Das letzte Schöne

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A sudden blow: the great wings beating still
Above the staggering girl, her thighs caressed
By the dark webs, her nape caught in his bill,
He holds her helpless breast upon his breast.

How can those terrified vague fingers push
The feathered glory from her loosening thighs?
And how can body, laid in that white rush,
But feel the strange heart beating where it lies?

A shudder in the loins engenders there
The broken wall, the burning roof and tower
And Agamemnon dead.

Being so caught up,
So mastered by the brute blood of the air,
Did she put on his knowledge with his power
Before the indifferent beak could let her drop?

(Leda and the swan by W.B. Yeats)



Das letzte Schöne

(Ein junges Mädchen läuft über die Bühne. Auf den Armen trägt sie einen schweren Sack. Sie ist dünn und sieht bemitleidenswert aus. Ihre Kleidung ist zerfetzt und schmutzig. Sie schaut sich um und beginnt zu rennen. Dann kommt sie rennend aus einer Ecke der Bühne, blickt zurück und läuft zur anderen Ecke. Als sie zurück auf die Bühne kommt, trägt sie einen Mann huckepack auf dem Rücken. Er trägt einen schwarzen Anzug. Sie geht langsam und gebeugt.)

LITA: Geh weg!

MANN: Ist es nicht ein schöner Tag?

LITA: Geh weg! (Sie fällt auf die Knie. Er bleibt auf ihrem Rücken.)

MANN: Du solltest aufstehen. Wir sind hier nicht in der Kirche. Komm von deinen Knien hoch!

LITA: Du bist nicht hier... Ich sehe dich nicht... Ich höre dich nicht.

MANN: Das ist hier kein Affe auf deinem Rücken. (Er rutscht von ihr herunter. Sie bleibt kniend.) Was machst du da?

LITA: Ich bete.

MANN: Spar die dir Kraft! (Er fängt an, ihren Beutel zu durchwühlen.)

LITA: Lass deine Finger davon!

MANN: Aber ich mache doch gar nichts! Denk dran... ich bin nicht real. (Er nimmt einen Apfel heraus und beißt hinein.)

LITA: Nicht! Das war mein letzter Apfel! Das war alles, was ich noch hatte!

MANN: Verzweiflung macht ihn süßer, findest du nicht? (Er wirft den halb gegessenen Apfel weg. Sie hebt ihn auf. Er geht zu einigen alten Holzkisten und einer rostigen, mit Dreck gefüllten Badewanne herüber, die in einem ausgedorrten Garten stehen.) Ignorierst du mich? (Sie ist damit beschäftigt, Unkraut zu jäten.) Düngst du den Dreck? Weißt du... dies ist der beschämendste Garten, den ich je zu Gesicht bekam. Du fütterst doch nur das Ungeziefer! (Man hört eine Explosion. Lita zuckt zusammen, entspannt sich wieder. Der Mann bleibt ungerührt.) Er kommt näher.

LITA: Ich höre nichts.

MANN: Siehst du? Du kannst mich nicht ignorieren. (Man hört eine weitere Explosion.) Und du kannst ihn nicht ignorieren.

LITA: Ich kümmere mich um nichts als um diesen Garten. (Vorsichtig gießt sie einige Pflanzen.) Ich kümmere mich um diese Tomate. Um diese Bohnen. Um diese Kartoffel. Und um dich kümmere ich mich nicht, also geh endlich weg! Geh und mache jemand anderen traurig!

MANN: Das tut weh. (Noch eine Explosion.) Glaubst du, die Bomben werden anhalten, wenn sie deine Tomate sehen? Glaubst du, die Soldaten werden sich um sie kümmern? Oder um dich?

LITA: Der Krieg ist Millionen von Kilometern entfernt. Er ist nicht wichtig. Genauso wie du nicht wichtig bist, schließlich gibt es dich nicht.

MANN: Ich schätze, es ist auch nicht wichtig, dass du hier in den Hügeln lebst und nichts isst außer faulen Äpfeln und Dreck. Es muss wundervoll sein, so viel Zeit für sich zu haben, ohne eine komplizierte Familie, ohne Schule, ohne Spaß, ohne Freunde. Schließlich ist das alles nicht wichtig. (Sie fängt an zu weinen.) Weinst du?

LITA: Ich habe kein Wasser mehr... also mache ich neues. (Man hört Schüsse. Sie duckt sich hinter die Wanne.)

MANN: Lass mich dir hier raus helfen. Bitte lass mich dir sagen, wie du von all dem hier weg kommst.

LITA: Geh weg von mir! Ich will keinen deiner Ratschläge. Du wirst mir doch nur raten aufzugeben.

MANN: Das ist der einzige Weg.

LITA: Das ist dein Weg... Mann im Anzug!

MANN: Oh, endlich habe ich einen Namen. Danke, (Er verbeugt sich.) ich bin gerührt. Du kümmerst dich um mich.

LITA: Tue ich nicht! (Sie schlägt ihr Bett auf, dass aus einer dünnen Decke besteht.) Du bist nur eine Stimme für mich, und nichts anderes.

MANN: Hör mal! Es wir leiser. Ob sie aufhören, weil es dunkel wird? Oder ob sie sich auf Zehenspitzen anschleichen? (Sie beginnt, sich hinzulegen.) Solltest du heute Nacht spüren, wie etwas an deine Schläfe schlägt und sich deine Füße erwärmen, war es eine sehr leise Patrone. (Sie setzt sich auf.) Du solltest nicht hier draußen schlafen. Du bist mitten in einem Krieg!

LITA: Falls du weiterreden willst... dann sag etwas nettes.

MANN: Etwas nettes. (Er setzt sich hin und lockert seine Krawatte.)

LITA: Nein... etwas angenehmes!

MANN: Etwas angenehmes.

LITA: Hör auf!

MANN: Hör auf.

LITA: Hör auf, mir alles nachzuplappern!

MANN: Hör auf, mir alles nachzuplappern.

LITA: (Sie steht auf. Er steht auf.) Sei still!

MANN: Sei still.

LITA: Argghh!

MANN: Argghh.

LITA: Ich bin dies alles so leid. (Sie setzt sich.)

MANN: Du bist dies alles so leid. (Er setzt sich.)

LITA: Es ist zu schade, dass du nicht real bist. Ich würde dich umbringen wollen.

MANN: Würde ich auch.

LITA: Ich bin real.

MANN: Niemand, der am Tag einen nur einen Apfel isst und trotzdem lebt, ist real.

LITA: (Sie schaut in ihren Beutel.) Mir geht es gut.

MANN: Gib mir deine Hand!

LITA: Warum?

MANN: Ich will mir etwas anschauen.

LITA: (Sie streckt ihre Hand aus, zieht sie wieder zurück.) Da!

MANN: Nein. Lass mich sie halten, Lita.

LITA: Wirst du sie mir zurückgeben?

MANN: Vielleicht.

LITA: Was wirst du mit ihr tun?

MANN: Es ist nur ein Test.

LITA: Ich habe alle fünf Finger.

MANN: Nicht so ein Test. Jetzt gib mir bitte deine Hand, oder ich vergesse, was ich eigentlich damit wollte. (Sie streckt langsam die Hand aus. Er nimmt sie sehr vorsichtig und kneift etwas Haut auf ihrem Handrücken zusammen.)

LITA: Au! (Zieht die Hand zurück.) Warum hast du das gemacht?

MANN: Du kannst so nicht weitermachen. Siehst du? (Er streckt seine Hand aus und tut dasselbe mit seinem Handrücken.) Siehst du das? Meine Haut zog sich gleich wieder zusammen. Deine nicht.

LITA: Und was soll das heißen?

MANN: Das bedeutet, dass du dehydrierst. Es bedeutet, die kleine Lita aus der Stadt wird hier auf dem Land in der Kälte sterben.

LITA: Werde ich nicht!

MANN: Niemand mag den Tod. (Explosion.) Das ist eine Tatsache.

LITA: Ich kann mich mit Äpfeln ernähren.

MANN. Nicht mit einem verfaulten am Tag.

LITA: Ich werde frische finden.

MANN: Wo? Im Zelt des Generals?

LITA: Ich werde die Sanitäter vom Roten Kreuz finden. Oder die NATO Soldaten... nein, amerikanische Soldaten... die geben einem immer etwas zu essen.

MANN: Aber die wollen dich nicht finden.

LITA: Warum nicht?

MANN: (Explosion.) Weil sie nicht wollen, dass ihre Panzer schmutzig werden.

LITA: Ich werde sie finden.

MANN: Ich kann dir helfen.

LITA: Du?

MANN: Ich kann dir helfen, von all dem hier wegzukommen.

LITA: Wie?

MANN: Stirb.

LITA: Da haben wir es wieder! (Sie steht auf.) Da haben wir wieder dein Todesgerede! Du schaust mich an, als wäre ich... So geht es jedes Mal. Lita, lass mich dein Freund sein! Lita, lass mich dir helfen! Lita, würdest du sterben, hättest du nicht so viele Schmerzen!

MANN: Das ist die Wahrheit.

LITA: Was für eine Kreatur bist du? Der Teufel? Ein Todesengel?

MANN: Der Krieg hat viele merkwürdige Begleiter.

LITA: Es reicht! (Sie hebt ihre Sachen auf.)

MANN: Wohin gehst du?

LITA: Weg von dir! (Man hört Schüsse und Geschrei. Sie geht los.)

MANN: (Er stellt sich ihr in den Weg.) Hörst du denn nicht? Zu deiner Rechten Pistolen und von Wut zerfressene Männer. Zu deiner Linken Bomben und hasserfüllte Männer. Hinter dir Einschlaglöcher und verzweifelte Männer. Und vor dir Messer und böse Männer. (Sie bleibt stehen.) Sie werden mit dir spielen wollen... schöne Lita. Obwohl du so dünn bist wie die Schale eines Apfels, werden sie dir deine Sachen ausziehen wollen... und sie werden dich nicht küssen. (Er geht sehr nahe an sie heran.) Sie werden sich nehmen, was sie wollen und dann das faulende Herz wegwerfen. Sag Lita... wer warst du in der Stadt? Warst du eine Studentin, eine Sekretärin, eine Nutte?

LITA: Ich bin Tänzerin.

MANN: Tänzerin? Ich glaube nicht, dass sie (Er kreist mit dem Zeigefinger um sich.) das kümmern würde, du etwas? (Noch eine Explosion.) Warst du wenigstens gut?

LITA: Ich konnte fliegen...

MANN: Was für eine Tänzerin denn? (Mann hört Schüsse, die lauter werden.) Bauchtänzerin, Stripperin...

LITA: Eine Ballerina.

MANN: Oh, du warst der Schwan. Ich wette, auf der Bühne bist du Millionen Male gefallen und gestorben. Anmutiger und graziöser als jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in diesem Krieg.

LITA: Krieg ist keine Kunst.

MANN: Darüber kann man streiten. (Er geht zu der Wanne und holt einen Geigenkasten hervor.) Sag Lita, worum kümmerst du dich noch, neben deinen Tomaten, Bohnen und Kartoffeln? (Er nimmt eine Violine und beginnt, sie zu stimmen.)

LITA: Tanzen. Ich lebe, um zu tanzen.

MANN: Ist es das, was du in deinem Beutel versteckst? Deinen Tanz? (Mann hört Rufe von Männern. Er wühlt in der Tasche und zieht einen mit Federn besetzen Hut heraus.) Hältst du hiermit deine Ohren warm?

LITA: Nein... das ist mein Schwan. (Sie reißt ihn ihm weg.)

MANN: Wozu ist er gut?

LITA: Er lässt mich fliegen. (Explosion. Sie blickt panisch um sich.)

MANN: Beruhige dich. Niemand kann dir wehtun, wenn du ihn aufsetzt.

LITA: Lügst du mich an?

MANN: Wem willst du sonst vertrauen? (Sie setzt ihn auf. Er beginnt zu spielen, langsam und mit sehr viel Gefühl.) Leda und der Schwan. Kennst du das Gedicht?

LITA: Nein, warum? Und warum spielst du auf dieser Geige? (Man hört Männerstimmen.) Die Soldaten kommen näher... bald werden sie hier sein... ich sollte fliehen.

MANN: Dann flieh.

LITA: Aber die... die Musik. Sie ist so zart... sie lässt mich...

MANN: Tanzen.

LITA: Aber wenn ich tanze... werde ich sterben. Sie werden mich erschießen... und ich werde aufgeben haben.

MANN: Du bist sowieso schon tot. Noch eine Woche mit einem Apfel pro Tag, und du wirst verhungern. Fliegen werden in deiner Nase hoch kriechen, und du wirst nach mir beten, dass ich komme und dich mit mir nehme. Und du wirst leiden. Darin liegt keine Schönheit, Lita, und du hast keinen anderen Ausweg. Die Hügel sind voller Feuer und die Städte voll mit Trümmern und Leichen. Überall liegt Hässlichkeit... und du bist das letzte Schöne, das übrig geblieben ist.

LITA: Aber ich will nicht sterben. (Explosion.)

MANN: Das will niemand.

LITA: Werden sie mich gleich töten?

MANN: Sie werden dir in den Kopf schießen.

LITA: Werden sie mich vergewaltigen?

MANN: Nein. Ich werde es ihnen verbieten.

LITA: Wie das?

MANN: Ich habe einen gewissen Einfluss. (Man hört mehrere heftige Explosionen. Dann Rufe.) Jetzt möchte ich, dass du auf nichts hörst, außer auf die Musik.

LITA: Ich will mich von meiner Familie verabschieden!

MANN: Sie sind alle tot. (Er spielt weiter.) Höre zu, und all der Schmerz und all die Angst werden verschwinden, Lita.

LITA: Wir Gott mir vergeben? Wird er mich meine Familie wiedersehen lassen?

MANN: Vielleicht. Höre einfach auf die Musik und du wirst dich viel besser fühlen. (Die Rufe der Männer werden leiser, je mehr sich Lita auf das Spiel konzentriert. Die Schüsse, Explosionen und Schreie nehmen ab und verschwinden, man hört nur noch das schöne traurige Spiel der Violine. Lita nimmt langsam die erste Position ein und beginnt zu tanzen.) Ja... genau so... tanze.

LITA: Ich kann in diesen Stiefeln nicht tanzen.

MANN: Du trägst keine Stiefel, du bist nicht in den Hügeln, du bist auf der Bühne. Du bist der Schwan, Lita, und tausende Menschen sind heute Abend gekommen, und dich zu sehen.

LITA: Bin ich schön?

MANN: Das Publikum ist verzaubert. (Sie tanzt jetzt mit großem Ausdruck. Musik und Tanz erreichen ein Crescendo. Sie flattert und stirbt wie ein Schwan. Das Licht geht aus und man hört einen Schuss. Die Musik wird immer leiser und man hört Männerstimmen.)
 
F

Franktireur

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von The Girl Who...
LITA: Falls du weiterreden willst... dann sag etwas nettes.

MANN: Etwas nettes. (Er setzt sich hin und lockert seine Krawatte.)

LITA: Nein... etwas angenehmes!

MANN: Etwas angenehmes.

LITA: Hör auf!

MANN: Hör auf.

LITA: Hör auf, mir alles nachzuplappern!

MANN: Hör auf, mir alles nachzuplappern.

LITA: (Sie steht auf. Er steht auf.) Sei still!

MANN: Sei still.

LITA: Argghh!

MANN: Argghh.

LITA: Ich bin dies alles so leid. (Sie setzt sich.)

MANN: Du bist dies alles so leid. (Er setzt sich.)

LITA: Es ist zu schade, dass du nicht real bist. Ich würde dich umbringen wollen.

MANN: Würde ich auch.

LITA: Ich bin real.

MANN: Niemand, der am Tag einen nur einen Apfel isst und trotzdem lebt, ist real.

[/B]

Diese Passage solltest Du evtl. noch mal überarbeiten - dieses Nachplapperspielchen ist ganz und gar unnötig bei diesem Stück.

Ansonsten: Ich finde, dieses Bühenstück ist ein echtes kleines Juwel. Fantastisch.

PS: Ist zwar nett zu lesen, das Yeats-Gedicht vorneweg, aber auch das ist nicht wirklich nötig für das Stück.
 
Danke fürs Lesen und Kommentieren. Eine Überarbeitung der von Dir zitierten Passage werde ich in Betracht ziehen.

Was Yeats angeht - ja, das Stück kann auch für sich alleine stehen, aber ein Aspekt seiner Intention liegt darin, die im Gedicht vorkommenden Fragen bezüglich Leda zu beantworten.
 



 
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