Das ovale Fenster

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Fugalee Page

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„Nein und nochmals nein! Ich habe nichts gegen Frauen, aber dies ist nun einmal ein Herrenclub!“ Der Patentanwalt schlug mit der Faust auf den Tisch und nahm den links von ihm sitzenden Paradiesvogel scharf ins Visier.
„Außerdem …“, setzte er nach, „dein Aufzug ist erneut ein Fehdehandschuh, den du mir ins Gesicht schlägst.“
„Ein was?“, hakte der Paradiesvogel nach und zupfte sich die Federboa zurecht.
„Na, da seht ihr’s wieder“, wandte sich der Anwalt an den Rest der Runde. „Diese Karikatur eines Gentleman nimmt unsere Sache doch gar nicht ernst. Dieser Parvenü wirft doch allenfalls sporadisch einen Blick auf historische Aufzeichnungen.“
„Oh, ich nehme unsere Sache sogar sehr ernst“, verteidigte sich Andreas Andrea Bofinger. „Aber sogar einem Banausen wie dir dürfte nicht entgangen sein, dass es sich bei meinem ‚Aufzug‘ um ein historisches Kleid handelt.“
Der Patentanwalt schüttelte nur verständnislos den Kopf, während er sich anschickte, die nostalgische Meerschaumpfeife in akkurater Weise zu stopfen.
„Liebe Freunde“, versuchte Fortunato, der Trattoriabesitzer, zu schlichten. „Jetzt kennen wir uns schon so lange, und du, lieber Richard, weißt um die Neigungen und Vorlieben von Andrea. Lassen wir es doch gut sein und genießen den Abend.“
„Ja, siehst du, Fortunato versteht mich, und er nennt mich sogar Andrea.“
„Weil der Name Andrea für ihn nichts Ungewöhnliches ist, du Schwachkopf, da dieser in Italien bei Männern geläufig ist. Mir hingegen ist klar, dass du diesen Fummel nur trägst, um mich zu ärgern und die Clubstatuten ad absurdum zu führen.“
Richard hatte die Pfeife gestopft und zelebrierte die ersten Züge. Er und der Sheik, der es irgendwie geschafft hatte eine historische Sheesha aufzutreiben, waren die einzigen bei Tisch, die rauchten. Was angesichts der hohen Geldstrafen auch verständlich war. Sheik Yerbouthi nahm Position für den Paradiesvogel ein.
„Was glaubst du, Richard, was für Gestalten sich den ganzen Tag in meiner Spielothek herumtreiben. Du solltest meinem ‚Tempel der Freuden‘ einmal einen Besuch abstatten, dann wärst du gewiss toleranter. Auch gibt es bei uns ein Sprichwort, welches besagt: Findet der Eunuch gefallen an Frauenkleidern, so sei ihm wohl gesonnen, doch strafe ihn, falls er das Weib darin begehrt.“
Andreas Andrea fand dieses Sprichwort äußerst unpassend, da er sich nun gar nicht wie ein Eunuch vorkam; unterließ es aber zu protestieren, da er das Wohlwollen des Sheiks nicht unnötig strapazieren wollte. Allzu zart erschien ihm das Pflänzchen der Zuneigung.
„Nein danke, Sheik“, gab der streitbare Patentrechtler zur Antwort. „Dein Angebot in Ehren, aber ich muss ablehnen. Bei der heutigen Jugend kann ich mir lebhaft vorstellen, wie es bei dir zugehen mag. Außerdem, das hier ist keine Frage der Toleranz. Wie ihr alle wisst, haben wir uns dieses kleine Refugium geschaffen, um der Welt da draußen für ein paar Stunden zu entfliehen. Die Einrichtung dieses Zimmers ist mit Bedacht gewählt und auf historische Authentizität hin zusammengestellt. So waren wir uns einig, unsere Clubregeln den damaligen Gepflogenheiten anzupassen. Was bedeutet: In einem Herrenclub – keine Frauen!“
„Aber …“, meldete sich der Finanzbeamte, Ariel Lieberman, zu Wort. „… hier hat dich unser geschätzter Bofinger dann überlistet. In den Regeln stand nichts darüber, dass ein Mann nicht in Frauenkleidern erscheinen dürfte. Und, wenn du mir diesen Einwand erlaubst, dein Inverness-Mantel, der Deerstalker-Hut und diese sündhaft teure Meerschaumpfeife könnten auf einen spontanen Gast ebenfalls erheiternd wirken. Da wir ferner letzte Woche darüber abgestimmt hatten, ob diese Art der modischen Interpretation in Ordnung wäre – und die Mehrheit nichts dagegen hatte – solltest du dich an den Gedanken gewöhnen, dass Bofinger ab und an zu seiner bzw. ihrer Puderquaste greifen wird.“
„Ja, Richard, dem kann ich nur beipflichten“, tat dann auch Urs Hägi, der Bibliothekar, seine Meinung kund. „Spätestens wenn Patrick mit unserem Gast eintrifft, solltet ihr euren Disput beigelegt haben. Was soll denn sonst die Diva von uns denken?“
„Genau!“, beeilte sich Andreas Andrea Bofinger zu bestätigen. „… und außerdem, bei DER hattest du ja auch keine Einwände vorzubringen.“
„Das ist etwas anderes!“, stellte der Anwalt mit Entschlossenheit fest. „Sie ist ein Gast, und kein Mitglied dieser Runde. Außerdem hat sie Carambeau um Hilfe gebeten. Und da Patrick ein Mitglied ist, sind seine Anliegen auch die unsrigen. Zudem liegt es in der Natur eines Gentleman, einem Hilfesuchenden die Hand zu reichen. Dabei spielt das Geschlecht keine Rolle.“
„Na, dann sind wir uns ja wenigstens in dieser Hinsicht einig“, blinzelte Fortunato di Campli dem Paradiesvogel zu.
„Außerdem, lieber Richard, sitzen wir nicht auch heute am Neujahrsabend hier zusammen, um Spaß an der Sache zu haben? Ich denke, du siehst das Ganze zu verbissen. Klingt nicht bereits unser Clubname reichlich übertrieben?“
Fortunato stieß auf Unverständnis.
„Papperlapapp“, entgegnete der Patentanwalt, „Zwar wissen wir heute, dass es auf anderen Planeten primitive Lebensformen gibt, aber bis wir in den Tiefen des Alls auf andere Gentlemen treffen werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen. So spiegelt sich in unserem Namen, dem ‚Club der galaktischen Gentlemen‘ die Dimension unserer Einzigartigkeit wider. Und die Anwesenden, vielleicht mit einer Ausnahme, sind ja auch würdige Mitglieder dieses Clubs.“
Noch ehe Bofinger reagieren konnte, wechselte Fortunato das Thema.
„Glaubt ihr denn, dass wir der Bekannten von Patrick überhaupt helfen können? Es handelt sich hier immerhin um einen authentischen Fall. Sozusagen um einen Fall nach einer wahren Begebenheit.“
„Wir werden es zumindest versuchen, nicht wahr, Ariel?“, sprach der Sheik und blies dem Finanzbeamten den kalten Rauch ins Gesicht.
„Ich weiß auch nur das, was seit Tagen in der Zeitung steht“, stellte Lieberman fest und rieb sich mit einem Taschentuch die tränenden Augen trocken. „Anscheinend wird sie massiv belästigt und sogar bedroht. Wenn ihr mich fragt, ist dies nach ihren jüngsten Äußerungen auch kein allzu großes Wunder.“
„Hat eine solche Berühmtheit denn keine Berater, die ihr bei solchen Interviews zur Seite stehen?“, gab Urs Hägi zu bedenken.
„Ach, Urs, wie schnell ist etwas gesagt, das man im Nachhinein lieber ungeschehen machen möchte. Ich wünschte, gewisse Personen hier bei Tisch würden nicht genauso grobschlächtig verfahren.“
Die Federboa, die sich Bofinger bei diesen Worten mit einer ausladenden Bewegung um den Hals schlang, und damit wie zufällig durch das Gesicht des Patentanwalts wischte, ließ es Fortunato nötig erscheinen, seine Überraschung zu präsentieren.
„Liebe Freunde, bevor unser geschätzter Patrick Carambeau mit seiner Bekannten hier eintreffen wird, möchte ich euch noch jemanden vorstellen.“
„Ach, kommt denn noch eine weitere Person?“, wunderte sich Ariel Lieberman.
„Oh ja, allerdings kein Gast, sondern ein neuer Gehilfe.“
„Und weshalb? Warst du denn mit Donati nicht zufrieden?“, wollte Urs Hägi wissen.
„Leider nein, lieber Urs. Der Ganove hat sich an den In-Ports der Gästetische zu schaffen gemacht, und so die Rechnungen manipuliert. Die Differenz wanderte auf sein Konto. Nicht sehr viel pro Gast, aber es läpperte sich. Ach – ich hätte einfach keinen ausgemusterten Computerexperten einstellen sollen. Aber ihr kennt doch das gute Herz von eurem Fortunato.“
Der Italiener neigte den Kopf gen Brust, blickte mit gesenktem Kopf in die Runde und erwartete die Mitleidsbekundungen seiner Gäste.
„Ich kann dich verstehen!“, rief der Sheik. „Bei mir an den Dreamsequenzern und den Holokäfigen manipulieren die Freaks auch ständig herum. Aber der Sheik ist cleverer. Ich habe mir das gerissenste As geschnappt. Er arbeitet jetzt für mich - ihr versteht?“
Ein listiges Grinsen zog über das Antlitz des Muselmannes, welches sich alsbald erneut in die orientalischen Rauchschleier der Wasserpfeife hüllte.
„Also ich fand den Donati eigentlich immer ganz süß“, erklärte Andreas Andrea Bofinger. „Der hat immer so nett gelächelt, wenn er mir das Tiramisu serviert hat.“
„Gelächelt und bei einem Dussel wie dir wahrscheinlich gleich doppelt abkassiert“, resümierte der Patentanwalt.
„Vielleicht hat er das Geld ja dringend gebraucht“, gab Andreas Andrea trotzig zurück und zupfte sich das Oberteil zurecht.
„Hah! Nun hört euch DEN an. Hat auch noch Mitleid mit dem Kerl. Nicht zu fassen.“
Richard hatte wiederholt mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Das ging nun auch an „Püppi“, dem Hündchen von Bofinger, nicht spurlos vorüber. Die ganze Zeit hatte es still und friedlich in der Ecke gesessen und sich mit einer Stoffpuppe beschäftigt, seinem Lieblingsspielzeug. Jetzt bellte Püppi los und nach einem Wink seines Herrchens sprang er diesem flugs auf den Schoß.
„Armes Püppi“, versuchte Andreas Andrea seinen Liebling zu beruhigen. „Hat dich der böse Mann so erschreckt, ja?“
Der Umstand, dass Püppi überhaupt in der Lage war, auf den Schoss seines Herrchens zu hüpfen, zeugte von einer erfolgreichen Wirbelsäulenregeneration. Nach dem Crash mit einem Lieferwagen war diese auch bitter nötig gewesen. Sündhaft teuer zwar, doch Püppi war schließlich jeden einzelnen Euro wert.
Als das Hündchen dann mit dem kupierten Stummelschwänzchen wedelte und seinem Herrchen das Gesicht ableckte, verzog Richard angewidert das Gesicht und wandte sich ab.
„Ach, kümmert euch nicht um die beiden Streithähne“, ermahnte Lieberman. „Die beruhigen sich schon wieder. Jetzt verrate uns doch, Fortunato, wen du uns vorstellen wolltest?“
„Ja, genau …“, forderte auch Urs Hägi. „Mach’s nicht so spannend. Wer ist es denn?“
„Er wartet schon. Draußen vor der Türe. Ihr werdet überrascht sein.“ Fortunato machte kehrt, ging zur Türe, öffnete sie und verkündete mit Stolz geschwellter Brust: „Seht her, meine Freunde! Ihn möchte ich euch vorstellen.“

„Ein Robot!“, kam es da aus mehreren Kehlen.
„Ein Androide?“, versuchte Urs Hägi zu konkretisieren.
„Ach was, ein Robot ist ein Robot!“, stellte Richard fest.
„Und …“, Fortunato war sichtlich aufgeregt. „Und – ist er nicht toll? Er heißt Robert.“
„Ein Robot namens Robert“, spöttelte Richard. „Also, Fortunato, da hätte ich dir mehr Phantasie zugetraut. Dann nenne ihn dem Ambiente deines Lokals zuliebe wenigstens Roberto.“
„Am Namen soll es nun wirklich nicht scheitern, liebe Freunde. Hauptsache ihr findet Gefallen an ihm.“
„Wir könnten ihn auch Roberta nennen“, schlug Andreas Andrea vor. „Vielleicht wünscht er sich ja einen weiblichen Namen.“
„Ich geb dir gleich Roberta, du Federboa Constructor eines irrwitzigen Dschungelalbtraums.“
Andreas Andrea lief unter dem aufgetragenen Rouge dennoch sichtbar rot an und wandte sich an den Trattoriabesitzer.
„Fortunato, wenn der Paragraphenreiter mich weiterhin so beleidigt, dann geh ich.“
Fortunato zuckte nur mit den Achseln. In solchen Momenten war es das Klügste, sich neutral zu verhalten.
„Warst du nicht immer gegen einen künstlichen Angestellten?“, hakte Urs Hägi nach, der offenbar keine Lust verspürte, den Streithähnen weitere Beachtung zu schenken.
„Ja, eigentlich schon, aber nach dem Vorfall mit Donati. Na, und selbstverständlich bleibt die Küche weiterhin unter meiner Obhut. Hmm, lediglich vielleicht so kleine Hilfsarbeiten …“
„War der Robot nicht sehr teuer?“, wollte Ariel Lieberman wissen, doch funkte der Sheik dazwischen.
„Geld ist wieder mal das Einzige, was dich interessiert. Gönnen wir Fortunato doch diesen kleinen Luxus.“
„Ich gönne ihm alles Glück dieser Erde“, erwiderte Lieberman, „aber es soll ja Leute geben, für die Geld eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Es zieht ja nicht jeder den Spielern so ein Vermögen aus der Tasche, wie du. Manche Kinder haben ja schon am Nachmittag den ganzen Monatslohn ihrer Nanny verspielt.“
„Hört, hört, aber wenn es darum geht, die horrenden Steuern abzukassieren, dann hast du mit meinem Geld keine Probleme, oder? Außerdem, meine Familie ist groß, und ein arabisches Sprichwort sagt: Hat ein Kamel mehr als zwei Höcker, so ist es schwer, es satt zu bekommen.“
„Kann es sein, dass dieses Sprichwort erst nach dem großen Reaktorunfall in Dubai entstanden ist?“, fragte Lieberman schelmisch dreinblickend nach.
Der Sheik hüllte sich in Schweigen und zusätzlich in eine neue Wolke seiner Wasserpfeife. Aus dem Rauch schien sich eine regelrechte Windhose zu formen, die der Sheik dem jüdischen Finanzbeamten erneut in die Augen blies, dass bei diesem die Tränen nur so flossen. Erst als sich die Wolke wieder verzogen hatte, erschienen einem die beiden Fronten wieder klarer. Was nicht bedeutete, dass diese fortan auch immer geklärt sein würden.
„Jetzt fangt ihr nicht auch noch an, euch zu streiten“, ermahnte Fortunato, und dann zu Lieberman: „Weißt du, Ariel, so teuer war Roberto gar nicht. Ein Schnäppchen, könnte man sagen. Und dazu gab’s noch ein Softwarepaket meiner Wahl dazu. Das wird euch übrigens gefallen.“
„Was ist das für eine Software?“, wollte der Anwalt sogleich wissen.
„Nun, da wir alle dem gleichen Hobby nachgehen und bei unseren Treffen historische Kriminalfälle analysieren, habe ich den Instruktor angewiesen, Roberto sämtliche Kriminalliteratur einzuspeisen und bestimmte Charaktere miteinander zu verknüpfen.“
„Zu verknüpfen? Was soll denn das nun wieder bedeuten?“ Der Sheik war sichtlich verwirrt.
„Moment!“, kam Urs Hägi dem Gastgeber zuvor. „Soll das etwa bedeuten, du hast versucht, die Kombinationsgabe all dieser bekannten Detektive in Roberto zu vereinen?“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Trattoriabesitzers.
„Nun, wie du als belesener Mensch sicher weißt, handelt es sind genaugenommen um die Phantasien der einzelnen Autoren. Doch wenn du so willst, dann trifft es durchaus zu. In Roberto sind alle Fälle und das Wissen jener berühmten Detektive vereint.“
Ein Raunen ging durch die Runde.
„Auch die Geschichte mit dem Orientexpress?“, wollte der Sheik wissen.
„Auch die Geschichte mit dem Orientexpress“, bestätigte ein schmunzelnd dreinblickender Fortunato.
„Wirklich beeindruckend!“, honorierte auch Lieberman.
„Ach, das muss nun gar nichts heißen“, meldete sich der Patentanwalt energisch zu Wort. „Ihr seid wie kleine Kinder, die sich über ein neues Spielzeug freuen und darüber alles andere vergessen. Denkt doch einmal nach. Hätte ich, wie der Sheik, ein Faible für Sprichwörter, würde ich es vermutlich so auf den Punkt bringen: Zu viele Köche verderben den Brei! Hätten diese genialen Detektive alle an einem Fall gearbeitet, wären sie sich gegenseitig nur so auf den Füßen herumgetrampelt. Herausgekommen wäre nichts anderes, als heiße Luft. Ein Genie braucht Raum, um sich entfalten zu können.“
„Deines ganz bestimmt“, kam es schnippisch von der linken Seite. „Du bist doch nur neidisch, weil eine Maschine dir überlegen sein könnte. Sicher besitzt Roberto auch mehr Phantasie als du. Jemand der immer nur die Arbeiten anderer bewertet, und selbst nichts Kreatives zustande bringt, der dürfte ganz schön gefrustet sein, oder?“
Die verbale Attacke kam schnippisch und so unerwartet, dass dies selbst den streitbaren Anwalt überraschte. Zwar lief dieser rot an und wollte anmerken, dass es in der Geschichte ja durchaus schon interessante Patentleute gegeben hatte. Doch unterließ er es, da es ihm in der momentanen Situation von Nachteil erschien, sich mit fremden Federn zu schmücken. Andreas Andrea genoss indessen den kleinen Sieg und strich mit einer speziellen Bewegung über das Kunsthaar, wodurch er den Farbton von tizianrot auf neon-blue änderte.

Roberto hatte den Raum inzwischen betreten und sich den Anwesenden vorgestellt. Es handelte sich bei ihm ganz offensichtlich um einen Hochglanzautomaten. Bei der Wahl der Kleidung hatte Fortunato ganze Arbeit geleistet. Diese entsprach der eines Dieners, aus einer Zeit, die längst in die Analen der Geschichte eingegangen war. Sein hochglanzverchromtes Äußeres war demnach fast vollständig mit Zwirn bedeckt. Selbst die künstlichen Hände waren mit blütenweißen Handschuhen bekleidet. Nur sein Gesicht; die beiden obligatorischen Sehschlitze; eine kleine künstliche Nase; der Mund, der aussah, als würde er hinter einem Fliegengitter verborgen liegen und die etwas ungelenk wirkende Körpersprache zeugten von einer Hochglanz-Einheit. Ein Modell mit einer künstlichen, menschlich nachempfundenen Haut wäre Fortunato dann doch zu teurer gekommen.
Sah man von dem kleinen Makel des künstlichen Antlitzes einmal ab, so konnte man sich den gehorsamen Diener gut vorstellen, der auf die Wünsche der Herrschaften stets zu vollster Zufriedenheit eingehen würde. Selbst die Stimme von Roberto war der menschlichen recht gut nachempfunden. Der Klangkörper des Robots ließ einen sonoren Bass zu. Und die Art, wie Roberto sich auszudrücken pflegte, ließ erkennen, dass sich der Künstliche offensichtlich der passenden Epoche zugehörig fühlte. So erschien einem der Robot, durch die gewissenhafte Programmierung des Instruktors und die Feinjustierung Fortunatos, für den Club der galaktischen Gentlemen wie geschaffen zu sein. Allein für die Bedienung der gewöhnlichen Gäste, viel zu schade.
„Dann werde ich wieder einen Blick in die Küche werfen, und dies auch im Lokal tun. Die Pflicht ruft, aber dies seid ihr ja schon gewohnt. Bis ich wiederkomme, soll euch Roberto Gesellschaft leisten und eure Wünsche erfüllen.“
Mit diesen Worten verabschiedete sich der Trattoriabesitzer und entschwand aus dem liebevoll eingerichteten Nebenzimmer.
Der Robot wurde von den Anwesenden begutachtet und wohlwollend aufgenommen. Vielleicht mit einer Ausnahme. Nicht dass der Patentanwalt eine Abneigung gegen Maschinen gehabt hätte, doch die Vorstellung, dass ihm eine solche die Show stehlen könnte, wollte ihm nicht so recht behagen.
„Na ja, so eine Maschine …“, fing er an, in die Runde zu reden „… eine künstliche Intelligenz, die kann wohl schnelle Berechnungen vornehmen. Sie kann in gewissem Sinne auch kombinieren, doch die Tiefe eines Falles zu erkennen, Kombinatorik mit intuitivem Denken zu vermengen; ein Bauchgefühl für einen Fall zu entwickeln, das bleibt natürlich dem Menschen vorbehalten.“
„Natüüürlich“, kam es gedehnt spöttisch von der linken Seite.
Der Anwalt überhörte die Provokation. Zu sehr nahm ihn die Anwesenheit des Robots ein.
„Nachdem wir der Diva aus der Patsche geholfen haben, werden wir dich ausgiebig testen, Freundchen. Wollen doch mal sehen, ob diese Verknüpfungen was taugen. Bin mal gespannt, was passiert, wenn ein arroganter Belgier die Fälle eines genialen Engländers unter die Lupe nimmt.“
„Ganz wie Sie wünschen, Sir“, gab der Robot zur Antwort. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um die Wünsche der Herrschaften und Ladyman Bofinger zu erfüllen.“
„Ladyman Bofinger?“ Dem Patentanwalt fiel fast die Meerschaumpfeife aus dem Mund.
„Ja, Sir. Wie mir Master Fortunato zuvor mitteilte, wünscht Master Bofinger in Zukunft bei Tisch so genannt zu werden.
„Ladyman Bofinger!“, wiederholte der Anwalt bereits tiefrot anlaufend.
„Ja, Sir, so wurde es mir gesagt.“
„LADYMAN Bofinger!“, wandte sich etwas sehr Erregtes hin nach links, zu einem etwas immer kleiner Werdendem.
„Hilfe, Fortunatoooooo …“

Nachdem sich gewisse Gemüter wieder beruhigt hatten, was nicht zuletzt an der besänftigenden Wirkung des guten Rotweins lag, den Fortunato aus dem Keller hatte holen lassen, näherte man sich dem Höhepunkt des Abends. Die Diva war eingetroffen und ihr Auftritt war grandios gewesen.
Lydia Alderton, so hieß die Schöne, gehörte zu der Sorte Frauen, die nicht unbedingt die besten Bildung genossen hatten. Doch dies war bei dieser Sorte Frau auch nicht zwingend notwendig. Die Alderton verfügte über andere Attribute, und wusste diese auch entsprechend einzusetzen.
Als die Diva den Raum betreten hatte, war sogleich Ruhe eingekehrt. Eine Art kollektive Bewunderung hatte die Wartenden ergriffen. Den Augen des Sheiks konnte man ansehen, dass er sich insgeheim die Zeiten des Harems zurück sehnte. Keine Sekunde hätte er überlegt, und diese Lady der Liste seiner Favoritinnen hinzugefügt. Auch Urs Hägi und Ariel Lieberman, eher zwei bodenständige Vertreter der umtriebigen Männerwelt, konnten sich der imposanten Erscheinung nicht entziehen. Selbst die Körpersprache des sonst eher schroffen Patentanwalts deutete auf größtes Wohlwollen hin. Nicht im Traum wäre jemand auf den Gedanken gekommen, dass dieser noch vor kurzem abfällige Bemerkungen über weibliche Clubmitgliedschaften geäußert hatte.
Einzig Andreas Andrea Bofinger betrachtete die Diva mit Skepsis. Vermutlich rührte dies von einer Art Konkurrenzdenken her, diktiert von einer zweiten Person, mit der er sich den gemeinsamen Körper zu teilen hatte. Die Diva erkannte dies sofort, da Frauen ein untrügliches Gespür für negative Energien besitzen, vor allem, wenn sie ihnen entgegenwirken. Allerdings war die Diva auf solche Situationen vorbereitet. Noch bevor die Lady überhaupt Anstalten machte, die anderen Clubmitglieder auch nur zu beachten, nahm sie Andreas Andrea in ihren Stand auf.
„Kompliment, ein schönes Kleid, das Sie da tragen. So etwas kenne ich aus historischen Filmen. Die Leute hatten früher ja so eine Liebe fürs Detail. Ich überlege, ob ich für meinen nächsten Film auch etwas in dieser Art tragen sollte. Nicht allzu gewagt; hier und da die ein oder andere Applikation. Hm… Was denken Sie?“
Die Wandlung des Andreas Andrea Bofinger vom Agnostiker zum ergebenen Diva-Jünger vollzog sich für den Betrachter augenblicklich. Zwar ging Bofinger nicht auf die Frage ein, doch dies war für dieses Zeremoniell auch nicht zwingend notwendig. Das verlegene Lächeln von Bofinger, die Art, wie er sich durchs getunte Kunsthaar strich, wie die Zunge verspielt über die Lippen fuhr und der gehauchte Satz: „Ach Liebes, ich habe alle Ihre Filme gesehen“, zeugten davon, dass die Diva einen weiteren Sieg verbuchen konnte.
Ja, Lydia Alderton wusste, was sie wollte und wie sie es bekam. Bereits während der Schulzeit hatte sich dieses spezielle Talent bei ihr gezeigt und war später entsprechend trainiert worden. Patrick Carambeau, der sich als einziger von Berufs wegen mit Verbrechen beschäftigte, kannte die Alderton noch aus jenen Schultagen. Natürlich war er damals, wie alle in der Klasse, in sie verliebt gewesen. Natürlich würde er dies heute, schon gar nicht in der momentanen Situation, jemandem erzählen. Allerdings musste er sich eingestehen, dass hier durchaus Gefühle im Spiel waren, die nichts mit dem Fall zu tun hatten. Und vielleicht, wenn man das zusammen durchgestanden hatte, ergab sich ja eine Möglichkeit … Schließlich war Lydia, wenn man den Medien glauben schenken durfte, alles andere als glücklich verheiratet. Ihr Gatte hatte sich erst kürzlich zwei schwarze, 12-jährige Mädchen aus Palumbien adoptiert und anscheinend blieb es nicht immer nur beim Gute-Nacht-Kuss. Ja, die Medien brachten es immer wieder an den Tag. Der prominente Lebensbaum hing voller farbiger Boulevardblätter.

Carambeau verspürte ein leichten Anflug von Eifersucht, als er sah, wie der Patentanwalt der Schönen den Platz zu seiner Rechten anbot. Dieser empfand das nur als gerecht, da er zur Linken einen künstlichen Pfau ertragen musste. Weshalb sich im Übrigen diese Sitzordnung etabliert hatte, war allen bis heute ein Rätsel geblieben. Vermutlich wäre ein Tausch der Plätze für jeden der beiden Streithähne einer Kapitulation gleichgekommen.
So saß nun Richard an der Stirnseite des Tisches. Zu seiner Linken, Herr Pfau, dann folgten Urs Hägi und der Sheik. Der Platz vis-a-vis des Anwalts wurde stets freigehalten, da immer mal wieder Fortunato, aus der Küche kommend, vorbeischaute. Ariel Lieberman saß dem Sheik gegenüber, dann folgte Carambeau und schließlich schloss die Diva wieder zum Anwalt auf.
Diese hielt es nun für an der Zeit auch die anderen Anwesenden einzubeziehen.
„Sie sind also die berühmten Gentlemen, von denen ich schon so viel gehört habe. Ich hoffe, dass Sie einer Dame aus ihrer Not helfen werden.“
„Sie können sicher sein, dass alle unsere grauen Zellen sich ausschließlich mit Ihnen beschäftigen werden“, versprach der Patentanwalt und nahm erneut einen tiefen Zug aus seiner Meerschaumpfeife.
„Oh – Sie sind bestimmt dieser kluge Anwalt, von dem mir Patrick schon so viel erzählt hat“, hauchte sie den Rechtsexperten an.
Patrick wunderte sich, da er Richard nur am Rande erwähnt hatte.
„Ja, der bin ich“, antwortete der Patentanwalt sichtlich angetan.
„Das ist sicher ein interessanter Beruf, oder? Sie haben viel mit anderen Menschen zu tun und deren Erfindungen? Das muss doch wahnsinnig aufregend sein.“
„Ja … nun … eigentlich weniger. Die Leute haben da leider immer noch falsche Vorstellungen. Wissen Sie, in unserer heutigen Zeit sind die verträumten Spinner, die einem ihr zusammengezimmertes Perpetuum mobile unterjubeln wollen, leider ausgestorben. Heute geht es hauptsächlich um geistiges Eigentum. Wenn Sie wüssten, wer alles ein Patent oder zumindest Patentanteile auf etwas hat, Sie würden sich wundern. Patentanteile werden seit geraumer Zeit ja auch an der Börse gehandelt. Sie müssen wissen, sobald Sie ein x-beliebiges Gerät einschalten, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie es wieder in die Ecke stellen. Hinter allem und jedem verbirgt sich eine Idee.“
„Kann man eine Idee den überhaupt schützen.“
„Ja, sobald sie einmal laut gedacht ist.“
„Ach, wie klug Sie sind.“
„Ähem … Lydia, wir wollten doch von deinem Problem sprechen“, unterbrach Carambeau die beiden, sichtlich genervt.
„Ach, du hast es aber auch immer so eilig, mein Lieber. Lass mich deine Freunde doch erst einmal näher in Augenschein nehmen. Und Sie sind bestimmt Ariel Lieberman?“, sprach die Alderton und hatte ihre Aufmerksamkeit bereits auf Carambeaus Tischnachbarn gerichtet.
„Ja, verehrte Dame. Freut mich außerordentlich, Sie einmal persönlich kennen zu lernen.“
„Nicht nur dich“, klang es verheißungsvoll hinter der orientalischen Wasserpfeife hervor.
Die Diva warf nur einen flüchtigen Blick in Richtung des Sheik, dann präsentierte sie Lieberman eine perfekte Zahnreihe.
„Erst kürzlich war ich auf einer Party und machte die Bekanntschaft einer berühmten Tänzerin. Sie beschäftigt sich mit der Kabbala, dieser geheimnisvollen Lehre.“
„Oh, kennt ihre Bekannte auch die Tora?“, erfreute sich Lieberman.
„Äh … ich denke, nein. Ich selbst war mit Syphie Lizz da gewesen, und die Gastgeberin hieß Chiara Alkoven, aber ich bin überzeugt ihre Thora war auch da. Wissen Sie, irgendwie waren an diesem Abend alle wichtigen Leute da.“
Dann wandte sich die Diva von Lieberman ab und plapperte bereits in die andere Richtung weiter. Lieberman räusperte sich nur verlegen und sah zum Sheik hinüber. Der beugte sich zu Lieberman vor und fasste die Situation in der üblichen Weise zusammen.
„Bei uns sagt man: ‚Ist das Kamel klüger als sein Besitzer, dann sollte dieser die Last tragen‘“.
Nach einer weiteren Aufforderung von Carambeau, die eigentliche Sache anzusprechen, gab sich die Diva schließlich einsichtig.
„Ganz wie du meinst, Patrick“, hauchte sie und legte dabei ihre rechte Hand auf den Oberschenkel des Jugendfreundes. Gerade so lange, wie es ihr nötig erschien.

Die Alderton berichtete, dass sie seit einem Monat wüste Beschimpfungen und schließlich sogar Morddrohungen über sich ergehen lassen musste.
„Die Medien wissen noch nichts davon, aber seit zwei Tagen bekomme ich sogar direkt auf meinen Kommunikator Todesdrohungen zugesandt. Wie ich am Logo erkennen kann, immer über dieses schreckliche Razorgate-Portal.“
Ursache für den Telefonterror lag wohl in der Tatsache begründet, dass sich die Diva durch ihren aktuellen Film den Unmut der Jugendgangs zugezogen hatte. Der Film sollte eigentlich den momentanen Alterskonflikt persiflieren und eher erheiternd wirken. Das Dumme war nur, dass der jugendliche Nebendarsteller einem erst kürzlich bei einer Protestaktion ums Leben gekommenem Rädelsführer zum Verwechseln ähnlich sah. Ein paar flapsige Äußerungen auf der Promotion-Tour hatten das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht. So war die Diva nun ungewollt zum Sprachrohr der Älteren aufgestiegen und sah sich der kollektiven Wut einer aufgebrachten Jugend ausgesetzt. Dem Film schadete dies im Übrigen keineswegs. Die Vorstellungen waren allesamt ausverkauft und wurden von alt und jung besucht – in getrennten Kinos, versteht sich.
„Und ihr habt bis jetzt keinerlei Hinweise oder einen Verdächtigen?“, wollte der Patentanwalt wissen.
„Nicht den geringsten.“ Carambeau berichtete, dass man die Ermittlungen erst auf die Bande konzentriert hatte, die lauthals den Verlust ihres Führers beklagte. Doch war man hier zu keinem Ergebnis gelangt. Der neu gewählte Bandenführer bekräftigte sogar, man wolle mit der „alten Schabracke“ nichts zu tun haben. Auch waren die sichergestellten Beweisstücke kriminalistisch gesehen neutral. In der heutigen Zeit war ein Corpus delicti nahezu klinisch rein. So sehnte sich Carambeau insgeheim eine Zeit zurück, in der die Lupe und ein passender Fingerabdruck ausgereicht hatten, dem Täter den Garaus zu machen. Dies mochte mit ein Grund dafür sein, dass sich der Polizeibeamte im Club der galaktischen Gentlemen so wohl fühlte, und nur zu gerne in historischen Fällen herumschnüffelte. Leider lieferten sich in heutiger Zeit Gut und Böse ein technologisches Kopf-an-Kopf-Rennen.
„Die Screenshots, die Lydia anfertigte, um uns den generierten Avatar zu zeigen, konnten uns allenfalls als Anschauungsmaterial für den pervertierten Geschmack des Absenders dienen.“ Carambeau suchte den tröstenden Augenkontakt zur Diva.
„Sie müssen mir einfach helfen“, bat die Alderton flehentlich in die Runde. „Und jetzt auch noch das penetrante Gebimmel von diesen Razorgate-Rüpeln. Das alles macht mich noch wahnsinnig. Ich frage mich nur, wie die an meine Nummer gekommen sind.“
Carambeau versuchte den Clubmitgliedern sein Problem näher zu erläutern.
„Wie ihr wisst nahm der weltweite Datenverkehr seit Beginn der Jahrtausendwende kontinuierlich zu. So war die Konvergenz der Netze nur eine logische Schlussfolgerung. Die Verschmelzung bei der Übertragung von Daten, Sprache und Video über ein gemeinsames Netz. Fragt mich nicht genau nach der Funktionsweise, doch während bei der Mobilfunktechnologie das Voice-over-IP-Verfahren höheren Sicherheitsstandards unterworfen ist, scheint der verkabelte Heimbildschirm für Angriffe anfälliger. Ihr könnt wahrscheinlich selbst ein Lied davon singen. Ich erwähne hier nur die täglichen Spamangriffe, die ohne die automatischen Update-Filter gar nicht mehr zu ertragen wären.“
„Das hängt mit der Priorisierung von IT-Paketen zusammen“, versuchte Richard auf das unterschiedliche Verfahren einzugehen. „IT-Pakete mit einem gleichen DSCP-Code bilden einen Datenstrom, der auf die gleiche Art und Weise behandelt wird. Früher kamen nur einige der insgesamt 64 möglichen Prioritätsklassen zum Einsatz. Heute hat sich das aufgrund der Datenflut geändert. Ein Paket-Hacking wird dadurch natürlich erschwert. Ich habe da übrigens gerade ein Patent zu prüfen …“
Weiter kam Richard allerdings nicht, da er von Püppi unterbrochen wurde, der erneut losbellte und erst wieder Ruhe gab, nachdem ihn sein Herrchen liebevoll beruhigt hatte. Indessen hatte die kleine Störung keine großen Auswirkungen auf die Bearbeitung des Falles. Zwar wurde im Folgenden heftig debattiert; verschiedene Szenarien wurden durchgespielt, Möglichkeiten der Spurensuche erörtert; Lösungen vorgeschlagen und wieder verworfen. Doch der erste authentische Fall der Gentlemen erwies sich als harte Nuss.
Bei historischen Kriminalfällen erwies sich der brillante Verstand des Detektivs stets als verlässlicher Nussknacker. Doch konnte die Nuss nur geknackt werden, wenn man sie auch ordentlich in die Zange nehmen, sie greifen konnte. Doch ohne einen Anhaltspunkt taten sich die Gentlemen recht schwer mit dem Kombinieren. Bis sich schließlich zwei Varianten herausbildeten. Zuerst erwähnte Richard, dass das eingereichte Patent eines jungen Technikers einen Nebeneffekt aufweisen würde, der bei diesem Fall hilfreich sein könnte. Das Patent entstammte der fünften Generation einer gegenwärtigen Mobilfunktechnologie und beinhaltete ein neues Verfahren der Package-Übermittlung. Richard hatte es zur abschließenden Prüfung weitergereicht, da er datenschutzrechtliche Probleme befürchtete. Würde dieses Verfahren uneingeschränkt zum Einsatz kommen, träte seiner Meinung nach eine Sicherheitslücke auf, die es versierten Bastlern ermöglichen würde, Daten des Absenders auszuspionieren.
„Ich bin überzeugt“, wähnte sich der Patentanwalt sicher, „für so eine ehrenhafte Sache, könnte ich den Mann überreden, einen Versuch mit mir zu starten. Wenn es gelingt, die Datenpakete, die Razorgate verschlüsselt absendet, wieder richtig zusammenzusetzen und eine Rückkopplung zu schalten, bekämen wir einen Zugriff auf die Einwahl-Verschlüsselungssequenz des Kommunikators und somit auf persönliche Daten des Absenders.“
„Ach, macht es doch noch komplizierter“, stöhnte Sheik Yerbouthi sichtlich genervt auf.
„Ich könnte ein paar meiner Jungs darauf ansetzen – wenn die Belohnung passt. Ich kenne da ein Früchtchen, das sich seine Zeit an den Dreamsequenzern vertreibt. Der schafft sich dort nicht nur seine eigenen Welten, der scheint auch sonst was in der Birne zu haben. Der Junge hackt sich bestimmt überall durch. Und dann gibt es da ein paar „Spezialisten“, denen spendiere ich Gratisrunden in den Holokäfigen, bis ihr Gewaltpotential so angestiegen ist, dass die Testosteronwerte an der Oasenpalme hochklettern. Wenn ich diese Jungs auf einen Verdächtigen loslasse, dann packt der schon aus. Das könnt ihr mir glauben.“
Carambeau tendierte eher zur Variante des Patentanwalts, da ihm gerade der zweite Teil von Sheik Yerbouthis Schilderung wenig behagte. Wenngleich er zum Wohle der Diva durchaus bereit war, auch zu außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen. Doch sahen die galaktischen Gentlemen auch keine rechten Alternativen. Da es quasi nichts gab, was man definitiv in Händen halten konnte, stand hier Spekulation vor Kombination. So entschloss man sich zu einem Kompromiss, bestehend aus dem Richard-Vorschlag und einer entschärften Sheik-Variante.
Somit wäre dieser Abend, nach dem bereits genossenen Menü, in Erwartung des nun folgenden Desserts, nebst einigen Komplimenten in Richtung Diva, wohl zu Ende gegangen, wenn da nicht einen gewissen Patentanwalt ein kleines Teufelchen geritten hätte. Denn als die kleine Gruppe so saß und sich in Nebensächlichkeiten verlor …

„Also Leute, wenn ich mir das recht überlege, haben wir eine Möglichkeit noch gar nicht in Betracht gezogen. Mir kommt da nämlich eine großartige Idee. Befindet sich doch heute Abend der größte Detektiv aller Zeiten in unserer Mitte.“
Die Gruppe reagierte überrascht. So eine überschwängliche Lobesäußerung war man vom Patentanwalt gar nicht gewohnt.
„Ähem … wen meinst du denn damit, Richard?“, fragte Carambeau peinlich berührt nach.
„Ach, stimmt ja, du weißt ja noch gar nichts von den besonderen Qualitäten unseres Dieners.“
Richard blickte spitzbübisch in die Ecke in der Roberto stand. Er klärte Carambeau kurz darüber auf, was es mit der Hochglanzeinheit auf sich hatte.
„Ja, Carambeau, das Kerlchen, da hinten in der Ecke. Der weiß uns sicher Rat. Ich könnte schwören, dass er mich schon die ganze Zeit frech angrinst.“
„Also, Richard, du bist vermutlich der einzige hier, der in seinem künstlichen Antlitz einen Gesichtsausdruck erkennen kann“, merkte der Bibliothekar an. „Ich sehe jedenfalls nichts.“
„Vielleicht fehlt dir ja der Blick fürs Wesentliche. Hey du, Freundchen! Da hinten! Ja – dich mein ich.“
Der Robot gab dem Patentanwalt freundlich an.
„Ja, Master Lester, was kann ich für Sie tun?“
„Für mich weniger. Für diese Dame hier schon eher.“ Der Patentanwalt wies mit einer noblen Geste auf die Lady zu seiner Rechten.
„Bist doch den ganzen Abend da im Eck rumgestanden und hast den Fall aus nächster Nähe mitbekommen. Nun, wir alle warten gespannt auf dein Urteil. Aber, darf ich raten …?“, der Patentanwalt drehte sich leicht zur Seite und zwinkerte der Diva zu, „… ich vermute mal, da es sich hier um einen authentischen Fall und keine deiner nostalgischen Speicherwaren handelt, bist du ein wenig … überfordert, hä?“
Der Robot trat einen Schritt aus der dunklen Ecke hervor und wirkte trotz seines künstlichen Antlitzes irgendwie so, als sei er amüsiert.
„Master Lester, wenn Sie es wünschen, werde ich selbstverständlich behilflich sein. Allerdings habe ich in der Tat ein kleines Problem.“
„Hah!, dacht ich mir’s doch. Muss dir aber nicht peinlich sein, Freundchen. Kommst ja auch frisch vom Band. Hab du erst mal unsere Erfahrung, dann kannst du vielleicht deinen Teil zur Runde beitragen. Vorerst wollen wir’s aber beim Bedienen lassen, ja?“
Der Patentanwalt prostete kurz in die Runde und gönnte sich erneut einen Schluck vom schweren Roten.
Der Robot neigte seinen Kopf sacht zu Seite, und wieder schien es einem Betrachter so, als läge eine Spur Schadenfreude in den eigentlich nicht vorhandenen Gesichtszügen.
„Oh, Master Lester, Sie haben mich falsch verstanden.“
„Was sagst du da, Freundchen?“
„Der Fall, Master Lester, ist nicht das Problem – den habe ich bereits gelöst.“

Der Patentanwalt schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Na, da hol mich doch … So, so – gelöst hast du ihn. Und wie hast du das angestellt, Freundchen?“
„Nun, vielleicht haben die Herrschaften ja Lust mit mir einen Blick durch das ovale Fenster zu werfen, und den kleinen Herkules bei seiner Arbeit zu beobachten?“
Diesmal waren es die Schenkel auf denen sich der Patentanwalt herumklatschte und auch die anderen bei Tisch lachten los. Zunächst war man ja sehr gespannt gewesen, doch nun redete der Robot total wirres Zeug daher. So gut Roberto als Kellner überzeugen konnte, umso enttäuschender stellten sich seine kriminalistischen Fähigkeiten heraus. Der Patentanwalt wollte seinen Triumph natürlich bis zum Letzten auskosten. Zwischen einem japsenden Luftholen, das ihm sein Gelächter aufzwang, verlangte er nach dem Trattoriabesitzer.
„Schnell, holt Fortunato aus der Küche. Er soll unbedingt miterleben, wie perfekt unser Meisterdetektiv funktioniert.“
Nur wenig später saß der Gastgeber auf seinem angestammten Platz und war gespannt, was da folgen würde.
„Geht es dir gut, Roberto?“, fragte Fortunato seinen Robot, nachdem ihm mitgeteilt worden war, was für seltsame Aussagen dieser getan hatte.
„Es geht mir ausgezeichnet, danke der Nachfrage, Sir.“
„Papperlapapp, was redest du dann für einen Unsinn daher?“
„Ganz ruhig, Richard. Und du, Roberto, sagst uns jetzt erst einmal, wo dieses Haus sein soll, dessen Fenster so eine seltsame Form haben?“
„Oh, Master Fortunato, wir werden dazu diesen Raum nicht verlassen müssen.“
Der Robot wandte sich an die verblüfft dreinblickenden Gäste.
„Zuerst möchte ich den Anwesenden ein Kompliment aussprechen, und glauben Sie mir, es kommt von tiefstem kybernetischem Herzen. Ich darf behaupten, dass ich als Künstlicher geradezu für mechanische Präzision stehe, doch beim Studium der menschlichen Anatomie, stellte ich fest, dass der Mensch ein wahres Wunderwerk der Mechanik ist.“
„Häh? Von was redet der Kerl?“
„Warte, Richard, lass ihn doch einmal ausreden. Schließlich war es ja mein Geld.“
„Das menschliche Gehör, Master Lester, ist zum Beispiel so eine wundervolle Einrichtung. Glauben Sie mir, gerade eine Maschine wie ich, kann nur in den höchsten Tönen von der Präzision schwärmen, die der Mensch in seinem Inneren verborgen trägt. Um dieses Wunderwerk in seiner Gänze zu verstehen, müssen Sie sich den gehörten Ton als Welle vorstellen. Gerade wie ein in den See geworfener Stein Wellen erzeugt, gilt dies auch für die Welt des Schalls. Wie empfindlich das Gehör reagiert, mag ihnen ein Beispiel verdeutlichen. Wenn Sie im Sommer hinter ihrer Schutzmauer auf der Gartenliege entspannen und sich in der Wohnung ihr Kommunikator meldet, reicht bereits dieser geringe Schalldruck aus, um dieses Klingeln wahrzunehmen. Durch den ganzen Raum des Zimmers, durch einen winzigen Spalt im Fenster hindurch, bis zu ihnen auf der Liege, dringen diese Wellen an ihr Ohr. Tatsächlich reicht bereits ein Schalldruck von lediglich 0,0002 µbar aus, um einen Höreindruck zu erzielen. Und eine noch geringere Empfindlichkeit würde gar keinen Sinn ergeben, da der Mensch sonst die durch die Brownsche Molekülbewegung hervorgerufenen Luftdruckschwankungen als ständiges Störgeräusch wahrnehmen würde. Ist dies alles nicht überaus faszinierend?“
Der Patentanwalt konnte im ersten Moment gar nichts dazu sagen, so perplex war er von den Ausführungen des Robots und dessen für eine Maschine ungewöhnlichen Ansichten. Dann hatte er sich wieder gefasst.
„Also, Fortunato, bei diesem Typen dürftest du keine Probleme mit dem Umtausch haben. Und, falls doch, kann ich dir einen Kollegen von mir empfehlen. Sollen wir uns jetzt den restlichen Abend einen Vortrag über die menschliche Anatomie anhören? Pff …ist doch alles ohne Belang für den Fall.“
„Lass ihn doch endlich einmal ausreden, du alter Griesgram“, meldete sich nun Andreas Andrea Bofinger zu Wort. Er hatte immer noch Püppi im Arm, der längst wieder friedlich auf dessen Schoß kuschelte. „Ich bin jedenfalls gespannt, worauf er hinaus will.“
„Danke, Ladyman Bofinger. Nun, hinter dem Trommelfell sorgen winzige Knöchelchen, Hammer, Amboss und Steigbügel genannt, für die Übertragung der Schwingungen. Schließlich gelangt alles zu einer feinen Membran, die ins eigentliche Hörzentrum, dem Innenohr, mit seinen empfindlichen Nervenzellen, führt. Und für diesen Übergang hat der Mensch eine sehr eigentümliche Bezeichnung gefunden, das fenestra vestibulis.
„Das ovale Fenster!“, rief der Bibliothekar erstaunt in die Runde. „Demnach hast du die ganze Zeit von unserem Gehör gesprochen?“
„Richtig, Master Hägi, und als einen regelrechten Herkules bezeichnete ich den Musculus stapedius, den kleinsten Muskel im menschlichen Körper. Er hebelt die Steigbügelplatte aus dem ovalen Fenster etwas heraus, wodurch sehr laute Geräusche abgeschwächt werden. Doch die Lautstärke weist uns lediglich den Weg, hin, zu etwas ganz Entscheidendem.“
„Zum Teufel. Mir reicht’s jetzt. Ist ja schön, dass du uns über unser Innenleben aufklärst. Aber was hat das alles mit dem Fall zu tun?“
„Nur Geduld, Master Lester, darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Es erscheint mir nur wichtig, Ihnen die Zusammenhänge verständlich zu machen. Denn, sehen Sie, obwohl ich voll des Lobes für den menschlichen Hörapparat bin, muss ich feststellen, dass er leider nicht perfekt ist.“
„Also, Fortunato, jetzt reicht’s wirklich. Jetzt muss ich mir schon von einer Maschine sagen lassen, ich sei nicht perfekt und mir Kritik bezüglich meines Körpers gefallen lassen. Wenn der Bursche jetzt nicht sofort damit herausrückt, wohin das alles führen soll, schalt ich ihn ab.“
„Sie sollten sich nicht so aufregen, Master Lester, dies schadet nur ihrer Gesundheit. Sehen Sie, ihr Körper unterliegt einem natürlichen Alterungsprozess. Dies trifft auch auf ihr Gehör zu. Und die Lautstärke ist nicht alleine ausschlaggebend für das Hören, sie weist uns den Weg zur Frequenz. Wussten Sie, dass das menschliche Gehör zu Beginn eine Frequenz zwischen 16 und 20.000 Hertz zu hören imstande ist? Dies entspricht in etwa zehn Oktaven. Später gehen dann die oberen Oktaven verloren. Dies ist nicht so dramatisch, da stets gilt, dass sich die Frequenz des Grundtones zur Frequenz der Oktave verhält wie 1 : 2. Die Frequenz der Oktave ist also stets doppelt so groß wie die des Grundtones. Wenn demnach mit zunehmendem Alter die obere Hörgrenze des Menschen von 20.000 Hz auf 10.000 Hz absinkt, so klingt dies zwar dramatisch, bedeutet aber nur den Verlust einer einzigen Oktave. Zur Kommunikation reicht im allgemeinen die restliche Bandbreite aus. Wohlgemerkt – im Allgemeinen. Doch gerade in unserem Fall spielt das Thema Kommunikation eine ganz entscheidende Rolle.“
Der Patentanwalt schwieg erstmals still.
„Lady Alderton erklärte uns, sie werde seit neuestem auch über ihren Kommunikator belästigt. Sie rätselte, wie die Fremden an ihre Nummer gekommen seien und erwähnte, dass Sie das Gebimmel geradezu verrückt gemacht habe. Hier liegt nun das Problem, und auch das meinige, da ich befürchte Ihnen Unbequemlichkeiten zu bereiten. Dabei bin ich doch programmiert, Sie zu erheitern. Doch da Sie um die Auflösung baten, muss ich Ihnen sagen, Lady Alderton hat gelogen.“
„Waaas – Sie unverschämter …“
Die Beschimpfungen, die nun folgten, zeugten davon, dass sich Lady Alderton bestimmt nicht immer nur in den feinen Kreisen aufgehalten hatte. Doch schließlich gelang es, die Dame wieder zu besänftigen, indem sie darauf aufmerksam machte, dass die Maschine ja defekt sei. Doch wollte man Fortunato zuliebe vor der Abschaltung gerne noch den Rest erfahren. Die Lady war keineswegs begeistert, doch gaben ihr die Sympathien der Anwesenden eine gewisse Sicherheit. So durfte der Robot, unter letztmaliger Aufforderung nun endlich zur Sache zu kommen, fortfahren.
„Wie die Herrschaften wissen, hat sich Lady Alderton mit ihren Äußerungen bei den Jugendlichen nicht gerade beliebt gemacht. So klang es authentisch, als sie von den Belästigungen erzählte. Indem Lady Alderton dann den Telefonterror erwähnte, ging sie einen Schritt zu weit. Sie war offensichtlich so mit sich selbst und ihrem neuen Film beschäftigt, dass ihr eine Meldung von letzter Woche entgangen war. Wie Sie wissen, sieht sich Razorgate als Sprachrohr der Jugend und feilt gern an diesem Image. Der neueste Gag ist nun, dass einer Nachricht ein Klingelton vorangeht, der im hohen Oktavbereich gesendet wird. Damit will man signalisieren, ganz für die Jugend dazusein und die Stimmung im ohnehin schon ausufernden Generationskonflikt weiter anheizen. Ich weiß nun, wie empfindlich der Mensch beim Thema Alter reagiert, doch, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, haben alle hier Anwesenden das 60. Lebensjahr schon hinter sich gelassen – auch die Lady.
Die Giftpfeile, welche die Alderton in Richtung Robot schleuderte waren von bester Qualität.
„Sie schwachsinnige Maschine, Sie. Sechzig Jahre ist doch heutzutage kein Alter, und außerdem funktioniert mein Gehör noch bestens.“
„Das glaube ich Ihnen gerne, Lady Alderton, nur eben nicht bei der entsprechenden Frequenz.“
„Pah! Wie können Sie das denn beurteilen?“
„Hierzu war in der Tat ein kleiner Test notwendig. Als Sie den Telefonterror erwähnten, hegte ich ja lediglich einen Verdacht.“
„Aber sicher doch, der HUND!“, erkannte der Bibliothekar und fasst sich an den Kopf.
„Kompliment, Master Hägi, wieder richtig. Sie erinnern sich, als der Hund von Ladyman Bofinger auf einmal ohne ersichtlichen Grund anschlug und sich nur schwer wieder beruhigen ließ? Als ich mich Ihnen abgewandt hatte, um den Wein zu dekantieren, erzeugte ich bei steigendem Schalldruck eine Referenztonfolge, die dem Klingeltonpfeifen von Razorgate entsprach. Selbst die Herrschaften hörten nichts, doch selbst wenn, wäre dies nicht von belang gewesen. Mir war nur die Reaktion der Lady wichtig. Doch da Lady Alderton nichts mitbekam, fiel ihr gesamtes Lügenkonstrukt in sich zusammen. So hatte sich der Fall aufgelöst – in Nichts, da es nie einen gegeben hatte.“
„Lydia, mein Gott. Stimmt denn das alles?“, Carambeau war völlig aufgelöst.
„Ach … Ihr blöden, senilen …“
Die Alderton war aufgesprungen und aus dem Zimmer gestürmt, Carambeau hielt es auch nicht mehr lange auf seinem Platz. Vielleicht konnte er sie noch erreichen – und hoffen?

Die Zurückgebliebenen mussten erst einmal kräftig durchatmen. Der Einzige, dem ein Grinsen auf dem Gesicht stand, war Fortunato.
„Wieso hat Sie das alles nur inszeniert“, fragte der Bibliothekar in den Rest der Runde, und es war ein Künstlicher, der ihm Antwort gab.
„Ich bin mit den menschlichen Verhaltensweisen durchaus vertraut, Master Hägi. Ich vermute, dass Lady Alderton sich an dem Spruch orientierte: ‚Lieber eine schlechte Presse, als gar keine‘. Der Stern der Dame schien schon zu verblassen, doch ihr neuster Film schlug auch dank des aggressiven Werbefeldzugs ein, wie eine Bombe. Die Herrschaften mögen mir meine martialische Ausdrucksweise verzeihen, aber in diesem Falle erscheint sie mir recht passend.“
„Und der obszöne Avatar, zu Hause auf ihrem Bildschirm?“
„Eine Finte, Master Lieberman. Ich vermute, dass ein Techniker der Filmgesellschaft in den Fall involviert ist. Es dürfte Master Carambeau nicht schwer fallen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um die passende Verbindung herzustellen. Wenngleich ich befürchte, dass Master Carambeau die Angelegenheit emotional schwer belasten wird. Ich vernahm einen spürbaren Anstieg seiner Pulsfrequenz, als die Lady ihre Hand auf seinen Oberschenkel nahe des Fortpflanzungsorgans legte.
Fortunato grinste und nickte mit dem Kopf. Er war mehr als zufrieden – mit dem Kauf, den er getätigt hatte. Mit einem breiten Lächeln klopfte er dem Robot väterlich auf die Schulter und ging wieder in die Küche, um nach dem rechten zu sehen.
Nun kam auch wieder Leben in den Paradiesvogel. „Ich hab doch gleich geahnt, dass mit DER etwas nicht stimmt. So ein durchtriebenes Miststück.“ Alle Sympathie, die Alderton betreffend, war aus Andreas Andrea Bofinger entschwunden.
„Aber unser Roberto hat seine Sache wirklich gut gemacht“, konstatierte Ariel Lieberman.
„Hmm … Ja, aber nur bedingt. Nämlich dadurch, dass er die Möglichkeit hatte, diese Töne, mit denen er die Alderton letztendlich überführen konnte, überhaupt erst zu erzeugen.“
„Pah! Du wieder. Gib doch zu, dass er dir haushoch überlegen ist. Robertoooo! Hörst du? Supi! Wirklich gaaanz toll gemacht, mein Lieber. Huiii …!“
Zur Feier des Tages musste die Federboa von Andreas Andrea Bofinger als Luftschlange herhalten. Der Bibliothekar musterte den Robot indessen sehr eindringlich.
„Da ist auch etwas in seinem Verhalten. Für eine Maschine sehr ungewöhnlich. Hmm, wenn ich es nicht besser wüsste, dass es sich bei ihm lediglich um einen Robot handelt.“
„… und ist euch aufgefallen“, merkte Sheik Yerbouthi an, „wenn man ihn etwas fragt, dann gibt er einem oft nur ausweichende Antworten“.
„Ja, Freundchen! Was sagst du zu all dem?“
„Darf ich den Herrschaften jetzt das Dessert servieren?“
 

Fugalee Page

Mitglied
Verehrte Ladies der Venus,
geschätzte Gentlemen vom Mars,

jedes Jahr, pünktlich zu Silvester stolpert der Diener über sein Tigerfell. Auch gestern war es wieder einmal Zeit für das „Dinner for One“. Heute zum Neujahrstag gibt es einen kleinen Nachschlag, ein Dinner after Eight.
Ich wünsche viel Vergnügen im „Club der galaktischen Gentlemen“ und allen Lesern für 2007 nur das Beste.


Fugalee Page
 

Fugalee Page

Mitglied
„Nein und nochmals nein! Ich habe nichts gegen Frauen, aber dies ist nun einmal ein Herrenclub!“ Der Patentanwalt schlug mit der Faust auf den Tisch und nahm den links von ihm sitzenden Paradiesvogel scharf ins Visier.
„Außerdem …“, setzte er nach, „dein Aufzug ist erneut ein Fehdehandschuh, den du mir ins Gesicht schlägst.“
„Ein was?“, fragte der Paradiesvogel nach und zupfte sich die Federboa zurecht.
„Na, da seht ihr’s wieder“, wandte sich der Anwalt an den Rest der Runde. „Diese Karikatur eines Gentleman nimmt unsere Sache doch gar nicht ernst. Dieser Parvenü wirft doch allenfalls sporadisch einen Blick auf historische Aufzeichnungen.“
„Oh, ich nehme unsere Sache sogar sehr ernst“, verteidigte sich Andreas Andrea Bofinger. „Aber sogar einem Banausen wie dir dürfte nicht entgangen sein, dass es sich bei meinem ‚Aufzug‘ um ein historisches Kleid handelt.“
Der Patentanwalt schüttelte nur verständnislos den Kopf während er sich anschickte die nostalgische Meerschaumpfeife in akkurater Weise zu stopfen.
„Liebe Freunde“, versuchte Fortunato, der Trattoriabesitzer, zu schlichten. „Jetzt kennen wir uns doch schon so lange, und du, lieber Richard, kennst die Neigungen und Vorlieben von Andrea. Lassen wir es doch gut sein und genießen den Abend.“
„Ja, siehst du, Fortunato versteht mich, und er nennt mich sogar Andrea.“
„Weil der Name Andrea für ihn nichts Ungewöhnliches ist, du Schwachkopf, da dieser in Italien bei Männern geläufig ist. Mir hingegen ist klar, dass du diesen Fummel nur trägst, um mich zu ärgern und die Clubstatuten ad absurdum zu führen.“
Richard hatte die Pfeife gestopft und zelebrierte die ersten Züge. Er und der Sheik, der es irgendwie geschafft hatte eine historische Sheesha aufzutreiben, waren die einzigen bei Tisch, die rauchten. Was angesichts der hohen Geldstrafen auch verständlich war. Sheik Yerbouthi nahm Position für den Paradiesvogel ein.
„Was glaubst du, Richard, was für Gestalten sich den ganzen Tag in meiner Spielothek herumtreiben. Du solltest meinem ‚Tempel der Freuden‘ einmal einen Besuch abstatten, dann wärst du gewiss toleranter. Auch gibt es bei uns ein Sprichwort, welches besagt: Findet der Eunuch gefallen an Frauenkleidern, so sei ihm wohl gesonnen, doch strafe ihn, falls er das Weib darin begehrt.“
Andreas Andrea fand dieses Sprichwort äußerst unpassend, da er sich nun gar nicht wie ein Eunuch vorkam; unterließ es aber zu protestieren, da er das Wohlwollen des Sheiks nicht unnötig strapazieren wollte. Allzu zart erschien ihm das Pflänzchen der Zuneigung.
„Nein danke, Sheik“, gab der streitbare Patentrechtler zur Antwort. „Dein Angebot in Ehren, aber ich muss ablehnen. Bei der heutigen Jugend kann ich mir lebhaft vorstellen, wie es bei dir zugehen mag. Außerdem, das hier ist keine Frage der Toleranz. Wie ihr alle wisst, haben wir uns dieses kleine Refugium geschaffen, um der Welt da draußen für ein paar Stunden zu entfliehen. Die Einrichtung dieses Zimmers ist mit Bedacht gewählt und auf historische Authentizität hin zusammengestellt. So waren wir uns einig, unsere Clubregeln den damaligen Gepflogenheiten anzupassen. Was bedeutet: In einem Herrenclub – keine Frauen!“
„Aber …“, meldete sich der Finanzbeamte, Ariel Lieberman, zu Wort. „… hier hat dich unser geschätzter Bofinger dann überlistet. In den Regeln stand nichts darüber, dass ein Mann nicht in Frauenkleidern erscheinen dürfte. Und, wenn du mir diesen Einwand erlaubst, dein Inverness-Mantel, der Deerstalker-Hut nebst dieser sündhaft teuren Meerschaumpfeife könnten auf einen spontanen Gast ebenfalls erheiternd wirken. Da wir ferner letzte Woche darüber abgestimmt hatten, ob diese Art der modischen Interpretation in Ordnung wäre – und die Mehrheit nichts dagegen hatte – solltest du dich an den Gedanken gewöhnen, dass Bofinger ab und an zu seiner bzw. ihrer Puderquaste greifen wird.“
„Ja, Richard, dem kann ich nur beipflichten“, tat dann auch Urs Hägi, der Bibliothekar, seine Meinung kund. „Spätestens wenn Patrick mit unserem Gast eintrifft, solltet ihr euren Disput beigelegt haben. Was soll denn sonst die Diva von uns denken?“
„Genau!“, beeilte sich Andreas Andrea Bofinger zu bestätigen. „… und außerdem, bei DER hattest du ja auch keine Einwände vorzubringen.“
„Das ist etwas anderes!“, stellte der Anwalt mit Entschlossenheit fest. „Sie ist ein Gast und kein Mitglied dieser Runde. Außerdem hat sie Carambeau um Hilfe gebeten. Und da Patrick ein Mitglied ist, sind seine Anliegen auch die unsrigen. Zudem liegt es in der Natur eines Gentleman, einem Hilfesuchenden die Hand zu reichen. Dabei spielt das Geschlecht keine Rolle.“
„Na, dann sind wir uns ja wenigstens in dieser Hinsicht einig“, blinzelte Fortunato di Campli dem Paradiesvogel versöhnlich zu.
„Außerdem, lieber Richard, sitzen wir nicht auch heute am Neujahrsabend hier zusammen, um Spaß an der Sache zu haben? Ich denke, du siehst das Ganze zu verbissen. Klingt nicht schon unser Clubname reichlich übertrieben?“
Fortunato stieß auf Unverständnis.
„Papperlapapp“, entgegnete der Patentanwalt, „Zwar wissen wir heute, dass es auf anderen Planeten primitive Lebensformen gibt, aber bis wir in den Tiefen des Alls auf andere Gentlemen treffen werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen. So spiegelt sich in unserem Namen, dem ‚Club der galaktischen Gentlemen‘ die Dimension unserer Einzigartigkeit wider. Und die Anwesenden, vielleicht mit einer Ausnahme, sind ja auch würdige Mitglieder dieses Clubs.“
Noch ehe Bofinger reagieren konnte, wechselte Fortunato schnell das Thema.
„Glaubt ihr denn, dass wir der Bekannten von Patrick überhaupt helfen können? Es handelt sich hier immerhin um einen authentischen Fall. Sozusagen um einen Fall nach einer wahren Begebenheit.“
„Wir werden es zumindest versuchen, nicht wahr, Ariel?“, sprach der Sheik und blies dem Finanzbeamten den kalten Rauch ins Gesicht.
„Ich weiß auch nur das, was seit Tagen in der Zeitung steht“, stellte Lieberman fest und rieb sich mit einem Taschentuch die tränenden Augen trocken. „Anscheinend wird sie massiv belästigt und sogar bedroht. Nach ihren jüngsten Äußerungen auch kein allzu großes Wunder.“
„Hat eine solche Berühmtheit denn keine Berater, die ihr bei solchen Interviews zur Seite stehen?“, gab Urs Hägi zu bedenken.
„Ach, Urs, wie schnell ist etwas gesagt, das man im Nachhinein lieber ungeschehen machen möchte. Ich wünschte, gewisse Personen hier bei Tisch würden nicht genauso grobschlächtig verfahren.“
Die Federboa, die sich Bofinger bei diesen Worten mit einer ausladenden Bewegung um den Hals schlang, und damit wie zufällig durch das Gesicht des Patentanwalts wischte, ließ es Fortunato nötig erscheinen, nun die Überraschung zu präsentieren.
„Liebe Freunde, bevor unser geschätzter Patrick Carambeau mit seiner Bekannten hier eintreffen wird, möchte ich euch noch jemanden vorstellen.“
„Ach, kommt denn noch eine weitere Person?“, wunderte sich Ariel Lieberman.
„Oh ja, allerdings kein Gast, sondern ein neuer Gehilfe.“
„Und weshalb? Warst du denn mit Donati nicht zufrieden?“, wunderte sich Urs Hägi.
„Leider nein, lieber Urs. Der Ganove hat sich an den In-Ports der Gästetische zu schaffen gemacht, und so die Rechnungen manipuliert. Die Differenz wanderte auf sein Konto. Nicht sehr viel pro Gast, aber es läpperte sich. Ach – ich hätte einfach keinen ausgemusterten Computerexperten einstellen sollen. Aber ihr kennt doch das gute Herz von eurem Fortunato.“
Der Italiener neigte den Kopf gen Brust, blickte mit gesenktem Kopf in die Runde und erwartete die Mitleidsbekundungen seiner Gäste.
„Ich kann dich verstehen!“, rief der Sheik. „Bei mir an den Dreamsequenzern und den Holokäfigen manipulieren die Freaks auch ständig herum. Aber der Sheik ist cleverer. Ich habe mir das gerissenste As geschnappt. Er arbeitet jetzt für mich - ihr versteht?“
Ein listiges Grinsen zog über das Antlitz des Muselmannes, welches sich alsbald erneut in die orientalischen Rauchschleier der Wasserpfeife hüllte.
„Also ich fand den Donati eigentlich immer ganz süß“, erklärte Andreas Andrea Bofinger. „Der hat immer so nett gelächelt, wenn er mir das Tiramisu serviert hat.“
„Gelächelt und bei einem Dussel wie dir vermutlich gleich doppelt abkassiert“, resümierte der Patentanwalt.
„Vielleicht hat er das Geld ja dringend gebraucht“, gab Andreas Andrea trotzig zurück und zupfte sich das Oberteil zurecht.
„Hah! Nun hört euch den an. Hat auch noch Mitleid mit dem Kerl. Nicht zu fassen.“
Richard hatte wiederholt mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Das ging nun auch an „Püppi“, dem Hündchen von Bofinger, nicht spurlos vorüber. Die ganze Zeit hatte es still und friedlich in der Ecke gesessen und sich mit einer Stoffpuppe beschäftigt. Jetzt bellte Püppi los und nach einem Wink seines Herrchens sprang er diesem flugs auf den Schoß.
„Armes Püppi“, versuchte Andreas Andrea seinen Liebling zu beruhigen. „Hat dich der böse Mann so erschreckt, ja?“
Der Umstand, dass Püppi überhaupt in der Lage war, auf den Schoss seines Herrchens zu hüpfen, zeugte von einer erfolgreichen Wirbelsäulenregeneration. Nach dem Crash mit einem Lieferwagen war diese auch bitter nötig gewesen. Sündhaft teuer zwar, doch Püppi war schließlich jeden einzelnen Euro wert.
Als das Hündchen dann mit dem kupierten Stummelschwänzchen wedelte und seinem Herrchen das Gesicht ableckte, verzog Richard angewidert das Gesicht und wandte sich ab.
„Ach, kümmert euch nicht um die beiden Streithähne“, ermahnte Lieberman. „Die beruhigen sich schon wieder. Jetzt verrate uns doch, Fortunato, wen du uns vorstellen wolltest?“
„Ja, genau …“, forderte auch Urs Hägi. „Mach’s nicht so spannend. Wer ist es denn?“
„Er wartet schon. Draußen vor der Türe. Ihr werdet überrascht sein.“ Fortunato machte kehrt, ging zur Türe, öffnete sie und verkündete mit Stolz geschwellter Brust: „Seht her, meine Freunde! Ihn möchte ich euch vorstellen.“

„Ein Robot!“, kam es da aus mehreren Kehlen.
„Ein Androide?“, versuchte Urs Hägi zu konkretisieren.
„Ach was, ein Robot ist ein Robot!“, stellte Richard dann fest.
„Und …“, Fortunato war sichtlich aufgeregt. „Und – ist er nicht toll? Er heißt Robert.“
„Ein Robot namens Robert“, spöttelte Richard. „Also, Fortunato, da hätte ich dir mehr Phantasie zugetraut. Dann nenne ihn dem Ambiente deines Lokals zuliebe wenigstens Roberto.“
„Am Namen soll es nun wirklich nicht scheitern, liebe Freunde. Hauptsache ihr findet Gefallen an ihm.“
„Wir könnten ihn auch Roberta nennen“, schlug Andreas Andrea vor. „Vielleicht wünscht er sich ja einen weiblichen Namen.“
„Ich geb dir gleich Roberta, du Federboa Constructor eines irrwitzigen Dschungelalbtraums.“
Andreas Andrea lief unter dem aufgetragenen Rouge dennoch sichtbar rot an und wandte sich an den Trattoriabesitzer.
„Fortunato, wenn der Paragraphenreiter mich weiterhin so beleidigt, dann geh ich.“
Fortunato zuckte nur mit den Achseln. In solchen Momenten war es das Klügste, sich neutral zu verhalten.
„Warst du nicht immer gegen einen künstlichen Angestellten?“, hakte Urs Hägi nach, der offenbar keine Lust verspürte, den Streithähnen weitere Beachtung zu schenken.
„Ja, eigentlich schon, aber nach dem Vorfall mit Donati. Na, und selbstverständlich bleibt die Küche weiterhin unter meiner Obhut. Hmm, lediglich vielleicht so kleine Hilfsarbeiten …“
„War der Robot nicht sehr teuer?“, wollte Ariel Lieberman wissen, doch funkte der Sheik dazwischen.
„Geld ist wieder mal das Einzige, was dich interessiert. Gönnen wir Fortunato doch diesen kleinen Luxus.“
„Ich gönne ihm alles Glück dieser Erde“, erwiderte Lieberman, „aber es soll ja Leute geben, für die Geld eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Es zieht ja nicht jeder den Spielern so ein Vermögen aus der Tasche, wie du. Manche Kinder haben ja schon am Nachmittag den ganzen Monatslohn ihrer Nanny verspielt.“
„Hört, hört, aber wenn es darum geht, die horrenden Steuern abzukassieren, dann hast du mit meinem Geld keine Probleme, oder? Außerdem, meine Familie ist groß, und ein arabisches Sprichwort sagt: Hat ein Kamel mehr als zwei Höcker, so ist es schwer, es satt zu bekommen.“
„Kann es sein, dass dieses Sprichwort erst nach dem großen Reaktorunfall in Dubai entstanden ist?“, fragte Lieberman schelmisch dreinblickend nach.
Der Sheik hüllte sich in Schweigen und zusätzlich in eine neue Wolke seiner Wasserpfeife. Aus dem Rauch schien sich eine regelrechte Windhose zu formen, die der Sheik dem jüdischen Finanzbeamten erneut in die Augen blies, dass diesem die Tränen nur so flossen. Erst als sich die Wolke wieder verzogen hatte, erschienen einem die beiden Fronten wieder klarer. Was nicht bedeutete, dass diese fortan auch immer geklärt sein würden.
„Jetzt fangt ihr nicht auch noch an, euch zu streiten“, ermahnte Fortunato, und dann zu Lieberman: „Weißt du, Ariel, so teuer war Roberto gar nicht. Ein Schnäppchen, könnte man sagen. Und dazu gab’s noch ein Softwarepaket meiner Wahl dazu. Das wird euch übrigens gefallen.“
„Was ist das für eine Software?“, fragte der Anwalt sogleich nach.
„Nun, da wir alle dem gleichen Hobby nachgehen und bei unseren Treffen historische Kriminalfälle analysieren, habe ich den Instruktor angewiesen, Roberto sämtliche Kriminalliteratur einzuspeisen und bestimmte Charaktere miteinander zu verknüpfen.“
„Zu verknüpfen? Was soll denn das nun wieder bedeuten?“ Der Sheik war sichtlich verwirrt.
„Moment!“, kam Urs Hägi dem Gastgeber zuvor. „Soll das etwa bedeuten, du hast versucht, die Kombinationsgabe all dieser bekannten Detektive in Roberto zu vereinen?“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Trattoriabesitzers.
„Nun, wie du als belesener Mensch sicher weißt, handelt es sind genaugenommen um die Phantasien der einzelnen Autoren. Doch wenn du so willst, dann trifft es durchaus zu. In Roberto sind alle Fälle und das Wissen jener berühmten Detektive vereint.“
Ein Raunen ging durch die Runde.
„Auch die Geschichte mit dem Orientexpress?“, wollte der Sheik wissen.
„Auch die Geschichte mit dem Orientexpress“, bestätigte ein schmunzelnd dreinblickender Fortunato.
„Wirklich beeindruckend!“, honorierte auch Lieberman.
„Ach, das muss nun gar nichts heißen“, meldete sich der Patentanwalt zu Wort. „Ihr seid wie kleine Kinder, die sich über ein neues Spielzeug freuen und darüber alles andere vergessen. Denkt doch einmal nach. Hätte ich, wie der Sheik, ein Faible für Sprichwörter, würde ich es vermutlich so auf den Punkt bringen: Zu viele Köche verderben den Brei! Hätten diese genialen Detektive alle an einem Fall gearbeitet, wären sie sich gegenseitig nur so auf den Füßen herumgetrampelt. Herausgekommen wäre nichts anderes, als heiße Luft. Ein Genie braucht Raum, um sich entfalten zu können.“
„Deines ganz bestimmt“, kam es schnippisch von der linken Seite. „Du bist doch nur neidisch, weil eine Maschine dir überlegen sein könnte. Sicher besitzt Roberto auch mehr Phantasie als du. Jemand der immer nur die Arbeiten anderer bewertet, und selbst nichts Kreatives zustande bringt, der dürfte ganz schön gefrustet sein, oder?“
Die verbale Attacke kam schnippisch und so unerwartet, dass dies selbst den streitbaren Anwalt überraschte. Er lief zwar rot an und wollte anmerken, dass es in der Geschichte ja durchaus schon äußerst interessante Patentleute gegeben hatte. Doch unterließ er es dann, da es ihm in der momentanen Situation von Nachteil schien, sich mit fremden Federn zu schmücken. Andreas Andrea genoss indessen den kleinen Sieg und strich mit einer speziellen Bewegung über sein Kunsthaar, womit er den Farbton von tizianrot auf neon-blue änderte.

Roberto hatte den Raum inzwischen betreten und sich den Anwesenden vorgestellt. Es handelte sich bei ihm ganz offensichtlich um einen Hochglanzautomaten. Bei der Wahl der Kleidung hatte Fortunato ganze Arbeit geleistet. Diese entsprach der eines Dieners, aus einer Zeit, die längst in die Analen der Geschichte eingegangen war. Sein hochglanzverchromtes Äußeres war demnach fast vollständig mit Zwirn bedeckt. Selbst die künstlichen Hände waren mit blütenweißen Handschuhen bekleidet. Nur sein Gesicht, die beiden obligatorischen Sehschlitze; eine kleine künstliche Nase; der Mund, der aussah, als würde er hinter einem Fliegengitter verborgen liegen und die etwas ungelenk wirkende Körpersprache zeugten von einer Hochglanz-Einheit. Ein Modell mit einer künstlichen, menschlich nachempfundenen Haut wäre Fortunato vermutlich doch zu teurer gekommen. Sah man von dem kleinen Makel des künstlichen Antlitzes einmal ab, so konnte man sich den gehorsamen Diener gut vorstellen, der auf die Wünsche der Herrschaften stets zu vollster Zufriedenheit eingehen würde. Selbst die Stimme von Roberto war der menschlichen recht gut nachempfunden. Der Klangkörper des Robots ließ einen sonoren Bass zu. Und die Art, wie Roberto sich auszudrücken pflegte, ließ erkennen, dass sich der Künstliche offensichtlich der passenden Epoche zugehörig fühlte. So schien der Robot durch die gewissenhafte Programmierung des Instruktors und die Feinjustierung Fortunatos für den »Club der galaktischen Gentlemen« wie geschaffen zu sein. Allein für die Küche, viel zu schade.
„Dann werde ich wieder einen Blick in die Küche werfen, und dies auch im Lokal tun. Die Pflicht ruft, aber dies seid ihr ja schon gewohnt. Bis ich wiederkomme, soll euch Roberto Gesellschaft leisten und eure Wünsche erfüllen.“
Mit diesen Worten verabschiedete sich der Trattoriabesitzer fürs erste und entschwand aus dem liebevoll eingerichteten Nebenzimmer.
Der Robot wurde von den Anwesenden wohlwollend aufgenommen. Vielleicht mit einer Ausnahme. Nicht dass der Patentanwalt eine Abneigung gegen Maschinen gehabt hätte, doch die Vorstellung, dass ihm eine solche die Show stehlen könnte, wollte ihm nicht so recht behagen.
„Na ja, so eine Maschine …“, fing er an, in die Runde zu reden „… eine künstliche Intelligenz, die kann wohl schnelle Berechnungen vornehmen. Sie kann in gewissem Sinne auch kombinieren, doch die Tiefe eines Falles zu erkennen, Kombinatorik mit intuitivem Denken zu vermengen; ein Bauchgefühl für einen Fall zu entwickeln, das bleibt natürlich dem Menschen vorbehalten.“
„Natüüürlich“, kam es gedehnt spöttisch von der linken Seite.
Der Anwalt überhörte die Provokation. Zu sehr nahm ihn die Anwesenheit des Robots ein.
„Nachdem wir der Diva aus der Patsche geholfen haben, werden wir dich ausgiebig testen, Freundchen. Wollen doch mal sehen, ob diese Verknüpfungen was taugen. Bin mal gespannt, was passiert, wenn ein arroganter Belgier die Fälle eines genialen Engländers unter die Lupe nimmt.“
„Ganz wie Sie wünschen, Sir“, gab der Robot zur Antwort. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um die Wünsche der Herrschaften und Ladyman Bofinger zu erfüllen.“
„Ladyman Bofinger?“ Dem Patentanwalt fiel fast die Meerschaumpfeife aus dem Mund.
„Ja, Sir. Wie mir Master Fortunato zuvor mitteilte, wünscht Master Bofinger in Zukunft bei Tisch so genannt zu werden.
„Ladyman Bofinger!“, wiederholte der Anwalt bereits tiefrot anlaufend.
„Ja, Sir, so wurde es mir gesagt.“
„LADYMAN Bofinger!“, wandte sich etwas sehr Erregtes hin nach links, zu einem etwas immer kleiner Werdendem.
„Hilfe, Fortunatoooooo …“

Nachdem sich gewisse Gemüter wieder beruhigt hatten, was nicht zuletzt an der besänftigenden Wirkung des guten Rotweins lag, den Fortunato aus dem Keller hatte holen lassen, näherte man sich dem Höhepunkt des Abends. Die Diva war eingetroffen und ihr Auftritt war grandios gewesen.
Lydia Alderton, so hieß die Schöne, gehörte zu der Sorte Frauen, die nicht unbedingt die besten Bildung genossen hatten. Doch dies war bei dieser Sorte Frau auch nicht zwingend notwendig. Die Alderton verfügte über andere Attribute, und wusste diese auch entsprechend einzusetzen.
Als die Diva den Raum betreten hatte, war sogleich Ruhe eingekehrt. Eine Art kollektive Bewunderung hatte die Wartenden ergriffen. Den Augen des Sheik konnte man ansehen, dass er sich insgeheim die Zeiten des Harems zurück wünschte. Keine Sekunde hätte er überlegt, und diese Lady der Liste seiner Favoritinnen hinzugefügt. Auch Urs Hägi und Ariel Lieberman, eher zwei bodenständige Vertreter der umtriebigen Männerwelt, konnten sich der imposanten Erscheinung nicht entziehen. Selbst die Körpersprache des sonst eher schroffen Patentanwalts deutete auf größtes Wohlwollen hin. Nicht im Traum wäre jemand auf den Gedanken gekommen, dass dieser noch vor kurzem abfällige Bemerkungen über weibliche Clubmitgliedschaften geäußert hatte.
Einzig Andreas Andrea Bofinger betrachtete die Diva mit Skepsis. Vermutlich rührte dies von einer Art Konkurrenzdenken her, das ihm eine zweite Person diktierte, mit der er sich den gemeinsamen Körper zu teilen hatte. Die Diva erkannte dies sofort, da Frauen ein untrügliches Gespür für negative Energien besitzen, vor allem, wenn sie ihnen entgegenwirken. Allerdings war die Diva auf solche Situationen vorbereitet. Noch bevor die Lady überhaupt Anstalten machte, die anderen Clubmitglieder auch nur zu beachten, nahm sie Andreas Andrea mit Geschick in ihren Stand auf.
„Kompliment, ein schönes Kleid, das Sie da tragen. So etwas kenne ich aus historischen Filmen. Die Leute hatten früher ja so eine Liebe fürs Detail. Ich überlege, ob ich für meinen nächsten Film auch etwas in dieser Art tragen sollte. Nicht allzu gewagt; dann hier und da die ein oder andere Applikation. Hm… Was denken Sie?“
Die Wandlung des Andreas Andrea Bofinger vom Agnostiker zum ergebenen Diva-Jünger vollzog sich für den Betrachter augenblicklich. Zwar ging Bofinger nicht auf die Frage ein, aber das war für dieses Zeremoniell auch nicht zwingend notwendig. Das verlegene Lächeln von Bofinger, die Art, wie er sich durchs getunte Kunsthaar strich, wie die Zunge verspielt über die Lippen fuhr und der gehauchte Satz: „Ach Liebes, ich habe alle Ihre Filme gesehen“, zeugten davon, dass die Diva einen weiteren Sieg verbuchen konnte.
Lydia Alderton wusste, was sie wollte und wie sie es bekam. Bereits während der Schulzeit hatte sich dieses spezielle Talent bei ihr gezeigt und war später entsprechend trainiert worden. Patrick Carambeau, der sich als einziger von Berufs wegen mit Verbrechen beschäftigte, kannte die Alderton noch aus jenen Schultagen. Natürlich war er damals, wie alle in der Klasse, in sie verliebt gewesen. Natürlich würde er dies heute, schon gar nicht in der momentanen Situation, jemandem erzählen. Allerdings musste er sich eingestehen, dass hier durchaus Gefühle im Spiel waren, die nichts mit dem Fall zu tun hatten. Und vielleicht, wenn man das zusammen durchgestanden hatte, ergab sich ja eine Möglichkeit … Schließlich war Lydia, wenn man den Medien glauben schenken durfte, alles andere als glücklich verheiratet. Ihr Gatte hatte sich zwei schwarze, 12-jährige Mädchen aus Palumbien adoptiert und anscheinend blieb es nicht immer nur beim Gute-Nacht-Kuss. Ja, die Medien brachten es immer wieder an den Tag. Der prominente Lebensbaum hing voller farbiger Boulevardblätter.

Carambeau verspürte ein leichten Anflug von Eifersucht, als er sah, wie der Patentanwalt der Schönen den Platz zu seiner Rechten anbot. Dieser empfand das wohl nur als gerecht, da er zur Linken ja einen künstlichen Pfau ertragen musste. Weshalb sich im Übrigen diese Sitzordnung etabliert hatte, war allen bis heute ein Rätsel geblieben. Vermutlich wäre ein Tausch der Plätze für jeden der beiden Streithähne einer Kapitulation gleichgekommen.
So saß nun Richard an der Stirnseite des Tisches. Zu seiner Linken, Herr Pfau, dann folgten Urs Hägi und der Sheik. Der Platz vis-a-vis des Anwalts wurde stets freigehalten, da immer mal wieder Fortunato, aus der Küche kommend, vorbeischaute. Ariel Lieberman saß dem Sheik gegenüber, dann folgte Carambeau, und schließlich schloss die Diva wieder zum Anwalt auf.
Die Diva hielt es nun für an der Zeit auch die anderen Anwesenden entsprechend einzubeziehen.
„Sie sind also die berühmten Gentlemen, von denen ich schon so viel gehört habe. Ich hoffe, dass Sie einer Dame aus ihrer Not helfen können.“
„Sie können sicher sein, dass alle unsere grauen Zellen sich ausschließlich mit Ihnen beschäftigen werden“, versprach der Patentanwalt und nahm erneut einen tiefen Zug aus seiner Meerschaumpfeife.
„Oh – Sie sind bestimmt dieser kluge Anwalt, von dem mir Patrick schon so viel erzählt hat“, hauchte sie den Rechtsexperten an.
Patrick wunderte sich, da er Richard nur am Rande erwähnt hatte.
„Ja, der bin ich“, antwortete der Patentanwalt sichtlich angetan.
„Das ist sicher ein interessanter Beruf, oder? Sie haben viel mit anderen Menschen zu tun und deren Erfindungen? Das muss doch wahnsinnig aufregend sein.“
„Ja … nun … eigentlich weniger. Die Leute haben da leider immer noch falsche Vorstellungen. Wissen Sie, in unserer heutigen Zeit sind die verträumten Spinner, die einem ihr zusammengezimmertes Perpetuum mobile unterjubeln wollen, leider ausgestorben. Heute geht es hauptsächlich um geistiges Eigentum. Wenn Sie wüssten, wer alles ein Patent oder zumindest Patentanteile auf etwas hat, Sie würden sich wundern. Patentanteile werden seit geraumer Zeit ja auch an der Börse gehandelt. Sie müssen wissen, sobald Sie ein x-beliebiges Gerät einschalten bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie es wieder in die Ecke stellen. Hinter allem und jedem verbirgt sich eine Idee.“
„Kann man eine Idee den überhaupt schützen.“
„Ja, sobald sie einmal laut gedacht ist.“
„Ach, wie klug Sie sind.“
„Ähem … Lydia, wir wollten doch von deinem Problem sprechen“, unterbrach Carambeau die beiden sichtlich genervt.
„Ach, du hast es aber auch immer so eilig, mein Lieber. Lass mich deine Freunde doch erst einmal näher in Augenschein nehmen. Und Sie sind bestimmt Ariel Lieberman?“, sprach die Alderton und hatte ihre Aufmerksamkeit bereits auf Carambeaus Tischnachbarn gerichtet.
„Ja, verehrte Dame. Freut mich außerordentlich, Sie einmal persönlich kennen zu lernen.“
„Nicht nur dich“, klang es verheißungsvoll hinter der orientalischen Wasserpfeife hervor.
Die Diva warf nur einen flüchtigen Blick in Richtung des Sheik und präsentierte dann Lieberman ihre perfekte Zahnreihe.
„Erst kürzlich war ich auf einer Party und machte die Bekanntschaft einer berühmten Tänzerin. Sie beschäftigt sich mit der Kabbala, dieser geheimnisvollen Lehre.“
„Oh, kennt ihre Bekannte auch die Tora?“, erfreute sich Lieberman.
„Äh … ich glaube nicht. Ich selbst war mit Sivie Lizh da gewesen, und die Gastgeberin hieß Chiara Alkoven, aber ich bin überzeugt ihre Thora war auch da. Wissen Sie, irgendwie waren an diesem Abend alle wichtigen Leute da.“
Dann wandte sich die Diva von Lieberman ab und plapperte bereits in die andere Richtung weiter. Lieberman räusperte sich nur verlegen und sah zum Sheik hinüber. Dieser beugte sich leicht zu Lieberman vor und fasste die Situation in gewohnter Weise zusammen.
„Bei uns sagt man: ‚Ist das Kamel klüger als sein Besitzer, dann sollte dieser die Last tragen‘“.
Nach einer weiteren Aufforderung von Carambeau die eigentliche Sache anzusprechen, gab sich die Diva schließlich einsichtig.
„Ganz wie du meinst, Patrick“, hauchte sie und legte dabei ihre rechte Hand auf den Oberschenkel des Jugendfreundes. Gerade so lange, wie es ihr nötig erschien.

Die Alderton berichtete, dass sie seit einem Monat wüste Beschimpfungen und schließlich sogar Morddrohungen über sich ergehen lassen musste.
„Die Medien wissen noch nichts davon, aber seit zwei Tagen bekomme ich sogar direkt auf meinen Kommunikator Todesdrohungen zugesandt. Wie ich am Logo erkennen kann, immer über dieses schreckliche Razorgate-Portal.“
Ursache für den Telefonterror lag wohl in der Tatsache begründet, dass sich die Diva durch ihren aktuellen Film den Unmut der Jugendgangs zugezogen hatte. Der Film sollte eigentlich den momentanen Alterskonflikt persiflieren und eher erheiternd wirken. Das Dumme war nur, dass der jugendliche Nebendarsteller einem erst kürzlich bei einer Protestaktion ums Leben gekommenem Rädelsführer zum Verwechseln ähnlich sah. Ein paar flapsige Äußerungen auf der Promotion-Tour hatten das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht. So war die Diva nun ungewollt zum Sprachrohr der Älteren aufgestiegen und sah sich der kollektiven Wut einer aufgebrachten Jugend ausgesetzt. Dem Film schadete dies im Übrigen keineswegs. Die Vorstellungen waren allesamt ausverkauft und wurden von alt und jung besucht – in verschiedenen Kinos, versteht sich.
„Und ihr habt bis jetzt keinerlei Hinweise oder einen Verdächtigen?“, wollte der Patentanwalt wissen.
„Nicht den geringsten.“ Carambeau berichtete, dass man die Ermittlungen erst auf die Bande konzentriert hatte, die lauthals den Verlust ihres Führers beklagte. Doch war man hier zu keinem Ergebnis gelangt. Der neu gewählte Bandenführer bekräftigte sogar, man wolle mit der „alten Schabracke“ nichts zu tun haben. Auch waren die sichergestellten Beweisstücke kriminalistisch gesehen neutral. In der heutigen Zeit war ein Corpus delicti nahezu klinisch rein. So sehnte sich Carambeau insgeheim eine Zeit zurück, in der die Lupe und ein passender Fingerabdruck ausgereicht hatten, dem Täter den Garaus zu machen. Dies mochte mit ein Grund dafür sein, dass sich der Polizeibeamte im Club der galaktischen Gentlemen so wohl fühlte, und nur zu gerne in historischen Fällen herumschnüffelte. Denn leider lieferten sich in heutiger Zeit Gut und Böse ein technologisches Kopf-an-Kopf-Rennen.
„Die Screenshots, die Lydia anfertigte, um uns den generierten Avatar zu zeigen, konnten uns allenfalls als Anschauungsmaterial für den pervertierten Geschmack des Absenders dienen.“ Carambeau suchte den tröstenden Augenkontakt zur Diva.
„Sie müssen mir einfach helfen“, bat die Alderton flehentlich in die Runde. „Und jetzt auch noch das penetrante Gebimmel von diesen Razorgate-Rüpeln. Das alles macht mich noch wahnsinnig. Ich frage mich nur, wie die an meine Nummer gekommen sind.“
Carambeau versuchte indessen den Clubmitgliedern sein Problem näher zu erläutern.
„Wie ihr wisst nahm der weltweite Datenverkehr seit Beginn der Jahrtausendwende kontinuierlich zu. So war die Konvergenz der Netze nur eine logische Schlussfolgerung; eine Verschmelzung bei der Übertragung von Daten, Sprache und Video über ein gemeinsames Netz. Fragt mich nicht genau nach der Funktionsweise, doch während bei der Mobilfunktechnologie das Voice-over-IP-Verfahren höheren Sicherheitsstandards unterworfen ist, scheint der verkabelte Heimbildschirm für Angriffe anfälliger. Ihr könnt wahrscheinlich selbst ein Lied davon singen. Ich erwähne hier nur die täglichen Spamangriffe, die ohne die automatischen Update-Filter gar nicht mehr zu ertragen wären.“
„Das hängt mit der Priorisierung von IT-Paketen zusammen“, versuchte Richard auf das unterschiedliche Verfahren einzugehen. „IT-Pakete mit einem gleichen DSCP-Code bilden einen Datenstrom, der auf die gleiche Art und Weise behandelt wird. Früher kamen nur einige der insgesamt 64 möglichen Prioritätsklassen zum Einsatz. Heute hat sich das aufgrund der Datenflut geändert. Ein Paket-Hacking wird dadurch natürlich erschwert. Ich habe da übrigens gerade ein Patent zu prüfen …“
Weiter kam Richard allerdings nicht, da er erst wieder von Püppi unterbrochen wurde, der erneut losbellte und erst wieder Ruhe gab, nachdem ihn sein Herrchen liebevoll beruhigt hatte. Indessen hatte die kleine Störung keine großen Auswirkungen auf die Bearbeitung des Falles. Zwar wurde im Folgenden heftig debattiert; verschiedene Szenarien wurden durchgespielt, Möglichkeiten der Spurensuche erörtert; Lösungen vorgeschlagen und wieder verworfen. Doch der erste authentische Fall der Gentlemen erwies sich als harte Nuss. Bei historischen Kriminalfällen erwies sich der brillante Verstand des Detektivs stets als verlässlicher Nussknacker. Doch konnte die Nuss nur geknackt werden, wenn man sie auch ordentlich in die Zange nehmen, sie greifen konnte. Doch ohne einen Anhaltspunkt taten sich die Gentlemen recht schwer mit dem Kombinieren. Bis sich schließlich zwei Varianten herausbildeten. Zuerst erwähnte Richard, dass das eingereichte Patent eines jungen Technikers einen Nebeneffekt aufweisen würde, der bei diesem Fall hilfreich sein könnte. Das Patent entstammte der fünften Generation einer gegenwärtigen Mobilfunktechnologie und beinhaltete ein neues Verfahren der Package-Übermittlung. Richard hatte es zur abschließenden Prüfung weitergereicht, da er datenschutzrechtliche Probleme befürchtete. Würde dieses Verfahren uneingeschränkt zum Einsatz kommen, träte seiner Meinung nach eine Sicherheitslücke auf, die es versierten Bastlern ermöglichen würde, Daten des Absenders auszuspionieren.
„Ich bin überzeugt“, wähnte sich der Patentanwalt sicher, „für so eine ehrenhafte Sache, könnte ich den Mann überreden, einen Versuch mit mir zu starten. Wenn es gelingt, die Datenpakete, die Razorgate verschlüsselt absendet, wieder richtig zusammenzusetzen und eine Rückkopplung zu schalten, bekämen wir einen Zugriff auf die Einwahl-Verschlüsselungssequenz des Kommunikators und somit auf persönliche Daten des Absenders.“
„Ach, macht es doch noch komplizierter“, stöhnte dann Sheik Yerbouthi sichtlich genervt auf.
„Ich könnte ein paar meiner Jungs darauf ansetzen – wenn die Belohnung entsprechend ausfällt – versteht sich. Ich kenne ein Früchtchen, das sich seine Zeit an den Dreamsequenzern vertreibt. Der schafft sich dort nicht nur seine eigenen Welten, der scheint auch sonst was in der Birne zu haben. Der Junge hackt sich bestimmt überall durch. Und dann gibt es da ein paar „Spezialisten“, denen spendiere ich Gratisrunden in den Holokäfigen, bis ihr Gewaltpotential so angestiegen ist, dass die Testosteronwerte an der Oasenpalme hochklettern. Wenn ich diese Jungs auf einen Verdächtigen loslasse, dann packt der schon aus. Das könnt ihr mir glauben.“
Carambeau reagierte äußerst skeptisch und tendierte eher zur Variante des Patentanwalts, da ihm gerade der zweite Teil von Sheik Yerbouthis Schilderung wenig behagte. Wenngleich er zum Wohle der Diva durchaus bereit war, auch zu außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen. Doch sahen die galaktischen Gentlemen auch keine rechten Alternativen. Da es quasi nichts gab, was man definitiv in Händen halten konnte, stand hier Spekulation vor Kombination. Schließlich entschloss man sich zu einem Kompromiss, bestehend aus dem Richard-Vorschlag und einer entschärften Sheik-Variante.
So wäre der Abend nach dem bereits genossenen Menü und in Erwartung des nun folgenden Desserts nebst einigen Komplimenten in Richtung Diva, wohl zu Ende gegangen, wenn da nicht einen gewissen Patentanwalt ein kleines Teufelchen geritten hätte. Denn als die kleine Gruppe so saß und sich in Nebensächlichkeiten verlor …

„Also Leute, wenn ich mir das recht überlege, haben wir eine Möglichkeit noch gar nicht in Betracht gezogen. Mir kommt da nämlich eine großartige Idee. Befindet sich doch heute Abend der größte Detektiv aller Zeiten in unserer Mitte.“
Die Gruppe reagierte überrascht. So eine überschwengliche Lobeshymne war man vom Patentanwalt gar nicht gewohnt.
„Ähem … wen meinst du denn damit, Richard?“, fragte Carambeau peinlich berührt nach.
„Ach, stimmt ja, du weißt ja noch gar nichts von den besonderen Qualitäten unseres Dieners.“
Richard blickte spitzbübisch in die Ecke, in der Roberto stand. Er erklärte Carambeau kurz, was es mit der Hochglanzeinheit auf sich hatte.
„Ja, Carambeau, das Kerlchen, da hinten in der Ecke. Der weiß uns sicher Rat. Ich könnte schwören, dass er mich schon die ganze Zeit frech angrinst.“
„Also, Richard, du bist vermutlich der einzige hier, der in seinem künstlichen Antlitz einen Gesichtsausdruck erkennen kann“, merkte der Bibliothekar an. „Ich sehe jedenfalls nichts.“
„Vielleicht fehlt dir ja der Blick fürs Wesentliche. Hey du, Freundchen! Da hinten! Ja – dich mein ich.“
Der Robot gab dem Patentanwalt freundlich an.
„Ja, Master Lester, was kann ich für Sie tun?“
„Für mich wohl weniger. Für diese Dame hier schon eher.“ Der Patentanwalt wies mit einer noblen Geste auf die Lady zu seiner Rechten.
„Bist doch den ganzen Abend da im Eck rumgestanden und hast den Fall aus nächster Nähe mitbekommen. Nun, wir alle warten gespannt auf dein Urteil. Aber, darf ich raten …?“, der Patentanwalt drehte sich leicht zur Seite und zwinkerte der Diva zu, „… ich vermute mal, da es sich hier um einen authentischen Fall und keine deiner nostalgischen Speicherwaren handelt, bist du ein wenig … überfordert, hä?“
Der Robot trat einen Schritt aus der dunklen Ecke hervor und wirkte trotz seines künstlichen Antlitzes irgendwie so, als sei er amüsiert.
„Master Lester, wenn Sie es wünschen, werde ich selbstverständlich behilflich sein. Allerdings habe ich in der Tat ein kleines Problem.“
„Hah!, dacht ich mir’s doch. Muss dir aber nicht peinlich sein, Freundchen. Kommst ja auch frisch vom Band. Hab du erst mal unsere Erfahrung, dann kannst du vielleicht deinen Teil zur Runde beitragen. Vorerst wollen wir’s aber beim Bedienen lassen, ja?“
Der Patentanwalt prostete kurz in die Runde und gönnte sich erneut einen Schluck vom schweren Roten.
Der Robot neigte seinen Kopf sacht zu Seite, und wieder schien es einem Betrachter so, als läge eine Spur Schadenfreude in den eigentlich nicht erkennbaren Gesichtszügen.
„Oh, Master Lester, Sie haben mich falsch verstanden.“
„Wie …?“
„Der Fall, Master Lester, ist nicht das Problem – den habe ich bereits gelöst.“

Der Patentanwalt schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Na, da hol mich doch … So, so – gelöst hast du ihn. Und wie hast du das angestellt, Freundchen?“
„Nun, vielleicht haben die Herrschaften ja Lust mit mir einen Blick durch das ovale Fenster zu werfen und den kleinen Herkules bei seiner Arbeit zu beobachten?“
Diesmal waren es die Schenkel auf denen sich der Patentanwalt herumklatschte und auch die anderen bei Tisch lachten los. Zunächst war man ja sehr gespannt gewesen, doch nun redete der Robot total wirres Zeug daher. So gut Roberto als Kellner überzeugen konnte, umso enttäuschender stellten sich nun seine kriminalistischen Fähigkeiten heraus. Der Patentanwalt wollte seinen Triumph natürlich bis zum Letzten auskosten. Zwischen einem japsenden Luftholen, das ihm sein Gelächter aufzwang, verlangte er nach dem Trattoriabesitzer.
„Schnell, holt Fortunato aus der Küche. Er soll unbedingt miterleben, wie perfekt sein Meisterdetektiv funktioniert.“
Wenig später saß der Gastgeber auf seinem angestammten Platz und war gespannt, was da folgen würde.
„Geht es dir gut, Roberto?“, fragte Fortunato seinen Robot, nachdem ihm mitgeteilt worden war, was für seltsame Aussagen dieser getan hatte.
„Es geht mir ausgezeichnet, danke der Nachfrage, Sir.“
„Papperlapapp, was redest du dann für einen Unsinn daher?“
„Ganz ruhig, Richard. Und du, Roberto, sagst uns jetzt erst einmal, was das für ein Gebäude sein soll, dessen Fenster eine so seltsame Form haben?“
„Oh, Master Fortunato, wir werden dazu diesen Raum nicht verlassen müssen.“
Der Robot wandte sich an die verblüfft dreinblickenden Gäste.
„Zuerst möchte ich den Anwesenden ein Kompliment aussprechen, und glauben Sie mir, es kommt von tiefstem kybernetischem Herzen. Ich darf behaupten, dass ich als Künstlicher geradezu für mechanische Präzision stehe, doch beim Studium der menschlichen Anatomie, stellte ich fest, dass der Mensch ein wahres Wunderwerk der Mechanik ist.“
„Häh? Von was redet der Kerl?“
„Warte, Richard, lass ihn doch einmal ausreden. Schließlich war es ja mein Geld.“
„Das menschliche Gehör, Master Lester, ist zum Beispiel so eine wundervolle Einrichtung. Glauben Sie mir, gerade eine Maschine wie ich, kann nur in den höchsten Tönen von der Präzision schwärmen, die der Mensch in seinem Inneren verborgen trägt. Um dieses Wunderwerk in seiner Gänze zu verstehen, müssen Sie sich den gehörten Ton als Welle vorstellen. Gerade wie ein in den See geworfener Stein Wellen erzeugt, gilt dies auch für die Welt des Schalls. Wie empfindlich das Gehör reagiert, mag ihnen ein Beispiel verdeutlichen. Wenn Sie im Sommer hinter ihrer Schutzmauer auf der Gartenliege entspannen und in der Wohnung ihr Kommunikator klingelt, reicht bereits dieser geringe Schalldruck aus, um das Klingeln wahrzunehmen. Durch den ganzen Raum des Zimmers, durch einen winzigen Spalt im Fenster hindurch, bis zu Ihnen auf der Liege, dringen diese Wellen an ihr Ohr. Tatsächlich reicht bereits ein Schalldruck von lediglich 0,0002 µbar aus, um einen Höreindruck zu erzielen. Und eine noch geringere Empfindlichkeit würde gar keinen Sinn ergeben, da der Mensch sonst die durch die Brownsche Molekülbewegung hervorgerufenen Luftdruckschwankungen als ständiges Störgeräusch wahrnehmen würde. Ist dies alles nicht überaus faszinierend?“
Der Patentanwalt konnte im ersten Moment gar nichts dazu sagen, so perplex war er von den Ausführungen des Robots und dessen für eine Maschine ungewöhnlichen Ansichten. Dann hatte er sich wieder gefasst.
„Also, Fortunato, bei diesem Typen dürftest du keine Probleme mit dem Umtausch haben. Und, falls doch, kann ich dir einen Kollegen von mir empfehlen. Sollen wir uns jetzt den restlichen Abend einen Vortrag über die menschliche Anatomie anhören? Pff …ist doch alles ohne Belang für den Fall.“
„Lass ihn doch endlich einmal ausreden, du alter Griesgram“, meldete sich Andreas Andrea Bofinger zu Wort. Er hatte immer noch Püppi im Arm, der längst wieder friedlich auf dessen Schoß kuschelte. „Ich bin jedenfalls gespannt, worauf er hinaus will.“
„Danke, Ladyman Bofinger. Nun, hinter dem Trommelfell sorgen winzige Knöchelchen, Hammer, Amboss und Steigbügel genannt, für die Übertragung der Schwingungen. Schließlich gelangt alles zu einer feinen Membran, die ins eigentliche Hörzentrum, dem Innenohr, mit seinen empfindlichen Nervenzellen, führt. Und für diesen Übergang hat der Mensch eine sehr eigentümliche Bezeichnung gefunden, das fenestra vestibulis.
„Das ovale Fenster!“, rief der Bibliothekar erstaunt in die Runde. „Demnach hast du die ganze Zeit von unserem Gehör gesprochen?“
„Richtig, Master Hägi, und als einen regelrechten Herkules bezeichnete ich den Musculus stapedius, den kleinsten Muskel im menschlichen Körper. Er hebelt die Steigbügelplatte aus dem ovalen Fenster heraus, wodurch sehr laute Geräusche abgeschwächt werden. Doch die Lautstärke weist uns lediglich den Weg, hin, zu etwas ganz Entscheidendem.“
„Zum Teufel. Mir reicht’s jetzt. Ist ja schön, dass du uns über unser Innenleben aufklärst. Aber was hat das alles mit dem Fall zu tun?“
„Nur Geduld, Master Lester, darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Es erscheint mir nur wichtig, Ihnen die Zusammenhänge verständlich zu machen. Denn, sehen Sie, obwohl ich voll des Lobes für den menschlichen Hörapparat bin, muss ich feststellen, dass er leider nicht perfekt ist.“
„Also, Fortunato, jetzt reicht’s wirklich. Jetzt muss ich mir schon von einer Maschine sagen lassen, ich sei nicht perfekt und mir Kritik bezüglich meines Körpers gefallen lassen. Wenn der Bursche jetzt nicht sofort damit herausrückt, wohin das alles führen soll, schalt ich ihn ab.“
„Sie sollten sich nicht so aufregen, Master Lester, dies schadet nur ihrer Gesundheit. Ihr Körper unterliegt einem natürlichen Alterungsprozess. Dies trifft auch auf ihr Gehör zu. Und die Lautstärke ist nicht alleine ausschlaggebend für das Hören, sie weist uns den Weg zur Frequenz. Wussten Sie, dass das menschliche Gehör zu Beginn eine Frequenz zwischen 16 und 20.000 Hertz zu hören imstande ist? Dies entspricht in etwa zehn Oktaven. Später gehen dann die oberen Oktaven verloren. Dies ist nicht so dramatisch, da stets gilt, dass sich die Frequenz des Grundtones zur Frequenz der Oktave verhält wie 1 : 2. Die Frequenz der Oktave ist also stets doppelt so groß wie die des Grundtones. Wenn demnach mit zunehmendem Alter die obere Hörgrenze des Menschen von 20.000 Hz auf 10.000 Hz absinkt, so klingt dies zwar gewaltig, bedeutet aber nur den Verlust einer einzigen Oktave. Zur Kommunikation reicht im allgemeinen die restliche Bandbreite aus. Wohlgemerkt – im Allgemeinen. Doch gerade in unserem Fall spielt das Thema Kommunikation eine ganz entscheidende Rolle.“
Der Patentanwalt gab erstmals Ruhe.
„Lady Alderton erklärte uns, sie werde seit neuestem auch über ihren Kommunikator belästigt. Sie rätselte, wie die Fremden an ihre Nummer gekommen seien und erwähnte, dass Sie das Gebimmel geradezu verrückt mache. Hier liegt nun das Problem, und auch das meinige, da ich befürchte Ihnen Unbequemlichkeiten zu bereiten. Dabei bin ich doch programmiert, Sie zu erheitern. Doch da Sie um die Auflösung baten, muss ich Ihnen sagen, Lady Alderton hat gelogen.“
„Waaas – Sie unverschämter …“
Die Beschimpfungen, die nun folgten, zeugten davon, dass sich Lady Alderton bestimmt nicht immer nur in den feinen Kreisen aufgehalten hatte. Doch schließlich gelang es, die Dame wieder zu besänftigen, indem man ihr versicherte, dass die Maschine ja defekt sei. Doch wollte man Fortunato zuliebe vor der Abschaltung gerne noch den Rest erfahren. Die Lady war keineswegs begeistert, doch gaben ihr die Sympathien der Anwesenden eine gewisse Sicherheit. So durfte der Robot, unter letztmaliger Aufforderung nun endlich zur Sache zu kommen, fortfahren.
„Wie die Herrschaften wissen, hat sich Lady Alderton mit ihren Äußerungen bei den Jugendlichen nicht gerade beliebt gemacht. So klang es authentisch, als sie von den Belästigungen erzählte. Indem Lady Alderton dann den Telefonterror erwähnte, ging sie jedoch einen Schritt zu weit. Sie war offensichtlich so mit sich selbst und ihrem neuen Film beschäftigt, dass ihr eine Meldung von letzter Woche entgangen war. Wie Sie wissen, sieht sich Razorgate als Sprachrohr der Jugend und feilt gern an diesem Image. Der neueste Gag ist nun, dass einer Nachricht ein Klingelton vorangeht, der im hohen Oktavbereich gesendet wird. Damit will man signalisieren, ganz für die Jugend dazusein und die Stimmung im ohnehin schon ausufernden Generationskonflikt weiter anheizen. Ich weiß nun, wie empfindlich der Mensch beim Thema Alter reagiert, doch, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, haben alle hier Anwesenden das 60. Lebensjahr schon hinter sich gelassen – auch die Lady.
Die Giftpfeile, welche die Alderton in Richtung Robot schleuderte waren von bester Qualität.
„Sie schwachsinnige Maschine, Sie. Sechzig Jahre ist doch heutzutage kein Alter, und außerdem funktioniert mein Gehör noch bestens.“
„Das glaube ich Ihnen gerne, Lady Alderton, nur eben nicht bei der entsprechenden Frequenz.“
„Pah! Wie können Sie das denn beurteilen?“
„Hierzu war in der Tat ein kleiner Test notwendig. Als Sie den Telefonterror erwähnten, hegte ich ja lediglich einen Verdacht.“
„Aber sicher doch, der HUND!“, erkannte der Bibliothekar und schlug sich mit der flachen Hand gegen den Kopf.
„Kompliment, Master Hägi, wieder richtig. Sie erinnern sich, als der Hund von Ladyman Bofinger auf einmal ohne ersichtlichen Grund anschlug und sich nur schwer wieder beruhigen ließ? Als ich mich Ihnen abgewandt hatte, um den Wein zu dekantieren, erzeugte ich bei steigendem Schalldruck eine Referenztonfolge, die dem Klingeltonpfeifen von Razorgate entsprach. Selbst die Herrschaften hörten nichts, doch selbst wenn, wäre dies nicht von belang gewesen. Mir war nur die Reaktion der Lady wichtig. Doch da Lady Alderton nichts mitbekam, fiel ihr gesamtes Lügenkonstrukt in sich zusammen. So hatte sich der Fall aufgelöst – in Nichts, da es nie einen gegeben hatte.“
„Lydia, mein Gott. Stimmt denn das alles?“, Carambeau war völlig aufgelöst.
„Ach … Ihr blöden, senilen …“
Die Alderton war aufgesprungen und aus dem Zimmer gestürmt, Carambeau hielt es auch nicht mehr lange auf seinem Platz. Vielleicht konnte er sie noch erreichen – und hoffen?

Die Zurückgebliebenen mussten erst einmal kräftig durchatmen. Der Einzige, dem ein Grinsen auf dem Gesicht stand, war Fortunato.
„Wieso hat Sie das alles nur inszeniert“, fragte der Bibliothekar in den Rest der Runde, und es war ein Künstlicher, der antwortete.
„Ich bin mit den menschlichen Verhaltensweisen durchaus vertraut, Master Hägi. Ich vermute, dass Lady Alderton sich an dem Spruch orientierte: ‚Lieber eine schlechte Presse, als gar keine‘. Der Stern der Dame schien schon zu verblassen, doch ihr neuster Film schlug auch dank des aggressiven Werbefeldzugs ein, wie eine Bombe. Die Herrschaften mögen mir meine martialische Ausdrucksweise verzeihen, aber in diesem Falle erscheint sie mir recht passend.“
„Und der obszöne Avatar, zu Hause auf ihrem Bildschirm?“
„Eine Finte, Master Lieberman. Ich vermute, dass ein Techniker der Filmgesellschaft in den Fall involviert ist. Es dürfte Master Carambeau nicht schwer fallen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um die passende Verbindung herzustellen. Wenngleich ich befürchte, dass Master Carambeau die Angelegenheit emotional schwer belasten wird. Ich vernahm einen spürbaren Anstieg seiner Pulsfrequenz, als die Lady ihre Hand auf seinen Oberschenkel nahe des Fortpflanzungsorgans legte.
Fortunato grinste und nickte mit dem Kopf. Er war mehr als zufrieden – mit dem Kauf, den er getätigt hatte. Mit einem breiten Lächeln klopfte er dem Robot väterlich auf die Schulter und ging wieder in die Küche, um nach dem rechten zu sehen.
Nun kam auch wieder Leben in den Paradiesvogel. „Ich hab doch gleich geahnt, dass mit DER etwas nicht stimmt. So ein durchtriebenes Miststück.“ Alle Sympathie, die Alderton betreffend, war aus Andreas Andrea Bofinger entschwunden.
„Aber unser Roberto hat heute seine Sache wirklich gut gemacht“, konstatierte Ariel Lieberman.
„Hmm … Ja, aber nur bedingt. Nämlich dadurch, dass er die Möglichkeit hatte, diese Töne, mit denen er die Alderton letztendlich überführen konnte, überhaupt erst zu erzeugen.“
„Pah! Gib doch zu, dass er dir haushoch überlegen ist. Robertoooo! Hörst du? Supi! Wirklich gaaanz toll gemacht, mein Lieber. Huiii …!“ Zur Feier des Tages musste die Federboa von Andreas Andrea Bofinger als Luftschlange herhalten.
Der Bibliothekar musterte den Robot indessen sehr eindringlich.
„Da ist auch etwas in seinem Verhalten. Für eine Maschine sehr ungewöhnlich. Hmm, wenn ich es nicht besser wüsste, dass es sich bei ihm lediglich um einen Robot handelt.“
„… und ist euch aufgefallen“, merkte Sheik Yerbouthi an, „wenn man ihn etwas fragt, dann gibt er einem oft nur ausweichende Antworten“.
„Ja, Freundchen! Was sagst du zu all dem?“
„Darf ich den Herrschaften jetzt das Dessert servieren?“
 



 
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