Der Besuch

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luhkb

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Der Besuch

Ein trüber, regnerischer Herbsttag blinzelte Joachim an, als er das Rollo hochzog. Die letzten Herbststürme hatten fast alle Blätter von den Bäumen gefegt und auch die große Eiche nahe seinem Fenster war nun fast kahl. Über dem Fluss hing ein leichter Frühnebel wie aus einem Schauermärchen, aber es kümmerte ihn eigentlich nicht.

Joachim, oder Jojo, wie seine Freunde ihn nannten, hatte das Wochenende wieder in trüber Stimmung verbracht. Nicht einmal mehr über die Phasen zwischen den Arbeitstagen konnte er sich freuen, alles erschien so gleichgültig. Jojo fühlte sich wie das gleichnamige Spielgerät. Irgendwer hielt ihn an einem Faden fest und hin und wieder schlug er dabei heftig auf dem Boden auf. Das Wochenende war schon schlimm genug gewesen, aber nun sollte er heute wieder zur Arbeit gehen und acht Stunden lang die gleiche, seit Jahren schon nervende Tätigkeit verrichten. Ihm grauste es vor dem Büro, es erschreckte ihn schon an die Kollegen zu denken, die Montags eigentlich nur immer ihre Wochenendbettgeschichten im Kopf hatten. Er war allein, wie sollte er da mitreden? Es graute ihm auch vor den Launen des Chefs, der ihn seit längerem auf dem Kieker hatte, nachdem Joachim ihn einmal auf einen Fehler in der Lohnabrechnung aufmerksam gemacht hatte. Es war nicht um viel Geld gegangen, aber er hatte es doch moniert und seitdem war er einfach unten durch und konnte nichts mehr recht machen. Den Kollegen war es nur recht; solange der Chef sich auf ihn eingeschossen hatte, ließ er sie in Ruhe. Joachim arbeitete hart, härter als die anderen, bemühte sich immer alles perfekt zu machen, aber gerade in diesem verzweifelten Bemühen nur ja keine Fehler zu machen, verstrickte er sich zunehmend oft. Heute war nun also wieder Montag und eine ganze lange Arbeitswoche lag vor ihm, und dennoch, was sollte er sonst tun? Er dachte an die vielen Kollegen, die einfach mal ihre Montagsgrippe nahmen oder sich direkt für eine ganze Woche den gelben Urlaubsschein holten. Warum konnte er das nicht auch einfach mal machen? Er war viel zu gewissenhaft, aber das machte es auch nicht leichter für ihn.

Seine letzte Freundin hatte ihn vor einiger Zeit verlassen, weil er nichts mehr mit ihr unternehmen wollte. Er traute sich einfach nicht mehr in größere Menschenmengen und Jubel, Trubel Heiterkeit stießen ihn nur noch ab. Joachim las lieber ein gutes Buch, versetzte sich so in ferne Welten, reiste zwischen den Sternen und träumte, sein Leben wäre ein ganz anderes. Aber die Realität holte ihn immer wieder ein und auch jetzt versank er schon wieder in seiner Traumwelt anstatt sich für die Arbeit fertig zu machen. Er ging ins Bad und aus dem Spiegel starrte ihm ein altes Gesicht entgegen. Müde und ausgelaugt, die Augen tief in den Höhlen. „Nein“, das konnte nicht er sein, fuhr es ihm durch den Kopf. Ihm wurde übel und er musste sich am Waschbecken abstützen. Als er sich einigermaßen erholt hatte, wankte er wie ferngesteuert zum Telefon, rief seine Firma an und sagte, dass er heute leider nicht kommen könne. Die Sekretärin seines Chefs wünschte ihm gute Besserung und erleichtert sank Jojo in seinem Sessel in sich zusammen. Heute würde er niemanden sehen müssen, er konnte einfach mal ausspannen. Aber hatte er das am Wochenende geschafft? Durch den Feiertag war es ein langes Wochenende gewesen und doch hatte er sich nicht von der letzten Woche erholt.

Alles erschien ihm so sinnlos und nicht zum ersten mal spielte er verschiedene Szenarien durch, wie er seinem Leben ein Ende setzen könnte. Langsam schlurfte er ins Bad und schaute in seinen Medizinschrank. Die Sammlung war schon beeindruckend, aber würde das genügen? Von seinem ehemaligen Arzt hatte er auch diverse Pillen gegen seine depressiven Störungen verschrieben bekommen, von jeder Sorte war noch etwas da, denn letztlich hatten alle diese Mittel ihm nicht geholfen aus seinem Tief herauszukommen. Irgendwann hatte Jojo es einfach aufgegeben Tabletten zu schlucken und zum Arzt zu gehen und es war ihm dadurch auch nicht besser oder schlechter ergangen. Sollte er einfach mal alles nehmen, was da so vor ihm lag? Aber wenn es nun nicht genug war? Nein, das war keine Lösung! In der Ferne hörte er das Bimmeln der Bahnanlage, ein Zug! Man könnte sich doch einfach auf die Gleise stellen und auf den Einschlag warten. War es wirklich so einfach? Er konnte es nicht, denn dadurch würde der Lokführer ja eine traumatische Erfahrung machen und selbst im Tod wollte Jojo nicht am Leid eines anderen Schuld sein. „Ich will doch einfach nur tot sein“ schrie etwas in ihm.

Jojo versank in sein inzwischen schon ausuferndes Grübeln, als es plötzlich an der Tür klingelte. „Na, wer mag das wohl sein?“, fragte er sich, erhob sich dann aber doch und ging zur Wohnungstür. „Es wird wohl der Postbote sein, der ein Paket für die Nachbarn abgeben will“, fuhr es ihm durch den Kopf, als er die Haustür erreichte. Joachim öffnete, aber die Gestalt vor seiner Tür war auf keinen Fall ein Briefträger.

„Einen schönen guten Morgen“, sagte der Fremde, „ich hörte, sie wollten mich sprechen?“ Jojo schaute irritiert. Der Fremde trug einen schwarzen Umhang und hielt einen seltsam geformten Stab in den Händen, ein Hirtenstab? Joachim konnte es nicht erkennen, seine Augen waren vom Weinen noch getrübt. Ja, er hatte wirklich geweint, stellte er plötzlich fest; zum ersten Mal seit Monaten waren die Tränen geflossen und jetzt stand er im Schlafanzug und mit verheulten Augen hier in der Haustür und irgendein Fremder wollte mit ihm sprechen? „Ich habe Sie rufen gehört und bin sofort gekommen. Darf ich hereinkommen?“ Eigentlich wäre es Joachim lieber gewesen, der Fremde wäre wieder gegangen, aber eigentlich war es doch egal.

Vielleicht war es gar nicht schlecht, mal mit jemand völlig fremden reden zu können. „Kommen Sie herein!“, hörte er sich selbst zu seiner Überraschung sagen und er trat einen Schritt beiseite.
Der Fremde nickte dankend und mit schweren Schritten stapfte er durch den Flur in Richtung Wohnzimmer, als kenne er sich bestens aus. Ohne lange zu fragen nahm er auf der Couch platz, behielt jedoch seinen Umhang an und auch von seinem Stab wollte er sich anscheinend nicht trennen. Irgendwie kam er Jojo bekannt vor, aber an wen erinnerte ihn der Mann? „Hätten Sie vielleicht etwas warmes zu trinken für mich? Es ist kalt draußen und ich habe eine weite Reise hinter mir!“ Was wollte dieser Gast von ihm? „Ich mache schnell einen Kaffee“, sagte Joachim und schlurfte in die Küche. Wenige Minuten später kehrte er ins Wohnzimmer zurück, der Fremde saß immer noch reglos da. Jojo betrachtete ihn nun genauer. Er sah alt aus, das Gesicht vom Wetter gegerbt, die Hände knochig aber stark. Er schien ziemlich dürr zu sein, denn sein Umhang schlotterte nur so um ihn herum. „Den Stab braucht er sicherlich um sich abzustützen“, dachte Joachim und der Alte tat ihm plötzlich leid. Bei Wind und Wetter schien er draußen zu sein, aber warum hatte der Fremde gesagt, er hätte ihn gerufen bzw. er wolle mit ihm sprechen?

„Ihnen geht es nicht gut, oder?“, fragte der Fremde und plötzlich brach es aus Joachim heraus. Er begann zu erzählen und der Fremde hörte ihm schweigend zu, nippte nur hin und wieder an seinem Kaffee und brummte leise vor sich hin. Als er geendet hatte, klopfte der Alte einmal heftig mit seinem Stab auf den Boden, Joachim erschreckte, schaute den Fremden verwirrt an und überlegte, was nun wohl kommen würde. Mit leiser, einfühlsamer Stimme begann der Alte nun seinerseits zu klagen. „Nun bin ich von weit her gekommen, nur um Ihnen zuzuhören und zu helfen, aber in Wahrheit haben Sie gar keine richtigen Probleme und auch das Sterben liegt Ihnen gar nicht im Sinn. Ihr Menschen bildet euch so viele Krankheiten und Probleme einfach nur ein und dann soll unsereiner kommen und euch helfen!“ Die Stimme des Alten wurde lauter als er sagte: „Joachim, du bist noch lange nicht soweit unten! Du bist noch lange nicht bereit!“ „Bereit wofür?“, wagte sich Joachim zu fragen. „Schweig! Und höre mir zu!“
Dieser Besuch wurde ihm langsam unheimlich. Wer war er und was wollte er eigentlich von ihm. Jojo wünschte sich, die Türe nicht geöffnet zu haben. Was, wenn das ein Verrückter war? Aber gewalttätig sah der Fremde eigentlich nicht aus, aber irgendwie doch unheimlich. „Warum hat er eigentlich im Haus die Kapuze immer noch auf?“ fuhr es ihm durch den Kopf. „Und dann dieser Stab?“
Wie aus weiter Ferne hörte Joachim, dass der Fremde weiterhin auf ihn einsprach. „... wirst auch du erkennen, dass es Zeiten im Leben gibt, die man überstehen muss. Es ist nicht immer alles rosig, aber so schlimm, wie du es siehst, ist es noch lange nicht. Du bist nicht bereit, Joachim, und deshalb gehe ich nun wieder!“
Der Fremde zog sich an seinem Stab hoch, ordnete seinen Umhang und schenkte ihm ein fast zahnloses Lächeln. „Bedenke, was dir noch alles entgehen könnte, wenn du dein junges Leben einfach fort wirfst, nimm dir eine Auszeit, entspanne dich und überlege gründlich, was wirklich in deinem Leben schief läuft. Du wirst es schaffen, denn du hast noch soviel Energie und ich weiß, es liegen noch viele Jahre vor dir.“
Inzwischen hatte der Fremde die Haustür erreicht, drehte sich noch einmal um und reichte Jojo die Hand. „Wir sehen uns wieder!“, hörte er den Fremden sagen, „aber bis dahin wirst du noch viel Positives erleben. Leb wohl und rufe mich nie wieder aus einer Laune heraus!“

Der Fremde ging und Joachim starrte ihm nach. Das war kein Hirtenstab in seiner Hand! Jetzt, wo seine Augen langsam wieder klar wurden, konnte er es erkennen. Es war eine Sense.
 
A

Arno1808

Gast
Hallo luhkb,

erst einmal herzlich willkommen bei der Lupe und danke für Deinen ersten Text hier.

Deine Geschichte liest sich nett, aber mir persönlich fehlen etwas die Emotionen. Gerade bei diesem Thema hätte ich mir etwas mehr Dramatik gewünscht. Ich lese zwar, dass es Jojo nicht gut geht, aber ich kann es nicht richtig nachempfinden.
Deine Sätze sagen mir, dass der Tod ihm eine Lehre erteilen möchte, aber ich fühle nichts bei seinen Worten.
Vielleicht kannst Du versuchen, dich noch mehr in die Situation hineinzuversetzen, es noch mehr selbst miterleben, um so der Geschichte 'aus dem Bauch heraus' noch mehr 'Leben' einzuhauchen.

Liebe Grüße

Arno
 

luhkb

Mitglied
Danke für deinen Beitrag

Hallo Arno,

vielen Dank erstmal für deinen kritischen Beitrag.

Vielleicht hätte ich die Emotionslosigkeit, welche Jojo auszeichnet nicht auch der Geschichte antun müssen, allerdings ist gerade die Emotionslosigkeit eine der wichtigsten Anzeichen der Depression und eine der schlimmsten Erfahrungen, die man machen kann.

Ich denke, um diese Geschichte nachvollziehen und richtig miterleben zu können, muss man selber einmal soweit unten gewesen sein (was ich persönlich niemandem wünsche)
Deshalb werde ich mich auch nicht noch mehr in die Situation hineinversetzen, ich kenne sie zur Genüge und muss deshalb auch nicht "aus dem Bauch heraus" etwas beschreiben ;-)

Viele Grüße
Luhkb
 



 
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