Es war ein kurzer Abschied. Ein Augenblick, den ich hätte festhalten sollen. Habe ich doch immer noch den Duft frischer Erde in der Nase, wenn ich daran denke, und den kühlen Wind aus dem Hindukusch im Nacken.
Gerade einmal ein paar Stunden lässt man mir um das zu packen, was ich erst drei Monate zuvor im Spind meiner spartanischen Unterkunft verstaut hatte.
Verschärfung der Sicherheitslage. Wir werden alle ausgeflogen.
Zumindest die, die einen europäischen Pass besitzen; und dabei ist es egal, ob die Wurzeln dort oder hier liegen.
Ein letztes Mal streife ich durch die Flure des Krankenhauses. Atme die Betriebsamkeit und sehe all die Hände.
Hände, vom Bett erhoben, in den Himmel gerichtet. Manche flehend, betend. Einige runzelig und alt, voller Schwielen.
Hände greifen Hände. Spenden Trost und Wärme. Und ich vermag nicht zu sagen, ob die fehlenden Medikamente wichtiger sind als diese Hände.
Ein Mann kauert vor dem Bett seines Sohnes. Der Oberkörper gebeugt, versunken in das ewig gleiche Gebet. Allah-o-akbar.
Der Sohn ist tot. Ich weiß es. Sein Brustkorb hat die steten Auf- und Abbewegungen der Atmung längst aufgegeben. Die Augen sind starr an die Decke gerichtet. Ich trete näher und fahre mit der Hand über die Lider. Das Gesicht mit dem dünnen weißen Laken zu bedecken, das bringe ich nicht fertig.
Der Mann richtet einige Worte an mich. Er spricht Paschtu. Ich versuche es mit Farsi. Das versteht er aber nicht.
Ein Land. Keine Sprache.
Respektvoll neige ich stattdessen den Kopf. Er berührt kurz mein Kopftuch, bevor ich mich abwende.
Ich suche nach Talal und Camil, um ihnen zu sagen, dass ich wiederkomme, sobald ich kann und man mich lässt.
Die Tür zum Besprechungsraum steht offen. Ich werfe einen Blick hinein. Henri, einer der französischen Ärzte aus dem Team, sortiert Unterlagen in seine Aktentasche. Er begrüßt mich mit Schwester Arezoo und fragt, ob ich schon fertig sei mit Packen. Ich nicke nur.
Vielleicht sehen wir uns bald hier wieder, sagt er und lächelt leicht.
Ich muss an das kleine Mädchen denken, dessen Bein er amputiert hat und daran, dass ich nie das Entsetzen in seinen Augen vergessen werde, das Hadern mit dem Unabwendbaren. Zu Hause hätte er vielleicht etwas Neues gewagt. Beinerhaltend operiert. Hier aber ist kein Platz für Innovation.
Talal, denke ich und verabschiede mich von Henri, der mit der ersten Maschine fliegt.
Ich gehe weiter auf dem Flur, vorbei an Behandlungsräumen, in denen ich manche Stunde verbracht hatte, vorbei an den Krankensälen mit bekannten und unbekannten Gesichtern.
Talal. Seine schwarzen Augen. Wie Knöpfe im Gesicht eines Schneemannes, denn für einen Afghanen hat er sehr helle Haut. Glatt und weich. Seine großen Hände mit den feinen Fingern. Geschaffen dafür, Arterien wieder zu verknüpfen und feine Nähte zu legen, die keine Narben hinterlassen, außer auf meiner Seele.
Draußen vor den Fenstern ist die Dunkelheit gefallen. Es gibt hier keine Dämmerung. Nur den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Das macht mir Angst.
Camil treffe ich vor dem Operationssaal. Er wirft gerade den getragenen Kittel in die Wäschetruhe.
Ich habe es schon gehört, sagt er. Der Anästhesist hat es mir erzählt.
Ich berühre seine Wange. Der Dreitagebart kratzt meine Haut und weckt Erinnerungen daran, wie es war, als er noch Turban und Vollbart tragen musste unter den Taliban.
Er zieht mich in die Ecke hinter der Schwingtür.
Lächelt, für mich.
Meine Knie werden weich, wollen nachgeben, weil mich die Erinnerung trifft. An einen Camil, der sorglos in die Welt lächelt, für alle. Er hält mich fest in seiner Umarmung, bis ich wieder allein stehen kann.
Ich will ihm doch sagen, dass ich zurückkehren werde. Ein Gefühl kommt plötzlich, hält mich ab: Ich werde ihn nicht wieder sehen.
Er lässt mich stehen, streift einen neuen Kittel über und verschwindet hinter dem gläsernen Bullauge der Tür. Ich sehe ihm nach, bis eine weitere Tür mir seinen Anblick nimmt. Will rufen, will etwas sagen. Besinne mich. Rede mir ein, ich hätte mich getäuscht. Vergeblich.
Laufe weiter.
Talal. Ich finde ihn auf dem Hof. Er raucht eine selbst gedrehte Zigarette, an den Stamm der Zeder gelehnt. Er hat noch immer den Mundschutz von der letzten OP um den Hals hängen.
Ich komme wieder, sage ich.
Ich weiß, antwortet er und legt seinen Zeigefinger auf meine Nase, fährt dann bis zu meinem Mund, malt die Konturen meiner Lippen nach.
Unterdessen versuche ich mir sein Gesicht einzuprägen, ins Gedächtnis zu meißeln.
Ich könnte bleiben, sage ich, ein wenig atemlos von seiner Berührung.
Nein, kannst du nicht. Sein Gesicht ist ernst, in diesem Moment auch müde und die Augen fallen in tiefe Höhlen.
Ein kalter Hauch streift meinen Nacken, und mit ihm weht der Duft frischer Erde über den staubigen Hof von den heute ausgehobenen Gräbern hinter dem Krankenhaus.
Arezoo. Er sagt meinen Namen sehr bedächtig.
Und als ich mich umdrehe, habe ich seine Stimme in meinem Rücken.
Niemand nach Talal hat jemals meinen Namen so gesagt.
Auf dem Rollfeld des Flughafens beherrscht das Brummen der Motoren meinen Kopf. Ich kann nicht denken, nur die Vibrationen fühlen und werfe einen letzten Blick auf die Stadt.
Die flackernden Lichter am dunklen Himmel sind kein Feuerwerk, und die zarten Berührungen auf meinem Gesicht kein Regen.
Bomben und Asche.
Ich denke an Camil und Talal mit dem Duft frischer Erde in meiner Nase.
Gerade einmal ein paar Stunden lässt man mir um das zu packen, was ich erst drei Monate zuvor im Spind meiner spartanischen Unterkunft verstaut hatte.
Verschärfung der Sicherheitslage. Wir werden alle ausgeflogen.
Zumindest die, die einen europäischen Pass besitzen; und dabei ist es egal, ob die Wurzeln dort oder hier liegen.
Ein letztes Mal streife ich durch die Flure des Krankenhauses. Atme die Betriebsamkeit und sehe all die Hände.
Hände, vom Bett erhoben, in den Himmel gerichtet. Manche flehend, betend. Einige runzelig und alt, voller Schwielen.
Hände greifen Hände. Spenden Trost und Wärme. Und ich vermag nicht zu sagen, ob die fehlenden Medikamente wichtiger sind als diese Hände.
Ein Mann kauert vor dem Bett seines Sohnes. Der Oberkörper gebeugt, versunken in das ewig gleiche Gebet. Allah-o-akbar.
Der Sohn ist tot. Ich weiß es. Sein Brustkorb hat die steten Auf- und Abbewegungen der Atmung längst aufgegeben. Die Augen sind starr an die Decke gerichtet. Ich trete näher und fahre mit der Hand über die Lider. Das Gesicht mit dem dünnen weißen Laken zu bedecken, das bringe ich nicht fertig.
Der Mann richtet einige Worte an mich. Er spricht Paschtu. Ich versuche es mit Farsi. Das versteht er aber nicht.
Ein Land. Keine Sprache.
Respektvoll neige ich stattdessen den Kopf. Er berührt kurz mein Kopftuch, bevor ich mich abwende.
Ich suche nach Talal und Camil, um ihnen zu sagen, dass ich wiederkomme, sobald ich kann und man mich lässt.
Die Tür zum Besprechungsraum steht offen. Ich werfe einen Blick hinein. Henri, einer der französischen Ärzte aus dem Team, sortiert Unterlagen in seine Aktentasche. Er begrüßt mich mit Schwester Arezoo und fragt, ob ich schon fertig sei mit Packen. Ich nicke nur.
Vielleicht sehen wir uns bald hier wieder, sagt er und lächelt leicht.
Ich muss an das kleine Mädchen denken, dessen Bein er amputiert hat und daran, dass ich nie das Entsetzen in seinen Augen vergessen werde, das Hadern mit dem Unabwendbaren. Zu Hause hätte er vielleicht etwas Neues gewagt. Beinerhaltend operiert. Hier aber ist kein Platz für Innovation.
Talal, denke ich und verabschiede mich von Henri, der mit der ersten Maschine fliegt.
Ich gehe weiter auf dem Flur, vorbei an Behandlungsräumen, in denen ich manche Stunde verbracht hatte, vorbei an den Krankensälen mit bekannten und unbekannten Gesichtern.
Talal. Seine schwarzen Augen. Wie Knöpfe im Gesicht eines Schneemannes, denn für einen Afghanen hat er sehr helle Haut. Glatt und weich. Seine großen Hände mit den feinen Fingern. Geschaffen dafür, Arterien wieder zu verknüpfen und feine Nähte zu legen, die keine Narben hinterlassen, außer auf meiner Seele.
Draußen vor den Fenstern ist die Dunkelheit gefallen. Es gibt hier keine Dämmerung. Nur den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Das macht mir Angst.
Camil treffe ich vor dem Operationssaal. Er wirft gerade den getragenen Kittel in die Wäschetruhe.
Ich habe es schon gehört, sagt er. Der Anästhesist hat es mir erzählt.
Ich berühre seine Wange. Der Dreitagebart kratzt meine Haut und weckt Erinnerungen daran, wie es war, als er noch Turban und Vollbart tragen musste unter den Taliban.
Er zieht mich in die Ecke hinter der Schwingtür.
Lächelt, für mich.
Meine Knie werden weich, wollen nachgeben, weil mich die Erinnerung trifft. An einen Camil, der sorglos in die Welt lächelt, für alle. Er hält mich fest in seiner Umarmung, bis ich wieder allein stehen kann.
Ich will ihm doch sagen, dass ich zurückkehren werde. Ein Gefühl kommt plötzlich, hält mich ab: Ich werde ihn nicht wieder sehen.
Er lässt mich stehen, streift einen neuen Kittel über und verschwindet hinter dem gläsernen Bullauge der Tür. Ich sehe ihm nach, bis eine weitere Tür mir seinen Anblick nimmt. Will rufen, will etwas sagen. Besinne mich. Rede mir ein, ich hätte mich getäuscht. Vergeblich.
Laufe weiter.
Talal. Ich finde ihn auf dem Hof. Er raucht eine selbst gedrehte Zigarette, an den Stamm der Zeder gelehnt. Er hat noch immer den Mundschutz von der letzten OP um den Hals hängen.
Ich komme wieder, sage ich.
Ich weiß, antwortet er und legt seinen Zeigefinger auf meine Nase, fährt dann bis zu meinem Mund, malt die Konturen meiner Lippen nach.
Unterdessen versuche ich mir sein Gesicht einzuprägen, ins Gedächtnis zu meißeln.
Ich könnte bleiben, sage ich, ein wenig atemlos von seiner Berührung.
Nein, kannst du nicht. Sein Gesicht ist ernst, in diesem Moment auch müde und die Augen fallen in tiefe Höhlen.
Ein kalter Hauch streift meinen Nacken, und mit ihm weht der Duft frischer Erde über den staubigen Hof von den heute ausgehobenen Gräbern hinter dem Krankenhaus.
Arezoo. Er sagt meinen Namen sehr bedächtig.
Und als ich mich umdrehe, habe ich seine Stimme in meinem Rücken.
Niemand nach Talal hat jemals meinen Namen so gesagt.
Auf dem Rollfeld des Flughafens beherrscht das Brummen der Motoren meinen Kopf. Ich kann nicht denken, nur die Vibrationen fühlen und werfe einen letzten Blick auf die Stadt.
Die flackernden Lichter am dunklen Himmel sind kein Feuerwerk, und die zarten Berührungen auf meinem Gesicht kein Regen.
Bomben und Asche.
Ich denke an Camil und Talal mit dem Duft frischer Erde in meiner Nase.