ein Lkw-Fahrer hatte ihn einfach übersehen.
„Du hast Verantwortung für deine Kinder“, hatten ihre Eltern nach der Beerdigung gesagt, „ eine Lebensversicherung hatte Bernd nicht und Erspartes ist auch nicht da. Frag in der Fabrik nach, ob du wieder auf volle Schicht kannst, dann kommen die Kinder tagsüber zu uns. Ist doch gut, dass wir nebenan wohnen.“
Und genauso wurde es dann gemacht. Während sie ganztags arbeiten ging, wuchsen ihre Kinder größtenteils bei den Großeltern auf. Wegen des Studiums waren beide mit einundzwanzig von zu Hause ausgezogen und sie bewohnte das Fabrikarbeiterhäuschen seitdem allein.
Der Nieselregen hatte aufgehört, nur noch vereinzelte Tropfen warfen Blasen auf in den Pfützen. Fünfzig war sie jetzt, fühlte sich wie sechzig und verbraucht wie mit siebzig. Und ab morgen war sie arbeitslos!
Vier Uhr früh, kalt und Nieselregen. Fünfzig war sie jetzt, kalendarisch gesehen, würde sie jemand fragen, wie sie sich fühlte, wäre ihre Antwort „ wie sechzig“ und „ verbraucht wie mit siebzig“. Seit sechsunddreißig Jahren ging sie diesen Weg, Tag für Tag, bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit.
Heute würde sie ihn zum letzten Mal nehmen, denn ab morgen gab es ihn nicht mehr, „ihren Betrieb“, mit morgigem Datum waren sie und ihre Kollegen abgewickelt. Das Unternehmen selbst, hatte bereits eine neue Niederlassung innerhalb der EU eröffnet. „Die arbeiten da für zwei Euro die Stunde und machen unbezahlte Überstunden. Und diesen völlig unternehmerfeindlichen Kündigungsschutz gibt es dort auch nicht“, hatte der Firmeninhaber ihnen als Begründung für die Schließung genannt.
Ihre Gedanken wanderten zurück... „Du bist vierzehn und mit der Schule fertig“, hatten ihre Eltern damals gesagt, „eine Lehre ist für dich völlig überflüssig. Du heiratest sowieso, bekommst Kinder, bist dann Hausfrau und dein Mann verdient das Geld für die Familie. Besorg dir eine Stelle in der Fabrik, dann verdienst du sofort gutes Geld, kannst für deine Aussteuer sparen und Kostgeld abgeben.“
Wie damals so üblich hatte sie das getan, was die Eltern sagten; sie hatte die Stelle in der Fabrik angenommen, hatte gutes Geld verdient, für die Aussteuer gespart und Kostgeld abgegeben.
Mit achtzehn hatte sie Bernd Hagemann geheiratet; der arbeitete auch in der Fabrik, war acht Jahre älter, fleißig und zuverlässig. Deshalb war er auch schon Vorarbeiter. Ein Jahr später waren sie Eltern von Zwillingen und zogen zur Miete in das Fabrikarbeiterhäuschen, das neben ihren Eltern frei geworden war. „Ist doch gut so“, hatte Bernd gesagt, „dann kann deine Mutter vormittags auf die Zwillinge aufpassen und du kannst halbtags noch ein paar Mark dazuverdienen.“
Sie machten es, wie Bernd gesagt hatte, und von ihrem Dazuverdienten kauften sie sich drei Jahre später einen gebrauchten Kleinwagen. „Klein, aber mein, “ hatte Bernd lachend gesagt, als sie ihn beim Händler abholten.
Sechs Wochen später klingelte es spätabends an ihrer Haustür. Schlaftrunken stand sie vom Sofa auf und dachte: „Ausgerechnet auf der Spätschicht vergisst er seinen Schlüssel.“... Vor der Haustür standen zwei Polizisten, die ihre Hüte verlegen in der Hand drehten und ihr in gemessenen Worten mitteilten, dass ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Ein Lkw-Fahrer hatte ihn einfach übersehen.
„Du hast Verantwortung für deine Kinder“, hatten ihre Eltern nach der Beerdigung gesagt, „ eine Lebensversicherung hatte Bernd nicht und Erspartes ist auch nicht da. Frag in der Fabrik nach, ob du wieder auf volle Schicht kannst, dann kommen die Kinder tagsüber zu uns. Ist doch gut, dass wir nebenan wohnen.“
Und genauso wurde es dann gemacht. Während sie ganztags arbeiten ging, wuchsen ihre Kinder größtenteils bei den Großeltern auf. Wegen des Studiums waren beide mit einundzwanzig von zu Hause ausgezogen und sie bewohnte das Fabrikarbeiterhäuschen seitdem allein.
Der Nieselregen hatte aufgehört, nur noch vereinzelte Tropfen warfen Blasen auf in den Pfützen. Fünfzig war sie jetzt, fühlte sich wie sechzig und verbraucht wie mit siebzig. Und ab morgen war sie arbeitslos!