Der Anrufbeantworter

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Raniero

Textablader
Der Anrufbeantworter

Friedrich Lateral, ein pensionierter Staatsdiener, hatte sich anlässlich seines siebzigsten Geburtstages etwas Außergewöhnliches einfallen lassen.
Zur Feier dieses Tages, den er im Kreise seiner Familie sowie einiger Freunde begehen wollte, hatte er sich im Vorfeld bereits selbst ein Geschenk gemacht, einen nagelneuen Anrufbeantworter.
Nun stellt die Tatsache, dass man sich selbst ein solches Gerät zum Geburtstag schenkt, für viele Zeitgenossen nichts Besonderes dar, für Friedrich und sein persönliches Umfeld jedoch glich sie einer Sensation. Zeit seines Lebens hatte er mit technischen Gerätschaften aller Art auf Kriegsfuß gestanden und war, so attestierte es ihm gar seine bessere Hälfte, gerade noch in der Lage, einen Fernseher ein- und auszuschalten; mehr brauchte er auch nicht zu tun, weil seine geduldige Ehefrau ihm in dieser Hinsicht alles abnahm, vom Kauf der Geräte bis zur bedienungsgerechten Einstellung. Umso größer war das Erstaunen bei seinen Geburtstagsgästen, allen voran bei seiner Familie, dass er an seinem Jubeltage mit diesem Anrufbeantworter aufwartete, zumal sie ja schon seit geraumer Zeit einen solchen besaßen.
„Friedrich, was soll das, wir haben doch schon einen!“ rief seine Frau aus, während sich Friedrichs erwachsene Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, die schon seit einiger Zeit nicht mehr im Hause wohnten, an den Kopf fassten. Auch bei den übrigen Gästen machte sich Verständnislosigkeit breit und sie blickten fragend den Herrn des Hauses an.
„Das hier ist etwas anderes, ein ganz anderer Fall. Dieses Gerät kann man nicht mit dem alten Apparat vergleichen. Ich werde euch das einmal demonstrieren“.
Stolz startete Friedrich einen Probelauf, vor der versammelten Gratulantenschar, als der zweite Schock folgte und einige der Gäste regelrecht erstarren ließ.
Zuvor hatte er sich beim Kauf dieses Gerätes jedes kleinste Detail erklären lassen und darüber hinaus akribisch Notizen gemacht, was den Verkäufer fast an den Rand eines Herzinfarktes brachte, und zu guter letzt hatte er das Tonband des Anrufbeantworters noch im Ladenlokal besprochen, vor den Augen und Ohren des entsetzten Fachverkäufers. Mit dem gleichen Entsetzen vernahmen nun die Gäste seiner Geburtstagsfeier diesen gesprochenen Text, mit einer Stimme, als käme sie direkt aus einem Grab: „Nomen meum est Fridericum Lateral. Ego nunc absum. Homine, dic, quod dicere opus est!“
Hiernach machte erfolgte eine kleine Pause, sodann war ein lauter Pfeifton zu hören.
„Dic nunc, homine!“ setzte zum Abschluss erneut Friedrichs Grabesstimme ein.
Die ersten, die sich aus einer regelrechten Erstarrung lösten, waren die drei erwachsenen Kinder Friedrichs: „Was soll denn der Scheiß, Papa?“ riefen sie ungalant im Chor.
Die beiden Söhne erinnerten sich nur zu gut, wie ihr Vater mit seiner Vorliebe für tote Sprachen sie seinerzeit gequält hatte, beim nachmittäglichen Vokabelabhören, und die Tochter wiederum gedachte mit Freuden des Tages während ihrer Schulzeit, als sie Freudentänze in der Klasse aufführte, nachdem sie endlich dieser fiesen toten Sprache entkommen war und alle Lateinbücher auf den Müll geworfen hatte, und jetzt so etwas!
War er nun ganz verloren, der Alte?

Die anderen Gäste, die sich mittlerweile auch wieder erholt hatten, reagierten eher belustigt.
„Erwartest du einen Anruf aus dem Vatikan?“ wollte einer wissen, während ein anderer fragte: „War das Cäsar‘s Stimme, vorhin, er klang so, als habe er nach den Iden des Marz gesprochen?“
„Das war eindeutig Hannibal, Leute“, warf ein dritter ein, „Hannibal vor den Toren Roms!“
„Du irrst dich“, rief eine Frauenstimme, „Hannibal war ja gar kein Römer, er konnte ja gar kein Latein!“
Alles lachte, außer Friedrichs Frau, die wenig Verständnis dafür aufbrachte, dass ihr Mann künftige Anrufer in ihrer Abwesenheit auf eine derartige weise verschrecken wollte.
‚Was sollen meine Freundinnen aus dem Kaffeekränzchen denken, wenn sie hier anrufen und so einen Blödsinn hören“, dachte sie verärgert.
Friedrich schien ihre Gedanken zu erraten.
„Mach nicht so ein Gesicht, Mutti, das hier ist mein Anrufbeantworter, ich habe auch gleich noch ein Telefon dazu gekauft, mit einer neuen Nummer. Du behältst dein Telefon und deinen Beantworter“.
Mutti wollte es zuerst nicht so recht einleuchten, wozu sie zu zweit zwei Telefone mit gleich zwei Anrufbeantwortern brauchten, aber als sie ein wenig darüber nachdachte, wie oft und wie lange sie mit ihren Freundinnen telefonierte, oft mehrmals am Tage, und hierbei für Stunden die gemeinsame Telefonleitung blockierte, kam sie zu der Einsicht, dass ihr Mann eine gar nicht so schlechte Idee hatte.

Friedrich gab seinem Anrufbeantworter einen Namen; er nannte ihn Cicero und Cicero leistete ihm unschätzbare Dienste, allerdings mehr im Sinne der Abwehr von Anrufen statt in deren Annahme, indem er ihm zahlreiche ungebetene und aufdringliche Anrufe vom Leibe hielt, da alle Anrufer außer seinen Kindern und den Gästen seiner Geburtstagsfeier verstört den Hörer fallen ließen, wenn sie die Grabesstimme mit der toten Sprache hörten. Darüber hinaus konnte er von nun an mit Hilfe von Cicero entscheiden, auch wenn er nicht abwesend, sondern zu Hause war, ob er einen Teilnehmer aus dem Freundeskreis zu sich durchdringen lassen wollte oder nicht; eine Möglichkeit, die es früher nicht gab, wenn seine Frau daheim war, da sie grundsätzlich jedes Gespräch annahm, noch bevor der damals noch gemeinsame Beantworter einsetzte.
Wenn Friedrich jetzt nach längerer oder auch nur sehr kurzer Abwesenheit nach Hause kam, galt sein erster Blick dem Gerät, und er freute sich diebisch, wenn es keine Anrufe gab; sollte es doch bloß einer wagen, auf seinen Cicero zu sprechen. Die paar wagemutigen Telefonate einzelner Freunde nahm er zähneknirschend in Kauf, und er ärgerte sich im nachhinein, dass er sein Geburtstagsgeschenk seinerzeit in großer Runde präsentiert hatte. Seine Kinder indes riefen gar nicht mehr bei ihm an, auf dem blöden Gerät, wie sie es nannten, es gab ja noch die Mutter mit ihrem Anrufbeantworter, auf dem mit warmer weiblicher Stimme gesprochener Text in deutscher Sprache zu hören war.
Nach Verlauf eines knappen Jahres glaubte sich Friedrich am Ziel, denn seit mehr als zwei Monaten hatte er nicht einen einzigen Anruf auf seinem Gerät zu verzeichnen. Umso größer war seine Wut, als er eines Abends die Wohnung betrat und Cicero blinken sah.
„Was ist das denn? Hat es doch tatsächlich einer gewagt?“ dachte er voll Wut und stürzte sich auf den Anrufbeantworter.
Als er das Band einschaltete, verschlug es ihm glatt die Sprache. Es folgte ein längerer Monolog, eine Art Ansage, in Latein, gesprochen von einer Grabesstimme, die der von Cicero nicht unähnlich war. Friedrich verstand vom Text so gut wie kein Wort, trotz seiner in großer Runde zur Schau gestellten Kenntnisse dieser antiken Sprache. Wiederholt ließ er das Band zurücklaufen und wieder abspulen, doch es waren nur Bruchteile von Wörtern, die sich ihm erschlossen. Was tun?
In tiefster Notlager erinnerte er sich an den Lateinlehrer seiner Tochter, diesen humanistischen Haudegen, mit dem er seinerzeit das eine oder das andere Mal einen über den Durst getrunken hatte. Ob es den noch gab?
Der alte Lehrer existierte noch, zum Glück, und er war nicht wenig erstaunt, als er Friedrichs Anliegen erfuhr.
„Du hast einen lateinischen Anrufbeantworter? Du bist ja noch verrückter als ich schon damals dachte, als deine Tochter mit deinen ins Lateinische übersetzten Schlagertexten zur Schule kam“.
Friedrich ging nicht darauf ein, sondern bat den alten Freund, ob er ihm diesen furchtbar klingenden Text übersetzen könne.
Der Lehrer hörte sich die Botschaft von Friedrichs Tonband an, und je mehr er vernahm, umso breiter wurde sein Grinsen, zum Schluss musste er laut lachen.
„Was gibt’s denn da so zu lachen?“ wollte Friedrich wissen.
„Nichts besonderes, nichts besonderes, lass mir bitte das Band hier, ich fertige dir bis morgen Nachmittag eine schriftliche Übersetzung an“.
Voller Hoffnung machte sich Friedrich auf den Heimweg; der nächste Tag würde des Rätsels Lösung bringen, aber er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es vielleicht besser wäre, wenn er diese Lösung gar nicht erführe.
Am folgenden Tag erschien Friedrich zur verabredeten Zeit bei seinem lateinischen Freund und erhielt von diesem ein Briefcouvert in die Hand gedrückt.
„Ist alles drin, die schriftliche Übersetzung, wie versprochen, und das kleine Tonband. Ich habe leider im Moment keine Zeit. Wir sehen uns ein anderes Mal. Gruß noch an deine Familie und vor allem an deine Tochter“.
Friedrich hatte das Gefühl, als wolle ihn der alte Lehrer schnell wieder loswerden, und verwundert machte er sich auf den Heimweg.
Voller Ungeduld nahm er daheim das Textblatt der deutschen Übersetzung zur Hand: „Lieber Herr Lateral, hier spricht aus dem Vatikan im Auftrag des Kardinalstaatssekretärs Monsignore .... das Vorzimmer seiner Eminenz.
Seiner Heiligkeit, Papst ... , ist zu Gehör gebracht worden, dass Sie, lieber Herr Lateral, einen lateinischen Anrufbeantworter besitzen, und der Heilige Vater wollte es sich nicht nehmen lassen, Ihnen persönlich eine frohe Botschaft auf dieses Gerät zu sprechen. Da jedoch das Kardinalsstaatssekretariat verpflichtet ist, alle telefonischen Kontaktaufnahmen, die der Papst vornehmen will, und sei es auch nur mit einem Anrufbeantworter, im voraus zu überprüfen, haben wir dies getan, und wir mussten mit hochgradigem Erschrecken feststellen, dass Ihre Kenntnisse der lateinischen Sprache derart dürftig sind, dass wir Seiner Heiligkeit auf keinen Fall empfehlen konnten, dieses Band zu besprechen. Haben Sie bitte Verständnis für unsere Entscheidung. Gott segne Sie!“
Mit wachsweißem Gesichtsausdruck legte Friedrich das Blatt aus der Hand; Schweißperlen formten sich auf seiner Stirn.
Mit einem Urschrei ergriff er plötzlich den geliebten Cicero und warf ihn samt Telefon im hohen Bogen durch das geschlossene Fenster bis tief in den Garten hinein.
Anschließend warf er alle Lateinbücher hinterher, eins nach dem anderen, bis in die tiefe Nacht.
 



 
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