Der Fund

3,50 Stern(e) 2 Bewertungen

Andi

Mitglied
Der Fund
Professor Schwund war Archäologe und einer der ganz Großen seines Fachs. Wäre er ein paar Jahrzehnte früher geboren, er hätte vielleicht sogar Troja entdeckt oder die Grabkammern Tut-ench-Amuns.
Schwund war für seine streng wissenschaftliche Vorgehensweise sowie für seine Fortschrittlichkeit bekannt. Die ständigen Zeitreisen hin und her durch die Jahrtausende hatten einige seiner Kollegen ein wenig wunderlich werden lassen. Manche hatten begonnen, an Seelenwanderung, Reinkarnation und anderen Unsinn zu glauben. Schwund dagegen wendete nur modernste Forschungsmethoden an. Er kannte sich mit Nanotechnik und Quantenphysik ebenso gut aus wie mit Computerdiagnostik. Wenn er seine Ausgrabungen wissenschaftlich exakt bestimmt hatte, war er zufrieden. Welche Mythen das Leben in grauer Vorzeit beherrscht, woran die Menschen früherer Kulturen geglaubt hatten, interessierte ihn wenig.
Schwund hatte einige bedeutende Erfolge aufzuweisen, aber sein letzter Fund versprach, alles Bisherige in den Schatten zu stellen.
Auf einer Autofahrt durch Ägypten hatte sein computergestütztes satellitengesteuertes Fundstättensuchsystem, das er höchstpersönlich entwickelt hatte, plötzlich zu piepsen und zu blinken begonnen. Schwund war ausgestiegen. Nach einer Weile hatte er schließlich die kleine Höhle entdeckt.
Nie hätte er oder einer seiner Kollegen in dieser Gegend eine Grabstätte vermutet. Die ganze Anlage war untypisch. Kein Gedenkstein, keine Pyramide, keine Hieroglyphen, nichts - nur dieser unscheinbare Höhleneingang. Drinnen allerdings wie gewohnt zuerst eine Vorkammer, die er fachmännisch öffnete, um keine wertvollen Reliefs zu zerstören, dann die eigentliche Grabkammer.
Schwund stockte der Atem. Nicht etwa wegen der unermesslichen Reichtümer, die hier angehäuft waren, nein, die Grabkammer war bescheiden, ja spartanisch ausgestaltet. Was ihn verblüffte, war der einmalig gute Zustand, in dem sich der Sarg befand. Er wirkte nagelneu.
Eigentlich hätte Schwund jetzt innehalten, seine Mitarbeiter informieren sowie seine Messinstrumente und Spezialwerkzeuge holen müssen. Aber diesmal konnte der Professor, der sonst so sachlich, so wissenschaftlich vorging, weder seinen beruflichen Ehrgeiz noch seine Neugier bezähmen. Behutsam öffnete er den Sarg.
Zu seinem großen Erstaunen erblickte er keine kunstvoll einbalsamierte Mumie, sondern ein schlichtes, schwarzes Leichentuch. Als er das Tuch zurückschlug, lag ein Mann vor ihm. Obwohl der Tote deutlich älter schien als er selbst, ähnelte er ihm in unglaublicher Weise. Er hatte einen Schmiss quer über die linke Wange. Eine solche Narbe hatte sich Schwund an genau gleicher Stelle als Student in einer schlagenden Verbindung zugezogen. Der Leichnam trug seinen besten Anzug, einen dunkelblauen Zweireiher mit Weste, seine silbergraue Krawatte und die silbernen Manschettenknöpfe, die ihm seine Eltern zur Konfirmation geschenkt hatten.
„Nicht zu fassen“, stammelte er. „Tja, da wunderst du dich“, antwortete eine Stimme. Sie klang wie seine eigene. „Ich bin du, oder vielmehr, ich bin der, der du einst nach deinem Tod sein wirst oder gewesen sein wirst, wie man’s nimmt. Du Trottel, mit deiner ewigen Fortschrittlichkeit. ‚Ich bin meiner Zeit weit voraus’ hast du überall geprahlt. Jetzt bist du deiner Zeit so weit vorausgeeilt, dass du dein eigenes Grab geschändet hast. Zieh dich schleunigst wieder in deine Zeit zurück, wie sich’s gehört, aber deck mich vorher zu und schließe meinen Sarg oder deinen, wie man’s nimmt.“
Mit zittrigen Fingern tat Schwund wie ihm geheißen. Dann eilte er aus der Höhle, verbarrikadierte den Eingang mit Steinen, die er zur Tarnung mit Sand bedeckte. Nichts ließ mehr darauf schließen, dass sich hier eine Grabhöhle befand.
Von einem Tag auf den anderen stellte Professor Schwund jede praktische Forschungstätigkeit ein. Er lehrt jetzt an der Universität. Die anderen Dozenten betrachten ihn als seltsam verschrobenen Kauz. Meistens zieht er sich in die Bibliothek zurück und brütet über geheimnisvollen mittelalterlichen Manuskripten oder Papyrusrollen aus der Antike. Angeblich beschäftigt er sich mit Präkognition und Exsomatose, außerdem mit Synchronizitäten, Telekinese und Alchemie.
Kurz, ein esoterischer Spinner, wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen. Bei den Studenten aber ist er besonders beliebt. Er vermag nämlich die Sitten und Gebräuche, das Denken und Fühlen der alten Ägypter in seinen archäologischen Vorlesungen so spannend und überzeugend darzustellen, als wäre er selbst dabei gewesen. Ägypten, seine ehemalige Wirkungsstätte, will er jedoch nie wiedersehen, nicht einmal im Urlaub.
 

Rainer

Mitglied
hallo andi,

auf grund der maßlosen übertreibungen ist dein doch wohl eher eine satire, oder?

viele grüße

rainer
 

Andi

Mitglied
hallo, rainer,
danke für deine rückmeldung. ich finde diesen text eher skuril als satirisch. zu den kurzgeschichten passt er wohl nicht, vielleicht unter sonstige prosa? liebe grüße, andi
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo.

das ist eine nette kleine schmunzelgeschichte. aber du tätest deinen lesern einen großen gefallen, wenn du sie stärker gliedern würdest. so eine bleiwüste liest sich schwer. aber weil ich mich so gut amüsiert habe, geb ich dennoch eine 7.
lg
 

Andi

Mitglied
hallo flammarion,
danke für die freundliche rückmeldung und den hinweis auf mangelnde gliederung. ich lese immer alles in schriftgrad 'sehr groß', da ist es mir gar nicht aufgefallen. liebe grüße, andi
 



 
Oben Unten