Der Blues

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mattes

Mitglied
Der Blues

Einsamkeit brennt wie glühendes Eisen in meiner Seele.
Ich bin unruhig und leer, fühle, wie die Welt mich an die Seite drückt, mir die Luft aus dem Körper presst, wie sie mich hasst, und ich weiß nicht warum.
Muss was tun, muss flüchten, sonst ersticke ich.
Flucht in die Stadt, Bier trinken, betäuben, Frauen sehen, ich bin heiß.
Ich hasse die Arschlöcher, für die das Leben nur aus saufen, fressen, ficken und sonst nichts besteht.
Ich bin Denker und ein Sklave meiner Hormone.
Die Kneipe ist mäßig voll. Hinter der Theke steht ein farbloses Geschöpf, kaum Arsch und keine Titten.
Der Intellekt bleibt auf der Strecke. Ich glaube, die, die man gemeinhin als Proleten bezeichnet, sind in ihrer Art zu leben wesentlich ehrlicher als die elitären, intellektuellen Spinner.
Ich bin der belesene, weltoffene, tolerante, musikalische und großkotzige Arsch, der eine ganze Reihe von Freunden hat, die nur darauf warten, dass er mal richtig auf die Fresse fällt.
Es fällt mir immer mehr auf, dass alle meine Niederlagen heimlich, aber trotzdem so, dass ich es mitbekomme, beklatscht werden.
Es liegt an mir.
Die ersten fünfzehn Biere sind getrunken und die Kleine hinter der Theke wird langsam schön.
Müdigkeit, Einsamkeit und Jammer werden größer.
Am Straßenstrich habe ich vorhin eine neue Nutte gesehen, klein, blond, schlank, schon fast mager, nichts dran. Jetzt denke ich an sie.
Kein Geld, nur zwei Zwanziger.
Ich trinke weiter.
Ekel vor mir selbst und meiner Umwelt wird größer.
Leeres Gerede, hohles Gelächter, nur noch abweisende, höhnisch grinsende Masken um mich herum. Starre Masken, wenn man sie anschaut.
Einige Flugstunden weiter verrecken Menschen.
Krieg, Hunger, Mord, Macht, widerliches Menschenpack.
Ich verachte sie alle.
Ich bin soweit unten, dass ich unbedingt noch jemanden unter mir brauche, sonst ist das Ende zu deutlich.
Ich brauche einen Schoss zum Weinen. Ich brauche eine Mutter, die mich tröstet.
Ich brauche einen Vater, der mir rät, ich brauche mich, aber ich bin fort, weit fort.
Irgendwann, als ich begriffen habe, was das Wort Menschlichkeit bedeutet, habe ich mich umgebracht, das war die einzige Möglichkeit, zu überleben.
"Endlich wird er vernünftig." Die Worte schmecken nach Galle.
Es gibt kein Lachen mehr, dafür gibt es eine Grimasse, in der zwei Glaskörper gefangen sind, sie schreien stumm.
Vielleicht sind sie auch tot, wahrscheinlich sind sie tot.
Boat people, Afghanistan, Jugoslawien, AIDS, Apartheid, Vietnam, Sklaverei, Geld, Macht, ich nehme mir, was ich will.
Ich brauche Macht, ich will Macht, das ist es.
Bin nur noch Körper, Seele ist fort, Seele ist tot, wo ist meine Seele, Körper fühlt sich so einsam.
Masken sind alle fort.
Worte klatschen auf meinen Körper herunter wie dicke Hagelkörner, mir ist kalt.
Soll bezahlen, sagt die Maske hinter der Theke.
Weiß sie nicht, dass wir irgendwann alles bezahlen müssen, absolut alles?
Maske redet ungeduldig auf mich ein, will nur Geld, sonst nichts.
Würde ihr alles geben, sie will trotzdem nur Geld.
Körper geht, bleibt an irgendeiner Ecke stehen und kotzt die ganze Scheiße dieser Welt aus sich heraus.
Maske schaut und zerrt Körper in eine Wohnung.
Körper will nur weinen.

Licht fällt auf mein Gesicht. Ich liege in einem fremden Bett und frage mich, wo ich bin.
Irgendwoher riecht es nach Kaffee und frischen Brötchen.
"Hallo!" Sagt sie.
Ich denke: `Mäßiger Arsch und keine Titten`, und ich hasse mich dafür!
 
H

Henry Lehmann

Gast
Klasse Mattes,

Du hast einen neuen Fan! Ich kenne diesen Blues nur zu gut! Ich kann jeden Satz, jeden deiner Gedanken nachvollziehen.

Du hast das ganze Elend in eine wunderbare Form gepackt. Und wenn ich so etwas lese, dann freue mich mich, dass es Menschen gibt wie Dich, denen es mit sich selbst richtig dreckig geht, die sich und ihr ganzes beschissenes Leben hassen, sich aber nicht umbringen, sondern (vorher noch) solche Texte schreiben.

Erstmalig gebe ich hier in der LL die vollen 10 Punkte!

Weiter so!

Henry
 

ganji

Mitglied
hallo henry lehmann,

auch ich kenne den blues und die melacholie die der blues oft mit sich bringt.auch ich finde du hast es wundervoll verpackt das leid das elend. bin immer wieder davon berührt und faziniert zugleich.. den abgrund fast nah das elend tastbar was an einem nagt.. situationen fast aussichtslos und trotzdem nicht aufgeben..aus dieser situation bzw .. in dieser situation ist man den blues so nah und kann sich dahineinversetzten..wie sonst kann man einen blues besser erzählen,
grüße
ganji
 
H

Henry Lehmann

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von ganji
hallo henry lehmann,

auch ich kenne den blues und die melacholie die der blues oft mit sich bringt.auch ich finde du hast es wundervoll verpackt das leid das elend. ganji
Hallo Ganji.

nur der guten Ordnung halber: nicht ich, sondern Mattes hat das so wundervoll in Worte verpackt.

LG Henry
 

ganji

Mitglied
oh mattes hoffentlich verzeihst du mir..
wo war ich mal wieder mit meinen gedanken.. ein dickes sorry... sorry..sorry
peinlich peinlich
ganz liebe grüße ganji
 

Nicolas

Mitglied
Ein schöner Titel, nebenbei bemerkt

Ich finde den Text sehr gut. Der Wiedererkennungseffekt (mit dem Erzähler) ist sofort da.
Was mir aber nicht so sehr gefällt, ist die (wohl nicht nur scheinbare) Nähe zwischen Autor und Erzähler. Dadurch wird das ganze eher zu einem Bekenntnis, in dem die Stimme des Autors einen leicht (nur leicht!) eingebildeten und kritisierbaren Touch annimmt. Ich hätte mir ein wenig mehr Distanz gewünscht. Es muss ja nicht gleich die dritte Person sein.

Im vorletzten Absatz übertreibst du es meiner Meinung nach mit den verkürzten Sätzen - der Effekt steigert sich nicht durch die Wiederholung, sondern schwächt sich langsam ab.

Das sind aber alles nur Eindrücke. Vermutlich ist jemand genau der entgegengesetzten Meinung.

Nicolas
 
Q

Quidam

Gast
Hallo mattes,

eine 10 wäre es nicht ganz, würde ich bewerten, aber sicher ne 8. Liest sich flüssig und das zwischen den Zeilen macht einen betroffen. Wäre der Prot stark genug könnte er sich Verbündete suchen - dann wäre das Leben für ihn nicht ganz so grau...

Grüße
Quidam
 

hwg

Mitglied
Beeindruckt

Mit Interesse gelesen. Mattes hat sich wohl Charles Bukowski zum *Vorbild* genommen? Ist kein Vorwurf, der Text erinnert mich bloß an "Ein Profi - Stories vom verschütteten Leben", worin dieses Thema adäquat *behandelt* wird. Außerdem meine ich, dass der Text eines Autors mit dessen tatsächlichem Lebenswandel nichts Gemeinsames haben muss... Gruß aus der Steiermark!
 

mattes

Mitglied
Re: Beeindruckt

Hallo hwg,

danke für Deine Anmerkungen. Du hast recht, ich liebe Bukowski. Manchal kommt davon was rüber , manchmal auch nicht. Das kann mal wohl nie ganz vermeiden.
Aber ich versuche keinen Stil zu kopieren, sonder die Formulierungen sind meine eigenen. Ich fühle wie es klingen muss damit es mir gefällt, und das ist mein einziger eigener Bewerungsparameter für meine Texte.

Der Text hat mit meinem Lebenswandel tatsächlich nicht unbedingt viel gemeinsames, denn wenn alles was ich schreibe aus meinem eigenen Leben entnommen währe, währe ich wahrlich eine "arme Sau" :) .
Klar ist, das ich dieses Gefühl kenne und versucht habe es in seiner tiefen Form zu beschreiben. Wenn ich ein Blues Solo auf der Gitarre spiele, dann lege ich da auch sehr viel mehr Gefühl hinein, als die geschriebene Note auf dem Papier aussagen kann.

Gruß
mattes
 

jimmydean

Mitglied
hallo mattes,

ich finde deine gedanken sehr schön, und stimme mit ihnen voll überein. ich finde darin auch einiges wieder, was in mir vorgeht. das gibt einen immer so ein stückchen bestätigung bzw. verstandenwerden.
ich finde die kurzen sätze (fast telegrammstil) teilweise ganz gut, nur würde ich nicht den ganzen text damit gestalten. ich würde sie gezielt einsetzen, um den leser etwas hinzuschmeißen, das er schlucken muss. ich versuche bei meinen texten immer sehr vorsichtig mit zu direkten fakten zu sein, also beim aufzählen dieser.
"Krieg, Hunger, Mord, Macht, widerliches Menschenpack." hier finde ich es sehr gut, das ist auch so eine sache, wo der autor einfach eine tatsache drauß macht und der leser es schlucken muss, das zwängt ihn in die gedanken des autors, das find echt echt super, das feselt eien an den text.
"Boat people, Afghanistan, Jugoslawien, AIDS, Apartheid, Vietnam, Sklaverei, Geld, Macht, ich nehme mir, was ich will." hier hingegen, finde ich, besteht die gefahr, der autor könnte klugscheißerisch rüberkommen. Außerdem ist es mit dem aufzählen von solchen fakten nicht getan. das sind komplexe themen und ich finde, wenn man si e verwendet, muss man sie ausführen. das gehört aber nicht in den text. da macht man es sich zu einfach und so ein vorwurf ist hart und den nehme ich als leser nicht ienfach hin, nur weil ihn jemand aufzählt. Da gibt es schon genug, die den ganzen tag mit solchen vorwürfen rumschmeißen.
Ich würde auch nicht die anzahl der getränke nenen. jemand der 15 bier trinkt, zählt nicht mit, das verrät den nichtalkoholiker in dir, also würde ich es weglassen. Ich finde übrigens deine aussage in einem kommentar von dir sehr gut, dass der autor nicht mit dem protagonisten übereinstimmen muss. Das wird hier leider oft vermischt.
der schluß ist sehr cool. dieser eine satz und vor allem, dass er sich dafür hasst.

ich habe meinen kommentar gerade nochmal durchgelesen und ich finde, ich habe sehr oft, ich finde geschrieben.

gruß
jimmydean
 



 
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