Das war`s

mattes

Mitglied
Das war´s

Das schmutzverklebte Transparent mit der Aufschrift "Internationale" versucht verzweifelt, mit seinem schwachen Licht die Nacht etwas zu verdrängen, und eine vage Einladung an den Vorbeikommenden auszusprechen, einzutreten, um eine ungewisse Freude zu empfangen.
Dieser Einladung folgen wenige, sie ist zu unbestimmt und viel zu trist.
Es ist zwei Uhr morgens und ich starre durch die blinden Fenster neben der Tür. Die, die von der Menschheit übriggeblieben sind sitzen stumm an der Theke, starren in ihr Bier und denken an Tage, als diese frühen Morgenstunden noch mit Glanz und Tanz angefüllt waren. Das zehnte Bier und der zehnte Schnaps geben ihnen das Gefühl von Freiheit, Leichtigkeit und Freude. Man ist wieder wer und schwärmt von den Zeiten, wo man es DENEN noch gezeigt hat. DENEN ist ein unbestimmter Begriff und bezeichnet kurzweg alles und jeden, der die eigene Existenz bedroht. Die dumpfe Aura der Gesellschaft durchdringt alle Ritzen des alten, schwermütigen Gebäudes und versetzt die frische Nachtluft mit Modergeruch. Genau die Stimmung, in der ich mich befinde. Ich öffne die Tür und atme die rauch- und alkoholgesättigte, mit Depression getränkte Luft ein.
" N`Abend ".
Die Antwort besteht aus ein, zwei flüchtigen Blicken. Ich stelle mich an die Theke. Hinten im Raum steht ein älterer Mann mit einer Frau unbestimmbaren Alters an einem Spielautomaten Sie starren gebannt auf die rotierenden Scheiben. Ab und zu nehmen sie einen Schluck aus den Gläsern, die sie in der Hand halten. Sie sind total gefangen von ihrem Spiel, nehmen die Umwelt nicht wahr, existieren in ihrem eigenen Universum, welches aus fünf sich drehenden Scheiben besteht. Ein festes Universum, das sie wärmt und sie vor dem Universum mit dem Namen "Realität" schützt, wenigstens für eine kurze Zeit. Die Konzentration in ihren Gesichtern hat für den Moment die Resignation verdrängt, die sie sonst tragen. Ein Moment Glückseligkeit, eine Reise.
Die Kellnerin schenkt mir ein kurzes Lächeln: " Bierchen ? "
Ich nicke, sie zapft.
Sie stellt das Bier vor mich hin und ich trinke einen Schluck. Das dumpfe Gefühl in der Magengegend ist permanent vorhanden. Ich will es fortwaschen. Wegwischen, wie ich mit einem Wasserstrahl Schmutz fortspüle, doch hier hilft kein Wasser, hier hilft nur Alkohol, viel Alkohol. Ich stürze in einem zweiten Zug den Rest des Glases in mich hinein und bestelle ein Bier und einen Korn. Vielleicht habe ich Glück und es wird etwas wärmer in mir, vielleicht.
Drei Plätze neben mir wiegt eine Frau ihren Oberkörper leicht im Rhythmus der Musik, die krächzend aus einer alten Musikbox kriecht. Es ist irgenwas von Sonne, Romantik, Verliebtsein und Jugend. Sie blickt verträumt und schlägt die Beine übereinander. Die Kellnerin stellt den Korn und das Bier vor mir ab:" Prösterchen."
" Danke."
Ich schütte den Korn runter und nicke der Kellnerin zu:" Noch einen bitte." Sie nickt und schenkt ein.
Während sich die Wärme in meinen Eingeweiden langsam ausbreitet schaue ich mich um. An der anderen Seite der Theke sitzen noch zwei Typen, die dumpf brütend in Ihre Gläser starren. Ab und zu brummen sie etwas unverständliches, mit dem sie aber wohl etwas anfangen können, denn es kommt immer eine kurze Antwort vom Anderen.
Das war es also. Ich bin am Ende der Welt angelangt, stelle ich resignierend fest. Ein Tal der Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit. Es ist als hätte ich einen solchen Ort gesucht. Unter diesen Einsamen fühle ich mich sofort etwas wohler. Es ist pervers, das man sich am Leid anderer hochziehen kann. Wenn man feststellt, das man den Tiefpunkt noch nicht erreicht hat keimt ein kleines Gefühl von Sieg auf. Aus den Augenwinkeln mustere ich die Frau neben mir. Sie hat ein schwer zu bestimmendes Alter, irgendwas zwischen 40 und 60 Jahren. Ist sie 40, sieht sie alt aus, ist sie 60, hat sie sich leidlich gut gehalten. Sie hat die typische Frisur des mittleren Alters und braun glänzendes Haar, wahrscheinlich gefärbt. Die Figur ist etwas rundlich, aber nicht dick, und die Beine die unterhalb des Knielangen Rocks sichtbar werden sind überraschend gut in Schuss. Schwarze Strümpfe mit Naht in Hochhackigen Pumps. Sie hat auf gewisse Weise Stil.
Ich schaue in ihre Richtung und sehe wie sie mich anlächelt. Selbst dieses Lächeln erscheint mir schon wie ein Sonnenstrahl und bringt etwas Licht in diese triste Umgebung. Ich winke der Kellnerin und bestelle noch einen Korn und ein Bier für mich und sage ihr sie möchte die Dame an der Theke fragen was sie trinken möchte. Die Kellnerin schaut mich etwas irritiert an. Entweder sie hat noch nie gehört, dass jemand Dame sagt, oder sie fragt sich ob ich das Mittelalter anmachen will. Ich höre wie die Frau sich auch ein Bier und einen Korn bestellt. Als die Getränke vor mir stehen wende ich mich zu ihr um und proste zu. Sie mustert mich von oben bis unten, als ob sie taxieren will, ob ich Geld habe, ob sie mich abschleppen soll, oder was auch immer. Solche Situationen kenne ich bis jetzt nur aus Büchern, oder aus Filmen, es ist fast klar wie es weitergeht, denke ich mir. Sie steht auf, nimmt ihr Glas und setzt sich neben mich.
" Was machst du denn hier kleiner ?"
" Ich trinke mein Bier und will meine Ruhe haben. "
Sie schaut mich verärgert an und will wieder aufstehen:" Entschuldigung, ich wollte mich nicht aufdrängen."
Ich lege meine Hand auf ihren Arm und sage:" Entschuldigung, so habe ich das nicht gemeint. Ich freue mich über etwas Unterhaltung, bleiben sie doch bitte sitzen."
Über soviel Höflichkeit ist sie dann offenbar auch erstaunt.
" Wenn du`n bisschen Kleingeld hast, mache ich uns etwas schöne Musik. " Die Jukebox ist seit einigen Minuten ruhig, was ich als eine Wohltat empfunden habe. Es scheint so als brauche sie die Musik, als würde sie sich in die alten Schlager wie in einen Mantel einhüllen, der sie vor der Kälte des Moments schützt. Ich gebe ihr ein paar Euros und sie steht auf und geht zur Musikbox. Die Art wie sie geht ist irgendwie toll. Sie schreitet total professionell auf den Pumps und bewegt ihren Hintern wie ein junges Mädchen mit der Erfahrung einer Frau. Es gefällt mir, gestehe ich mir ein, und merke, wie die Kombination aus Alkohol und dieser Frau mir gut tut, und die dunkle Kammer meines Denkens etwas erleuchtet. Ich erwische mich bei diesen Gedanken und falle sofort wieder in meine Ursprungsstimmung von Hoffnungslosigkeit zurück.
" Hey Rosi, suchst du dir`n jungen Stecher? Wenn du willst kann ich es dir auch besorgen." Einer von den zwei Typen an der Theke sagt es als sie an ihm vorbeigeht. Sie geht weiter.
" Du bringst doch schon lange keinen mehr hoch alter, " sagt sie und wirft das Geld in die Box.
" Die alte Matratze ist doch schon total ausgeleiert, " sagt der Andere und beide lachen. Die Zwei am Spielautomaten drehen sich für einen Augenblick um, wenden sich aber sofort wieder ihren herumwirbelnden Hoffnungsträgern zu. Für einen Moment breitet sich lähmende Stille im Raum aus, dann setzt urplötzlich die Musik ein. Wieder das Lied von Sonne, Romantik, Verliebtsein und Jugend. Rosi kommt zurück, murmelt im Vorbeigehen irgenwas wie "steck dir`n Finger in den Arsch, " und setzt sich wieder zu mir.
" Wie heißt du denn ?" Fragt sie.
" Peter, " sage ich und blicke sie an. Sie hat die Falten in ihrem Gesicht mit dicker Schminke zugedeckt. Um die Augen hat sie übertriebene Lidschatten, oder wie man das nennt.
" Du hast Kummer, das sehe ich die an. Wer hat dir wehgetan ?"
" Mir hat niemand wehgetan."
" Das spüre ich sofort. Wenn so ein netter, junger Mann wie du nachts in so einer Kneipe steht, dann will er etwas vergessen."
" Ach Unsinn, ich will mir nur einen trinken."
Das Gespräch bereitet mir Unbehagen. Ich will vergessen, aber ich will nicht daran erinnert werden, dass ich es will. Ich möchte den Moment erleben und alles darum herum abschneiden.
Sie schaut mich erwartungsvoll, fast hoffnungsvoll an. Beinahe glaube ich, dass sie meinen Kummer benötigt, nein, haben will, um den ihren zu vergessen. Sie benötigt das Leid eines Anderen genauso wie ich, um sich besser zu fühlen. Sie hofft das ich ihr erzähle, das mich ein Mädchen enttäuscht habe, nur damit sie mir Trost und Schutz zu geben kann. Sie fleht mich mit ihren Augen fast an etwas in der Richtung zu erzählen, und es ist genau das was mich bewegt, und was ich nicht erzählen will. Ich will mich betäuben, will nichts mehr spüren, keine Schmerzen mehr haben, weil ich mir verlassen und einsam vorkomme, weil ich mich verraten, ausgenutzt und weggeworfen fühle.
" Das glaube ich dir nicht." Die Stimme holt mich aus dem Tal meiner Gedanken wieder heraus. " Wenn du es erzählst wird es dir besser gehen, ich habe auch schon viel mitgemacht, und hatte nie jemandem dem ich mein Herz ausschütten konnte, sosehr ich mir das auch gewünscht habe. "
Sie richt nach Kölnisch Wasser. Warum mir das gerade jetzt auffällt weiß ich nicht und der Gedanke irritiert mich so sehr, dass ich sie einen Moment nur anstarre.
" Mein erster Mann hat mich mit drei kleinen Kindern sitzen lassen. Er ist mit irgendeiner Hure abgehauen, und ich musste mich mit den Kleinen durchschlagen. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?"
Ich nicke, " das muss höllisch gewesen sein."
" Ich bin früher gerne tanzen gegangen, ich war ein schönes Mädchen, die Männer haben mich gemocht. "
" Und du hast auch alle ausprobiert, " sagt einer der Männer an der Theke.
" Halt die Schnauze, alter Wichser." Sie schaut nur kurz zu dem Mann herüber. " Ich war sehr hübsch, " sagt sie noch einmal, sehr leise und sehr traurig, so traurig, dass es mir wehtut.
" Sie sind auch jetzt noch eine sehr schöne Frau," sage ich und merke wie ihr die Worte ein Lächeln auf das Gesicht zaubern.
" Meinst du? Du findest mich schön? " Voller Hoffnung sind diese Worte. Hoffnung, dass ich es ehrlich meine und keine hohlen Komplimente mache. Wir bestellen jeder noch ein Köppelchen, und sie schaut schon sehr viel zufriedener, und tatsächlich sieht sie mit diesem Lächeln sogar hübsch aus. Ich bemerke fast mit Entsetzen, dass ich sie wirklich schön finde, und mich in ihrer Gegenwart Wohlzufühlen beginne. Was geht hier nur vor. Ich freue mich über jedes bisschen Wärme, welches mir ein Mensch, nein, eine Frau geben will. Sie will mir Wärme geben, und ihr Preis sind meine Schmeicheleien, und vielleicht will sie noch mehr. Doch sie weiß, dass sie nie mehr bekommen kann. Sie sucht ein Leben in Geborgenheit, einen Menschen der für sie da ist, und ich kann sie so gut verstehen, aber ich weiß, dass sie diesen Menschen hier nicht finden wird, vielleicht nirgendwo. Ihre Hand berührt mich und sie schaut mich mit einem romantischen, in die Vergangenheit gerichteten Blick an:" Wollen wir Tanzen?" Ich kann überhaupt nicht tanzen und sage das auch, doch sie wischt die Bemerkung einfach weg und sagt, dass ich alles ihr überlassen kann. Sie braucht mich nur auf der kleinen Tanzfläche. Wiederstrebend gebe ich, unter dem Grinsen der zwei an der Theke, nach und lasse mich mitziehen. Sie schmiegt sich an mich und führt mich, wie sie es haben will. Ich trete nur langsam von einem Fuß auf den Anderen und lasse mich lenken. Die Musik ist langsam und einschmeichelnd und ich vergesse alles um mich herum, auch mit wem ich tanze, und verflüchtige mich in eine angenehme Gedankenwelt. Genauso geht es wohl Rosi, denn wir stehen noch ein paar Sekunden, nachdem die Musik aufhört, und keine Platte mehr kommt, weil die Münzen verspielt sind. Bevor sie auf die Idee kommt weiter zu tanzen ziehe ich sie zur Theke zurück, verbeuge mich leicht und bedanke mich für den Tanz. Sie strahlt mich an: " Junge, so etwas habe ich schon lange nicht mehr gehört. Du bist so nett. So etwas gibt es bei den alten Knackern und bei den Jungen kaum noch. Erzähl doch einmal, warum bist du nicht verheiratet?"
" Warum denkst du, dass ich nicht verheiratet bin?" Unbewusst bin ich zum Du übergegangen.
" Du gehörst nicht zu den Männern, die ihren Ehering verstecken, du hast ein ehrliches, trauriges Gesicht."
" Ich weiß nicht."
" Was weißt du nicht?"
" Ich weiß nicht, warum ich nicht verheiratet bin. Ich habe die Richtige nicht gefunden."
"Zu meiner Zeit haben die Frauen noch die Männer geheiratet. Wenn ich einen wie dich getroffen hätte, den hätt` ich nicht mehr gehen lassen."
Ich lache, das tut mir mehr gut als ich mir eingestehen will, und es ist mir unangenehm. Das Gespräch nimmt eine Richtung, die ich nicht will.
Sie rutsch etwas enger an mich heran und ihre Hand berührt meinen Oberschenkel. Ich weiß nicht wie ich reagieren soll, das Ganze wird mir etwas peinlich, und ich weiß jetzt genau worauf das hinauslaufen soll.
"Letzte Runde. "
Die Kellnerin steht vor uns und schaut gelangweilt und müde. Es ist kurz nach vier. Wir bestellen noch einmal das gleiche und ich bezahle sofort. Rosi schaut mich an als erwarte sie von mir etwas, und ich weiß ganz genau was sie erwartet. Ihre Augen betteln mich an den magischen Satz zu sagen, aber ich bin wie versteinert, ich kann nichts sagen. Mit einem leisen Seufzen steht sie auf und geht zur Garderobe. Ich helfe ihr in den Mantel und ihre Augen Leuchten:
" Der perfekte Kavalier. "
Ich verbeuge mich leicht und sie himmelt mich an, nimmt meinen Arm und zieht mich leicht schwankend zur Tür hinaus. Die feuchte Kälte umhüllt uns sofort wie ein Mantel. Wir stehen etwas ratlos voreinander.
" Wollen wir noch einen Kaffee bei mir trinken ? Ich wohne gleich um die Ecke," sagt sie und ich nicke stumm. Was soll ich auch schon tun. Nach Hause will ich nicht, denn ich weiß, dass dort der Wahnsinn sitzt und auf mich wartet. Er sitzt dort in aller Ruhe, mit einem hohlen Grinsen im Gesicht und weiß, wenn ich heute Nacht komme kann er mich kassieren. Neben ihm sitzt eine weitere Figur, genauso geduldig, genauso trostlos: die Einsamkeit.
Rosi hakt sich bei mir ein, und gemeinsam schwanken wir, zwei verlassene Figuren, allein in einem Universum voller Depressionen gefangen, um das Haus, wo sie vor einer Tür stehen bleibt und mir einen Schlüssel in die Hand drückt.
"Schließ mal auf kleiner, ich glaube ich bin schon etwas daneben. "
Ich öffne die Tür und drücke im Hausflur auf den Lichtknopf. Eine matte Glühbirne, die in einer alten Fassung unter der Decke hängt, verströmt ihr spärliches Licht in einem schmutzigen, alten Treppenhaus.
`Mein Gott, hier fehlt aber auch kein Klischee`, denke ich, und ich habe den starken Drang einfach wegzurennen, aber Rosi hält mich fest, als wenn sie spüren könnte was ich im Moment fühle. Ich schaue sie an, und in dieser Umgebung, in diesem Licht, und in dieser Sekunde ist sie nichts anderes als eine alte Trinkerin, die sich einen jungen Kerl geangelt hat. Mir wird schlecht und ich glaube ich muss kotzen. Kein Alkohol, sondern Gehirnmasse würde aus mir herausbrechen, wenn ich mich jetzt übergeben müsste. Ich öffne die Wohnungstür, die im Erdgeschoss ist und sie schaltet das Licht ein. Wir stehen in einem kleinen Korridor. Sie zieht den Mantel aus, hängt ihn an eine fünfziger Jahre Garderobe und zieht mich durch eine Tür ins Wohnzimmer. An den Wänden: Tapete mit rosa Blümchen. Der obligatorische, mit goldfarbenem Holzrahmen eingefasste Landschaftsdruck aus der Woolworth über dem fünfziger Jahre Sofa an der Wand. Links neben der Tür eine alte Musiktruhe, ein Nierentisch, darauf ein Schälchen, in dem Schälchen Salzstangen, wahrscheinlich auch fünfziger Jahre. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Ich rieche den Muff von Jahren, Kummer, Traurigkeit, Depressionen und Alkohol. Rosi ist wie elektrisiert und rennt sofort in einen anderen Raum, vermutlich die Küche.
"Setz dich, " ruft sie, "ich mache nur schnell den Kaffee."
Ich stehe etwas ratlos herum und weiß nicht wie ich mich verhalten soll. In meinem Unterleib macht sich ein Eisklumpen breit, und ich bete, dass ich mich aus dieser Situation auf eine für uns beide halbwegs annehmbare Weise herausstehlen kann. Doch es scheint als ließe mir diese Frau dazu keine Chance. Sie scheint zu ahnen was ich denke und ist nicht gewillt ihr Opfer entkommen zu lassen. `Opfer ist ein Scheißwort`, denke ich im gleichen Moment. Wenn ich nicht gewollt hätte währe ich nicht hier. Sie tut mir leid, weil sie mir bestimmt genauso hilft, wie ich ihr, nur, dass ich mich so unwohl fühle, dass ich ungerecht werde. Vielleicht ist ja alles ganz harmlos und wir reden nur ein bisschen.
Sie kommt mit einem Tablett auf dem zwei Tassen, zwei Cognacschwenker, eine Flasche und eine Kanne stehen aus der Küche und stellt sie vor mich auf den Tisch.
" Milch, Zucker ?"
" Nein, schwarz, " sage ich, obwohl ich sonst überhaupt keinen Kaffe trinke. Sie setzt sich neben mich, schüttet den Kaffee in die Tassen, füllt die Gläser zur Hälfte mit irgendeiner ALDI-Billigjauche, sieht mich an und prostet mir zu. Ich kippe das Zeug in einem Zug herunter und verdränge den Hustenreiz mit einem Schluck Kaffee. Langsam löst sich meine Verkrampfung und ich starre auf ihre Beine. Ich lege eine Hand auf ihr Knie und schiebe den Saum des Rockes etwas höher. Sie lächelt mich an und ich bemerke, dass sich ihre Schenkel ohne den geringsten Wiederstand auseinanderbewegen. Sie sprechen eine deutlichere Einladung aus, als man es mit tausend Worten sagen könnte. Während der Eisklumpen in meinem Unterleib langsam zu schmelzen beginnt fahre ich mit der Hand höher, bis ich mit den Fingern ihren Slipansatz berühre.
" Warte einen Moment mein kleiner, " sagt sie so sanft, wie ich es nicht für möglich gehalten habe, steht auf und verschwindet aus dem Zimmer. Ich fülle mein Glas noch einmal und gieße es wieder in einem Zug in mich hinein. Ein paar Minuten vergehen, dann höre ich sie rufen. Ich stehe auf, gehe durch den Korridor in ein Zimmer, das nur durch eine kleine Lampe spärlich erhellt wird. Es ist das Schlafzimmer. Helle Plastikmöbel, so sehen sie zumindest aus. Sie steht vor dem Bett, fast etwas schüchtern, und hat ein kurzes, nahezu durchsichtiges Nachthemd an. Ich sehe schöne Beine und große, runde Brüste die sich mir fordernd entgegenzurecken scheinen. Sie kommt auf mich zu, zieht mich zum Bett, öffnet meine Hose, sinkt auf die Knie und versenkt ihr Gesicht zwischen meinen Beinen. Ihr warmer, weicher Mund umfängt mich und ich entspanne mich und habe ein Gefühl wie noch nie in meinem Leben. Alles an mir wächst, wird groß und hart. Sie zieht mich ins Bett und ich dringe in sie ein und ich bin nicht mehr von dieser Welt. Sie ist mir Mutter, Tochter, Freundin und Hure in einer Person. Wir weinen, wir lachen und wir lieben uns. Wir lieben uns wie die Tiere, wir lieben uns brutal, wir schlagen uns vor Geilheit, wir saugen uns aus, wir lieben uns sanft, wir lieben uns in ein Universum aus Glückseligkeit hinein. Das Zimmer ist durchflutet von Licht, Gesang, Musik, von Lustvollen Stöhnen, frei von Verkrampfung und Depression, frei von Wehmut und Kummer, frei von Vergangenheit. Nur noch das Jetzt zählt, und die Körper verschmelzen zu einer Einheit. Es gibt kein Alter, keine Grenzen, keine Scham, es gibt nur zwei Menschen die Ihre Verzweiflung für den Moment vergessen. Nichts existiert mehr außer Körper, Geschlecht und grenzenloser Lust bis zur totalen Erschöpfung. Einer entspannten Erschöpfung, die es nur noch erlaubt zu streicheln, zu berühren, was man gerade geliebt hat, weil man nicht mehr fähig ist weiter zu kopulieren, obwohl man es möchte. Als die Körper zu schwach werden streicheln nur noch die Blicke, bis auch die Augen zufallen, und den Blick freigeben auf eine Traumlandschaft wie ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Kein Horror, keine Bedrohung. In dieser Traumlandschaft geht es nahtlos weiter mit nicht endenwollender Liebe, dort ist wieder dieser warme weiche Mund, das tröstende Geschlecht umfängt mich und wir lieben uns weiter, wir klammern uns aneinander, und wir wissen, dass wir beide den gleichen Traum haben.
Ich öffne die Augen. Die kleine Lampe ist immer noch an. Rosi liegt mit einem Lächeln neben mir und schläft. Sie bewegt leicht die Lippen, als wolle sie etwas sagen. Ich habe einen schrecklichen Geschmack im Mund, und der Kopf schmerzt als wolle er jeden Moment aufplatzen. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, das es gerade acht ist. Ich stehe leise auf ziehe mich an und blicke auf Rosi. Ich will sie berühren, doch ziehe die Hand im letzten Moment zurück. Ich kann es nicht, nicht jetzt, nicht in Zukunft. Ich kann sie nicht mehr erreichen, unsere Planeten driften auseinander. Ein kurzer Lichtfunke hat die Einsamkeit verblassen lassen, aber wir werden unsere kleinen, persönlichen Universen wieder allein Bevölkern.
Leise verlasse ich die Wohnung und das Haus. Ich trete hinaus in die Kälte, gehe um das Haus und schaue mich um.
Das schmutzverklebte Transparent mit der Aufschrift "Internationale" versucht verzweifelt, mit seinem schwachen Licht das morgendliche Grau etwas zu verdrängen und eine vage Einladung an den Vorbeikommenden auszusprechen, am Abend einzutreten, um eine ungewisse Freude zu empfangen.
Obwohl ich nie mehr herkommen werde, obwohl ich Rosi nicht mehr sehen werde, so weiß ich doch genau, dass das schmutzverklebte Transparent mir geholfen hat zwei Geister, zumindest für eine Nacht, aus meinem Leben zu verdrängen. Ich stopfe meine Hände tief in die Jackentasche, ziehe den Kopf ein, betrachte halbwegs zufrieden die weißen Wolken meines Atems und gehe in eine Zukunft, die nicht mehr ganz so trist aussieht.
Ich gehe nach Hause.
 
Q

Quidam

Gast
Hallo mattes,

schade, dass der Plot nicht gerade originell ist. Sprachlich hat es mir nämlich sehr gut gefallen. Auch sehr lebendige Charaktere, Tiefe.

Steckt da ein wenig Autobiografisches drin?;)

Grüße
Quidam
 

mattes

Mitglied
Hallo Quidam,

danke für Deine Anmerkungen.
Du hast schon recht, das Thema ist nicht besonders neu, oder originell, aber manchmal stolpere ich über Themen, die ich selber nicht so prickelnd finde und versuche dann daran meine Sprache, oder Schreibweise zu schärfen und zu verbessern, oder dem Thema doch irgendwie soviel Leben einzuhauchen, dass es interessant wird. In der Musik würde ich so etwas eine "Etüde" nennen.
Autobiografisch ist das nicht, aber viele meiner Geschichten haben einen realen Ausgangspunkt, den ich dann einfach so ausspinne, wie es mir gefällt.
Früher habe ich einfach still gesessen und vor mich hingesponnen, und nun schreibe ich die Spinnereien einfach auf :)

Grüße aus dem warmen Rheinland
Mattes
 



 
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