Der Alte und die Katze

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Die Sonne flimmert im Sand, spiegelt sich im gleichmäßigen Auf und Ab des Wassers wieder. Auf einer alten Steinmauer, deren verschieden farbige Teile ein grau-rötliches Mosaik bilden, streicht sich eine kastanienbraune Katze mit den Pfoten über ihr Gesicht, zuckt, als sich eine Fliege kurz auf ihrem Fell niederlässt und erneut die Lüfte surrt.
Ein Segelboot, dessen rote und blaue Farbe zum größten Teil abgeblättert ist und mit dem darunterliegenden rattengrauen Holz mit etwas Phantasie und kindlicher Beobachtungsgabe eine Meerjungfrau ohne Arme darstellt, wiegt in den Wellen und schlägt unregelmäßig gegen den betonierten Anlegesteg.

Vor einem einst weißen Haus sitzt auf einer Holzbank ein Mann, dessen erlebte Jahre sich tief in die Haut gebissen und ihr dadurch jegliches Schimmern genommen haben. In der linken Hand hält er einen Stock, der etwa die Länge seiner Beine hat, mit der rechten führt er eine Pfeife zum Mund. Sein Blick wandert übers Meer, während er seine Lunge mit Pfeifenrauch füllt.
Seine Gedanken fliegen in die Vergangenheit, in die Zeiten, in denen seine Knochen und Augen noch stark waren. In denen er morgens mit seinem Boot loszog, raus aufs Meer, und erst am späten Nachmittag im Hafen einlief. Tage, an denen er sich keine Pausen gönnte, sie nicht brauchte, weil ihm das Geschehen auf dem Meer mehr Kraft schenkte, als ihn das Fischen, Rudern und Lenken des Bootes kostete.
Erst die Hauskatze, die ihm sanft um die Beine streicht, holt ihn zurück in die Gegenwart. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er sie zu sich auf den Schoß hebt und über ihr weiches, dunkles Fell streicht. Das Tier beginnt zu schnurren und fährt seine Krallen ein.

Eine Studentin, deren Tasche mit Büchern voll gepackt sind, dass sie kaum mit aufgerichtetem Oberkörper laufen kann, überquert den leeren Rathausplatz. Schweiß perlt von ihrer Stirn auf ihr gelbes T-Shirt.
Sie geht an den menschenleeren Cafés, deren Rolläden heruntergelassen sind, biegt in eine kleine Seitengasse ein. Es geht bergab und so rutscht sie bei jedem Schritt in ihren Sandalen nach vorne, sodass sich rote Abdrücke von den Riemen auf ihren Füßen abzeichnen.
Endlich das Ende der Straße erreicht, breitet sich vor ihren Augen das Meer aus. Sie atmet auf, ein Lächeln tänzelt über ihre Lippen. Nach ein paar Schritten lässt sie ihre Tasche fallen, streift ihre Kleider ab und springt ins Meer. Im Wasser vergisst sie die Anstrengungen des Tages, die Lehrsäle, in denen die Studenten wie Sardinen in Büchsen nebeneinander sitzen und die Hausarbeiten, die sie für die kommende Woche bewältigen muss.
Es ist ruhig, dieser Teil der Küste wird von den meisten Einwohnern der Stadt verpönt, weil der Steinstrand sich nicht als Badestrand anbietet. So sind auch heute außer ihr nur wenige im Wasser.
Nach einigen Zügen wankt sie zu ihrer Tasche und legt sich auf ihr Badetuch, welches sie neben ein fast farbloses Segelboot auswirft. Die Sonne kitzelt auf ihrer Haut, ihr Blick wandert über den Strand.
„Miau“ – Die junge Frau erblickt eine Katze neben sich. Sie hebt die Hand und streicht dem Tier behutsam über das braune Fell. Die Katze jedoch, wirft sich nicht wie erwartet auf den warmen Sand neben sie um weitere Streicheleinheiten zu bekommen, sondern rennt hinfort. Dabei wirft sie mit ihren Hinterpfoten Sand in das Gesicht der Studentin.
Die junge Frau lächelt.
Die Katze springt wieder auf die Bank, neben den alten Mann, der noch immer vor seinem Haus im Schatten sitzt. Seine Pfeife hat er inzwischen weggelegt.

„Na meine Süße, so schnell wieder zurück?“
So werden die beiden, wie jeden Tag, vor der vom Schmutz angegriffenen Hauswand sitzen und auf den Abend warten, während sie ihre Tasche packt, sich in die Metro schwingt und auf ihrem Zimmer im Wohnheim, bei offenen Fenstern auf das Zirpen der Grillen wartet.
 



 
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