Der Boykotteur

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Maribu

Mitglied
DER BOYKOTTEUR

Fast jeden Abend, pünktlich um zwanzig Uhr, schalte ich das Fernsehgerät ein und bleibe meistens bis Mitternacht vor dem Bildschirm sitzen. Nicht, dass ich alles schlucke, ich gucke schon gezielt: Nachrichten, Reportagen, Politische- und Wirtschaftsmagazine. Fernsehfilme schaue ich mir wegen des schlechten Niveaus ganz selten an. Besonders die Verfilmungen von Rosamunde Pilchers Romanen sind ein Graus und erzeugen bei mir einen Brechreiz. Was ich mir nie entgehen lasse, sind alte Kinofilme mit Heinz Rühmann, Georg Thomalla oder Heinz Ehrhard. Dabei schlage ich mir vor Lachen auf die Schenkel!
Alles was mit Werbung zusammenhängt, ist mir suspekt. Obwohl ich nicht in die von der Werbewirtschaft begehrte Gruppe der
14 - 49-Jährigen gehöre, will ich aber nicht darauf verzichten. Sie können noch so geschickt für Treppenlifte, Rheumasalben oder Tabletten gegen Prostatabeschwerden werben, mit mir ist kein Geschäft zu machen! Wenn eine bekannte Marktkette so penetrant beteuert: 'Wir können keinen Sex, wir können nur billig... Ich bin doch nicht blöd!' sträuben sich bei mir die Haare. Deswegen kaufe ich mir doch keinen
Flachbildschirm! Auch kein Fahrrad mit Elektromotor! Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner verstorbenen Mutter ohne Gangschaltung. Das einzige was mich überzeugt hat ist, das regelmäßige Lesen der Apotheken-Rundschau. 'Lesen, was gesund macht!' Dieser Spruch hat mich wirklich überzeugt.
Seitdem bekomme ich keine Kinderkrankheiten mehr!
Auf die aggressive Handywerbung mit der 'Geilen Super-Flatrate
bin ich auch nicht hereingefallen. Ich habe nicht einmal einen
Festnetzanschluss. Ich bin ein Single. Wen sollte ich anrufen?
Meine Bekannten und Verwandten erreichen mich über den Briefträger. Ist es nicht spannend, zwischen den vielen Werbeprospekten ab und zu mal wieder ausser einer Rechnung einen Brief, vielleicht auch noch handgeschrieben, im Kasten zu finden?
Ich sehe mir jeden Werbespot genau an und präge mir die Produktnamen ein, um diese Waren links liegen zu lassen, sie sozusagen zu boykottieren! Denn mir ist klar, ich als Endverbraucher muss diese Werbung bezahlen. Da ich mit meiner kleinen Rente vorsichtig haushalten muss, kaufe ich grunsätzlich nur sogenannte 'No-Name-Produkte' bei Aldi, Lidl,
Tschibo, Penny und Co.
Gestern war ich bei der Sparkasse, um meine Haushaltskasse wieder etwas aufzufüllen. Bei der Gelegenheit fragte ich nach Prospekten über Aktien-Anlagen und wurde von der Kassiererin an einen Experten verwiesen. Es war einer von diesen jungen, smarten Banktypen mit kurzem Haar und 'Brilli' im Ohr. Obwohl er ein Namensschild und die Bezeichnung 'Anlagenberater' an sein Revers geheft hatte, stellte er sich forsch mit 'Hansen'
vor.
"Angenehm, Schultz!" entgegnete ich.
"Mit oder ohne 't'?" Er lachte. "Bei dem Namen wäre der Vorname ganz nützlich. Einfacher wäre es allerdings mit Ihrer Kontonummer."
Ich hielt ihm meine Karte unter die Nase, und er tippte die Zahlen in den Computer. Nach einem Moment wurde seine Miene frostiger. "Sie interessieren sich persönlich für Aktienanlagen?"
"Selbstverständlich! Für wen denn sonst?!" antwortete ich passend zu seinem Gesichtsausdruck.
Er lachte etwas verkrampft. "Erwarten Sie denn einen größeren Geldeingang?"
"Ja, demnächst!"
Er starrte wieder auf den Bildschirm. "Entschuldigung, dass ich das übersehen habe! Sie werden am 20. März fünfundsechzig und ich glaube, dann wird Ihre Lebensversicherung fällig. Auf den Erlebens- oder Todesfall. - Habe ich recht?"
"Auf den Erlebensfall!" antwortete ich. "Denn was hätte ich vom Todesfall?"
"Also Aktien", sagte er ziemlich gelangweilt. "Mit Risiko und wesentlich höherer Dividende oder sind Sie für die sichere Anlage mit entsprechend niedriger Rendite?"
Ich antwortete nicht sofort und er ergänzte: "Diese Frage sollte jeder Anleger für sich beantworten, damit der Berater später nicht zum Buhmann wird! Wenn ich Ihnen trotzdem einen Rat geben darf, würde ich zur Zeit von Aktien ganz abraten!
Ich möchte Ihnen Sparkassenbriefe unseres Instituts empfehlen, die vollkommen sicher sind!"
"Welche Laufzeit und zu welchem Zinssatz?"
"Fünf Jahre zu zwei Prozent."
Ich lachte höhnisch. "Die Inflationsrate liegt bei 2,3 Prozent! Was nützt mir die Sicherheit, wenn ich draufzahle?!"
"Sie zahlen nicht drauf, im Gegenteil!" er wurde jetzt richtig munter und konnte die Provisionsgier in seinen Augen nicht verbergen. "Bei einem Abschluss über fünfzigtausend Euro würden Sie eine Prämie von uns bekommen, die die Rendite auf jeden Fall über die Teuerungsrate hebt! Sie bekommen entweder ein Handy der Premium-Klasse, verbunden mit einer Super-Flatrate oder den neuesten zusammenklappbaren Alu-Roller mit Einkaufskorb und speziellem Senioren-Sattel!"
Entsetzt fragte ich: "Ich hätte die Wahl zwischen einem Handy und einem Alu-Roller?"
"Bei hunderttausend würden Sie beides bekommen! Sie sehen doch noch ganz rüstig aus! Bei mir vorm Haus rollert jeden Abend ein Herr Ihres Alters vorbei. Das sieht richtig geil aus!"
"Das kann ich mir vorstellen", antwortete ich. "Und wenn er dann noch während des Rollens, eine Hand am Lenker, die andere mit dem Handy am Ohr, telefoniert, ist das oberaffengeil!" Ich stand abrupt auf und sagte zu dem überraschten Anlagenberater: "Noch einen erfolgreichen Tag, Herr Hansen. Mich konnten Sie nicht überzeugen. Ich lass mich nicht manipulieren! Ich bin doch nicht blöd!"
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Maribu,

schöner Einblick in die Werbebranche.
Was mir so in der Kürze auffiel:


was mich überzeugt hat [blue](Komma fehlt)[/blue] ist, das regelmäßige Lesen ...

...kaufe ich grunsätzlich [blue](fehlt das "d")[/blue] nur

Ich weiß nicht so recht, ob dein Plot so richtig bei Humor/Satire aufgehoben ist. Es liest sich gut runter, aber (für mich) ist es i-wie nicht das passende Forum.

Mit ihrem Satz am Ende: ... ich bin doch nicht blöd ... hat sie sich ja (für mich) doch manipulieren lassen von der Werbung.

Insgesamt bin ich der Meinung, dass aus dem Text noch mehr heraus zu holen wäre :)

Liebe Grüße
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Hallo Maribu,

eine hübsche, kleine Satire über die „modernen“ Zeiten. Ich werde auch immer mehr zum Werbungs- und Konsumtotalverweigerer – muss aber leider feststellen, dass das gar nicht so einfach ist.

Deine Platzierung in Humor und Satire geht für mich so weit in Ordnung. Wenn du aber dem Rat von Kageb folgen möchtest und einen Umzug planst, werde ich dir gern behilflich sein. Das liegt aber in deiner Entscheidungshoheit.

Grüße vom Ironbiber
 

Maribu

Mitglied
DER BOYKOTTEUR

Fast jeden Abend, pünktlich um zwanzig Uhr, schalte ich das Fernsehgerät ein und bleibe meistens bis Mitternacht vor dem Bildschirm sitzen. Nicht, dass ich alles schlucke, ich gucke schon gezielt: Nachrichten, Reportagen, Politische- und Wirtschaftsmagazine. Fernsehfilme schaue ich mir wegen des schlechten Niveaus ganz selten an. Besonders die Verfilmungen von Rosamunde Pilchers Romanen sind ein Graus und erzeugen bei mir einen Brechreiz. Was ich mir nie entgehen lasse, sind alte Kinofilme mit Heinz Rühmann, Georg Thomalla oder Heinz Ehrhard. Dabei schlage ich mir vor Lachen auf die Schenkel!
Alles was mit Werbung zusammenhängt, ist mir suspekt. Obwohl ich nicht in die von der Werbewirtschaft begehrte Gruppe der
14 - 49-Jährigen gehöre, will ich aber nicht darauf verzichten. Sie können noch so geschickt für Treppenlifte, Rheumasalben oder Tabletten gegen Prostatabeschwerden werben, mit mir ist kein Geschäft zu machen! Wenn eine bekannte Marktkette so penetrant beteuert: 'Wir können keinen Sex, wir können nur billig... Ich bin doch nicht blöd!' sträuben sich bei mir die Haare. Deswegen kaufe ich mir doch keinen
Flachbildschirm! Auch kein Fahrrad mit Elektromotor! Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner verstorbenen Mutter ohne Gangschaltung. Das einzige was mich überzeugt hat, ist, das regelmäßige Lesen der Apotheken-Rundschau. 'Lesen,was gesund macht!' Dieser Spruch hat mich wirklich überzeugt!
Seitdem bekomme ich keine Kinderkrankheiten mehr!
Auf die aggressive Handywerbung mit der 'Geilen Super-Flatrate
bin ich auch nicht hereingefallen. Ich habe nicht einmal einen
Festnetzanschluss. Ich bin ein Single. Wen sollte ich anrufen?
Meine Bekannten und Verwandten erreichen mich über den Briefträger. Ist es nicht spannend, zwischen den vielen Werbeprospekten ab und zu mal wieder ausser einer Rechnung einen Brief, vielleicht auch noch handgeschrieben, im Kasten zu finden?
Ich sehe mir jeden Werbespot genau an und präge mir die Produktnamen ein, um diese Waren links liegen zu lassen, sie sozusagen zu boykottieren! Denn mir ist klar, ich als Endverbraucher muss diese Werbung bezahlen. Da ich mit meiner kleinen Rente vorsichtig haushalten muss, kaufe ich grundsätzlich nur sogenannte 'No-Name-Produkte' bei Aldi, Lidl,
Tschibo, Penny und Co.
Gestern war ich bei der Sparkasse, um meine Haushaltskasse wieder etwas aufzufüllen. Bei der Gelegenheit fragte ich nach Prospekten über Aktien-Anlagen und wurde von der Kassiererin an einen Experten verwiesen. Es war einer von diesen jungen, smarten Banktypen mit kurzem Haar und 'Brilli' im Ohr. Obwohl er ein Namensschild und die Bezeichnung 'Anlagenberater' an sein Revers geheft hatte, stellte er sich forsch mit 'Hansen'
vor.
"Angenehm, Schultz!" entgegnete ich.
"Mit oder ohne 't'?" Er lachte. "Bei dem Namen wäre der Vorname ganz nützlich. Einfacher wäre es allerdings mit Ihrer Kontonummer."
Ich hielt ihm meine Karte unter die Nase, und er tippte die Zahlen in den Computer. Nach einem Moment wurde seine Miene frostiger. "Sie interessieren sich persönlich für Aktienanlagen?"
"Selbstverständlich! Für wen denn sonst?!" antwortete ich passend zu seinem Gesichtsausdruck.
Er lachte etwas verkrampft. "Erwarten Sie denn einen größeren Geldeingang?"
"Ja, demnächst!"
Er starrte wieder auf den Bildschirm. "Entschuldigung, dass ich das übersehen habe! Sie werden am 20. März fünfundsechzig und ich glaube, dann wird Ihre Lebensversicherung fällig. Auf den Erlebens- oder Todesfall. - Habe ich recht?"
"Auf den Erlebensfall!" antwortete ich. "Denn was hätte ich vom Todesfall?"
"Also Aktien", sagte er ziemlich gelangweilt. "Mit Risiko und wesentlich höherer Dividende oder sind Sie für die sichere Anlage mit entsprechend niedriger Rendite?"
Ich antwortete nicht sofort und er ergänzte: "Diese Frage sollte jeder Anleger für sich beantworten, damit der Berater später nicht zum Buhmann wird! Wenn ich Ihnen trotzdem einen Rat geben darf, würde ich zur Zeit von Aktien ganz abraten!
Ich möchte Ihnen Sparkassenbriefe unseres Instituts empfehlen, die vollkommen sicher sind!"
"Welche Laufzeit und zu welchem Zinssatz?"
"Fünf Jahre zu zwei Prozent."
Ich lachte höhnisch. "Die Inflationsrate liegt bei 2,3 Prozent! Was nützt mir die Sicherheit, wenn ich draufzahle?!"
"Sie zahlen nicht drauf, im Gegenteil!" er wurde jetzt richtig munter und konnte die Provisionsgier in seinen Augen nicht verbergen. "Bei einem Abschluss über fünfzigtausend Euro würden Sie eine Prämie von uns bekommen, die die Rendite auf jeden Fall über die Teuerungsrate hebt! Sie bekommen entweder ein Handy der Premium-Klasse, verbunden mit einer Super-Flatrate oder den neuesten zusammenklappbaren Alu-Roller mit Einkaufskorb und speziellem Senioren-Sattel!"
Entsetzt fragte ich: "Ich hätte die Wahl zwischen einem Handy und einem Alu-Roller?"
"Bei hunderttausend würden Sie beides bekommen! Sie sehen doch noch ganz rüstig aus! Bei mir vorm Haus rollert jeden Abend ein Herr Ihres Alters vorbei. Das sieht richtig geil aus!"
"Das kann ich mir vorstellen", antwortete ich. "Und wenn er dann noch während des Rollens, eine Hand am Lenker, die andere mit dem Handy am Ohr, telefoniert, ist das oberaffengeil!" Ich stand abrupt auf und sagte zu dem überraschten Anlagenberater: "Noch einen erfolgreichen Tag, Herr Hansen. Mich konnten Sie nicht überzeugen. Ich lass mich nicht manipulieren! Ich bin doch nicht blöd!"
 

Maribu

Mitglied
Hallo KaGeb,
hallo Ironbiber,

danke Euch für die Kommentare!
Die Fehler habe ich behoben.

Ich habe den Text als Satire gedacht
und deshalb auch bewußt "Ich bin doch
nicht blöd!" verwendet. - Diesen Spruch
könnte man ja durchaus auch benutzen, ohne
von der Werbung beeinflußt zu sein.
Wenn Ihr ein anderes Forum empfehlen würdet,
wäre ich da flexibel!
Liebe Grüße
Maribu
 
D

Dominik Klama

Gast
Autor bzw. Ich-Erzähler bzw. beide treten mit dem erklärenden Gestus auf: "Ich habe was verstanden, was die meisten anderen nicht verstanden haben." Das ist kein Humor, denn es ist nicht komisch. Es ist aber auch keine Satire, denn weder verfremdet es die mit der Kritik gemeinten Verhältnisse im Text extrem - noch übertreibt es sie stark - noch bringt es sie im Kopf des Lesers zum Platzen.
Es ist belehrend. Und somit gehört es eher zum "Essay" oder zur "Tagebuch-Prosa".
Was fehlt, ist eine für den Leser deutlich spürbare Distanz zwischen dem Autor und seinem Protagonisten. Die Trennung zwischen Schreiber und komischer Figur.
Es gibt Stellen, wo man so eine Trennung fast vermuten möchte, dann aber doch wieder davon absieht. Wenn mehr oder weniger gesagt wird, dass Pilcher-Verfilmungen geistlos, Thomalla-Komödien aber anpruchsvoll seien. Wenn aller Werbung grundsätzlich misstraut wird, einem eigentlich komplett aus PR-Artikeln bestehenden Magazin wie der "Apotheken Rundschau" aber vertraut wird.

Der Text ist zu naiv und zu wenig durchdacht bezüglich des Punktes, wogegen er eigentlich sein soll.

Dass sie nur zum Zwecke der Verkaufssteigerung mehr oder weniger nutzloser, zumindest aber nicht wirklich herausragender Produkte da sei, dieses der Werbung vorzuwerfen, ist so treuherzig und sinnlos wie einer Blume vorzuwerfen, dass sie zur Fortpflanzung da wäre. Oder dem gesamten Handelsbereich, dass er nicht dafür da wäre, die Leute mit schönen, guten, gesunden, nützlichen und robusten Produkten zur Lebensgestaltung zu versorgen, sondern dafür, Profite für seine Kapitaleigner zu erwirtschaften.

Selbstverständlich wird nicht dort am meisten beworben, wo Produkte sich durch ihre Einzigartigkeit und überragende Qualtiät vom restlichen Markt abheben, sondern dort, wo viele ziemlich gleichrangige Produkte im Markt sind, die sich gegenseitig Marktsegmente abjagen müssen, sonst bringen sie zu wenig Profit. Selbstverständlich wird nicht dafür beworben, dass der Verbraucher erfährt, was es alles gibt, sondern dafür, dass das eine Unternehmen mehr verdient als das andere. Selbstverständlich wird nicht wirklich mit Informationen und Argumenten geworben, sondern mit Gefühlsappellen, weil die meisten Kunden ihre scheinbar "rationalen" Konsumentscheidungen eben nicht rational, sondern gefühlsmäßig treffen. Wenn die Werber in den mindestens 100 Jahren, seit sie dieses Geschäft schon betreiben, nie gelernt hätten, was wirkt und was nicht, dann wären sie zu kritisieren, nicht aber, wo sie ihren Job gut machen, nämlich ihren Auftraggebern Gewinn zuschaufeln.

Wer glaubt, dass Produktehandel und Produktewerbung nach den Geboten des Neuen Testaments der Bibel ablaufen müssten, kann dies in einem Essay zwar jederzeit verbreiten, die Frage dürfte allerdings sein, wie viele Leser es spannend finden.

Wem eine Werbung wie die von Media Markt mit ihrer Vulgarität, Aufdringlichkeit und Blödheit "niveaulos" vorkommt, der kann dies natürlich in essayistischen Texten mitteilen, er zeigt damit aber möglicherweise, dass er nicht begriffen hat, dass genau die drei genannten Charaktereigenschaften dieser Werbung zu ihrem Erfolg geführt haben und deshalb auch ganz kalkuliert (und nicht dumm) so gewählt worden sind. Außerdem übersieht er möglicherweise, dass man kein Produkt allen Menschen verkaufen kann, darum auch nie Werbung für alle Menschen machen muss, sondern besser die Werbung macht, die bei den Leuten ankommt, welche solche Produkte kaufen. Treppenlifte müssen anders als Handytarife beworben werden.

Dieser aufgezeigte Königsweg aus dem "Konsumterror" raus, das zu kaufen, was nicht beworben wird und alles zu meiden, was man als Marke so im Kopf hat, geht naiv an folgenden Marktgesetzen vorbei:

Wenn ich einen Coffee-to-go-Verkauf in einer ruhigen Villengegend betreibe, habe ich niemals die Möglichkeit, denselben Umsatz zu erreichen, den ich mit einem Coffee-to-go-Verkauf in einer Straße habe, wo in der Mittagspausenzeit Tausende von Angestellten vorbeilaufen. Aber wenn ich dann diesen Kaffeeverkauf in der Büro- und Ladengegend habe, dann wäre es absolut blöd von mir, nur einen einzigen Kaffee für, sagen wir, 1,50 € anzubieten. Vielmehr sollte ich fünf verschiedene Coffees-to-go haben mit Endpreisen, die gestaffelt zwischen, sagen wir, 89 Cent und 2,77 € liegen. Letztlich ist mein Gestellungspreis, auch wenn es etwas unterschiedliche Qualtiätsstufen beim Kaffee sind, in den einen Becher noch Parfums reinkommen, in den anderen nicht, für alle fünf Sorten mehr oder weniger ein identischer. Daraus resultiert, dass ich beim teuersten Kaffee eine größere Gewinnspanne als beim billigsten habe. Es wäre aber nun ganz falsch, von vornherein nur ganz teuren Kaffee zu verkaufen.

Dann würden viele Angestellte an meinem Geschäft vorbeilaufen und zum nächsten gehen. Wofür ich dieses Preisklassensystem etabliere ist, dass ich diejenigen Konsumenten, die über relativ viel Geld verfügen bzw. gern sich "was Besonderes" leisten, unter meinen Kunden filtern und ihnen ein Produkt anbieten kann, was speziell auf ihre Gefühlswelten zugeschnitten ist. Wie ich auch die Schnäppchenjäger auf der anderen Seite rausfiltere und auf ihre Gefühle antworte. Zwar verdiene ich am einzelnen Schnäppchenbecher weniger als am einzelnen Luxusbecher, ich verdiene aber ja an allen, ich schenke nie was weg, bei denen, wo ich weniger verdiene, macht es dann die Masse.

Nun muss ich den Leuten aber irgendwas erzählen, warum ich Kaffees, die mich im Grunde alle dasselbe kosten, zu ganz unterschiedlichen Preisen verkaufe. Deshalb erzähle ich ihnen, dass die eine Sorte in einem Hundertwasserbecher ist, den es nur einen begrenzten Zeitraum lang gibt, dass die eine Sorte mit Fairtrade-Bio-Kaffee gebraut wurde, die andere halt mit Supermarktware. Und so weiter. Also: Es kommt nicht wirklich zu diesen Preisunterschieden, weil der eine Kaffee im Einkauf viel teurer wäre als der andere, sondern die Denkrichtung ist genau umgekehrt, ist betriebswirtschaftlich meinen Gewinninteressen folgend: Wie schaffe ich es, für jeden Geldbeutel und jedes Selbstverwirklichungskonzept was im Angebot zu haben, wie schaffe ich es, die Geld springen lassenden Konsumenten zu identifizieren und optimal abzuzocken?

Eben dieses machen nahezu sämtliche Hersteller von Verbrauchsgütern und sämtliche Handelsunternehmen. Sie verkaufen No-Name-Waren für die Hartz-IV-Empfänger, Hausmarken-Produkte für die sparsame Hausfrau, klassische deutsche Markenprodukte für die jungen urbanen Angestellten und Premium-Class-Produkte für die Lifestyle-Experten. Und damit die Leute gleich wissen, was was ist, werden Werbeagenturen bezahlt. Und also sind die Kosten für dieselben unbedingt nötig und unverzichtbar. Und dass natürlich bei jeder Ware jeder Kunde sowieso immer sämtliche Kosten bezahlen muss, ist klar.

Der Kunde zahlt erstens alle Kosten, dann zahlt er auch auch den gesamten Profit. Wenn eine Energiewendenumlage erhoben wird, zahlt sie der Stromkunde. Wenn die Dieselpreise steigen, zahlt sie der Bananenkäufer. Wenn eine Rücknahmepflicht für Alt-Computer eingeführt wird, zahlt sie der PC-Käufer. Wenn eine Werbeagentur engagiert wird, um dem Fernsehzuschauer den Glanz der Marke ZONG zu erläutern, zahlt sie der Endverbraucher. Wenn die Banken dem Unternehmer seine Kreditzinsen erhöhen, zahlt dies ebenfalls der Endverbraucher, nicht der Unternehmer.

Somit sind wir bei der Bank gelandet. Und hier wird's schwierig. Selbstverständlich sind Banken gewinnorientierte Unternehmen, genau wie Werbeagenturen, Schokoladeverkäufer und Media Märkte. Dies auch, wenn sie von Kommunen und Landkreisen besessen werden - wie die Sparkassen. Also will jede Bank, die uns eine Geldanlage verkauft, zuerst einmal ihren Gewinn machen, bevor sie uns einen verschafft. Und dann ist jeder, der da im Anzug sitzt und ein Schild Finance Manager am Revers trägt, nichts anderes als der Minijobber in meiner Coffee-to-go-Budike, der die Becher über die Theke reicht. Das heißt, er hat jemanden über sich, der ihm vorher beigebracht hat, was er welcher Sorte von Kunde zu verkaufen hat. Der hat ganz strikte Anweisungen. Was, wie man nach der Finanzkrise 2008 in USA dann gesehen hat, dazu führen kann, dass einem mit größtem Überzeugungstheater wertlose Papiere, von denen die Bank ganz genau weiß, dass sie wertlos sind, verkauft werden und auf andere Papiere, die die Bank auch im Angebot hätte, nicht mehr hingewiesen wird. Weil die Provisionen für die Schrottpapiere lukrativer für die Bank sind.

Leider ist es so, dass man statt dem 2-€-Becherkaffee auch den 1-€-Becherkaffee nehmen kann, wenn man aber Geld hat und dieses anlegen will, hat man kaum eine andere Wahl, als sich einer Bank oder Versicherung anzuvertrauen. Man kann es noch mit Gold, Kunst oder Immobilien versuchen. Dafür muss man aber schon sehr viel Geld haben und man muss sich auskennen. Oder man kann die Scheinchen daheim auf dem Speicher in einer Holzkiste einlagern. Da ist dann nur der Inflationsverlust dabei und, wie die Geschichte ja erzählt hat, so sehr viel vernichtender als die Bankverzinsung ist dieser auch nicht. Allerdings, sollte jemals der ganz große Crash, vor dem alle irgendwo Angst haben, tatsächlich eintreten, dann wird beides nichts mehr wert sein: das Geld zu Haus in der Kiste und auch das Geld in den sicheren Papieren auf der Bank.

(Das war jetzt auch kein Humor und keine Satire, sondern auch Essay.)
 

Maribu

Mitglied
Lieber Dominik Klama!

Donnerwetter, was für ein kluger Essay! (und das hat meine kleine "Satire" ausgelöst!)

Ich habe deine Geschichten, viel öfter aber deine Kommentare
(Essays) stets mit viel Interesse und Bewunderung wegen dieser Fleißarbeiten verfolgt.
Dass du von meinem Text nicht so angetan bist, schmerzt nicht;
als Autor kann man nicht nur Lob erwarten!

Auf jeden Fall vielen Dank, dass du überhaupt darauf eingegangen bist!
Lieben Gruß
Maribu
 
D

Dominik Klama

Gast
Na ja, zufällig entdeckt, als ich gerade mal wieder nach den auf der Startseite angezeigten neuen Texte sah.
Zu Wirtschaftsfragen gebe ich immer gerne meinen Senf dazu, obwohl ich von Haus aus Literaturwissenschaftler bin.
Die Sache mit den unterschiedlichen Preisen für verschiedene Käufergruppen beruht auf Tim Harfords Buch "Ökonomics", gewisse Ansichten zum Sinn von Werbung auf meinen eigenen Erfahrungen als Werbetexter.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Maribu, ich konnte jetzt nicht die ganze Zeit schmunzeln, manchmal in Ansätzen, besonders im ersten Teil, der dir besser gelungen ist.
Den Satz
Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner verstorbenen Mutter ohne Gangschaltung.
würde ich nochmal umschreiben, denn die Mutter hatte bestimmt keine Gangschaltung.
;-)

LG Doc
 

Maribu

Mitglied
Hallo Doc Schneider,

dass Du nicht die ganze Zeit über schmunzeln konntest, ist doch in Ordnung! Ich mag auch keine Texte, wo ein Gag oder eine Pointe hintereinander folgt, da bekommt man ja Gesichtsstarre!

Wenn ich Dich persönlich angegriffen habe, möchte ich mich hiermit entschuldigen! - Wir sollten das Kriegsbeil begraben!

Liebe Grüße
vom männlichen "Maribu"
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
LiebeR Maribu,
ich geh mal das Krigesbeil suchen. ;-) Nee, wenn das so wäre, hätte ich dich bestimmt nicht kommentiert.
Alles ist gut.
Bis auf die Mutter mit Gangschaltung!
;-)
LG Doc, weiblich
 

Maribu

Mitglied
Lieber Doc Schneider,

vielen Dank für Deine Reaktion und natürlich auch für die gute Bewertung!

Kann es sein, dass Du Dich verlesen hast?
Das Rad "meiner" Mutter hat KEINE Gangschaltung.

Hoffentlich bis demnächst,
Maribu
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Maribu, das ist jetzt ein Missverständnis. Im Satz
Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner verstorbenen Mutter ohne Gangschaltung.
ist der Bezug falsch. Es hört sich an, als ob die verstorbene Mutter keine Gangschaltung gehabt hätte. Du meinst natürlich das Fahrrad. Ich würde den Satz so schreiben:

Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner Mutter, das keine Gangschaltung hat.


Hoffentlich ist jetzt alles klar. Die Bewertung stammt allerdings nicht von mir.

LG Doc
 

Maribu

Mitglied
Liebe Doc Schneider(in),

wir sind ja keine Erbsenzähler!

Sicherlich haben wir beide recht! - Aber das Fahrrad ist längst verschrottet, was wollen wir uns darüber noch die Köpfe zerbrechen?!

Es freut mich, dass du "weiblich" bist, ich glaube, dass der
Ehrgeiz der Männer größer ist, den "Konkurrenten" zu überflügeln
als es zwischen Mann und Frau der Fall ist.

Deshalb würde ich mich freuen, wenn es zwischen uns beiden, wenn wir neue Texte`reinstellen, eine ehrliche ,,konstruktive Kritik geben würde!

Vielleicht denkst du ebenso?!

Erstmal ein schönes Wochenende
und bis bald, Maribu
 

Maribu

Mitglied
DER BOYKOTTEUR

Fast jeden Abend, pünktlich um zwanzig Uhr, schalte ich das Fernsehgerät ein und bleibe meistens bis Mitternacht vor dem Bildschirm sitzen. Nicht, dass ich alles schlucke, ich gucke schon gezielt: Nachrichten, Reportagen, Politische- und Wirtschaftsmagazine. Fernsehfilme schaue ich mir wegen des schlechten Niveaus ganz selten an. Besonders die Verfilmungen von Rosamunde Pilchers Romanen sind ein Graus und erzeugen bei mir einen Brechreiz. Was ich mir nie entgehen lasse, sind alte Kinofilme mit Heinz Rühmann, Georg Thomalla oder Heinz Ehrhard. Dabei schlage ich mir vor Lachen auf die Schenkel!
Alles was mit Werbung zusammenhängt, ist mir suspekt. Obwohl ich nicht in die von der Werbewirtschaft begehrte Gruppe der
14 - 49-Jährigen gehöre, will ich aber nicht darauf verzichten. Sie können noch so geschickt für Treppenlifte, Rheumasalben oder Tabletten gegen Prostatabeschwerden werben, mit mir ist kein Geschäft zu machen! Wenn eine bekannte Marktkette so penetrant beteuert: 'Wir können keinen Sex, wir können nur billig... Ich bin doch nicht blöd!' sträuben sich bei mir die Haare. Deswegen kaufe ich mir doch keinen
Flachbildschirm! Auch kein Fahrrad mit Elektromotor! Ich benutze immer noch das alte klapperige Damenfahrrad ohne Gangschaltung, das mir meine Mutter hinterlassen hat.
Das einzige was mich überzeugt hat, ist, das regelmäßige Lesen der Apotheken-Rundschau. 'Lesen,was gesund macht!' Dieser Spruch hat mich wirklich überzeugt!
Seitdem bekomme ich keine Kinderkrankheiten mehr!
Auf die aggressive Handywerbung mit der 'Geilen Super-Flatrate
bin ich auch nicht hereingefallen. Ich habe nicht einmal einen
Festnetzanschluss. Ich bin ein Single. Wen sollte ich anrufen?
Meine Bekannten und Verwandten erreichen mich über den Briefträger. Ist es nicht spannend, zwischen den vielen Werbeprospekten ab und zu mal wieder ausser einer Rechnung einen Brief, vielleicht auch noch handgeschrieben, im Kasten zu finden?
Ich sehe mir jeden Werbespot genau an und präge mir die Produktnamen ein, um diese Waren links liegen zu lassen, sie sozusagen zu boykottieren! Denn mir ist klar, ich als Endverbraucher muss diese Werbung bezahlen. Da ich mit meiner kleinen Rente vorsichtig haushalten muss, kaufe ich grundsätzlich nur sogenannte 'No-Name-Produkte' bei Aldi, Lidl,
Tschibo, Penny und Co.
Gestern war ich bei der Sparkasse, um meine Haushaltskasse wieder etwas aufzufüllen. Bei der Gelegenheit fragte ich nach Prospekten über Aktien-Anlagen und wurde von der Kassiererin an einen Experten verwiesen. Es war einer von diesen jungen, smarten Banktypen mit kurzem Haar und 'Brilli' im Ohr. Obwohl er ein Namensschild und die Bezeichnung 'Anlagenberater' an sein Revers geheft hatte, stellte er sich forsch mit 'Hansen'
vor.
"Angenehm, Schultz!" entgegnete ich.
"Mit oder ohne 't'?" Er lachte. "Bei dem Namen wäre der Vorname ganz nützlich. Einfacher wäre es allerdings mit Ihrer Kontonummer."
Ich hielt ihm meine Karte unter die Nase, und er tippte die Zahlen in den Computer. Nach einem Moment wurde seine Miene frostiger. "Sie interessieren sich persönlich für Aktienanlagen?"
"Selbstverständlich! Für wen denn sonst?!" antwortete ich passend zu seinem Gesichtsausdruck.
Er lachte etwas verkrampft. "Erwarten Sie denn einen größeren Geldeingang?"
"Ja, demnächst!"
Er starrte wieder auf den Bildschirm. "Entschuldigung, dass ich das übersehen habe! Sie werden am 20. März fünfundsechzig und ich glaube, dann wird Ihre Lebensversicherung fällig. Auf den Erlebens- oder Todesfall. - Habe ich recht?"
"Auf den Erlebensfall!" antwortete ich. "Denn was hätte ich vom Todesfall?"
"Also Aktien", sagte er ziemlich gelangweilt. "Mit Risiko und wesentlich höherer Dividende oder sind Sie für die sichere Anlage mit entsprechend niedriger Rendite?"
Ich antwortete nicht sofort und er ergänzte: "Diese Frage sollte jeder Anleger für sich beantworten, damit der Berater später nicht zum Buhmann wird! Wenn ich Ihnen trotzdem einen Rat geben darf, würde ich zur Zeit von Aktien ganz abraten!
Ich möchte Ihnen Sparkassenbriefe unseres Instituts empfehlen, die vollkommen sicher sind!"
"Welche Laufzeit und zu welchem Zinssatz?"
"Fünf Jahre zu zwei Prozent."
Ich lachte höhnisch. "Die Inflationsrate liegt bei 2,3 Prozent! Was nützt mir die Sicherheit, wenn ich draufzahle?!"
"Sie zahlen nicht drauf, im Gegenteil!" er wurde jetzt richtig munter und konnte die Provisionsgier in seinen Augen nicht verbergen. "Bei einem Abschluss über fünfzigtausend Euro würden Sie eine Prämie von uns bekommen, die die Rendite auf jeden Fall über die Teuerungsrate hebt! Sie bekommen entweder ein Handy der Premium-Klasse, verbunden mit einer Super-Flatrate oder den neuesten zusammenklappbaren Alu-Roller mit Einkaufskorb und speziellem Senioren-Sattel!"
Entsetzt fragte ich: "Ich hätte die Wahl zwischen einem Handy und einem Alu-Roller?"
"Bei hunderttausend würden Sie beides bekommen! Sie sehen doch noch ganz rüstig aus! Bei mir vorm Haus rollert jeden Abend ein Herr Ihres Alters vorbei. Das sieht richtig geil aus!"
"Das kann ich mir vorstellen", antwortete ich. "Und wenn er dann noch während des Rollens, eine Hand am Lenker, die andere mit dem Handy am Ohr, telefoniert, ist das oberaffengeil!" Ich stand abrupt auf und sagte zu dem überraschten Anlagenberater: "Noch einen erfolgreichen Tag, Herr Hansen. Mich konnten Sie nicht überzeugen. Ich lass mich nicht manipulieren! Ich bin doch nicht blöd!"
 



 
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