Deine Liebe im Schrank

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Katharina M

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Wir können nicht zusammen sein. Da bist du und hier bin ich. Da ist dein Leben, hier ist mein Leben. Das geht nicht miteinander. Trotzdem sind wir ein Paar.
„Wir sind freundschaftlich verbunden“, hast du zu mir gesagt. Verrückt, wie ein einziges Wort aus einem Satz herausfallen kann. Ein einziges unwahres Wort in einem wahren Satz.

Du bindest mich in deine Gedanken ein. Du hast mir dort ein Zimmerchen eingerichtet. Ich bin ganz allein darin. Es ist winziger Raum, vollgestopft mit Büchern. Ich sitze im Schein einer Leselampe und hämmere in die Tasten meines Computers. Ich warte in diesem Zimmer auf dich. Nur auf dich. Du lässt mich warten und manchmal siehst du mir beim Leben zu. Heimlich. Du denkst, ich bemerke es nicht, aber ich weiß genau, wenn du da bist.

Meine Liebe zu dir ist wie ein Lied auf einer alten Schallplatte. Sie dauert nur so lange, wie ich es möchte und sie hängt immer wieder an derselben Stelle. Trotzdem spiele ich den Song immer wieder neu. Dann tanze ich mit ausgebreiteten Armen durch mein kleines Zimmer. Wie ein verwirrter Falter pralle ich an den Wänden ab, lass mich davon nicht beirren. Ich schwärme weiter.
Meine Liebe zu dir konnte bisher noch nicht ausbrechen.

Ich bin dein liebstes Gespenst und du bist meines. Du liebst mich, aber du liebst mich voller Angst.
Deine Liebe ist ängstlich, zart und scheu. Du lässt zu, dass ich in deiner Nähe bin, aber du lässt niemals zu, dass sich dein Atem mit meinem vermischt. Das zwischen uns ist so dicht, dass ich manchmal glaube, es greifen zu können. Das täuscht. Es gelingt nicht, weil es unsichtbar ist. Nur wenn die Sonne durchs Fenster fällt, kann man es erahnen: Milliarden Staubflocken wirbeln als goldene Funken durcheinander. Fussel meiner Strickjacke, von deinem Sweatshirt, kleine Schuppen, winzige Hautpartikel..
Du magst es, wenn du mich betrachten kannst und wenn ich dich ansehe, aber ich darf dich nicht berühren. Das Zusammensein mit dir ist wie Streicheln vor dem Streicheln. Willst du mich berühren, unter meinen Kleidern?

Wir sind freundschaftlich verbunden. Du hast mich eingeordnet. Ich verstehe das. Das ist einfacher so. Meine Liebe ruht hinter einer Vitrine, neben dem empfindlichen Porzellan von Tante Annerose. Sie wurde eingesperrt im spießigen Einbauschrank, einem Geschenk deiner Schwiegereltern.
Zu besonderen Momenten, wenn du dich unbeobachtet fühlst, holst du die Liebe heraus.
Es kann dir nichts passieren, die Liebe bleibt auch jetzt noch eingesperrt. Sie lebt im Inneren einer gläsernen Kugel. Du holst sie heraus und betrachtest uns beide, wie wir als kleine Figuren aus Plastik darin gefangen sind. Wir stehen nebeneinander, als Paar, aber nicht Hand in Hand. Du schüttelst die Kugel. Es schneit.
Glitzernde Flocken fallen auf uns beide herab. Du hältst einen Regenschirm in der Hand. Auf dem Schirm und um seinen Radius herum bildet der Schnee allmählich eine dicke, weiße Schicht. Sie berührt nicht einmal deine Schuhspitze. Der Schnee betrifft dich nicht.
Ich hingegen verschwinde immer mehr in einem eiskalten Haufen. Bald sehe ich aus wie ein Schneemann. Nur mein Gesicht oberhalb der Nase schaut noch hervor. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder schreien soll.
So ist das mit uns beiden. So ist das mit unserer Beziehung im Geiste.
 



 
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