Dem Tod ins Auge geblickt

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Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zugegeben, er ist keine Leuchte. Und mit seinen Beatles geht mir Walther auch manchmal auf den Wecker.
Gestern zum Beispiel.
Ich wäre ja sowieso lieber zuhause geblieben und hätte mir bei einem Bierchen das Spiel angesehen.
Aber Walther ist da sehr stur.

Martin, sagt er immer, wo ich hingehe, sollst du auch hingehen.

Meistens sind unsere Ausflüge eher langweilig und ich verschlafe die halbe Zeit. Außer
natürlich, wenn wir ins Stadion oder auf ein Bier gehen.

Gestern ging es in den Waschsalon.

Mir schwante schon Übles, als Walther im Geleitschutz der yellow submarine hinter der Couch nach seinen dreckigen Socken tauchte. Mit zwei prall gefüllten Aldi-Tüten und dem umgehängten Walkman kam er schließlich zu mir.

"Martin", sagte er, "BVB hin, BVB her, wir müssen waschen."

Und: "Wo ich hin gehe, sollst auch du hin gehen."

Sein fester Griff ließ keinen Widerstand zu, aber wenigstens schaltete er den Rekorder ein. Ich hoffte nur, dass er die Programmierung hinbekommen und die Kassette richtig eingelegt hatte.

Es kam schlimmer als erwartet. Ich bin mir jetzt noch nicht im klaren, ob Walther das Bier vergessen hatte, weil er in einer Seinskrise steckte oder umgekehrt.
Jedenfalls saß er vor seiner Waschmaschine, schaukelte im Gleichtakt mit der Füllung und summte melodisch wie eine Schmeißfliege am Küchenfenster zum ohrgestöpselten 'let it be'.

Nach dem Vorwaschgang hatte ich die Ohren voll.
Ich löste mich vorsichtig von Walther und schlich unbemerkt in eine Nische zwischen zwei Automaten. Wenn es schon kein Bier gab, wollte ich wenigstens ein Nickerchen ohne Pilzköpfe. Die Maschine neben mir brummte beruhigend unmusikalisch, so dass ich mich darauf konzentrieren konnte, die kalten Fliesen einigermaßen auf Körpertemperatur zu bringen.

Als die Tür aufging.
Ein Paar Heels stöckelten in die gute Stube.
Die Beine fingen den Blick mit Netzstrümpfen, an denen die Augen ganz von selbst unter den etwas breit geratenen Gürtel kletterten. Dort - mein Gott, Walther - blanke Grotte!

Aber der kriegte mal wieder nichts mit.
Starrte nur in seine Trommel und schmiss sich stur gegen Scheiben.

Ich konzentrierte mich ganz doll: Walther, guck mal diese Bubus, ist doch genau dein Typ!
Lachen Sie nicht, manchmal funktioniert es tatsächlich. Jedenfalls, wenn es um Bier oder BVB geht.

Keine Reaktion.

Diskret folgte ich den eindrucksvollen Hüftschwüngen in die zweite Automatenreihe. Blutrot bekrallte Fingerspitzen schüttelten appetitanregend zarte Nichtse, ehe sie die Maschine mit den scharfen Häppchen fütterten. Als sie die Klappe schloss, lief auch prompt Wasser ein. Der Waschknecht bedankte sich artig vibrierend unter ihren benetzten Backen. Good Vibrations, wie die Nippel im prallen Top bohrten.
Schwarze Seide flog über die Schulter, entschleierte grüne Katzenaugen: Jagdblick.
Walther!!!

"Ist die Maschine noch frei?" Nieten-Klaus. Schwarz geledert vom Stiefel bis zum Hut, aus dem er sich gezaubert haben musste.

"Ich habe niemanden einsteigen sehen," perlte es rauchblau von Auberginelippen.

Klaus sah nicht nur in der Trommel nach.

"Sieht verlassen aus, " grinste er einäugig zweideutig zur Lady hoch.

"Ich geb' ihr mal 'ne Ladung." Warf ein und schwang sich auf.

"Klaus." Schob den Hut in den Nacken, um das kleine Schwarze in Szene zu setzen.

"Inge." Grüne Blicke flüchteten vergeblich zu den Silbernieten seiner Weste.

"Stahltrosse, auf 'ner Bohrinsel im Golf von Mexiko." Klaus lüpfte lässig die Klappe.

Lügner! Walther hat mir erzählt, wie du dich im Suff in einem Kleiderständer verrannt hast.
Verdammt Walther, komm endlich zu Dir! Du verschleuderst Dich an eine Waschmaschine und hier wogt das pralle Leben in Körbchengröße C!

Abermals blieb mein telepathischer Appell ohne Wirkung. Hilflos musste ich ihren faszinierten Schauder mit ansehen, als Klaus den Ständer mit einem Hurrikan durch die Luft wirbelte und seinem besten Freund, den er zuvor unter Lebensgefahr aus tosender See geborgen hatte, den Kopf abschlug, bevor er sich mit der Sturmpeitsche entäugte.
Zeigte ihr sein Glasauge, das er aber selten trüge, wie er betonte, da sei der Blick so starr.

"Willst du mal sehen?"

Sie fixierte die kunstvoll gestrahlte Iris in ihrer Hand.

"Es ist braun."

"Pedro hatte braune Augen."

Grauer Männerschmerz schimmerte scheinheilig und heftig bewegt von seiner Erzählung griff Klaus nach dem Erinnerungsstück.

"Au! Scheiße, du Idiot, Du hast mir den Nagel abgebrochen!" Verzweifelt versuchte sie ihn wieder anzulutschen.

"Mein Auge, verdammt! Du blöde Kuh! Hast Du eine Ahnung, was so ein Teil kostet?" Und hechtete hinterher. Direkt in meine Nische.

Das Grauen in seinem Blick war echt, als er mich sah: " Eine Ratte!"

Undankbares Arschloch. Nur meiner sturzmildernden Anwesenheit zur rechten Zeit am rechten Ort verdankte dieser halbblinde Blender, dass sein Kleinod unversehrt zwischen uns lag! Muss man sich da als Ungeziefer beschimpfen lassen?

"Siehst du da unten irgendwo meinen Nagel?"

"Halt mal die Klappe!" Klaus versuchte mich zu hypnotisieren. Millimeterweise schlich seine Hand zu dem unbeteiligt daliegenden Braunauge. Ich knurrte. Die Hand zuckte zurück. Tauchte in eine Westentasche. Tauchte wieder auf.

"Ich kriege dich, du Mistvieh."

Eine Klinge sprang mir entgegen, fuchtelte mich in die Ecke.
Walther!!!
Ich machte mich flach, versuchte auszubrechen. Stahl klirrte vor mir auf die Fliesen. Schleuderte mich volle Breitseite zurück. Ich knallte gegen die Wand, wo ich benommen liegen blieb. Klaus holte triumphierend zum Todesstoß aus.
Leb’ wohl Walther.

Plötzlich küsste Nieten-Klaus die Fliesen. Wie die Eskimos, mit der Nase.

"Ich mach' dich platt, wenn du dich an meinem Hamster vergreifst!" Vor lauter Leidenschaft gönnte Walther ihm gleich noch einen Kuss.

"Ist da zufällig ein roter Fingernagel?"

Nun guck nicht so gierig, einschlagen kannst du erst, wenn du den Nagel gefunden hast! Manchmal ist er ein bisschen langsam.
Das gute Stück drohte schon in der großzügigen Blutspende von Klaus Plattnase zu versinken, bis Walther endlich seine Sehstiele von den C-Waffen auf den Boden schwenkte.

"Oh danke," hauchte sie und hielt die Kralle an das entwaffnete Glied, ihre Nasenflügel bebten schon wieder im Beuteduft. "Wie kriege ich den bloß wieder dran?"

"Zuhause habe ich Sekundenkleber," Walther setzte mich in seine Hemdtasche. „Magst du Beatles?

Mein Walther!!!
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Rumpelstilzchen,

ich habe Deine Story mit Vergnügen gelesen; erinnert mich ein bißchen an Bukowski. Mach uns die Freude und schreib noch mehr in der Art, das ist erfrischend bei all dem Pseudo-Tiefsinn.

Herzlichst
Parsifal
 

Schakim

Mitglied
Hallo, Rumpelstilzchen!

Oberwitzig geschrieben, kann ich nur sagen! Ich schliesse mich dem Kommentar von Parsifal an.

VG
Schakim
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wie schön, dass es plaisiert!

War mein Beitrag für den Oktoberwettbewerb auf meinem Heimatplaneten, gab den Dritten.

Gebt Ihr mir auch mein zweites 's' wieder? Da häng' ich dran, war ein persönliches Geschenk unserer Prinzessin.


Verzog sich, bis er unkenntlich war
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ich

hab da mal ne frage, die mit deiner geschichte wenig zu tun hat. ich hoffe, du verzeihst mir. aber ich lese in der lupe immer wieder etwas über bykowski, den ich nicht kenne. was gibt der typ seinen lesern? womit beeindruckt er? fragend guckt
 
P

Parsifal

Gast
Hallo flammarion,

Charles Bukowski, der 1994 gestorben ist, war der führende Vertreter der sozialkritisch-subversiven Underdog-Literatur, der in drastischer Sprache das Leben der Verlierertypen in Amerika schildert. Nicht nur Henry Miller gehörte zu seinen erklärten Bewunderern („Jede Zeile von Bukowski ist infiziert vom Terror des amerikanischen Alptraums”): Jean Genet nannte ihn den „stärksten Dichter Amerikas”. Wenn Du Henry Miller magst, wirst Du auch Bukowski mögen.

L G
Parsifal
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

leider kenne ich auch herrn miller nicht. ich weiß nur, dass ich texte, die von bukowski stammten könnten (nach eurem dafürhalten) bisher stets als abstoßend und widerwärtig empfunden habe.
 



 
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