Der Anrufer

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jane-schubat

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Der Anrufer


Jess hatte mal wieder alles ihr überlassen. Empört schniefte Lena durch die Nase.
„Quatsch Mama, mir ist das nicht peinlich, wenn die Leute die Unordnung in meinem Zimmer sehen.“ hatte Jess geflötet, bevor sie in die Schule abgerauscht war.
„Schließlich stecke ich mitten im Abitur.“
„Aber mir ist das peinlich.“ rief Lena ihrer Tochter entrüstet nach. Doch dann mußte sie bereits über sich selbst lachen. Sie stopfte die überall herumliegenden Kleidungsstücke ihrer Tochter ungeordnet in den Schrank, Strafe mußte sein. Und während sie saugte und Staub wischte überlegte sie, daß es Jess sehr wohl peinlich gewesen wäre, hätte sie die Leute vom Emissionsschutz in ihr unaufgeräumtes Zimmer lassen müssen. Nur war Jess unbekümmert genug, um anzunehmen, daß ihre Mutter entweder selbst aufräumen oder die Peinlichkeit des Augenblicks tapfer ertragen werde.
Der Bezirksschornsteinfeger, dem Lena eine halbe Stunde später die Tür öffnete, war ein ruhiger und freundlicher Mann. Er vermochte sich beim besten Willen nicht gegen Lena durchzusetzen, die ihm verzweifelt den Zugang zum Schlafzimmer verwehrte. Denn daß er auch in das Schlafzimmer einen Blick hineinzuwerfen gedachte, weil dort der alte Ofen stand, damit hatte Lena nicht rechnen können. Die Jahre zuvor war es immer nur um die beiden Gasheizungen in ihrem und in Jess` Zimmer gegangen. Also hatte Lena an das Schlafzimmer überhaupt nicht gedacht auf ihrer morgendlichen Putztour. Und selbst als der Bezirksschornsteinfeger gelassen abwinkte, er hätte schon manche Unordnung erlebt, war Lena nicht zu überzeugen gewesen. In dieses Zuimmer könne er nicht, wehrte sie tapfer seine vorsichtigen Vorstöße ab, bis er resegnierend und mit einem Lächeln die Schultern hob. Aber er sei noch nicht zusammengefallen, der Ofen, wollte er nur noch wissen. Nein, wirklich nicht, beteuerte Lena, zumal er von ihnen nicht benutzt werde, sagte sie, was der Wahrheit entsprach. Als der Mann gegangen war, sank sie auf ihren Sessel und atmete tief durch. Ihr wurde bewußt, wie lächerlich sie sich gemacht haben mußte und sie grübelte darüber nach, weshalb sie stets die falschen Entscheidungen zu treffen schien. Als wäre ein ungemachtes Bett und vielleicht etwas Staub auf den Regalen die Katastrophe überhaupt. Lena war weder putzsüchtig noch unfähig, den Haushalt auch mal schleifen zu lassen. Aber sie haßte es, wenn fremde Leute in ihre Wohnung eindrangen, in deren Köpfen vielleicht etwas andere Ordnungsvorstellungen herumspukten. Immer dann fühlte sie sich hilflos etwaiger Kritik ausgesetzt, der sie, da nie laut geaüßert, nichts entgegenzusetzen wußte.
Als das Telefon klingelte, schreckte Lena auf. Es war er. Seit er sich damals verwählt hatte, rief er in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder bei ihr an.

„Wollen wir vielleicht zusammen frühstücken?“ schlug er heute vor. Das ginge, meinte Lena. Sie hätte heute ihren freien Tag. Sie müsse ihn nur noch schnell auf das schnurlose Telefon ihrer Tochter umlegen. Und während sie sich anschickte Kaffee zu kochen, hielt sie den Hörer etwas ungeschickt mit der linken Hand an ihr rechtes Ohr.
„Ich glaube, das letzte mal hatten sie davon gesprochen, daß sie ihr Studium abgebrochen hätten. Warum eigentlich?“
„Weil ich dumm war.“ schoß es sofort aus Lena heraus.„Ich war damals jung und dumm genug anzunehmen, daß man mit Konsequenz irgendwelche Zeichen setzen könne.“ erklärte sie.“Immerhin haben sie mich damals aus dem Staatsexamen herausgeholt, um diese Unterschrift von mir zu erpressen.“
„Und haben sie Zeichen gesetzt?“ wollte die Stimme am anderen Ende der Leitung wissen.
„Wenn sie meinen, daß das irgendetwas am Lauf der Dinge damals hat ändern können, leider nein. Vielleicht bin ich einfach nicht der Mensch, der irgendwelche Zeichen setzen kann. Sehen sie, meine Tochter glaubt auch, daß ich viel zu unbedeutend bin, um wirklich Einfluß nehmen zu können auf ihr Leben.“
„Und das verübeln sie ihrer Tochter?“
„Nein, selbstverständlich nicht wirklich.“ wehrte Lena ab.
„Wie geht es ihrer Frau?“ versuchte sie abzulenken.
„Na ja, ich bin zuversichtlich. Als ich sie das letzte mal besucht habe, hat sie das erste mal wieder geredet mit mir. Aber sie, wie geht es ihnen eigentlich?“
Lena fiel mal wieder auf, wie warm seine Stimme klang, so daß sie mit den Tränen kämpfen mußte, als sie antwortete, es ginge ihr wie immer erstaunlich gut. Er ist zu zaghaft, dachte sie bei sich. Lena, die gelernt hatte, sich im Leben durchzusetzen, war derart behutsamen Annäherungen nicht gewachsen. Sie müsse jetzt auflegen, sagte sie deshalb hastig. Ihr sei eingefallen, daß sie einen wichtigen Termin fast vergessen hätte.
„Das ist schade.“ zog sich seine Stimme diskret zurück.
In diesem Augenblick wußte Lena, daß sie das nächste mal heulen würde, laut und hemmungslos. Vielleicht das erste mal seit ungeahnter Zeit. Er hatte gewonnen.
 
Liebe jane-schubat,

mir hat das Lesen Spaß gemacht, ein kleines Psychogramm der Mutter und Hausfrau, die den Schornsteinfeger nicht ins unordentliche Zimmer lässt.

Was hat der Schornsteinfeger nun mit dem Anrufer zu tun? Es sind zwei Episoden, die eigentlich nicht verwoben sind. Jede hat was für sich, ganz gewiss. Der Text heißt „Der Anrufer“, doch zuerst lesen wir vom Bezirksschornsteinfeger und vom Zimmeraufräumen bei der Tochter.

Der Anrufer – das Hauptthema des Textes – erscheint erst im letzten Drittel. Es geht bei diesem Anruf um wichtige Fragen, die nur angerissen sind, und so ist es schwer für den Leser, sich ein Bild vom Leben und von den Problemen dieser Frau anhand der Andeutungen zu machen. Es klingt jedenfalls sehr geheimnisvoll.

Ein Satz, den du etwas schöner gestalten könntest: „Es war er.“ Das klingt in dieser Kürze und mit dieser Satzstellung abrupt. Du hast auch ein paar Buchstabendreher drin.

Die Szenen selbst – vor allem die Psychologie der Szenen –, das möchte ich betonen, sind dir meines Erachtens sehr geglückt. Vielleicht sollte man sich entscheiden, welche Geschichte man erzählen will und diese dann ausgestalten.

Liebe Grüße

Monfou
 

jane-schubat

Mitglied
Lieber Monfou

Lieber Monfou,

danke für Deine Einwürfe, und Du hast Recht.
Ich fühle mich ertappt bei meinem mißglückten Versuch,
etwas Geschlossenes zu erstellen.
Vielleicht nehme ich wirklich noch einmal beide Teile für sich
Und versuche sie etwas mehr auszuführen.

Liebe Grüße Marianne
 



 
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