Der Fluch des Ritters Anastasius

Lucian

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Der Fluch des Ritters Anastasius

„Warte, es ist nicht so wie...“, wie es aussieht, wollte er eigentlich noch hinzufügen. Doch da war die Maid schon schreiend davongestürmt. Diese Reaktion kannte Anastasius nur zu gut. Eigentlich war diese ihm viel lieber, als dass Bauern mit Mistgabeln, Dreschflegeln und Fackeln gelaufen kamen. Dennoch brach es ihm jedes Mal das Herz, wenn ein Mensch vor seinem Anblick reiß aus nahm. Schließlich war er doch auch einer von ihnen. Nun ja, die meisten würden es sicher bestreiten, dennoch fühlte er sich immer noch als Mensch, auch wenn ihn alle Gelehrten, die er bisher aufgesucht hatte, die Menschlichkeit in Abrede stellten.
Anastasius blickte sich um. Der Morgen graute. Es hing zwar noch dicker Nebel über den Feldern, doch war es an der Zeit, sich ein Versteck für den Tag zu suchen. Es war schlicht und ergreifend gefährlich, wenn ihn die Leute des Dorfes, um das er sich herumtrieb, zu Gesicht bekamen. Ein Friedhof mit einer Krypta war immer ein gutes Versteck.
Es dauerte nicht lange, da fand Anastasius den gesuchten Ort. Tatsächlich gab es wohl in dem Dorf eine Familie, die reich genug war, sich eine Krypta leisten zu können. Auch wenn sein Gang schleppend und schlurfend war, verfügte er doch über unsagbare Kräfte, sodass das Schloss an dem Eingang des Grabgewölbes für ihn kein Hindernis darstellte. Es brach nach einem heftigen Ruck an der Tür.
Der Staub in der Kammer verriet ihm, dass hier schon seit Jahren keiner mehr gewesen sein konnte. Es erschien unwahrscheinlich, dass sich gerade heute jemand hier hinein verirren würde. Dennoch kauerte sich Anastasius hinter einem steinernen Sarg zusammen. Mit den Knien bis unter das Kinn gezogen, würde er dort verharren, bis die Nacht hereinbrach. Schlafen musste er nicht und er konnte es auch gar nicht mehr. Nein, nicht einmal sterben konnte er. Seiner Art, zu der ihn das Gesindel zählte, sagte man nach, dass sie nur sterben konnten, wenn man sie enthauptete. Doch würde dabei auch seine Seele Frieden finden? Er wollte dieses Risiko nicht eingehen. Nicht nach all dem, was ihm widerfahren war.
Er blickte hinab auf seine Hände. Die Haut hatte sich in weiten Teilen abgelöst, einige lederne Fetzen hingen noch auf den trocken Muskelsträngen, die sich über seine Knochen spannten. Seine Hände knackten bei jeder Bewegung, es war nur eine Frage der Zeit, da würden sie sich nicht mehr bewegen. Fünfzig Winter hatte er schon in diesem Zustand zugebracht. Es fing alles vergleichsweise harmlos an.
Er war ein Ritter im Dienste des Königs von Abdruelien, von niederem Stand zwar, aber immerhin adligen Blutes. Er Besaß genug Vermögen um sich eigens eine Rüstung anfertigen zu lassen. Ein Statussymbol welches sich die meisten Ritter von seinem Stand nicht leisten konnten, jetzt hing sie in Rost von seinem ausgezehrten Körper. Heute würde er sich als junger Ritter ungestüm und unbesonnen bezeichnen, besessen von dem Streben nach Ruhm. Vielleicht war er damals auch nicht ganz übel anzusehen, denn die Fräulein wurden rot und tuschelten, wenn er vorbei kam. Wie es sich für jeden Edelmann geziemte, war es auch für ihn an der Zeit, sich um die Gunst einer Maid zu bemühen. Es gab auch schon die Eine. Melanda, die schönste Frau am ganzen Hof. Sie hatte rotblondes Haar, eine Haut, so rein und glatt wie Marmor und ein Lächeln, welches selbigen Stein hätte zum schmelzen bringen können. Wenn Anastasius heute noch an sie dachte, verformten sich seine blutlehren Gesichtszüge zu einem Lächeln, dass aufgrund der eingefallen, toten Haut, der zurückgezogen Lippen und seiner tief liegenden Augen, eher wie das freudlose Grinsen eines Totenschädels wirkte.
Vermutlich wusste Melanda um ihre Schönheit und die Kraft ihres Lächelns. Eine Kombination, die ihr eine Macht verlieh, die jeden Magier vor Neid hätte seinen Stab zerbrechen lassen. Eine Frau, die um ihre Schönheit wusste, war sehr gefährlich, dass war Anastasius zumindest heute klar; dennoch verzückte ihn die Erinnerung an Melanda immer noch, auch wenn er sonst nichts mehr spürte. Die beflügelnde Emotion hielt sich jedoch nicht lange, zumindest nicht wenn er an das Ende der Geschichte dachte.
So trug es sich zu, dass sich gerade um Melanda viele Verehrer scharten. Wie garstig dieses Weib doch unter ihrer Oberfläche war, wurde erst klar, als sie zwischen ihren Verehrern Duelle forderte. Diese sollten nur bis zum ersten Blut gehen, aber dennoch...
Die meisten Anwärter zogen ihre Bewerbung darauf zurück. Denn unter ihnen fand sich auch Beltur, der als der beste Schwertkämpfer im Lande galt, dazu noch als der brutalste, und das war noch die freundlichste Bezeichnung seiner Waffenkunst. Unbarmherziger Schlächter traf es viel besser. Dennoch, obwohl er so viele andere Weiber hätte haben können, ließ sich Anastasius auf einen Zweikampf ein. Denn nicht nur seine Liebe für Melanda war entflammt, sondern auch sein Ehrgeiz, um dieses Weib zu kämpfen. Das was er für Liebe hielt, war wohl eher eine blinde Verfallenheit und das, von dem er glaubte es sei Ehrgeiz, wäre wohl besser als Hybris zu bezeichnen. Wie dem auch sei, er fand sich alsbald auf dem Turnierplatz wieder, in dessen Rängen sich viele Schaulustige eingefunden hatte. Darunter auch die ein oder andere Maid, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sich liebevoll um den Verlierer zu kümmern, um so seine Gunst zu erringen. Der Anblick dieser liebreizenden Zuschauer hätte Anastasius daran erinnern können, dass er neben Melanda noch so viele andere Frauen zur Auswahl hatte. Doch jetzt konnte und wollte er nicht mehr zurückziehen. Er würde es Beltur nicht leicht machen, den Kampf zu gewinnen, er trug seine vollständige Rüstung, die ihn ausgezeichnet vor Hieben und Stichen jeglicher Art schützte. Beltur hingegen, sich seines Sieges schon sicher, trug nur ein Kettenhemd und Eisenhandschuhe. Der Rest seiner Kleidung bestand aus Leder. Melanda eröffnete den Kampf. Sogleich wurde es still in der Arena.
„Feigling, versteckst dich hinter deinem Visier!“, spottete Beltur so laut, dass es alle Zuschauer hören konnten, manche lachten laut. Am liebsten hätte Anastasius ihm seinen Helm entgegen geworfen, doch er wollte diesen Schutz nicht leichtfertig aufgeben.
„Dafür wird es dein Blut sein, das den Sand des Bodens benetzt!“, erwiderte Anastasius.
Beltur verengte seine Augen zu schlitzen und schwang sein Schwert. In seinem Kettenhemd war er viel beweglicher, was Anastasius jetzt erst bitter bewusst wurde. Gegen Beltur wirkten seinen Bewegungen plump und unbeholfen. So konnte er auch nur den ersten Schlag abfangen, den sein Widersacher gegen ihn führte. Der Zweite traf seinen Brustpanzer, wobei es laut donnerte. Der Angriff stieß ihn zurück, nur mit viel Mühe konnte er sein Gleichgewicht halten. Es musste erbärmlich aussehen, denn nicht nur Beltur, sondern auch einige der Zuschauer lachten schallend. Wütend schwang Anastasius sein Schwert und stürmte auf seinen Gegner zu, zumindest so weit es seine schwere Rüstung gestattete. Dieser reagierte zu schnell; mit einem mächtigen Hieb schlug er Anastasius Schwert beiseite und warf sich mit der Schulter voran dem Angreifer entgegen. Die Wucht riss Anastasius herum, scheppernd schlug er mit dem Rücken in dem Sand der Arena auf. Schmerzen durchzuckten seinen Körper, die Rüstung war nicht dazu gemacht, darin zu liegen, sodass sich einzelne Teile des Panzers in seinen Körper gruben. Er konnte sich kaum bewegen, geschweige denn aufstehen, das schwere Eisen drückte ihn hinab in den Sand. Durch das verschobene Visier sah er wie Beltur an ihn heran trat. Mit seiner Schwertspitze schob er Anastasius Helm auf und grinste auf den Gefallenen schadenfroh hinab. „Das sollte dich lehren, sich mit mir anzulegen.“
„Noch habe ich nicht verloren, du geistloser Bastard“, bellte Anastasius ihm entgegen, der Kampf sollte bis zum ersten Blut gehen, und bisher war noch keines geflossen, so gab es offiziell noch keinen Sieger. Um seiner misslichen Lage zum trotz dennoch zu gewinnen wollt Anastasius sein Schwert erheben und es Beltur ins Bein rammen, doch diese Bewegungsfreiheit räumte ihm seine Rüstung in dieser Position nicht ein.
„Wenn du dein Blut sehen willst“, erwiderte Beltur gelassen und lies die Schneide zu Anastasius Hals gleiten. Mit sadistischer Freude stieß er die Spitze der Klinge in seine Schlagader. Anastiasus sah erschrocken zu ihm auf. Er spürte die Kühle der Waffe in seinem Hals, der erwartete Schmerz blieb dagegen aus. Als Beltur das Schwert zurück zog, sprudelte das Blut unaufhaltsam aus der tiefen Wunde. „Ich wünsche dir, dass du niemals Ruhe finden wirst, verfluchter Abschaum“, mit diesen Worten spuckte Beltur dem Gefallenen ins Gesicht. Das heiße Blut lief ihm unter die Rüstung, vergeblich versuchte er nach seinem Hals zu greifen und den Blutfluss zu mindern, doch auch dies gestatte ihm seine Rüstung nicht. Das letzte an dass Anastasius sich erinnern konnte, waren viele verschwommene Gestalten, die sich um ihn scharrten, einige versuchten wohl noch die Blutung zustoppen. Ein weißes Licht flammte auf, für einen Moment wurde Anastasius unermesslicher Frieden und Glück zuteil, wie er es im Leben nicht kannte. Dieser Zustand währte nicht lange, denn er fiel hinab, hinab in eine elende und trostlose Dunkelheit.
Diese Erinnerung schmerzte unsagbar. Er fasste sich an seinen Hals, an dem immer noch die Wunde des tödlichen Stoßes klaffte. Auch wenn er schon lange mit seinen Fingern nichts mehr spürte und die Wunde mittlerweile blutleer und die Haut darum vertrocknet und eingefallen war.
Diese Begebenheit war wohl der Grund für seinen Zustand. Das meinte zumindest ein Magier mit Namen Taliesin. Anastasius war ihm vor etwa fünf Wochen begegnet. Damals trieb er sich in der Königskrypta von Foldien herum. Er bemerkte, wie sein Körper immer mehr nachließ und suchte eigentlich nach einem letzten Ruheplatz. Sein linkes Bein mochte nicht mehr, vermutlich war der Hüftkopf bereits verfault, so dass er das Bein hinter sich her ziehen musste. Ein eigenartiges Gefühl seine letzte Ruhestädte aufzusuchen, ohne zu wissen ob man jemals so etwas wie Ruhe finden würde.
In der weitläufigen Krypta des Königs suchte sich Anastasius einen Platz der ihm angemessen Erschien, er legte sich nieder um auf den Tod, oder etwas Ähnliches zu warten. Seine Gedanken hatte er über die Jahre in den Griff bekommen, sie schwiegen wenn er es wollte. Sonst wäre ihm vermutlich die quälende Langeweile bitter aufgestoßen, sein Trotz hätte ihn dazu gebracht sich noch nicht auf zu geben und weiter zu suchen, nach einem Heilmittel das es nicht gab. Als das hatte er die Jahre schon etliche Male durchlebt. Doch diesmal nicht, hier sollte es endgültig vorbei sein. Vielleicht gelang es ihm ja so in Ruhe und Frieden doch noch seinen Weg ins Jenseits zu finden, diese Hoffnung war noch nicht ganz erloschen.
Anastasius hatte nicht mit dem Geistlichen des Königshauses gerechnet, der täglich durch die Gänge der Krypta schlenderte und halbherzig Gebete für die Verstorbenen sprach. Als er den Toten erblickte, der dort nicht hin gehörte und sich noch dazu bewegen konnte, lies er seine Öllampe fallen und nahm, sämtliche Götter anrufend, Reißaus. Anastasius wusste zwar, dass er hier nicht länger bleiben konnte, wenn er nicht zerhackt und verbrannt werden wollte, doch war es zu riskant, sich unter Tags davon zu schleichen. Er musste auf die Nacht warten.
Mit dem Einbruch der Dunkelheit stieg ein Mann hinab in das Grabgewölbe. Ihn umschwirrte ein weißes Licht, sodass Anastasius den Mann gut erkennen konnte. Seine Kleidung war schlicht und doch hochwertig, er trug ein glänzendes Amulett um den Hals, seine langen dunklen Haare waren aufwändig nach hinten ineinander geflochten, in seinen Bart um seinen Mund trug er silberne Perlen und seine smaragdgrünen Augen funkelten im Licht des hellen Scheins. In seiner Linken hielt er etwas, dass zunächst wie ein Spazierstock wirkte.
„Ja, ich spüre es auch“, sprach der Mann offenbar zu dem schwirrenden Licht. „Das ist ungewöhnlich, ich weiß.“
Eigentlich war er hierhergekommen, um zu sterben, doch Anastasius wollte es nicht einem Fremden überlassen, sein Leben zu beenden, nicht auf die weise wie es die Menschen es seid Jahrzehnten bei ihm versuchten. Der Frieden den er in der Gedankenstille fand wäre wohl endgültig dahin, wenn ihn irgend so ein dahergelaufener Abenteurer in Stücke hackte.
Langsam und so leise wie es ging, mit der rostigen Rüstung am Leib, zog sich Anastasius in das Gewölbe zurück in eine Ecke, wobei er vorsichtig sein Schwert aus der Scheide zog. Die Klinge war noch gut in Schuss, da sie nur selten gebraucht wurde. Er lauschte bis er den Mann nah an seinem Versteck vermutete und hinkte so schnell er konnte um den Mauervorsprung. Doch er hatte sich in der Entfernung verschätzt, sein Gehör war nicht mehr das Beste, seit ein Wurm darin Eier gelegt hatte. Der Mann war noch gut zehn Schritte entfernt. Anastasius musste hilflos mit ansehen, wie Flammen aus der rechten Handfläche des Magiers auf ihn zu stoben. Zwei Schritte vor ihm versprengte sich die Feuersbrunst und erloschen wirkungslos an den Steinwänden. Direkt vor Anastasius schwebte das Licht, welches den Magier begleitet hatte, auf und ab. Er traute seinen Augen nicht, als er darin eine zierliche Frauengestalt erkannte, die mit flatternden Flügeln vor ihm schwebte.
„Lyn!“, schrie der Magier. „Bist du wahnsinnig geworden?“, er kam auf sie zugelaufen. „Hab ich dich verletzt?“, er schien ernsthaft besorgt zu sein. Für Anastasius interessierte er sich gar nicht mehr. Die kleine Lichtgestalt schwirrte dem Magier entgegen. Sie schien tatsächlich angeschlagen zu sein, denn ihr gelang es nicht, ihre ursprüngliche Höhe zu halten. Sie ließ sich in die offene Hand des Magiers sinken, der sie sofort an seine Brust nahm, einige unverständliche Worte murmelte, woraufhin die kleine geflügelte Gestalt neu erstrahlte und sich in die Luft erhob. „Mach das gefälligst nie wieder“, schalt sie der Magier liebevoll. „Was? Oh, ja richtig...“
Da trafen die grünen Augen des Zauberers die trüben milchigen Pupillen von Anastasius. „Es tut mir leid“, entschuldigte sich der Magier, wobei er auf den Untoten zuschritt und seine linke Hand ausstreckte. Anastasius der nicht begriff was hier vor sich ging, streckte seine rechte, halb verrottete, halb mumifizierte Hand aus, ein Reflex aus alten Tagen, die der Magier mit bloßer Hand ergriff und zum Gruß schüttelte. „Ich bin Taliesin“, stellte sich der Magier lächelnd vor. „Und noch einmal, es tut wir wirklich leid, dumme Angewohnheit. Alles was einem aus dem Schatten eines Grabgewölbes entgegen springt, nun ja, gut das Lyn viel feinfühliger ist als ich es bin.“
Anastasius fand noch immer keine Worte, er verstand auch nicht was der Magier da sprach und blickte ihn nur verblüfft aus toten Augen an, sein Schwert in der Linken haltend, mit der Klinge nach unten.
„Ich hab erst zu spät erkannt, dass du eine Seele hast“, führte der Magier weiter aus. „Das ist aber auch verdammt ungewöhnlich.“
Es war nicht zu fassen, da gab es offenbar einen Magier, nicht einen von den Hofzauberern, deren höchste Kunst es war, jemanden mit seinen Worten zum einschlafen zu bringen, sondern einen, der sein Handwerk verstand; und er sprach davon, dass er, Anastasius, noch immer eine Seele besaß. Lange schon hatte er an deren Existenz gezweifelt. Nach dem Volksglauben hatten Untote keine.
„Anastasius“, stellte sich der beseelte Ghul vor. Seine Stimme klang so hohl und schaurig wie ein ausgetrockneter Brunnen. Das schien den Magier jedoch nicht zu kümmern.
„Ja Lyn, ist ja gut“, Taliesin grinste amüsiert. „Sie hat offenbar einen Narren an dir gefressen, sie plappert und plappert... Au!“, beschwerte sich der Magier als ihm das Irrlicht gegen die Nase flog. „Sie meint, du seist schon etwa neunundvierzig Jahre verflucht, stimmt das in etwa?“
„Verflucht?“, wiederholte Anastasius, er hatte sich immer gefragt, wie er in diesen Zustand geraten war, auch wenn er öfter an einen Fluch gedacht hatte, war er sich dessen nie so sicher gewesen, wie es Taliesin zu sein schien.
„Erzähl mir deine Geschichte, also vor allem das, was vor deinem Tod geschehen ist“, bat ihn der Magier und lehnte sich an eine staubige Wand.
So lange hatte er sich seit fünfzig Jahren nicht mehr mit einem Menschen unterhalten. Es war ungewohnt und nicht leicht, die halbverweste Zunge dazu zu bringen, Worte zu formen. Während seiner Geschichte setzte sich Lyn auf seine Schulter. Auch wenn er schon lange nichts mehr fühlte, so meinte er doch zu spüren, wie wärme von diesem Wesen ausging.
Als er endete blickte Taliesin auf und erläuterte: „Der Kampf hat eine Verbindung zwischen dir und Beltur hergestellt, seine Verwünschung und seine Spucke in deinem Blut, das Ganze hat dich wohl verflucht. Allerdings braucht es noch einen Auslöser, etwa eine abschließende Verwünschung, um so einen Lehenhaften Flucht zu vollenden, damit ein Untoter wirklich sein Grab verlässt...“
Anastasius dachte kurz nach. „Das erste, an das ich mich erinnere, als ich in meinem Sarg erwachte...“, er musste beim Sprechen immer wieder Pausen einlegen. Ein erbärmliches Schicksaal er war stärker als fünf Männer, aber das Sprechen viel ihm fast so schwer wie einem dem sie die Zunge heraus geschnitten hatten. „...war das Klirren von Bechern und die Stimme von Beltur... wie er sagte: Auf Anastasius, möge er so langsam wie möglich verrotten.“
Taliesin klatschte in die Hände, sein Spazierstock stand dabei von ganz alleine in dem Gewölbe. „Und da haben wir auch den Auslöser!“
Der Magier trat von der Wand. „Anastasius, pass auf mein Freund!“, der Verfluchte hätte am liebsten geweint. „Freund“ hatte in seit Jahrzehnten keiner mehr genannt. „...Ich kenne da eine Nekromantin, Morgayn mit Namen, sie ist eine der Besten, wenn nicht sogar die Beste ihres Fachs. Wenn einer deine Seele von dem Fluch befreien kann, dann sie.“
Anastasius zog die Reste von seinen Augenbrauen nach oben.
„Ich weiß, Totenbeschwörer sind kein angenehmer Umgang, aber sie ist nicht so übel“, beruhigte der Magier.
„Ihr meint, sie kann mich befreien?“, fragte Anastasius überrascht. Als Taliesin nickte, hakte er nach. „Und was wird dann aus mir, ich meine aus meinem Körper?“
„Nun das weiß ich nicht so genau“, gestand Taliesin und überlegte lange. „Vermutlich wirst du sterben“, eröffnete ihm Taliesin seine Annahme rund heraus. „Aber das ist wohl das kleinere Übel“, der Magier warf einen prüfenden Blick auf den Untoten. „Du kannst dich ja jetzt kaum noch rühren. Gehst du diesen Weg nicht, kann dir in ein paar Monaten keiner mehr helfen“, die Worte trafen hart „Ist dein Körper ganz verwest oder zerstört dann wirst du für immer und Ewig zwischen den Welten gefangen sein. Ohne Hoffnung jemals Erlösung zu finden.“
Der Verfluchte erschauderte ob der düsteren Prophezeiung.
Taliesin hatte Anastasius mit einer Wegbeschreibung an den Stadtrand gebracht. Er meinte, dass er gerne mitgekommen wäre, doch unweit ihres Aufenthaltsortes trieb sich ein Wargulf herum, der immer wieder die Nachbardörfer und Städte unsicher machte. Darum müsse er sich dringend kümmern.
Anastasius streckte seine steifen Glieder aus. Durch die Ritzen in der Tür des Eingangs der Krypta fielen Sonnenstrahlen herein und zeigten den Mittag an.
Jetzt war er so nah am Ziel. Hier in diesem Dorf, zu dem der Friedhof gehört, sollte die Nekromantin ihr Zuhause haben. Taliesin meinte, sie würde Gewürze verkaufen und hätte ein Haus, das gleichzeitig ihr Geschäft war, im Zentrum des Dorfes. Eine irre Welt. In seiner Zeit als Ritter hatte er nicht an Feen, echte Magier und Flüche geglaubt. Und jetzt war er um so viele Erfahrungen reicher. Als Untoter hatte er viel erlebt, Abenteuer die er als Ritter vermutlich nicht erlebt oder überlebt hätte; und was hatte er alles überlebt... Da war die Geschichte mit dem Drachen... Er unterbrach seine Gedanken jetzt war das alles vorbei, bald schon würde er seine ewige Ruhe finden. „Es muss jetzt auch genug sein“, sprach er aufbauend zu sich selbst. Seine Worte hallten schaurig in der Krypta wider. Ihm war klar, dass er sich selbst nur beruhigen wollte, denn es war ein seltsam anmutendes Gefühl, sich direkt in seinen Tot zu begeben. Als Ritter hatte er sich zwar auch in gefährlichen Situationen befunden, aber natürlich mit der Hoffnung zu überleben, doch nun... „Wie ein Schwein zur Schlachtbank“, zog er einen treffenden Vergleich. „Nur das ich freiwillig dort hin gehe...“
Was blieb ihm jedoch für eine Wahl? Nur so konnte er Frieden finden.
Was Taliesin wohl gesagt hätte, wenn er davon erfahren hätte was er nach seinem ersten Erwachen als Untoter getan hatte?
Dass er nicht tot war, und dennoch in einem Sarg lag wurde ihm schnell bewusst. Als er sich mit der Verzweiflung eines lebendig Begrabenen gegen die Grabplatte stemmte und diesen tonnenschweren Stein mit Leichtigkeit anhob, wurde ihm zudem noch klar dass er übermenschliche Stärke besaß. Anastasius wusste nicht woher er die Kraft hatte, noch kümmerte es ihn noch länger das er soeben in seinem eigenen Sarg erwacht war, jetzt interessierte ihn nur eines: Vergeltung, für die Schmach der erlittenen Niederlage.
Beflügelt vom Rachedurst, machte er sich auf in die Burg, um diesen so Grausam und erbarmungslos wie möglich zu stillen. Dabei handelte es sich um einen glücklichen Umstand, dass er in seiner Rüstung beigesetzt worden war, mit seinem Schwert, an seiner Seite. Seine Ausrüstung erschien ihm jetzt leicht wie nie.
Niemand konnte ihn aufhalten. Die Wachen, die den Mut hatten sich ihm entgegen zu stellen, hatte nie die Zeit gehabt dies zu bereuen, so schnell fanden sie den Tod. Er platzte mitten in eine Hochzeitsgesellschaft. Beltur und Melanda hatte sich allem Anschein nach heute das Jawort gegeben. Vermutlich hatte ihn Belturs Trinkspruch erweckt. Es war schrecklich auf welche erbarmungslose und grausame Weise er die Hochzeitsgesellschaft heimsuchte. Heute wollte sich Anastasius daran nicht mehr erinnern. Viele der Hochzeitsgäste fanden durch seine Klinge einen schnellen Tod, nur bei Beltur ließ er sich zeit.
Melandas entsetztes Gesicht in dieser Nacht konnte er nicht vergessen. Wie sie ihn angestarrt hatte. Er wollte sie beruhigen und ihr sagen, dass ihr von ihm keine Gefahr drohte. Doch sie hörte ihn nicht, die Furcht über sein Erscheinen war so gewaltig, dass sie sich durch ein Fenster in den Tot stürzte. Ihr Schrei klang heute noch in seinen Ohren.
Dann sah er sich, im Wandspiegel des Saals. Seine Rüstung blutbespritzt, sein Gesicht aschfahl und dunkle Leichenflecken breiteten sich bereits von seinem Haaransatz aus. Seine Lippen zurückgezogen, seine Zähne lagen blank, seine Augen milchig trüb. Er benötigte eine ganze Weile um zu begreifen, dass er das war und nicht eine Ausgeburt der Hölle. Laut brüllend zerschlug er den Spiegel, um sein Antlitz nicht mehr sehen zu müssen.
Über die Jahre war sein Antlitz nur noch grauenerregender geworden. Doch es war, wie Beltur es ihm gewünscht hatte, er verweste ungewöhnlich langsam.
Nun war die Nacht hereingebrochen. Anastasius wartete noch einige Zeit um wirklich sicher zu gehen. Die meisten Menschen verließen des Nachts die Häuser nicht mehr. Früher hatte er das für Aberglauben gehalten, heute wusste er das dies seine Berechtigung hatte.
Anastasius versuchte gar nicht, sich am Tor des Dorfes für einen fahrenden Ritter auszugeben, das war in der Vergangenheit viel zu oft grausam schiefgegangen. Hölzer aus den Palisaden, welche das Dorf umgaben, herauszubrechen, konnten zu laut sein. So entschloss sich der Verfluchte dazu, einfach über die acht Schritt hohen Palisaden hinüber zu steigen. Wenn man übermenschlich stark war und keinen Schmerz spürte, wenn sich das spröde Holz in die Finger bohrte, war das nicht weiter schwer. Schwierig war nur...
Er stürzte Krachend auf der andere Seite herunter. Seine verrostete Rüstung brach dabei in Stücke. Dies war noch lauter, als alles andere was er zur Wahl gehabt hatte, um in das Dorf zu gelangen. Denn das war besagtes Schwierige dabei, mit einem Körper den man nicht spürte, oben über die Palisaden hinweg zu steigen.
Anastasius wollte sich erheben. Er musste hier so schnell wie möglich weg, wenn jemand den Lärm folgte, war alles aus. Doch es ging nicht. Als er an sich herunter blickte sah er wie sich der geborstene Knochen seines Oberschenkels durch das vermoderte Wams geschoben hatte. Es war ausgerechnet das Bein, das ihn noch getragen hatte.
„Werter Rittersmann, geht es euch gut?“, erkundigte sich eine besorgte Stimme. Eine junge Frau, war in die Gasse, zwischen Häuser und Palisade, getreten.
„Es ist gut“, versuchte er sie los zu werden. „Geh deines Weges.“
„Wartet, ich helfe...“, doch da stockte sie schon. Der Geruch der von ihm ausging war nicht zu unterschätzen. Das matte Licht des Mondes reichte zu dem aus um zu erkennen was er war. Das junge Ding kreischte Markerschütternd auf und ergriff die Flucht. Sie kam nicht wieder, statt ihrer zwei Wachen mit Hellebarden, auf den gestürzten Verfluchten gerichtet. Die Beiden hatte der Lärm seines Aufpralls wohl ebenfalls angelockt.
„Verdammt noch eins, ein Ghul“, erkannte die eine Wache sofort.
Anastasius, der versucht hatte in die andere Richtung davon zu kommen, in dem er über den Boden kroch, blickte sich um. Aber er sah sich aus der anderen Seite der Gasse von der Dorfmiliz umringt, die mit Mistgabeln und Fackeln bewaffnet waren. Diese waren wohl ebenfalls herbeigeeilt, weil sie mit einem Angriff auf ihr Dorf rechneten. Der Anblick der sich ihnen bot war erbärmlich und grauenerregend zugleich. Ein gefallener Ritter in einer zerschmetterten Rüstung. Der über den Boden kroch. Sein verwesender Leib war nur zu deutlich zu erkennen und wies ihn als das aus was er war, ein Untoter. In den Augen der Dorfbewohner ein seelenloses Ungeheuer.
„Bitte, ich...“, flehte er, als die Dörfler schon mit allerhand spitzem Gerät auf ihn eindrangen. Er spürte nicht, wie ihn die scharfen Zinken von Mistgabeln in den Leib fuhren. Es schmerzte dennoch, auf einer ganz anderen Ebene, er war so weit gekommen, mit der wieder gewonnen Hoffnung auf Erlösung, die er einst schon lange aufgegeben hatte, nur um dann so ein Ende zu finden. Die Menge brüllte, als sie auf ihn einschlugen. In dem Lärm ging sein Flehen ungehört unter. Als ihm ein Dreschflegel den Kiefer zertrümmerte gab es keine Möglichkeit mehr, die Menschen darauf hinzuweisen das er anders war.
Ohne Hoffnung lies er sich niedersinken. Es war aus. So kurz vor seiner Befreiung würde er scheitern. Sein Körper wurde von den heftigen Schlägen hin und her gerissen. Seine Augen zerstochen seine Gehörgänge zertrümmert.
Er hörte und sah nichts mehr und doch, er war noch hier. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, in der ihn haltlose Gedanken quälten die ihn unaufhörlich an seine lächerliche Hoffnung erinnerten und an sein erbärmliches Ende. Er der untote Ritter Anastasius, Bezwinger von so viel unsagbar Bösem, Kämpfer gegen den Drachen, sollte nun sein Ende finden, im Schlamm einer Gasse, erschlagen von ein paar verängstigten Dorfbewohnern, so kurz vor seiner Erlösung. Da stockten seine Gedanken, er verlor nur zum ersten Mal seid fünfzig Jahren das Bewusstsein. Er sank in den Schlaf, den letzten Schlaf...
So also sollte es enden, die Geschichte eines unglücklich Verfluchten. Gescheitert nach fünf Jahrzehnten der Ruhelosigkeit, auf den Weg zum Seelenfrieden.
Und doch…?
Nein, was war das? Ein Licht, es wirkte vertraut. Darin eine Frauengestallt, die ebenfalls wie Licht erschien, sie lächelte und winkte ihn zu sich. Ein Engel? Aber sie hatte die Flügel einer Libelle. Sie flatterte davon. Anastasius blickte sich um. Über sich sah er etliche Kräuter die zum trocknen aufgehängt waren. Überall an den Wänden in Regalen befanden sich Töpfchen und andere Behältnisse. In einigen Gläsern schien sich etwas zu bewegen.
Er hatte nicht die Zeit sich über seine Sehschärfe zu wundern, mit der er alles wahrnahm, denn da betrat eine alte Frau den Raum, sie ging gebeugt an einem Stock. Das Alter hatte ihr Gesicht mit Falten gezeichnet. Die Greise Frau wirkte zierlich und gebrechlich. Doch ihre klaren Saphirblauen Augen passten nicht in das Bild, es waren die Augen einer viel jüngeren.
„Ich weiß, ich wirke recht tattrig“, sprach die Frau mit zitternder Stimme. „Du solltest mich sehen wenn ich jünger bin, ein Recke wie du es bist, wäre mir sofort erlegen“, ihr süffisantes Lächeln fand in seiner Zahnlosigkeit jähen Abbruch. Sie kam auf ihn zu und setzte sich zu ihm an den Rand des Lagers. Er spürte wie es unter dem zierlichen Gewicht der Frau etwas einsank. „Lyn hat mir deine Geschichte erzählt“, plauderte die Frau so dahin, während sie einen seiner Arme ergriff und den fest angelegten Verband löste. „Sehr ergreifend.“
Aber Anastasius achtete gar nicht auf die Frau, denn er spürte zum erste mal etwas, wie sich der Verband löste und dann sah er seine Hand, aus Fleisch und Blut. Er spürte die Kühle Luft die an seine rosige Haut drang.
„Das sieht doch schon mal recht gut aus“, lobte die Nekromantin ihre Arbeit. „Noch ein paar Tage und ich habe dich wieder hergestellt.“
„Ich werde wieder ein ganz normaler Mensch sein?“, er staunte über seine Stimme, sie klang so vertraut, aus längst vergangener Zeit, wie aus einem anderen Leben.
„Aber sicher“, beteuerte die alte Frau, als sei es selbstverständlich. „Und mach dir keine Sorgen um die Bezahlung, Taliesin ist bereits dafür aufgekommen“, sie lächelte verträumt. „und wie...“, sie kicherte wie eine verliebtes Mädchen.
Lyn flatterte herein, mit ihr betrat auch der Magier, den er in der Krypta kennengelernt hatte, den Raum. Das Bild des lächelnden Mannes verschwamm vor seinen Augen. Heiße Tränen rannen über seine Wangen, zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert...
 



 
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