Der Augenzeuge

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Rakun

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Der Augenzeuge

Ein Toter und ein penetranter Augenzeuge, vor dem zweiten Frühstück, das war einfach zuviel für die beiden Polizisten. Laut Aussage des Mannes, der jede Einzelheit genau be-schrieb, lag der leblose Körper mitten auf dem Bürgersteig zwischen Marktplatz und Friedhof. Das Motiv für den Mord wurde gleich bereitwillig mitgeliefert: zweifellos Eifersucht. Seit Monaten schon trieb sich das hübsche Ding mit dieser langhaarigen Hungerlatte herum. Schließlich war sie mit dem jungen Anwalt verlobt, bald sollte die Hochzeit sein. Und nun dies.
Auf zum Tatort, Mordkommission und Gerichtsmedizin waren ordnungsgemäß über den Vorfall verständigt. Ein Kapitalverbrechen! In unserer Stadt! Das hatte es noch nie gegeben.
„Heute ist Markttag!“, sagte der Polizist zu seinem Kollegen. „Warum mußte es genau dort passieren?“
„Ich kümmere mich um die Schaulustigen, keine Sorge.“
Die Sirene lockte alle an. Ein Traube Menschen hatte sich um den Helden der Stadt gruppiert, der mit rudernden Armen die Szene beherrschte.
Er hatte den Schuß gehört, er wußte alles. „Machen sie den
Weg frei! Treten sie zurück!“, wurde die Menge per Flüster-
tüte aufgefordert. Jeder gehorchte. Nur einer blieb wie angewurzelt stehen, der Augenzeuge. Nichts außer ihm war zu sehen. Kein Mensch lag da, kein Blutfleck, nicht ein einziges Beweisstück wurde ihnen geboten.
Die Anwaltsverlobte füllte ordentlich den Fragebogen aus.
„Nimm doch endlich diese verlauste Zottelperücke ab!“,
grinste sie.
„Haben unsere lieben Mitbürger alle Kriterien erfüllt, meine Liebste?“, fragte ihr Verlobter.
„Ja, hervorragend," lachte sie "welche Stadt ist als nächste dran? Haben wir noch genug Platzpatronen?“
 



 
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