Der Dauerauftrag

Raniero

Textablader
Der Dauerauftrag

Werner Bröcker stand vor einem besonderen Problem.
Er hatte seiner erwachsenen Tochter, die in kurzer Zeit aus der elterlichen Wohnung ausziehen und in eine Studentenwohnung in eine andere Stadt in Universitätsnähe wechseln würde, in gutem Einvernehmen, versteht sich, versprochen, einen Dauerauftrag bei seiner Bank mit dem Zeck einzurichten, ihr einen bestimmten Geldbetrag als monatliche Unterstützung zukommen zu lassen.
Seit einigen Tagen nun trug er schon das entsprechende Formular für diese ‚Transaktion‘, wie er die Unternehmung nannte, bei sich, doch er konnte sich nicht dazu entschließen, diese zum Abschluss zu bringen.
Nicht, dass sie knapp bei Kasse oder von besonderem Geiz besessen waren, die Eltern von Simona, so hieß das Töchterchen, nein, dieses unterschwellige Vorsichherschieben des entscheidenden Schrittes hatte andere Gründe, und diese saßen tief, viel tiefer in Werners Innerstem, als er vermutet hätte.
Auf der einen Seite wusste er genau, dass seine Tochter selbst nur über wenig Geld verfügte, als Studentin, und sie daher auf diese monatlichen Zahlungen, welche sie mit den Eltern vereinbart hatte, angewiesen war, und täglich wurde er mehr und mehr von Gewissensbissen gequält, wegen seiner Unterlassung, doch was sollte er machen, er konnte einfach nicht aus seiner Haut.
Ein jedes Mal, wenn er den Vordruck der Bank zur Hand nahm und sich einen Stoß geben wollte, einen letzten Ruck, dann wurde er von einer tiefen Bestürzung erfasst, die ihn stets auf’s Neue regelrecht handlungsunfähig machte und zur Tatenlosigkeit verdammte, so dass er nahezu tränenden Auges das Formular unausgefüllt wieder in die Brieftasche steckte.
Wie gern hätte Werner das Stück Papier in den Papierkorb geworfen und statt- dessen seiner Tochter künftig das Geld in bar hinterbracht, zu ihrem neuen Wohnort, so wie er es ihr früher in die kleinen Hände legte, als Taschengeld, welches die Eltern ihrer Tochter im Grundschulalter das erste Mal zugestanden hatten.
Mit Wehmut erinnerte er sich an diese Zeiten, an die Folgejahre dieser ersten Bargeldflüsse zwischen ihm und seiner Tochter, diese monatlichen Taschengeldpauschalen, die schulleistungsunabhängig jedes Jahr angehoben wurden, wie kleine Gehaltserhöhungen im ‚richtigen, im erwachsenen‘ Leben.
Allerdings entschied er über die Zahlungen nicht allein und nach Gutdünken, sondern war in diesem Fall reines Exekutivorgan, welches das ausführte, was im Vorfeld die Legislative, der er zwar auch angehörte, in der er aber wie in jeder guten Ehe nicht die ausschlaggebende Majorität besaß, beschlossen hatte.

Obwohl Werner mit seiner Frau seit langer Zeit eine relativ harmonischen Ehe führte, konnte und wollte er ihr mit diesem Problem nicht kommen, mit allem anderen ja, aber hiermit nicht; sie hätte ihn nur ausgelacht.
Er sah sich schon in Gedanken vor ihr stehen, mit klopfendem Herzen und von allem Mut verlassen; sie würde ihn nur an ihr weites Herz drücken und sagen:
„Komm mal her, du Dummerchen“ und selbst das Heft in die Hand nehmen.
Doch so tröstlich auch eine solche Perspektive für ihn hätte sein können, und Trost konnte er nun wahrlich brauchen, in seiner misslichen Lage, genau das war es gerade, was er auf keinen Fall anstrebte, denn das hätte einen hohen Verlust an Handlungsfähigkeit bedeutet und seine Funktion in der Exekutive enorm geschwächt.

Händeringend suchte Werner einen Ausweg.
Das Problem, was ihm so zusetzte, konnte er auch keinem anderen anvertrauen und würde es auch niemals tun, nicht einmal seinem eigenen Beichtvater, wenn er denn einen gehabt hätte. Selbst gegenüber seinem zweiten Ich, mit dem er bisweilen leise Selbstgespräche führte, trieb es ihm die Schamröte ins Gesicht, wenn einmal die Sprache darauf kam.
„Das kannst du nicht machen“, herrschte es ihn dann an, „geh, such einen anderen Ausweg!“

Werner schlief auch sehr schlecht, fast gar nicht, in diesen Nächten.
Kaum hatte er ein wenig Schlaf gefunden, wurde er schon wieder geweckt, brutal und unnachgiebig, von seinem Gewissen:
„Dein armes Kind, es lebt nicht mehr lange, wenn du nicht endlich den verdammten Dauerauftrag einrichtest. Willst du es soweit kommen lassen? Mach hin und gib dir einen Ruck!“
„Ich kann nicht, Herrgottnochmal, ich kann nicht!“
Schweißgebadet wachte er auf und brauchte Stunden um Stunden, um wieder ein wenig Ruhe zu finden.
Doch wie sagt ein altes italienisches Sprichwort:
‚La notte porta un buon consiglio’.
Die Nacht ist ein guter Ratgeber.
In der Tat, nach einer Reihe von schlaflosen Nächten, erschien sie ihm im Traum, die ersehnte Lösung und wurde ihm von seinem zweiten Ich zugeflüstert:
„Fahre morgen früh zu deiner Bank, nimm den direkten Weg, keine Umwege.
In der Bank dann, tu es nicht selbst, lass sie es tun.“

Der letzte Satz hämmerte am Morgen in seinen Schläfen:
„Lass sie es tun!“
Nach dem Frühstück fuhr Werner nicht wie üblich, zu seiner Arbeitsstelle, sondern zuerst zu seiner Hausbank.
Dort traf er, wie erhofft, die nette Sachbearbeiterin an, mit der er fast ein jedes Mal zu tun hatte, in seinen Geldangelegenheiten; würde sie ihm helfen, würde sie es tun, wie es ihm sein zweites Ich so eindringlich ans Herz gelegt hatte.
Werner Bröcker reichte der freundlichen Dame das unausgefüllte Formular über die Theke.
„Entschuldigung, ich habe in der Eile meine Lesebrille daheim gelassen. Wären Sie so freundlich, es für mich auszufüllen?“
„Aber natürlich“.
Mit zitternder Stimme nannte Werner ihr die erforderlichen Daten für den Dauerauftrag, einschließlich des Vornamens seiner Tochter; anschließend unterschrieb er mit ebensolcher Hand das Formular.
Als er die Durchschrift in Händen hielt, stiegen ihm Tränen in die Augen.
‚Einmal monatlich zu überweisen an Frau Simona Bröcker’.

Er selbst hätte es nicht übers Herz bringen können, seine eigene Tochter Frau zu nennen, und das auch noch schriftlich, hatte er sie doch schon von Geburt an auf Händen getragen.
Für ihn war sie nicht Frau, nicht einmal Fräulein für ihn war und wird sie immer ‚sein Baby‘ bleiben.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
eine

sehr liebenswerte kleine schmunzelgeschichte. aber mach bitte in der vorletzten zeile hinter fräulein ein komma.
lg
 

petrasmiles

Mitglied
Eine sehr anrührende Geschichte, und so spannend geschrieben! Ich habe gar nicht bewusst die Entscheidung getroffen, Deine Geschichte zu Ende zu lesen, dass hat Deine Geschichte selbst bewirkt.

Liebe Grüße
Petra
 

Raniero

Textablader
Hallo flammarion,
hallo Petra,

ja, Väter und Töchter, eine unendliche Geschichte.:)
Freut mich, dass Euch diese kleine Story gefallen hat.

Gruß Raniero
 



 
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