Das schwarze Blut in Allahs Adern

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Felix

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Haschischiyyin

"Nichts ist wahr, alles ist erlaubt"
- zugeschrieben Hassan-i Sabbah, dem Alten vom Berge


Der goldene Käfig strahlte im gleißenden Sonnenlicht des vorangeschrittenen Tages. Ein Diener hatte ihn behutsam auf einen kleinen Tisch aus Mahagoniholz gestellt und nun musterten zwei Männer seinen Inhalt.
„Das ist ein wirklich schönes Tier“ befand Prinz Fakim und winkte den Diener herbei, der den Käfig öffnen sollte.
„Er…er gefällt Euch also, Herr?“ fragte der dicke Mann neben ihm, dem man die Nervosität deutlich anmerkte.
Der Diener hatte den Käfig inzwischen geöffnet und einen großen Papageien mit smaragdgrünem Gefieder herausgeholt, den er seinem Herrscher nun vorsichtig auf den ausgestreckten Arm setzte.
„Ja…ja, er ist wundervoll. Seht Euch nur sein glänzendes Gefieder an Yussuf, es sieht aus als trüge er den Mantel eines Herrschers. Und wahrlich, dieser gebührt ihm auch“ die Faszination in Fakims Stimme war kaum zu überhören, während der junge Prinz den Papageien beobachtete, der auf dem safrangelben Seidenärmel stolzierte.

Yussuf ben Salim, dem Vogelzüchter des Sultans, fiel indessen eine große Last von den Schultern. Wohl und Wehe seiner Familie hingen von dem Gefallen ab, den Sultan Rashid und seine beiden Söhne Ismail und Fakim an seinen Tieren fanden, die die königlichen Palastgärten mit ihren Gesängen erfüllen sollten.
„Euer Geschmack ist wirklich erlesen und Euer Auge scharf, Herr“ sagte Yussuf unter mehreren Verbeugungen und wrang seinen Turban zwischen den Wurstfingern.
„Ja, ich weiß“ Prinz Fakim setzte den edlen Papageien wieder in seinem Käfig ab und schloss die Tür, um sich schließlich auf einem großen Berg samtener Kissen niederzulassen.
„Wisst Ihr Yussuf, ich denke dieser Papagei könnte mein Leidensgefährte sein. So erhaben und edel und doch gefangen in einem goldenen Käfig“ seufzte der junge Mann und fuhr sich durch das lange nachtschwarze Haar, das seinen Kopf bedeckte und dank gründlicher Pflege glänzte und nach Lavendel duftete.
Der rundliche Vogelzüchter blinzelte, nicht nur weil ihm in diesem Moment eine Schweißperle das Augenlid heruntertropfte, sondern vor allem aus Verwunderung. So hatte er Sultan Rashids Zweitgeborenen noch nie reden hören. Fakim war als lebenslustiger junger Mann bekannt, der den Luxus und das gute Essen liebte.
„Ihr…Ihr wollt Euch doch nicht mit einem Tier auf eine Stufe stellen, Herr. Es ist ein Vogel und Ihr…“
stammelte ben Salim verdattert, da er es nicht gewohnt war mit dem Prinzen über solche Themen zu sprechen.
„…ich bin ein Mensch, das weiß ich selber“, unterbrach ihn Prinz Fakim ungewöhnlich harsch, „aber sagt mir Yussuf: Was ist ein Mensch mehr wert als ein Tier, wenn sich die Nachwelt doch nicht mehr an ihn erinnert als an diesen Papagei?“ seufzend erhob sich der Prinz wieder von seinem Lager aus Samt und Seide und griff nach einem Goldpokal, um sich selber aus einer Glaskaraffe eiskaltes Wasser einzuschenken.
„Heute bewundert man das Tier ob seines wunderschönen Gefieders und des Gesanges und morgen ist es vergessen, ersetzt durch einen neueren und schöneren Artgenossen.“
Ben Salim fixierte die Karaffe, deren Glas durch das kühle Wasser beschlug und leckte sich über die trockenen Lippen. Obwohl die tausend Blumen und Palmen in den Gärten des Sultans wohltuenden Schatten spendeten wurde es dem königlichen Vogelzüchter unerträglich heiß unter seinem Kaftan.
Was sollte er denn nun sagen? Sollte er überhaupt etwas von sich geben?

Ein Höfling hätte für die betrübte Stimmung des jungen Prinzen tausend erheiternde Worte und Gedichte gefunden, aber er züchtete nun einmal lediglich Vögel.
Fakim nippte an seinem Kelch und fuhr fort: „Nein, für mich ist dies hier ein goldener Käfig. Ismail ist der Erstgeborene und wird eines Tages die Regierungsgeschäfte übernehmen, während ich um seinen Thron schleichen und süße Worte von mir geben soll. Genauso wie Eure Vögel Yussuf.“ Erneut leckte sich ben Salim über die Lippen, sein Gaumen fühlte sich trocken und ausgedörrt an. Die ägyptische Sonne konnte gnadenlos sein.

Gerade als er zu einer weiteren sinn- und hilflosen Erwiderung ansetzen wollte stürmte ein Diener durch einen der marmornen Bogengänge in den weitläufigen Garten und zerstörte die paradiesische Ruhe.
„Mein Prinz, Euer Vater der Sultan will Euch in seinen Gemächern sehen. Eine Nachricht aus Syrien ist eingetroffen“ verkündete er und verbeugte sich so tief, als wolle er mit der Stirn den Boden berühren.
Einen Moment lang sah der Prinz den Boten schweigend an, dann schluckte er das Wasser in seinem Mund herunter und stellte den Pokal zurück auf einen der kleinen Tische.
„Mein Vater will mich bei einer seiner Besprechungen dabei haben? Ist mein Bruder ebenfalls anwesend?“
„Selbstverständlich Herr, Prinz Ismail nimmt ebenfalls an der Versammlung teil. Wie immer, Herr.“
„Natürlich…wie immer“ kurz glaubte ben Salim ein Schmunzeln auf dem Gesicht des jungen Mannes gesehen zu haben, doch dann eilte Fakim auch schon mit wehenden Gewändern durch den Garten und die angrenzenden Säulengänge von dannen.
Der Bote folgte ihm und so stand ben Salim alsbald alleine inmitten des Blumenmeeres und dem Zwitschern und Singen seiner Vögel. Sein Blick fiel auf den kleinen Käfigschlüssel, den der Prinz neben dem Papageienkäfig hatte liegen lassen.
Mit schweißnassen Fingern öffnete der dicke Vogelzüchter die kleine Käfigtür ein weiteres Mal und entließ das stolze und schöne Tier aus dem goldenen Verschlag.

Angenehm kühl war es in den Gängen und Höfen des Palastes, in denen Marmor, Diamanten und Gold eindeutig vorherrschten. Ein großer Springbrunnen gestützt von vier riesigen Marmorlöwen plätscherte gemächlich in dem Hof, den Prinz Fakim gerade überquerte.
Nur am Rande bemerkte der junge Mann die Wasserspritzer und Tropfen, die sich angenehm kühl auf sein Gesicht und seine Gewänder legten.
Fakim zählte nun schon achtzehn Sommer, doch noch nie hatte ihn sein Vater, der Sultan Rashid, zu einer der Besprechungen des Rates geladen. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Ismail schien der Sultan für ihn keine politische Ausbildung geplant zu haben.
Deshalb verspürte Prinz Fakim nun eine umso größere Aufregung auf dem Weg zum kleinen Ratssaal seines Vaters.
Eine Botschaft aus Syrien hatte der Bote gesagt.
Der Prinz hatte dieses Land nie mit eigenen Augen gesehen, außer an Fest- und Feiertagen und bei Jagdausflügen hatte er den Palast fast nie verlassen, doch seine Lehrer hatten ihm von dieser Region erzählt.
Seit die Christen vor hundert Jahren zum ersten Mal mit Feuer, Schwert und Kreuz ins heilige Land gekommen waren, hatte sich die einstmals wohlhabende Gegend zu einem gefährlichen Ort verwandelt. Christliche Krieger, muslimische Kriegsherren, Wegelagerer, Sklavenjäger und die Assassinen des alten Mannes vom Berg machten das Land zu einer gefährlichen Gegend für jeden Reisenden.
Deshalb brachte eine Botschaft aus Syrien fast immer finstere, aber auch wichtige Kunde.
Als Fakim den kleinen Ratssaal endlich erreicht hatte, war ihm trotz der Schatten im Inneren des Palastes der Schweiß auf die Stirn getreten. Die beiden Palastwächter vor den weit geöffneten Flügeltoren des Saales erkannten ihn sofort und ließen ihren Prinzen passieren.
Als Fakims Schritte durch den hohen kreisrunden Saal hallten drehten sich die anderen Anwesenden, die bisher um einen ebenso runden Tisch gestanden und leise aufeinander eingeredet hatten, zu ihm um.
Mit einem Stirnrunzeln nahm der Prinz zur Kenntnis, dass er der letzte gewesen war, der die Botschaft erhalten hatte, da bereits alle mächtigen Männer des Hofes versammelt waren.
Berater, Generäle, der Wesir, sein Bruder Ismail und der Sultan Rashid, sie alle standen dort in ihren prächtigen Gewändern aus Seide und ihren glänzenden Rüstungen aus Eisen und Gold.
„Ah Fakim, da bist du ja. Nun, dann ist die Versammlung wohl komplett“ sein Vater lächelte und entblößte seine weißen Zähne, doch täuschte diese Freundlichkeit. Hinter dem gräulich-schwarzen Bart, der faltigen braunen Haut und den kleinen Grübchen verbarg sich ein kluger und erfahrener Staatsmann, der sein Reich nun schon seit dreißig Jahren beherrschte.
„Vater“ Fakim nickte dem Sultan ehrerbietig zu und gesellte sich an die Seite seines älteren Bruders Ismail.
„Du kommst spät“ raunte dieser und blies sich schmunzelnd eine Strähne aus dem kantigen Gesicht. Fakim und Ismail waren Zwillingsbrüder und glichen sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren groß, hatten langes schwarzes Haar und pflegten sich das Gesicht bist auf einen kleinen Kinnbart glatt zu rasieren. Die einzigen Unterschiede zwischen ihnen waren Fakims etwas größere Leibesfülle und der Duft den ihre Haare versprühten. Ismail zog Rosen dem Duft von Lavendel vor.
Und er war der erstgeborene, Ismail hatte drei Minuten vor seinem Bruder das Licht der Welt erblickt.
Fakims Gemüt verfinsterte sich aufs Neue bei diesem Gedanken, dennoch setzte er ebenfalls ein Lächeln auf.
„Du weißt doch Bruder, irgendjemand muss sich darum kümmern, dass in den Palastgärten auch weiterhin das süße Zwitschern von Vögeln erklingt.“
Prinz Ismails Schmunzeln wurde noch etwas breiter, doch in diesem Moment erhob Sultan Rashid seine ruhige aber durchdringende Stimme.
„Wie ich bereits vorhin einmal erwähnte: An diesem Morgen ist ein Bote aus dem fernen Syrien hier im Palast eingetroffen und hat schlechte Kunde mit sich gebracht.“
„Seit bald einhundert Jahren dringt fast nur schlechte Kunde aus den Landen nördlich des Sinai an unsere Ohren. Die Christen sind ein schlechter Gast“ bemerkte Ismail scheinbar unbesorgt.
Fakim beschloss, sich für den Anfang ruhig zu verhalten und das Reden den erfahrenen Staatsmännern zu überlassen.

„Wie lautet die Botschaft?“ wollte Abu Baku, der Wesir seines Vaters, ungeduldig wissen. Anscheinend hatte Fakim sie länger warten lassen, als er geglaubt hatte.
„Die Assassinen haben den Wesir des Seldschukenreiches vergiftet, wahrscheinlich im Auftrag der Kreuzfahrerstaaten“ Sultan Rashids Gesicht zeigte keine Regung, aber Fakim kannte seinen Vater. Der Sultan war zornig.
„Also bereiten die Christen einen neuen Krieg vor“ stellte einer der Generäle fest.
„Nicht, wenn es sich verhindern lässt. Das heilige Land hat in den letzten hundert Jahren zu viele Tote gesehen. Zu viele Tote, die das Kreuz auf der Brust trugen und zu viele Tote unter dem Banner des Halbmondes“ sein Vater fegte verärgert die Botschaft vom Tisch.
„Ihr wollt also Verhandlungen aufnehmen Herr?“ meldete sich zaghaft einer der Berater zu Wort.
Als Rashid nickte, räusperte sich Selim as Habban, einer der Generäle.
„Wenn die Christen den Krieg wollen, sollen sie ihn bekommen. Die Kreuzfahrerstaaten sind schon seit Jahren in Bedrängnis und werden unserem Ansturm kaum standhalten. Mit Allahs Segen siegen wir.“
„Seltsam, ich glaube so etwas ähnliches behaupten die Christen auch Selim, vielleicht solltet Ihr einmal mit ihnen reden“ nur der Hauch eines Lächelns umspielte Ismails Lippen.
Der General warf ihm einen vernichtenden Blick zu, schwieg aber.
„Genug!“, des Sultans Stimme hallte durch den gesamten Saal, „ich werde Ägypten in keinen kostspieligen Krieg führen. Nicht jetzt. Die Propheten, die Imame, mein Volk, sie werden mich vielleicht dafür verfluchen, aber ich weiß, dass es zu ihrem Besten sein wird! Wir schicken einen Botschafter nach Syrien, der Verhandlungen mit den Christen und den Assassinen aufnehmen soll.“
Prinz Fakim wusste, dass das Volk seinen Vater nicht nur vielleicht, sondern ganz sicher verfluchen würde. Das Alter musste Sultan Rashid blind gemacht haben. Blind für die Stimmungen seines Volkes, blind für die Bedürfnisse der Menschen.
All diese Gedanken verbarg er jedoch hinter einem loyalen Lächeln.
Stattdessen sagte er: „Schickt mich nach Syrien Vater, ich will die Verhandlungen übernehmen.“
Dies sollte seine Chance werden aus den mächtigen Mauern des Palastes zu entkommen, seine Chance, sich auf dem politischen Parkett zu profilieren.
Doch Rashid schüttelte nur den Kopf und wandte seinen Blick Ismail zu.
„Ich werde einen Gesandten hoher Herkunft schicken, aber nicht dich Fakim. Dein Platz ist hier im Palast. Ismail, du wirst nach Syrien reisen.“
Die einzige Antwort des Thronfolgers lag in einem dünnen Lächeln und einer leichten Verbeugung, während Fakim nur hilflos die Hände zu Fäusten ballte. Der junge Prinz verspürte nicht Neid oder Wut auf seinen älteren Bruder, sondern lediglich auf den Vater und dessen schier unendliche Ignoranz.
Was wenige Minuten Altersunterschied anrichten konnten.
Indes hatte Sultan Rashid einige Diener herbei gewunken, die nun damit begannen die Briefe, Botschaften und neu beschlossenen Erlasse vom Tisch zu räumen und zu archivieren.
„Die Versammlung wäre damit beendet. Ismail, du begibst dich so schnell wie möglich mit einer Eskorte auf die Reise.“
„Wie Ihr wünscht Vater“ der junge Mann deutete eine zweite Verbeugung an und verließ mit den restlichen Ratsmitgliedern den Saal.
Fakim verweilte noch einen Moment in dem kleinen Ratsraum und betrachtete erbost seinen Vater dabei, wie er sich noch leise mit zweien seiner Berater unterhielt, wagte es jedoch nicht die Stimme zu erheben.
Welch ein Narr er doch war. Welch ein nach Lavendel duftender Narr.

„Glückwunsch Bruder, Vater scheint große Stücke auf dich zu halten“ Fakims Lächeln war ehrlich, als er Ismail im brüderlichen Einvernehmen auf die Schulter klopfte.
Dennoch war da dieser Neid, dieser Zorn. Aber nicht auf Ismail, nein nicht auf Ismail…
Sein Bruder hatte sich in den Palastgärten auf einem großen Kissenberg unter einer weit ausladenden Palme niedergelassen und zog nun in ihrem Schatten genüsslich am Schlauch einer großen und reich verzierten Wasserpfeife. Einen Moment lang behielt er den Rauch im Mund und kostete seinen Geschmack mit geschlossenen Augen, bevor er ihn in kleinen Kreisen zurück in die Luft entließ.
„Du hasst Vater für diese Entscheidung“ stellte Ismail nüchtern fest und reichte Fakim den Schlauch der Wasserpfeife.
Dieser nahm den ihm dargebotenen Schlauch entgegen und ließ sich gegenüber seinem Bruder auf einem zweiten Kissenstapel nieder. Sein Blick fiel dabei auf den nun leeren goldenen Käfig.
Wenigstens einer hatte sein Gefängnis verlassen können.
„Es sind schon andere Reiche an streitenden Brüdern zugrunde gegangen, Vater sollte vorsichtiger sein“ entgegnete Fakim, doch tat er dies mit einem Schmunzeln und nahm einen Zug von der Wasserpfeife. Der feine Rauch füllte seinen Mund und Rachen mit dem leichten Geschmack von Pfirsichen. Genüsslich blies er den Qualm aus den Nasenlöchern.
„Solche Worte solltest du nicht in Vaters Gegenwart fallen lassen. In letzter Zeit nimmt der alte Mann zu viele Dinge zu ernst“ Ismail räkelte sich auf seinem Kissenberg und genoss allem Anschein nach den kühlenden Schatten der Palmen.
Dann plötzlich richtete er sich wieder auf den Ellenbögen auf und sah Fakim direkt an.
„Ich hoffe du wirst Vater in meiner Abwesenheit ein genauso guter Berater sein wie ich. Niemand kann meine Weisheit übertreffen, aber du kannst dir natürlich Mühe geben“ lächelte Ismail verschmitzt und blies sich eine lästige Strähne des rabenschwarzen Haares aus dem Gesicht.
„Oh Bruder, ich werde es versuchen, wenn ich nicht zu sehr mit der wichtigen Aufgabe beschäftigt bin neue Vögel für die herrschaftlichen Gärten auszuwählen“ in Fakims Lächeln lag ein Hauch von Trauer, als er ein weiteres Mal den süßlichen Rauch inhalierte. Das leise Sprudeln des Wassers in der Pfeife erfüllte die kurz währende Stille. „Wann wirst du aufbrechen?“
„Morgen früh bei Sonnenaufgang“ Ismail hatte begonnen in der Mittagshitze zu dösen und dem entfernten Plätschern der Brunnen und dem Zwitschern der Vögel zu lauschen. „Meinst du, es wird zu einem Krieg kommen?“ er betrachtete Fakim durch ein halb geöffnetes Auge.
„Nicht, wenn du es verhindern kannst. Die Christen und auch die Assassinen sind geschwächt von den Konflikten der letzten Jahrzehnte. Niemand wünscht weiteres Blutvergießen“ antwortete Fakim, obwohl er sich seiner eigenen Worte nicht sicher war.
Sein Bruder sagte nichts weiter dazu, sondern rief nach einem Diener, der ihnen ein Schachbrett samt Figuren besorgen sollte.
Kurz darauf hatten die Brüder ihre Figuren auf dem karierten Feld aufgestellt und brüteten über ihren ersten Zügen.
„Es ist schon erstaunlich“, sagte Fakim, während er einen von Ismails Bauern schlug, „wie sehr mich dieses Spiel an unsere Leben erinnert Bruder.“

Mit einer Mischung aus Entsetzen und Überraschung betrachtete Fakim das dickflüssige Blut, das sich wie ein tiefroter Farbklecks auf dem schneeweißen Marmorboden ausbreitete.
Es gehörte dem Soldaten, der vor den Füßen des Sultans auf dem Boden kauerte und von zwei herbei geeilten Ärzten gestützt und so gut es ging versorgt wurde.
„Ein Überfall?“, donnerte Rashid ohne den prekären Zustand des anderen Mannes zu beachten, „wie konnte das geschehen?“
„Wir…wir hatten die Wüste bereits zur Hälfte durchquert und hätten in ein oder zwei Tagen die Burg Masyaf erreicht, aber sie müssen uns gefolgt sein. Hinter einer hohen Düne haben sie uns aufgelauert. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, aber es waren viele…zu viele. Irgendwann stürzte Euer Sohn vom Pferd, das war das letzte, was ich von ihm sah“ weiteres Blut sickerte zaghaft zwischen den Rillen des Kettenpanzers des Soldaten hervor und der Mann verzog sein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse, als ihn die beiden Ärzte auf eine Liege hievten.
Ismail war tot.
Fakim wusste nicht, ob er über diese Nachricht, die der scheinbar letzte Überlebende der Eskorte des Prinzen überbracht hatte, erfreut oder schockiert sein sollte.
Die beiden Prinzen hatte immer eine tiefe Freundschaft verbunden. Eine Freundschaft, die aber dennoch stets vom Recht des Erstgeborenen überschattet worden war.
Nun gab es keinen Zweit- und keinen Erstgeborenen mehr. Es gab nur noch ihn, Prinz Fakim, den Thronfolger.
Über die heimliche Euphorie vergaß Fakim die Trauer um den toten Bruder, dessen ruhmloses Grab nun irgendwo in der syrischen Wüste lag.

So vergingen zwei Jahre in denen der Sultan immer stärker unter dem Verlust seines teuren Sohnes litt. Rashid war bereits ein alter Mann, aber erst jetzt begann man ihm auch dieses Alter anzusehen. Der Herrscher von Ägypten wurde immer häufiger krank, sein Gang wurde gebeugter und sein Gesicht zeigte nur noch wenig von der einstigen Willensstärke.
Doch noch immer hielt er an dem Glauben fest, dass Ismail lebte.
Suchtrupp um Suchtrupp wurde in die syrische Wüste entsannt, nur um immer wieder mit der Nachricht zurückzukehren, dass es keine Spur von dem verschollenen Prinzen gab.
Derweil nagte die Ungeduld immer stärker an Fakims Nerven, denn sein Vater verfiel zusehends und gedachte dennoch nicht sich dem Tod zu ergeben.
Ägyptens Thron war für den jungen Prinzen so nah und doch so fern.
Immer wieder redete er eindringlich auf den greisen Sultan ein, dass sein anderer Sohn tot sei, begraben unter endlosen Sandkörnern.
Aber jedes Mal schüttelte Rashid nur den Kopf und sank ein wenig tiefer in die Kissen seines großen Bettes.
„Er lebt irgendwo da draußen Fakim. Vielleicht kämpft er sich in diesem Moment heimwärts durch die Wüste. Er ist ein Kämpfer, weißt du“ sagte Rashid eines Tages in geistiger Umnebelung und tastete nach der kräftigen Hand seines Zweitgeborenen.
Fakim entzog sie ihm.
„Ismail ist seit langem tot Vater, es wird Zeit einen neuen Erben des Thrones zu bestimmen, der das Reich nach dir regiert“ drängte der Prinz und versuchte dennoch die Ungeduld in seiner Stimme zu verbergen.
Natürlich hatte auch Fakim um den Verlust seines geliebten Bruders getrauert. Doch zwei Jahre waren vergangen und es galt den Blick auf die Zukunft zu richten. Seine Zukunft.
Doch Rashid schloss nur die müden Augen und bettete seinen Kopf auf die weichen Daunenkissen.
„Er lebt“, flüsterte er abwesend, „hörst du die Vögel im Garten? Sie singen von seiner baldigen Rückkehr.“
Am liebsten hätte der junge Prinz laut aufgelacht, doch stattdessen beobachtete er nur in stiller Wut das verträumte Gesicht seines Vaters, der verzückt dem Gezwitscher lauschte, das aus den Gärten in die Gemächer drang.
Mit einem impulsiven Ruck erhob sich Fakim von der Bettkante und eilte der Tür entgegen.
Welch ein Narr sein Vater doch war. Ein greiser Narr, der eher den Vögeln als seinem eigenen Sohn lauschte.

„Nach Masyaf, Herr?“ fragte der Bote etwas ungläubig, wobei er dennoch nicht die gebotene Vorsicht vermissen ließ.
„Nach Masyaf“ bestätige Fakim und beendete gerade den letzten Satz des Briefes, den er in seiner fein geschnörkelten Schrift verfasst hatte. Flink faltete er ihn zusammen und setzte sein Siegel drauf, um ihn dem Boten zu übergeben.
„Sorgt dafür, dass der Alte vom Berg diese Nachricht erhält. Die Belohnung für seine Dienste wird groß sein.“
Der andere Mann schluckte schwer und nickte, als er den Brief in einer kleinen Tasche an seinem Gürtel verstaute. Nach Masyaf, die Burg der Assassinen, zu reiten war kein schöner Gedanke. Schon allein der Weg bis in das Herz von Syrien war lang und gefährlich.
„Und eilt Euch, ich bin nicht gerade für meine Geduld bekannt“ befahl der Prinz herrisch und erhob sich hinter dem kleinen Edelholztisch, der in seinem persönlichen Arbeitszimmer stand.
Der Bote verneigte sich und eilte dann so schnell es ging in Richtung der Stallungen, um sein Pferd satteln zu lassen.
Prinz Fakim schloss hinter ihm die Türen seines Zimmers und begab sich auf den kleinen Balkon hinaus, der an seine Gemächer grenzte und von dem aus man die Gärten und die Stadt überblicken konnte.
Leise drangen die allgegenwärtigen Vogellaute und die Geräusche des betriebsamen Kairo an seine Ohren. Der junge Prinz zog die von tausend verschiedenen Gerüchen geschwängerte Luft tief ein und ließ seinen Blick schweifen.
Von hier aus hatte er eine gute Sicht über seinen goldenen Käfig.
Einem goldenen Käfig zu dessen Tür er nun den Schlüssel besaß.

Der Mann war dünn, um nicht zu sagen dürr. Seine grauen Augen lagen in tiefen dunklen Löchern, die von einem hageren Gesicht umgeben wurden. Sein schmutziges schwarzes Haar hatte der Fremde kurz geschoren und auch das restliche Gesicht zeigte nur wenige Bartstoppeln, die hier und da sprossen.
Ein Asket, ging es Prinz Fakim durch den Kopf.
Nein, ein Assassine, berichtigte er sich im nächsten Moment beinahe erschrocken, ob des starren Blicks, den ihm der ausgemergelte Mann zuwarf.
Der Auftragsmörder war erstaunlich schnell, schon nach wenigen Wochen, nachdem er die Botschaft entsandt hatte, im Palast erschienen. Keine der Wachen hatte ihn an einem der Tore gesehen und dennoch war er nun hier.
Diese Tatsache weckte auch Fakims Nervosität.
„Setzt Euch“ sagte er schroff, verärgert über den immensen Respekt, den er insgeheim diesem dürren Mann gegenüber empfand. Er war ein Prinz und nicht gewohnt gegenüber anderen Leuten Ehrfurcht zu spüren.
Die ausgeblichene schwarze Kleidung raschelte leise, als der Assassine zwar sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, aber keine Anstalten machte Platz zu nehmen.
„Ihr kennt Euren Auftrag“ fuhr Fakim so unbeirrt wie es ihm möglich war fort.
„Ja, und er wird ausgeführt werden“ erwiderte der Fremde leise.
Ein Lächeln begann des Prinzen Lippen zu umspielen. Zufrieden drehte er an einem der goldenen Ringe seiner rechten Hand.
„Ausgezeichnet, Ihr werdet dafür fürstlich entlohnt werden“ versprach er vage, da er noch keine Idee hatte, wie er einen dieser zutiefst fanatischen Auftragsmörder bezahlen konnte, die nur für die Ankunft des Gottesreiches töteten.
Der Mann erwiderte nichts, sondern verließ ohne ein weiteres Wort und ohne eine Verbeugung die Gemächer des Prinzen.
Er hinterließ nur einen Duft nach welken Blumen.

Der Sultan war tot.
Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Feuer in den stickigen Straßen und Gassen der Basare von Kairo.
Die Bürger der Stadt empfanden tiefe Trauer, denn auch wenn der Monarch zuweilen streng und hart regiert hatte, so wussten alle um den Sinn für Gerechtigkeit des alten Mannes.
Anscheinend war er des Nachts vor Gram um den Verlust seines älteren Sohnes im Schlaf gestorben und hatte keine Qualen erleiden müssen.
Nun würde sein zweiter Sohn Fakim den Thron von Ägypten besteigen, doch hatte der sich nie besonders hervor getan.
Klug und gut aussehend war er, aber man munkelte, dass der Prinz auch mindestens genauso verschlagen und listig war.
In diesen Tagen gingen viele Gerüchte durch Kairos belebte Gassen.

Der große rote Seidenturban mit den Pfauenfedern lag schwer auf Fakims Kopf und doch verspürte der junge Mann eine Euphorie wie selten zuvor in seinem Leben.
Nun war er kein bedeutungsloser Prinz mehr, er war Fakim, der Erste seines Namens und Sultan von Ägypten.
So saß der junge Herrscher von nun an auf dem prächtigen Marmorthron im großen Audienzsaal des Palastes, wo er, umgeben von Unmengen goldener, silberner und diamantener Verzierungen, die politischen Geschäfte vorantrieb und Recht und Gesetz verkörperte.
Er schlichtete größere Streitigkeiten zwischen reichen Händlern, Adligen und heiligen Männern und bald galt er in der Oberschicht als gebildeter und umsichtiger Herrscher.
Aber noch misstraute ihm das einfache Volk, denn ihr Sultan hatte bisher nur wenig für dessen Wohlergehen getan.
„Ich muss meine Machtbasis stärken. Die Bauern und Handwerker in meinem Land müssen sehen, dass ich ein mächtiger Herrscher bin“ sinnierte Fakim eines Tages im Kreise seiner Berater und Generäle, die auch allesamt seinem Vater gedient hatten.
„Was gedenkt Ihr zu tun Majestät?“ fragte Abu Baku, der alte Wesir des Reiches.
„Ich werde das tun, was mein Vater Zeit seines Lebens gemieden hat Baku“, sagte Sultan Fakim unbekümmert, „ich führe Krieg gegen die Christen.“
„Das Volk verlangt nach dem Blut der Eindringlinge, es hat nie verstanden, warum Euer Vater den Konflikt gescheut hat“ merkte einer der Generäle an und konnte dabei die Freude über ein bevorstehendes Kräftemessen nicht verbergen.
„Niemand hat das verstanden mein guter Selim, am allerwenigsten ich“ lächelte Fakim und sah dann seine Berater einen nach dem anderen an, „Ägypten zieht in den Krieg.“

Tausende Menschen meldeten sich freiwillig für den Feldzug nach Palästina und Jerusalem. Bettler, Bauern und Tagelöhner, sie alle zogen gemeinsam mit dem königlichen Heer und seinen Generälen in den Kampf.
Einen Kampf, der sich schon sehr bald als weitaus hartnäckiger und blutiger herausstellte, als er geplant worden war. Beide Seiten kämpften mit einer religiösen Verbissenheit, die das gelobte Land um ein weiteres Mal mit dem Blut von Unzähligen tränkte.
Die Nachrichten über Sieg und Niederlage erhielt Sultan Fakim allerdings nur von Boten in seinem königlichen Palast, denn der Monarch weilte auch während des Krieges in den schattigen Hallen und Gärten seines Palastes und lauschte lieber Musikern, Dichtern und dem Gesang der Vögel, als den Schreien und Klagelauten im weit entfernten Kriegsgebiet.
Er genoss die Annehmlichkeiten seines Harems und die gute Küche und nahm schon sehr bald an Fülle und Umfang zu.
Und trotzdem nannte er sich bald Fakim der Große und das Volk tat es ihm gleich.

Doch gab es am Hofe Fakims des Großen auch Kritiker, die ihre Stimme gegen die Politik des Herrschers erhoben. Allen voran sprach sich der alte Wesir Abu Baku gegen den Krieg aus, der immer mehr Todesopfer forderte und Krüppel und Familien ohne Väter zurück ließ.
„Euer Vater hat gut daran getan einen Krieg mit den Christen zu vermeiden“ donnerte der greise Mann eines Tages im Kreise der Ratsversammlung.
„Als der Krieg begann habe ich von Euch keinen Widerspruch gehört Baku“ entgegnete Sultan Fakim ruhig, doch konnte er den Unmut über den Trotz seines höchsten Beraters nicht gänzlich verbergen.
„Ich habe Euch aber auch nie bei Eurem Plan zugestimmt Majestät. Christen und Muslime könnten friedlich nebeneinander leben, Ihr…“
Sultan Fakim begann lauthals zu lachen und unterbrach so Abu Baku.
„Ihr seid ein alter Narr Baku, wenn Ihr glaubt, dass solch ein Zusammenleben möglich wäre. Die Kreuzfahrer haben Land besetzt, das ursprünglich uns gehörte und ich fordere es zurück. Das Alter muss Euch Eurer Tatenkraft und des Mutes beraubt haben, sonst würdet Ihr nicht so reden“ noch immer schmunzelnd schüttete sich Fakim aus einer goldenen Karaffe einen Pokal Wein ein.
Eine Angewohnheit, die er sich bei den Ratsversammlungen angeeignet hatte.
Abu Bakus mit Altersflecken überzogene Hände zitterten vor Wut, als er sich schwer auf den großen Ratstisch stemmte.
„Majestät, wie könnt Ihr so mit dem Mann reden, der schon Eurem Vater gedient hat?“
„Nun, wie es scheint hatte mein seliger Vater nie besonders großen Erfolg dank Eurer Ratschläge. Mich nennt man inzwischen Fakim den Großen, doch mein Erzeuger wird wohl für immer als Rashid, der Dritte seines Namens in die Geschichte eingehen.“
Unter der von der Sonne gebräunten und gegerbten Haut des Wesirs wurde eine leichte Röte der Wut sichtbar. Einen Moment lang starrte Abu Baku seinen Sultan noch voller Unverständnis an, dann rauschte er, gefolgt von einigen ebenso empörten Beratern, aus dem Saal.
Sultan Fakim schnaubte verächtlich, während er einen weiteren durstigen Schluck aus seinem Weinpokal nahm.
Warum hörte er Zeit seines Lebens auf die feigen Worte alter Männer?

Fakims höhnische Worte hielten aber andere Adlige nicht davon ab den rebellischen Worten Abu Bakus Gehör zu schenken.
Bald schon hatte sich eine starke Opposition am Hofe gebildet, die den Krieg offen verteufelten und den Sultan zu einer Änderung seiner Politik zwingen wollten.
Fakim der Große reagierte darauf mit weiteren Botschaften, die er an die Assassinen in ihrer fernen Festung Masyaf schickte und schon bald verstarben einige seiner mächtigsten Feinde auf mysteriöse Art und Weise.
Der alte Abu Baku verschwand sogar spurlos und nur sein abgetrennter Kopf erreichte seine Familie wenige Wochen später.
Sultan Fakim behielt seine Macht dank des hageren Fremden, der mit dem Gift tötete und nur den Duft des Welken hinterließ.

Der Gefangene, der vor ihm im smaragdgrünen Gras kniete, trug den zerschlissenen Überwurf eines Tempelritters. Der Bart des Mannes war zottelig und lang und Gesicht und Hände wiesen zahlreiche Narben und Wunden auf.
Der Sultan betrachtete den Christen mit einigem verhohlenen Ekel, während er sich bemühte auf seinem Kissenstapel eine möglichst herrschaftliche Pose einzunehmen.
Fakim residierte nur noch ungern im prächtigen Thronsaal des Palastes. Der große Marmorthron war ihm zu hart und unkomfortabel geworden, also hatte er alle Audienzen in die Palastgärten verlegen lassen. Hier, in seinem kleinen Paradies, konnte er besser nachdenken und, wie er meinte, klügere Entscheidungen treffen.
Nun hatte man diesen verwahrlosten Kreuzfahrer zu ihm geführt, einen der Überlebenden von Fakims letzter siegreicher Schlacht.
Nur widerwillig kniete der Gefangene vor dem Sultan nieder, wobei die Ketten die seine Hände und Füße fesselten leise klirrten.
Mit dem Blick des Überlegenen musterte Sultan Fakim seinen unfreiwilligen Gast, den dieser aber störrisch erwiderte. In den Augen des Templers lagen kein Hass oder Zorn, sondern Misstrauen und vielleicht ein Funken Angst.
Fakim der Große schnippte nach einem Diener mit Weinkaraffe und Kelch und versuchte seinen inzwischen massigen Körper wieder in eine bequemere Position zu bringen.
„Wie ist dein Name?“ fragte er schließlich auf Latein, da ihm die Nationalität des Mannes verborgen blieb, während ihm ein Diener den Wein reichte.
Einen Moment lang schien der Kreuzfahrer mit sich selbst zu hadern, dann antwortete er in derselben Sprache: „Mein Name ist Roger de Reyard.“
„So kommst du also aus dem Reich der Westfranken, wie nennt ihr es? Frankreich, nicht wahr?“ fragte Fakim nun auf Französisch und musste ob Rogers Verblüffung schmunzeln.
„Ihr…Ihr beherrscht meine Sprache?“ Misstrauen und Verwunderung vermischten sich in der Frage des Ritters.
„Ja auch in der Hölle, da wo ich herkomme, lernt man solche Sprachen“ nun grinste Fakim süffisant und ließ den Wein in seinem Kelch kreisen.
Der Templer hatte relativ schnell die Fassung wieder gewonnen und straffte seine gesamte Erscheinung.
„Was habt Ihr nun mit mir vor? Werdet Ihr mich hinrichten und meinen Kopf an meinen König senden?“
„Oh ich denke das wäre etwas sehr barbarisch oder? Nein, du wirst eine Geisel an meinem Hof sein, denn es scheint mir, dass du nicht von niederem Stand bist. Ich behalte dich an meiner Seite und du wirst mir noch einmal ganz genau erzählen, warum die Könige der Christenheit mit Feuer und Schwert in das gelobte Land ziehen“ Fakim gebot zwei Palastwachen den gefesselten Ritter auf die Füße zu stellen und seine Ketten zu lösen, dann bot er Roger einen Platz auf dem Rasen neben seinem Kissenstapel an.
Während er sich die wunden Handgelenkte rieb ließ sich der Templer langsam im Schneidersitz nieder und nahm einen goldenen Kelch voll Wein entgegen, den ihm ein Diener auf Geheiß des Sultans reichte.
„Keine Sorge, er ist nicht vergiftet“ sagte Fakim auf den ungläubigen Blick des Ritters hin und nahm selbst demonstrativ einen großen Schluck.
Vorsichtig nahm Roger einen Schluck aus dem mit Diamanten verzierten Goldkelch und ließ den Wein langsam die Kehle herunter rinnen, scheinbar zufrieden mit dem Geschmack.
„Ihr wisst, dass Ihr mich töten solltet.“
„Um die Gerüchte zu nähren, die man sich bei euch über uns Muslime erzählt? Nein.“
„Ich könnte Euch im Schlaf töten.“
Fakim lachte hell und blickte über den Rand seines Kelches.
„Versuch es, viele Leute an meinem Hof würden dir dafür danken.“
Roger seufzte und schien sich zunächst in sein Schicksal zu fügen. Doch noch immer konnte er Misstrauen und Widerwillen nicht komplett verhehlen.
Sultan Fakim lehnte sich im Schatten der Bäume und Palmen, die in tausend bunten Farben leuchteten, zurück und gebot den versammelten Personen ruhig zu sein.
„Hörst du es Roger? Hörst du die Vögel, den Wind, das Wasser? Dies hier ist das Paradies, dies ist ein wahrlich gelobter Flecken Erde“ sprach er in die Stille hinein und erlaubte sich seinerseits ein leises Seufzen.
Der Ritter sagte nichts, sondern lauschte den Geräuschen dieses wirklich paradiesischen Ortes, wie er zugeben musste.
Der Sultan betrachtete ihn durch ein halb geöffnetes Auge.
„Bringt meinem Gast neue Kleider. Samt und Seide. So kann er hier wirklich nicht rumlaufen, Schmutz existiert nicht in meinen Gärten.“

Draußen, vor den hohen weißen Palastmauern, in den staubigen und lauten Gassen Kairos, riefen die Imame auf ihren Minaretten zum Gebet.
Gedämpft schallten ihre Rufe bis in den Sultanspalast auf seinem Hügel hoch über der Stadt.
Tausende von Menschen begaben sich nun in diesem Moment zu den zahlreichen Moscheen der Stadt, doch Roger nahm mit einiger Verwunderung zur Kenntnis, dass Fakim keinerlei Anstalten machte zum Gebet zu eilen.
Noch immer saß der Sultan seelenruhig am Rande des großen Marmorbrunnens, der das Zentrum eines Innenhofes bildete, und hielt die braun gebrannten Füße in das kühlende Wasser.
„Lass die Imame rufen bis ihre Kehlen trocken und ausgedörrt sind, ich höre lieber von den Geschichten und Liedern deiner Heimat“ antwortete er auf Rogers unausgesprochene Frage.
Dieser stutzte und fuhr sich über das Kinn, das bis vor einigen Wochen noch von einem stattlichen Vollbart nach abendländischer Art bedeckt gewesen war. Nun war sein Gesicht glatt rasiert, sein langes ergrautes Haar gewaschen und sein Körper in lange weite Kaftane aus edlen Tuchen in den schillerndsten Farben gehüllt.
Auch hatte er in den letzten Wochen seines Aufenthaltes im Palast einen Großteil seines Misstrauens gegenüber dieser Kultur erstaunlich schnell verloren. Fakim der Große war ausgesprochen gastfreundlich und sein gesamter Hof kultivierter als die Günstlinge seines Königs daheim in Frankreich. Alles schien hier toleranter, zivilisierter und heller zu sein als daheim.
Und dennoch überraschte ihn der Sultan immer wieder durch sein zum Teil weltfremdes Verhalten.
An diesem Tag hatte Fakim ihn gebeten ihm von den Dichtern und Sängern seiner Heimat zu erzählen und einige Kostproben vorzutragen. Mit einigem Widerwillen hatte Roger dies auch getan, wenn auch mehr schlecht als recht, da er nie ein besonders guter Sänger oder Erzähler gewesen war, und Fakim hatte ihm voller Inbrunst gelauscht.
„Dieser Roland von dem dieses Lied erzählt, er muss ein großer Krieger gewesen sein, wenn er für seinen König gestorben ist“ der Sultan sprach langsam und starrte nachdenklich auf die große Hecke, die den Hof einrahmte. „Aber er war auch dumm, niemand kann alleine gegen ein ganzes Heer gewinnen. Es scheint mir, dass ihr Kreuzfahrer Roland nacheifert. Ihr seid zu wenige, um zu gewinnen, aber ihr wollt Heiden töten…nicht wahr?“ auf das zuvor nachdenkliche Gesicht des Herrschers stahl sich nun wieder ein leichtes Grinsen.
Vor einiger Zeit hätte Roger noch vehement protestiert und Fakim als einen gottlosen Narren beschimpft, doch der Ritter war alt und müde von dem Kampf, den er beinahe ein halbes Leben lang um das gelobte Land geführt hatte.
Einen Moment lang gab es nur das sanfte Plätschern des Brunnens, das den Hof erfüllte und das stumme Starren der Palastwachen an den Türen, dann nickte Roger langsam.
„Du bist noch immer nicht sehr gesprächig“ merkte Fakim der Große an, während er seine Aufmerksamkeit nun auf die verschiedenen bunten Fische richtete, die den Brunnen mit ihrem Leben füllten.
„Ich sehne mich nach meiner Frau und meinen Kindern, sie harren in Damaskus noch immer meiner Rückkehr“ antwortete Roger und hoffte auf das Mitgefühl des Sultans, doch dieser blickte ihn nur lächelnd an.
„In meinem Harem findest du genug Frauen. Schöne Frauen. Ich mache dir eine zum Geschenk Templer.“
Roger schüttelte nur ablehnend den Kopf, Fakim mochte schon ein geschickter und kluger Herrscher sein, doch war er noch immer sehr jung an Jahren, das Jugendalter hatte er gerade erst hinter sich gebracht, und verstand noch nicht alle Aspekte des Lebens.
Manche Dinge mussten erst mit dem Alter kommen.
„Ich danke Euch, aber ich muss ablehnen. In meinem Alter sollte man sich auf keine Abenteuer mehr Einlassen“ dies war wohl das Argument, das Fakim am ehesten verstehen würde.
Und tatsächlich nickte der Herrscher feixend und strich sich über seinen feinen Kinnbart.
„Du bist ein treuer Mann Templer.“

Die Monate vergingen und die Ruhe in Roger wuchs.
In den stillen Höfen und Gärten des Palastes fand er endlich die Idylle und Seelenruhe, nach der er Zeit seines Lebens, das zur Hälfte vom Krieg und Tod im gelobten Land geprägt war, gesucht hatte.
Manchmal, wenn er in Gedanken versunken durch die langen Säle und Gänge mit ihren Marmorsäulen schritt und die Ruhe des Moments in sich aufnahm, konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Vor langer Zeit war er aus seiner Heimat Frankreich aufgebrochen, um in fernen Landen Ruhm und Ehre im Kampf gegen die Heiden zu erlangen. Nun war er alt und müde und ausgerechnet ein muslimischer Herrscher bot ihm den Platz an dem er seinen Lebensabend verbringen konnte.
Roger, der Geisel des Sultans, erging es besser als Roger, dem Edelmann und Vasallen des Königs von Frankreich.
Frankreich…
Die Erinnerungen an diesen Flecken Erde waren verblasst, seit er vor dreißig Jahren von Marseille aus mit einem Schiff in Richtung des gelobten Landes aufgebrochen war. In Jerusalem und Palästina hatte er mehr Zeit verbracht, als er es jemals auf seinen Besitzungen und Gütern in der Provence getan hatte.
Die weiten grünen Weiden, die Pinienwälder und die sanften Hügellandschaften seines Geburtslandes waren dem Eindruck von Oasen und Wüsten gewichen, der Landschaft, die seine eigentliche Heimat bildete, wie er erkannte.
Überrascht von seinen eigenen Gedanken schüttelte Roger den Kopf und folgte dem Gang in einen Hof, der von den hohen Palastmauern in ihren sanften weißen, orangefarbenen und safrangelben Tönen umgeben war. Durch offene Fenster in den höheren Etagen drang das hektische Stimmengewirr von Dienern, Sklaven, Beratern, Soldaten und Eunuchen herunter – das bunte Treiben des Palastalltags.
In seine Gedanken versunken setzte sich der alte Templer unter einen der vier hohen Bäume, die dem kleinen Hof Schatten spendeten und lehnte sich gegen den Stamm.
Erst auf den zweiten Blick erkannte Roger, dass er sich unter den Wipfel einer Pinie begeben hatte und dass es sich bei den Blumen, die den Palast hier mit ihren Farben schmückten, um Rosen handelte.
An manchen Orten trafen sich die Welten.

Sultan Fakim wirkte nicht gerade prächtig oder groß, wie er auf seinem bunten Kissenberg im Garten residierte und mit einer majestätischen Bewegung seiner Hand einen Bittsteller nach dem anderen heranwinkte.
Roger stand inmitten des Beraterkreises und musterte seinen neuen Herren wie so häufig neugierig. Der junge Fakim hatte ein weiteres Mal erstaunliche Weitsicht und Toleranz bewiesen, als er den alternden Ritter entgegen aller Proteste seines Hofes in den Beraterstab geholt hatte, um einen Ratgeber zu haben, der nach einer anderen Politik als der des eigenen Vorteils ging.
Der Sultan schien ihm zu vertrauen, doch war sich Roger keinesfalls sicher, ob dies eine gute Fügung des Schicksals war.
Bisher hatte er nur geschwiegen und sich auf das Zuhören beschränkt, während die Männer um ihn herum, allesamt Herren, die sich in verschwenderische Pracht kleideten und den beißenden Geruch von Parfüm verbreiteten, ihrem Herrscher ein fürs andere Mal Ratschläge gaben, die sie in diesem Fall für besonders weise hielten.
Bisher verstand er nur wenige Brocken der schwer zu erlernenden ägyptischen Sprache, doch schien so manche Diskussion zwischen Bittsteller einerseits und Sultan und Beraterstab andererseits äußerst hitzig geführt zu werden.
Roger hatte es bisher nicht nur vorgezogen zu schweigen, sondern auch sich nur in einen langen seidenen safranfarbenen Kaftan zu kleiden. Er wollte so bescheiden wie möglich wirken, denn es konnte gefährlich sein zu viel Reichtum nach außen zu tragen.
Außerdem, welchen Reichtum besaß er denn schon?
Trotz aller Ehre, die ihm der Sultan hatte zuteil werden lassen, war er noch immer eine Geisel am Hofe des ägyptischen Herrschers.
Eine Marionette.

Fakim der Große langweilte sich.
Die Audienzen hatten am Morgen begonnen und zogen sich nun bereits bis in den Mittag hin. An diesem Tag schien wirklich jeder Mann in Kairo mit nur ein wenig Geld und Rang ein Problem vorzubringen zu haben.
Immer tiefer sank der massige Leib des jungen Sultans in die weichen Daunenkissen, während die Worte seiner Berater zum einen Ohr herein und zum anderen wieder heraus gingen.
Müde entschied er eine Streitigkeit nach der anderen, womit er viele der Bittsteller zutiefst verärgerte, oder ließ gleich seine Berater für ihn entscheiden.
Heimlich warf er dabei aber immer einen Blick auf den Ritter aus dem Frankenland, ob dieser ihm einen guten Rat geben würde, doch hüllte sich der Mann in Schweigen.
Fakim seufzte, was hatte er eigentlich mit den banalen Problemen dieser Menschen zu tun?
Sie allesamt waren Adlige und Kaufmänner, die ein wenig Geld besaßen und nun meinten seine wertvolle Zeit mit ihrem Geplänkel verschwenden zu müssen.
Sollten sich seine Beamten darum kümmern, er war hierfür nicht bestimmt.
Sein Weg zum Thron war lang gewesen und nun wollte er sich nicht mit solchen Nichtigkeiten aufhalten, es ging nicht um das Wohl des Einzelnen, nein es ging um Ägyptens Wohl.
Und um seinen Ruhm, am besten sollte man ihn nicht nur den Großen, sondern auch den Prächtigen nennen.
Mit einem weiteren Seufzer griff Sultan Fakim der Große einen saftigen Pfirsich aus einer Goldschale neben seinem Kissenberg und biss herzhaft hinein.
Dann schloss er schwärmerisch die Augen, während weitere hohle Worte wie eine Welle über ihn hinweg spülten und der süße klebrige Pfirsichsaft seinen Bart und seine Hände herunter rann.

Es war still geworden im Garten.
Als endlich alle Berater, Höflinge und Bittsteller und lautem Geschnatter verschwunden waren hatte bereits der Abend angebrochen.
Noch warf die ägyptische Sonne ihre warmen Strahlen auf die Haut des Sultans, doch in wenigen Stunden würde auch sie am Horizont untergehen.
Ein Muezzin verkündete in der Ferne mit seinem seltsam ästhetischen Singsang den Anbruch des Abendgebets und bereicherte damit auf eine ganz untypische Art die Stille anstatt sie zu durchbrechen.
Dies waren die Momente in denen Fakim sich wirklich glücklich fühlte.
„Ist es nicht wunderbar?“ fragte er leise, doch so, dass ihn Roger hören konnte.
Der Templer hatte auch gerade die königlichen Gärten verlassen wollen, doch hielt er nun in seiner Bewegung inne und drehte sich um.
„Was meint Ihr Majestät?“ die Geisel tat wieder einige Schritte auf Fakim zu.
„Ich meine diesen Abend, alle Abende. Jetzt ist die Zeit in der die Welt zur Ruhe kommt, wenn die Hektik des Tages vergeht. Nimm dir etwas Zeit, du hast eh genug davon, und setz dich zu mir“ wie ein gutmütiger Großvater klopfte Fakim auf einen wesentlich kleineren Kissenstapel neben seinem eigenen, woraufhin sich der wesentlich ältere Roger wie ein Kind, das eine gute Geschichte hören will, niederließ.
Genüsslich sog Fakim die frische Abendluft ein, in der die manigfaltigsten Gerüche von Gewürzen, Früchten und Brot mitschwangen, und spürte den frischen Hauch einer abendlichen Sommerbrise, die seine erhitzte Haut kühlte.
Der Sultan spitzte die Ohren, noch immer ließ der Muezzin seinen heiligen Gesang erklingen.
„Weißt du, viel lieber höre ich meinem Kairo und seinen Bewohnern zu, als diesen machtgierigen Adligen die bei jedem Ratschlag und jeder Bitte, die sie an mich richten einen Dolch in meinem Rücken sehen.“
„Ihr seid sehr besonnen für Euer Alter, Herr“ antwortete Roger, während er versonnen auf das Dächermeer der abendlichen Metropole blickte, aus der hier und da die schlanken Minarette der Moscheen stachen.
Innerlich schmunzelte Fakim über diese Bemerkung des Templers. Ja, vielleicht war sogar besonnen, aber vor allem war er ein Vatermörder. Was hätte der abendländische Recke wohl dazu gesagt?
Sein Gesicht verriet allerdings keinen dieser Gedanken, sondern blieb weiterhin jovial und entspannt.
„So klingt das Leben Templer, das sind die Geräusche und Gerüche des Morgenlandes.“

Sie schwiegen nun schon eine ganze Weile, versonnen auf das Schachbrett vor ihnen starrend.
Fakim musste zugeben, dass der Templer äußerst begabt war und seine Züge klug und besonnen wählte.
Der Sultan liebte solch geistige Herausforderungen.
Roger war der einzige Mann am Hofe, der Fakim nicht einfach gewinnen ließ. Seit Ismails Tod war der Franzose der erste, der ihn wieder geistig forderte und das schätzte Fakim sehr.
Viele der Höflinge und des Volkes verachteten ihn für den Respekt, den er der Geisel entgegenbrachte, doch Fakim hielt es für Toleranz und für ein Zeichen seiner wahren Größe als Herrscher.
„Ihr seid an der Runde, Herr“ sagte Roger, indem er einen Springer des Sultans schlug und fast wie zur Belohnung an seinem Weinkelch nippte.
Nachdenklich strich sich Fakim über seinen Spitzbart und erwog verschiedene Taktiken, als ein Diener das ruhige Zusammensein in den Gärten störte.
„Entschuldigt die Störung Herr, aber soeben ist noch ein Bittsteller angekommen. Er ist untröstlich für die Verspätung.“
Fakim seufzte resignierend und befahl dem Diener mit einem Wink den Mann zu ihm zu führen. Mit einem Schlag war die grandiose Strategie, die er soeben ausgeheckt hatte, verflogen.
Konnte er denn niemals seine Ruhe finden? Manchmal kam ihm das ägyptische Volk wie ein Haufen zankender Kinder vor.
Eigentlich hatte er für diesen Abend nur noch Yussuf ben Salim, den Hofvogelzüchter, erwartet, der ihm einige besonders schöne neue Tiere vorstellen wollte.
Aber der Mann, der nun von dem leicht nervösen Diener zu Fakim geführt wurde, hatte wenig mit dem Vogelzüchter gemein.
Sein Gang war leicht und federnd, er war groß und hager und versteckte sein Gesicht unter einer dreckig braunen Kapuze. Als er vor Fakims großem Kissenberg stehen blieb streckte der Sultan automatisch seine rechte Hand aus, an der vier Goldringe mit Diamanten glänzten, um die üblichen Ehrerbietungen des Gastes entgegenzunehmen.
Der Mann tat nichts dergleichen, stand lediglich still wie der Abend da und lüftete schließlich seine Kapuze.
Der penetrante Geruch von welken Blumen stieg Fakim in die Nase und sofort bahnten sich Bilder von Vergänglichkeit und Tod vor das innere Auge des Sultans.
Es war das erste Mal, dass der Sultan den Assassinen lächeln sah.

„Ihr? Wie seid Ihr hier hinein gelangt?“ Fakim hatte nicht so überrascht klingen wollen, doch hatte er keine Möglichkeit seine Verwunderung zu verbergen.
„Die Schatten des Abends sind mein Schutz, ich brauche nur das Licht des Mondes, um den Weg vor mir zu erkennen“ das Lächeln des Assassinen war schnell wieder verschwunden, nun ließ er sich im Schneidersitz nieder.
Mit einer barschen Handbewegung verscheuchte Fakim den Diener, für diese Unterhaltung konnte er keine Zeugen gebrauchen. Als auch Roger Anstalten machte sich zu erheben bedeutete er dem Templer allerdings sitzen zu bleiben.
„Warum seid Ihr gekommen? Fordert Ihr Euren Lohn für Eure Taten?“ Fakim hatte seine Beherrschung schnell wieder gefunden und ragte nun bedrohlich in seiner Erhabenheit über dem Assassinen auf.
Dieser starrte den Sultan nur unbeeindruckt an.
„Fakim den Großen nennen sie dich jetzt, du hast dich stark verändert in den letzten Jahren.“
Dieses Mal hielt Fakim das ruhige Gesicht aufrecht, doch verwirrte ihn der plötzliche Wechsel der Anrede sehr.
„Ich hätte dich nie für so intrigant gehalten Bruder“, fuhr dieser seltsame Mann fort, „aber du hast dir den Weg an die Mach wirklich erkämpft.“
Fakim schluckte, sein Doppelkinn begann zu zittern, während er sich auf seinen Seidenkissen weiter nach hinten schob.
„Aber du bist tot, den Überfall in der Wüste hast du nicht überlebt!“
„Hast du geglaubt, wolltest du glauben. Und in gewisser Weise hattest du auch Recht. Ich war tot und wurde wiedergeboren“ Ismail sagte dies ohne sein Lächeln, das früher einmal so typisch für ihn gewesen war.
Auch Fakim konnte nur glauben, dass sein Bruder bereits einen Tod gestorben war. Ismails einstmals hübsches Gesicht war eingefallen, die Wangenknochen stachen scharf hervor und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Diese hagere, verwahrloste Gestalt war irgendwann einmal sein Bruder gewesen.
„Aber wie…?“ begann der Sultan noch immer fassungslos.
„Ich wäre da draußen in der Wüste fast an Durst und meinen schweren Wunden gestorben, drei Tage irrte ich kraftlos umher, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich wieder erwachte näherten sich mir drei schlanke Gestalten, die kein Wort sprachen und in Lumpen gehüllt waren. Sie lasen mich auf und schleppten mich durch die Wüste bis nach Masyaf, ja sie brachten mich zur Festung des Alten vom Berge. Er hat mir das Leben gerettet und mir den Weg zu einem neuen, starken Glauben gegeben.“
„Du…bist einer von ihnen geworden, ein Assassine“ keine Würde lag mehr in Fakims Worten.
Ismail nickte ernst.
„Ja, und du bist nun der Sultan von Ägypten und ein sehr mächtiger Mann. Und doch bist du nichts ohne mich.“

Roger betrachtete fasziniert die Szenerie, die sich ihm bot.
Fakim und der Fremde redeten ein schnelles Arabisch, das der alte Templer noch immer nicht verstand, aber er hatte Worte wie „Bruder“ und „Assassine“ aufgeschnappt und seine Augen trogen ihn trotz seines Alters noch nicht.
Er wusste, was er da sah und fühlte so etwas wie Ehrfurcht für den Moment aufkeimen.
Still verließ er seinen Platz gegenüber dem Sultan und ließ sich neben dem fröhlich plätschernden Brunnen in der Nähe nieder.
Was dort unter den Palmen und Orangenbäumen geschah war Sache der beiden Brüder und Teil einer Welt, in die er noch immer nicht gehörte und die ihn doch so sehr in ihren Bann zog.

„Also bist du zurückgekommen, um dir den Thron zurück zu holen und Rache für meinen Verrat zu nehmen?“ nervös drehte Fakim an einem seiner Goldringe, doch langsam kehrte die Ruhe in seinen Verstand zurück.
„Sie mich an, sieht so jemand aus, der einen Thron erobern will?“, Ismail schnaubte verächtlich, „nein diese weltlichen Dinge bedeuten mir nichts mehr, ich habe endlich den wahren Pfad des Glauben gefunden.“
„Du tötest Menschen im Auftrag anderer und nennst es den Willen des Herrn Bruder“ einen Anflug von Spott konnte sich der Sultan dieses Mal nicht verkneifen.
Ismails Augen blitzten gefährlich wütend auf.
„Wer bist du Bruder, dass du es wagst die Pfade auf denen ich wandle zu kritisieren? Ich töte für das Kommen des Gottesreiches. Meine Taten mögen schmutzig sein, aber auch heilig. Deine sind nur besudelt vom Dreck der Intrigen. Täusche noch so viele deiner Gäste mit dem Glanz deines Palastes, der Schönheit deiner Gärten und der Pracht deiner Person, alles ist nur eine Kulisse hinter der du deine gierigen Machenschaften versteckst. All deine Macht ist auf Vaters Blut erbaut.“

„Du warst es, der Vater getötet hat Ismail. Du hast ihn bereitwillig für mich ermordet“ Fakims teure Roben raschelten leise, als er sich auf seinem Kissenberg zu voller Größe erhob.
„Ja, ich habe ihn genauso bereitwillig getötet, wie du den Befehl dazu gegeben hast. Aber ich habe es keineswegs für dich getan, sondern für das kommende Reich Gottes. Du dagegen gabst den Auftrag aus reiner Machtgier, um endlich den Thron zu besteigen, der dir so lange verwehrt war“, Ismail griff sich eine große Orange aus einer nahen Schale und begann sie langsam zu schälen, „aber sieh dich nun an. Immer wolltest du deinem goldenen Käfig entkommen, hast von großen Taten und Ruhm geträumt, aber am Ende bist du dem Käfig nie entkommen. Du sitzt auf deinem Kissenberg und nennst dich der Große, aber keine deiner Taten war bisher von irgendeiner Größe geprägt Bruder, ich sehe nur Dekadenz und Intrigen.“

Einen Moment lang bebte Fakims massiges Kinn vor Wut ob dieser Respektlosigkeit, doch musste er sich beherrschen.
Unachtsamkeit war der erste Schritt zur Niederlage, das hatte er längst gelernt.
Also lächelte er nur so freundlich wie möglich und schob ein Schachbrett aus edlem Mahagoniholz zwischen sich und Ismail.
„Ich habe diese Diskussionen mit dir vermisst Bruder und genauso das Spielen mit dir. Lass uns sehen, ob du noch immer so ein brillanter Stratege bist wie einst.“
Einen Moment lang betrachtete ihn Ismail mit verhohlener Skepsis, griff aber schließlich doch nach den weißen Figuren und begann sie auf dem Feld aufzustellen.
Fakim tat es ihm mit den schwarzen Figuren gleich und befahl dem Diener, der das Gespräch aus einiger Entfernung gebannt beobachtet hatte, eine Wasserpfeife zu holen und vorzubereiten.

„Du bist noch schneller mit kühnen Worten zur Hand als mit deinem Dolch Bruder“ sagte Fakim, während er die Partie mit einem ersten vorsichtigen Zug begann.
„Auch an deinen Händen klebt Blut. Unter dem Deckmantel der Religion machst du dich zum politischen Mittel und Objekt der Mächtigen. Dein alter Mann vom Berge mag es den Kampf für deine heilige Sache nennen, doch am Ende seid ihr nur Figuren im Spiel der Macht“ demonstrativ schlug Fakim einen von Ismails Bauern.
Einen Moment betrachtete sein Bruder den Schachzug, dann hob er nur leicht eine seiner Augenbrauen.
„Und du hältst dich für den Puppenspieler, der alle Menschen wie Marionetten an Fäden hält? Sieh dich an, es gab eine Zeit, in der du davon geträumt hast Ruhm zu erlangen und aus deinem goldenen Käfig auszubrechen, aber es ist dir nie gelungen. Du bist zu dem prächtigen Singvogel geworden, der zu werden du immer gefürchtet hast.“

Eine Weile saßen die beiden Brüder nun schweigend da und betrachteten, beschienen vom silbernen Mondlicht, das Spielbrett vor ihnen.
Einst hatten sie sich wie ein Ei dem anderen in ihrer Schönheit und Pracht geglichen, nur der Geruch ihrer Duftwasser hatte sie unterschieden, nun saßen sich ein fettleibiger Monarch und ein magerer, dreckiger Schatten gegenüber.
Es roch nach Rosen und Vergänglichkeit.

„Erinnerst du dich Bruder? An dem Abend bevor du nach Syrien aufbrachst haben wir genauso im Schatten der Orangenbäume gesessen und Schach gespielt“ Fakim setzte ein wehmütiges Lächeln auf, während er versonnen an der Wasserpfeife zog und den süßen Geschmack von Minze einatmete.
Ismail verzog nicht einmal den Mundwinkel, während er seinen Schachzug machte, er zeigte keinerlei Gefühlsregungen.
„Nur, dass dieses Mal unser Treffen tatsächlich mit dem Tod enden wird“ sagte er schließlich und nahm von Fakim den Pfeifenschlauch entgegen.
„Wieso willst du mich töten Bruder, wenn es doch keine Rache ist, die du willst?“ interessiert lehnte sich der Sultan nach vorne.
„Es muss geschehen, du bist ein Frevler und wirst sterben. Dein Tod wird uns dem Gottesreich näher bringen“ Ismail füllte zwei silberne Pokale mit blutrotem Wein und reichte einen davon seinem Bruder.
„Auch ihr macht nur eure Politik, das könnt ihr auch mit noch so viel Religion und Gottesfurcht nicht verbergen“, lächelte Fakim, während er einen Schluck aus seinem Pokal nahm und seinen Bruder über den Becherrand hinweg betrachtete. In seinen Augen funkelte der Spott.
„Aber ich werde mich nicht einfach von dir aufschlitzen lassen wie ein Ferkel auf der Schlachtbank. Ich bin der Sultan von Ägypten, Fakim der erste seines Namens.“
Ruhig nahm nun auch Ismail einen Schluck von seinem Wein.
„Ich habe weder Vater noch eines deiner anderen Opfer mit dem kalten Stahl getötet Bruder, das solltest du wissen.“

Fakims Lächeln gefror in seinem Gesicht, während der Sultan zunächst seinen Bruder, dann den Weinpokal in seiner Hand betrachtete.
Der kostbare Kelch entglitt seinen dicken Fingern und kam leise klirrend auf dem Boden auf, wobei sich der rote Wein über das Schachbrett ergoss.
„Gift…“, murmelte er entsetzt und starrte auf die Spielfiguren, „…aber du hast doch auch davon getrunken…“
„Am Ende ist mein Leben genauso verkommen und wertlos wie deines, in den Augen der Welt sind wir nur das unreine, das schwarze Blut in Allahs Adern, aber wir dienen dem höheren Zweck“ nun lächelte Ismail und stellte seinen Kelch zur Seite, bevor er das Schachbrett betrachtete.
„Es scheint so, als würden wir diese Partie nicht mehr zu ende spielen können. Keiner gewinnt, Bruder.“
Ungläubig sackte Fakim zurück auf seinen Kissenstapel und stieß dabei eine Schale voller Früchte um.
Dann starb Fakim der Große mit einem letzten Gurgeln.
Ismail warf Roger einen letzten durchdringenden Blick zu.
„Nichts ist wahr, alles ist erlaubt alter Mann“ sprach er auf Französisch, dann lehnte er sich an den Stamm des nächsten Baumes und schloss die Augen.

Eine Weile saß der alte Templer gebannt unter dem Orangenbaum und betrachtete die toten Brüder.
Tausende Gedanken gingen ihm in diesem Moment durch seinen Geist, der schon so vieles erlebt hatte. Doch einer dieser Gedanken stach hervor.
So viele Geschichten seiner Heimat hatte er dem Sultan von Ägypten erzählt, nun würde er, Roger, eine weitere für seine Heimat verfassen.
So schnell es ihm seine alten Knochen erlaubten sprang der Ritter auf und eilte in seine Kammer, nur um kurz darauf mit Feder, Tinte und Papier zurück zu kehren.
Mit einem Ächzen ließ er sich wieder unter dem Orangenbaum nieder und warf noch einen faszinierten Blick auf den silbernen Halbmond, der hoch über ihm thronte und diese seltsame und zugleich faszinierende Welt in sein mattes Licht tauchte.
Schließlich tauchte er den Gänsekiel in die Tinte.

Lest die Worte von Roger de Reyard, eines alten Mannes, den ihr vielleicht einen Narren schimpfen werdet, nachdem ihr diese Zeilen saht.
Doch ich will eine Geschichte erzählen, die Geschichte zweier Brüder und eines Landes, wie es fremder und faszinierender nicht sein könnte. Es ist so lieblich und doch tödlich.
Wo soll ich nur beginnen…
 

Der Autor

Mitglied
Schon wenn ich den Titel lese, wird mir klar, dass es mir verhasst sein und mich nur aufregen wird. Daher habe ich die Story nicht gelesen (das wäre mir eine Schande).
Der Titel verletzt wahrlich meine tiefe religiösen Gefühle, da erstens Allah kein Blut hat und zweitens wenn er hätte(was aber nicht der Fall ist), dann wäre es nicht schwarz, schwarz wie das Böse, dass wolltest du doch mit dieser Methaper aussagen nicht wahr.
Es macht mich wütend und ich kann mich kaum zurückhalten, kein Kritik in zu diesem Beitrag zu schreiben.
Es ist unverschämt von dir, so den Herrn aller, der alles erschaffen hat, mit solchen feigen Stillmitteln zu verspotten.
Wahrlich, WENN hier einer schwarzes (böses) Blut hat, dann nur der Autor dieser Story.
Wie gesagt, die Geschichte hab ich nicht gelesen und es ist sehr wahrscheinlich, dass da beleidigende und falsche Elemente gibt, aber darauf kann ich kein Kritik geben, da wie gesagt ich die Story nicht kenne (und auch nicht kennen will).
Den Titel allein zu kritisieren reich schon.
Ich verstehe nicht, wie man unseren Glauben heraubwürdig, wo wir doch kein einziges Mal über Jesus (Friede und Segen Allahs sei mit ihm)beleidigendes sagen oder so ähnlich!

EINE SCHANDE IST DAS! (Zumindest der Titel, Pfui!!!!!!!!!)
 

Felix

Mitglied
Ach du meine Güte...

Tja jeder Autor ist wohl für seine Geschichten und ihre Inhalte verantwortlich, nur sehe ich keinen Grund für deine ausufernde "Kritik".
Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich im Gegensatz zu dir den Inhalt kenne.
Ich finde es erstaunlich wie leicht du nur durch einen Titel über ein Werk urteilen kannst, lies es dir durch und dir wird auffallen, dass meine Intention keineswegs wahr deine Religion zu beleidigen.
Vielleicht ist der Titel etwas unglücklich geraten, doch würd ich mich sehr freuen, wenn du dir den Text einmal durchliest und wir dann noch einmal reden.
 

Der Autor

Mitglied
Genau das meinte ich doch, dass der Titel zu unglücklich formuliert wurde.
Auf deine Geschichte hab ich doch nicht einbezogen
Ich habe zwar eine These aufgestellt, aber deutlich gemacht, dass ich nicht darauf beharre.
Wenn du denn Titel ändern würdest, dann lese ich vielleicht.
Ich glaube dir, dass du es nicht so beabsichtigt hast, aber woher soll ich den wissen, wie was gemeint, in der unserer Zeit (Leider!)
Also ändere Titel_Lesen Geschichte
 

Felix

Mitglied
Da ich bisher noch nicht herausgefunden habe, wie ich den Haupttitel eines Werkes verändern kann ohne gleich meinen ganzen Beitrag zu löschen, habe ich es jetzt erst einmal dabei belassen einen anderen Untertitel zu nehmen.
Du musst mir schon glauben, wenn ich dir versichere, dass der Inhalt ein anderer als der von dir vermutete ist.
Wenn du das nicht tun willst ist das deine Sache.
 



 
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