Den Rücken zugewandt

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None Back

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Die Reifen seines Rollstuhles quietschten unaufhörlich, als er auf dem kahlen Flur entlang fuhr.
Dieses Quietschen hatte erst vor kurzem eingesetzt, seit dem die Räder ihre Abnutzung nicht mehr verbergen konnten.
Dinge altern und verlieren ihre Qualität, behandelt man sie nicht gut.
Die knorrigen, schlanken Finger bogen sich um die Reifen, sie unaufhörlich voran schiebend, sich unaufhörlich voran schiebend.
Der Flur war maximal 10 m lang, rechts und links säumten ihn Zimmer, Zimmer, mit eigenen Nummern darauf.
100, 101, 102.. keine dieser Nummern verriet den Bewohner - das taten die Schildchen oberhalb dem Spion, erst sie machten die Türen zu Individuen, die Personen dahinter; manche von ihnen saß vertieft in ein Buch im morgendlichen Sonnenlicht, andere lauschten klassischer Musik.
Doch gerade er, er tat nichts davon - er war nicht wie alle anderen, er war einzigartig.
Leises Schnaufen durchbrach die öde Stille, die einen zu fressen drohte, wenn man nicht ab und zu einen Laut von sich gab, um sie wieder in die hinterste Ecke zurück zu drängen. Eine Stille, die unheilbar auf ihr Opfer wartete, um es einzunehmen, mit den Klauen zu umgreifen und zuzudrücken; Stille zeigt Einsamkeit. Tief saugte er die abgestandene Luft im Flur ein, spürte, wie sie seine alten Lungen auffüllte und ihm neue Kraft zu verleihen schien.
Die Muskeln in seinen Armen waren schon lange erschlafft, denn sie waren dem Alter erlegen.
Ein Röcheln drang aus seiner Kehle, ein beunruhigendes Pfeifen.
All das waren Geräusche, die auf ihn aufmerksam machten. Wenn einem einmal jenes Pfeifen in den Ohren lag, würde die Neugier nicht eher Ruhe geben, bis man aufsah und den Täter, den Auslöser in Augenschein genommen hatte.
Würde man ihm einmal seinen Blick schenken, würde man es für immer tun.
Seine blauen Augen, die im Alter schon ein wenig trübe sein müssten, waren völlig klar, ähnelten dem tiefsten Blau, waren fesselnd.
Ich sah in einen Ozean, in die Tiefen dessen, in denen sich Geheimnisse versteckten, die der Welt nicht offenbart werden sollten.
Es war der komplexe Gedankengang, der seine Taten von neuem bestimmte, jeden Tag; ein Labyrinth, das wahrscheinlich nur ein Mensch hätte jemals durchschreiten können.
Er selbst.

Einzigartigkeit zeichnete ihn aus; er nahm sein Schicksal so wie es war: hart.
Es befand sich kein Lächeln auf seinem faltigen, fahlen Gesicht, das von einer kleinen Narbe auf der Wange gekennzeichnet war, während er sich dem einen, riesigen Fenster näherte, das in der Halle prangte.
Seine Hand hob sich nur schwerfällig und zog die Brokatvorhänge zur Seite, um das Sonnenlicht - das morgendliche, so wunderschön im Farbenreichtum, so sanft zu den Augen - herein strömen zu lassen.
Sein Blick galt dem Asphalt unten auf der Straße, nicht der Sonne; dem Asphalt, der verstaubt war, von Dreck besetzt, Dreck, den Menschen zurück gelassen hatten.
Sehnsucht zeigte sich in den blauen Augen, den Spiegeln seiner Seele. Bis dahin war sein Ozean unberührt, eine glatte, gläserne Oberfläche, als hätte der Winter seine Spuren aus Eis zurück gelassen und alles darunter verborgen, die Sicht getrübt; doch nun war das Wasser aufbrausend, voller Gefühl - es waren seine Augen.

Ich stützte meinen Ellbogen auf das Tischchen vor mir, mein Kinn in die Handfläche und beobachtete ihn.
Seit einer Woche war er jeden Morgen da, sah aus dem Fenster hinaus und wartete fast den ganzen Tag.
Das Begann, als seine Familie ihm eine Nachricht zukommen ließ. Eine Nachricht, die besagte, dass sie ihn besuchen würden, wenn sie Zeit fänden.
Damals hatte er gelächelt, so selig es nur ging, so glücklich. Dieses Kräuseln seiner Lippen war einer der wenigen Augenblicke, die er mit mir teilen wollte, denn ich hatte ihm die Nachricht überbracht.
Eben dieses Glück wurde jedoch jäh zerstört, nachdem sie eine Woche nichts mehr von sich hören ließen.
Er war rastlos, hegte immer noch die Hoffnung tief in seinem Inneren, gab nicht auf.
Das hatte er niemals getan - er würde es niemals tun.

Ich hörte laute Motorengeräusche, das Zuknallen einer Tür, dann Schritte - Stöckelschuhe.
Er rekelte sich in seinem Rollstuhl, streckte den Hals, um besser hinunter sehen zu können.
Wieder sah ich diesen Ausdruck in seinen Augen, der von Vorfreude zeugte, ihm eine gewisse Kindlichkeit verleihen konnte.
Plötzlich jedoch brach diese Kindlichkeit von einem Moment auf den anderen und er sackte in sich zusammen, als hätte er seine letzte Kraft verbraucht. Die alten Hände, die so zerbrechlich wirkten, umfassten die Lehnen; er drückte zu, so, dass man seine Knöchel weiss hervor treten sah.
Er verlieh seinen Gefühlen das erste Mal Ausdruck, Ausdruck, den er ansonsten immer verbarg.
Es war das einzigste Mal, dass ich ihn so sah; damals hatte er sein Schicksal nicht hingenommen, sondern war ihm erlegen. Eine schwere Last lag auf seinen Schultern, sie herunter drückend, als wollte sie ihn plätten. Sie tat es.

Bald wich die Verzweiflung der Empörung, als er sich, so schnell es ihm möglich war, mit dem Rollstuhl abwandte, um sich dem Flur zuzuwenden. So hastig hatte er die Räder noch nie geführt, so sehr hatte er sich noch nie verraten.
Als er meinte aus dem Blickfeld zu sein, sah ich an seinem gesenkten Kopf seine Zerstörung, sah, dass er aufgegeben hatte.
Die Mauer, die er sich erschaffen hatte brach mit einem einzigen Mal, durch eine einzige Tat.

Das Knallen, als er seine Tür schloss, hallte in dem Flur wider, leise, gedämpft.
Danach trat wieder Stille ein, das Quietschen war verschwunden.
Nur die Vorhänge wiegten sich im Wind, so schwer sie auch waren.
Ein kalter Wind strich durch die Halle, berührte meine Haut, so dass sich die feinen Härchen leicht aufrichteten; Gänsehaut überflog meinen Körper.

Und dann hörte ich leise Schritte, die sich durch den gedämpften Aufprall auf den kahlen Boden, verrieten.
Ich horchte auf, sah hinauf und in das Gesicht eines Mannes, der vielleicht mitte Dreißig war.
Johnson.
Er nannte mir den Nachnamen; ich wusste sofort, wohin er wollte.
Mein Lächeln blieb verschwunden, ich sah ihn nur kurze Zeit schweigend an, bevor ich mich erhob und ihn den Flur entlang führte, zu der Tür, hinter der das Quietschen des Rollstuhles aufgehört hatte.

Meine Fingerknöchel trafen auf das Holz der Tür, ein leiser, jedoch bestimmter Laut; trotzdem war es auf der anderen Seite der Tür leise, zu leise.
Er öffnete nicht, auch nicht beim zweiten Mal.
Im Zimmer nebenan stimmte eine Violine Wehklagen an. Zuerst waren es nur leise Töne, verkennbar, nicht sonderlich bemerkenswert; doch sie wurden lauter, eindringlicher, fraßen sich in meine Gedanken.

Der Mann in meinem Rücken wurde ungeduldig, schüttelte dann nur den Kopf, wandte sich ab und verließ den Flur wieder, das Gebäude.
Und jeder seiner Schritte wurde von Musik unterstrichen, beflügelt.

Zuerst standen sie nur Rücken an Rücken, nun entfernten sie sich zusätzlich voneinander.
 

GabiSils

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Hallo None Back,

diese Geschichte hat zweifellos Potential; interessanter Charakter, gut beobachtet.
Du könntest aber mehr daraus machen. Zum Einen sind sprachliche Fehler darin, auch umständliche Formulierungen und Wiederholungen; zum Anderen könnte man noch etwas straffen, was sich aber wohl durch die sprachliche Bearbeitung von selbst ergibt.
So ist es leider ein verschenktes Thema; die Erzählung berührt mich nicht so, wie es sein könnte.
Eventuell könntest du auch den Schluß weglassen und mit "nun entfernten sie sich zusätzlich voneinander" aufhören; der zusätzliche (melo-)dramatische Effekt des Todes schwächt die Wirkung eher ab, als sie zu verstärken.

Gruß,
Gabi
 

None Back

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Hm, das mit den umständlichen Formulierungen habe ich schon öfter zu hören gekriegt; hoffe natürlich, dass ich das schnellstmöglich verbessern kann.

Ich werd mich auf jeden Fall nochmal dransetzen und überarbeiten.
 



 
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