Der Besuch

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TDTextdesign

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Der Besuch

Endlich hatte es wieder geschneit. Draußen lag das weiße Pulver mittlerweile meterhoch, in der Drei-Zimmer Wohnung herrschten wie immer kuschelige Temperaturen.
Angel hatte auf der Marmorplatte vor dem Südfenster eine Schale mit Früchten arrangiert, die Sonne sandte im Staub glitzernde Strahlen, die Komposition zu streicheln.
Als ich vom nahen Supermarkt nach Hause kam, stand sie da, das goldene Licht ließ ihre Haare wie ein Gespinst um ihr schmales, fein gezeichnetes Gesichtlein erscheinen, neben ihr die Bananen, Äpfel, Pfirsiche auf dem Teller.
Eine lächelnde Melancholie lag in diesem Bild, ein Dunst von Vergänglichkeit, schon damals.
Während sie sich an den Küchentisch setzte und eine neue Flasche des Weißweines öffnete, mit mir leichte Konversation zum Einkauf betrieb, räumte ich den Rucksack aus, einen Salatkopf legte ich scherzhaft, auch weil er sonst momentan keinen Platz fand, zu den Früchten auf dem Fensterbrett.
Wir vergaßen ihn über Nacht.
Am nächsten Morgen weckte mich der Ruf Angels aus der Wohnküche, die direkt neben dem Schlafzimmer lag.
„Tom! Sieh bloß!“
Verschlafen wälzte ich mich aus dem Bett.
„Schau nur! Schnell!“
Ich wankte schlaftrunken hinüber in den Raum, wo sie am Fenster stand, drängte mich an ihren warmen, zarten Körper, küsste sie in die Halsbeuge und flüsterte:
„Guten Morgen! Was gibt es denn?“
Stumm deutete sie auf die Obstschale.
Dort saß auf einem Pfirsich ein zitronenfarbener Falter, sanft bewegte er die Schwingen auf und ab, seine Fühler bewegten sich.
Die nächsten beiden Tage erging Angel sich in der Pflege des Insektes. Auch ich nahm mit ganzem Herzen an dem kleinen Wunder teil. Oft hing er am Fenster, meditierte wohl über das gleißende Weiß hinter der Scheibe, dann saß er wieder auf seinem Pfirsich auf der warmen Fensterbank über dem Heizkörper.
Fasziniert staunten wir ihn beide immer wieder an, führten, angeregt durch seine Existenz, lange Gespräche über die Wertigkeit des Lebens, unsere Aufgaben, unser Sein. Der tapfere, kleine, gelbe Flatterer wurde ein Symbol für uns.
Am Morgen des dritten Tages lag er leblos zwischen den Früchten. Wir verbrannten seine sterblichen Überreste.

Ein Jahr ist nun verronnen, seit Angel in das andere Blau gewandelt ist, gestern habe ich die Stelle besucht, an der wir ihre Asche der Erde übergeben haben.
Ich stellte meine Blumen in die Vase, stand nachdenklich vor dem bepflanzen Stück Grün.
Da taumelte ein gelber Schmetterling über den Strauß, verhielt kurz, zog seine Kreise um meinen Kopf, setzte sich dann auf den rechten Ärmel meiner Lederjacke.
Nur kurz blieb er, dann schwankte er weiter durch den lauen Sommerwind, sein Gelb verlor sich über den anderen Gräbern.

©Thom Delißen 092008
 

Retep

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Hallo TDT,

du versuchst da, eine tragische Geschichte zu erzählen, aus der sich was machen ließe, setzt dabei eine Sprache ein, die ich für ziemlich "überladen" halte und drückst für mich zu stark auf die Tränendrüse.

Das hätte deine Geschichte nicht nötig.

- "die Sonne sandte im Staub glitzernde Strahlen, die Komposition zu streicheln."
- "fein gezeichnetes Gesichtlein"

- "Die nächsten beiden Tage erging Angel sich in der Pflege des Insektes"


- " Auch ich nahm mit ganzem Herzen an dem kleinen Wunder teil."

- "meditierte wohl über das gleißende Weiß hinter der Scheibe"

- "Der tapfere, kleine, gelbe Flatterer"

- "- "Ein Jahr ist nun verronnen, seit Angel in das andere Blau gewandelt ist"

Und dann taucht ein gelber Falter wieder am Grab auf. Das
ist für mich in der Nähe von Kitsch. Aber über Kitsch kann
man streiten.

Ich habe ein anderes Sprachgefühl, der Text berührt mich
kaum.

Aber das gilt vielleicht für andere Leser nicht.

Gruß

Retep
 



 
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