Der Fleck

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Inge Anna

Mitglied
Der Fleck

Ein brandwichtiger Termin...
Pünktlichkeit hat - ohne Übertreibung - in meiner Lebensführung obersten Rang.
An jenem Morgen allerdings war ich - gewissermaßen unverschuldet - spät dran. Eine Nachbarin hatte mir zum Besuch einer Facharztpraxis ihre Begleitung angeboten, jedoch dann kurzfristig abgesagt. So blieb mir nichts anderes übrig als den Alleingang zu wagen.
Ich griff entschlossen zu meinem unentbehrlichen weißen Taststock und begab mich auf den Weg zur Bushaltestelle.

Nachdem ich eine kurze Wegstrecke bewältigt hatte, vernahm ich plötzlich ein auffälliges Hüsteln dicgt neben mir, das ich zunächst zu ignorieren versuchte. Doch dann fühlte ich mich von dem Räusperer ziemlich unsanft am Arm gepackt und verlangsamte den Schritt. Eine näselnde Stimme drang unangenehm an mein Ohr:
"Hallo, Frau Blindgängerin! Ich sehe einen garstigen Fleck vorn auf ihrer Bluse. So möchten sie doch gewiss nicht rumlaufen - oder? Mal stillhalten - ich beschreibe ihnen die Stelle. Mit etwas Spucke wäre dem Störenfried wohl beizukommen."
noch ehe ich reagieren konnte, betatschte er meine Brust und entfernte sich im Geleit eines wiehernden Lachens.
Da stand ich nun, schockiert. Als sich Empörung Luft zu schaffen begann, trat eine Weibsperson neben mich und meinte:
"Der Herr hat's gut gemeint. Seien sie dankbar und nicht derart aufgebracht."
Es reichte mir. Ich wollte so schnell wie möglich zurück in meine Wohnung.
Auf dem Nachhauseweg ging mir durch den Kopf, dass unter den Fühlern dieses Mistkäfers jetzt tatsächlich ein Riesenfleck auf meiner Bluse prangte - und nicht nur dort.

Kaum dass ich im Haus war, schrillte das Telefon. Ich hob nicht ab, statt dessen holte ich mir eine Schere aus dem Nähkorb und zerschnitt die besudelte Bluse. Danach gönnte ich mir einen 8-stöckigen Kognak.
Hernach ward mir speiübel - vor denen da draußen und wohl auch vom Absinken meiner Selbstwürde.
 



 
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