Der Geburtstag

Rupert Davis

Mitglied
...also irgendwie gefällt mir die Geschichte selbst nicht so recht, aber ich weiß noch nicht wirklich wieso. Vielleicht bringt mich eure Kritik auf die richtige Spur.
Viel Spaß!



Die Luft stand still und roch steril. Das dämmrige Licht, das die eingebrochene Nacht in den fensterlosen Flur holte, überzog den Linoleumboden mit einem grünlichen Schimmer. In gleichmäßigen Abständen säumten große, schwere Türen den Gang. Dutzende Bilder zerrissen die kalte, geometrische Struktur. Nachdrucke bekannter Künstler, kritzelige Kinderbilder und Panoramafotos von schönen Orten bäumten sich gegen die zähflüssige Agonie der Umgebung auf, doch das Leiden schien unter jeder Tür hervorzudringen. Es war ein Krankenhausflur wie jeder andere.
Die Schritte der vier Freunde waren zielstrebig und gleichzeitig zurückhaltend. Mark, der sich am Kopf der Gruppe befand, hielt eine kleine, liebevoll verzierte Torte in
seiner linken Hand. Christian folgte ihm an seiner Seite und achtete darauf, immer etwas hinter ihm zu bleiben. Nadine und Katrin hielten sich gänzlich im Hintergrund. In ihren Gesichtern spiegelte sich traurige Entschlossenheit.
Vor einer der großen Türen hielten sie inne. Mark atmete tief durch und straffte sich. Seine Augen blieben für einige Herzschläge an der kleinen Torte in seiner Hand haften. Er wollte anklopfen, doch Katrin hielt ihn in letzter Sekunde zurück.
»Mark...« Mehr brachte sie nicht heraus. Irgendetwas schien ihr die Kehle zuzuschnüren. Mark senkte seinen Arm und sah sie verständnisvoll an. Die Trauer in ihrem Gesicht spiegelte sich in seinen Augen. Er seufzte.
»Nein«, sagte er und kämpfte gegen den Kloß in seinem Hals an. »Wir wollten nicht mehr darüber reden, Katrin. Wir wollten kein Wort mehr darüber verlieren.«
Sie nickte. Ein Teil von ihr fügte sich der Abmachung, aber ein viel größerer Teil
wollte ausbrechen, aufspringen und laut schreien.
»Aber wenn die Ärzte...?«
»Glaub mir, es wird niemand etwas bemerken.« Er sah sie mit festem Blick an, nickte ihr aufmunternd zu und musterte seine anderen beiden Freunde. Nadine und Christian starrten ihn stumm an und nickten zaghaft in schweigsamer Zustimmung. Jeder aus der Gruppe fand seine Gefühle in den Mienen der anderen wieder. Mark wandte sich erneut der großen Tür zu. Sein Herz schien für eine Sekunde auszusetzen. Er klopfte an. Das massive Holz der Tür verschluckte das Pochen. Ohne auf eine Reaktion zu warten, drückte er die schwere Klinke nach unten und schob die Tür auf. Dahinter war es dunkel.
»Happy Birthday to you!«, posaunte er mit raustimmiger Heiterkeit in den Raum. »Happy Birthday to you«, stimmten die anderen mit ein und drängten sich nah beieinander in die beklemmende Finsternis. »Happy Birthday lieber Basti, Happy Birthday to you.«
Eine kleine Lampe über dem Nachttisch neben dem hohen Krankenbett warf einen fahlen Lichtkegel und ließ die restlichen Wände des Zimmers in der Dunkelheit verschwinden. Bastian hatte sein Kopfende aufgerichtet. Das Gesicht war blass und eingefallen, ausdruckslos und ausgemergelt. Es erinnerte an einen mit Haut überzogenen Totenschädel. Die kleinen, glasigen Augen hatten sich in tiefe dunkle Höhlen zurück-gezogen. Der Rest seines Körpers verschwand unter der schweren weißen Decke. Er brachte ein gequältes, mattes Lächeln auf sein Gesicht, als sich das kleine Grüppchen schüchtern am Fußende des Bettes versammelte. Mark
räusperte sich, als er sich der Last der kleinen Torte in seiner Hand wieder bewusst wurde. Sie gab ihm das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
»Wie geht es dir?«, fragte er und bemühte sich um einen heiteren Tonfall. Im selben Moment zuckte er zusammen, als er die perfide Gedankenlosigkeit seiner Frage erkannte. Vielleicht war es Hoffnung.
Basti versuchte sich an einem weiteren Lächeln, das sein Gesicht in eine bizarre Maske verwandelte. »Prima«, sagte er mit schwacher Stimme.
»Wir haben dir eine Torte gemacht!« Die Worte verließen Marks Mund nur zögerlich.
»Wow«, keuchte Bastian, gefolgt von einem leichten Hustenanfall, doch der schmale Strich seiner Lippen, der in diesem Gesicht das Lächeln darstellte, wollte sich immer mehr in seiner Miene manifestieren. Allmählich schien hinter der gespenstischen Maske die Freude hindurch. Freude, die ihn für einige Sekunden die Schmerzen vergessen lassen könnte, die ihn plagten.
»Setzt euch«, sagte er gepresst und sein Kopf deutete ein kaum wahrnehmbares Nicken an. Bedächtig suchte sich die kleine Gruppe vier Stühle aus dem Raum zusammen und verteilte sich an die Seiten des Bettes. Mark saß am nächsten zu Bastian und begann mit einem Taschenmesser, die kleine Torte in mundgerechte Stücke zu teilen. Christian zog einen eingeschweißten Kuchen aus seiner Tasche. Die Torte war für Bastian, diesen Kuchen hatten sie
für sich mitgebracht. Zitronenkuchen. Sie hatten sich darauf geeinigt, weil keiner von ihnen Zitronenkuchen mochte. Mark legte die kleine Torte behutsam auf der Bettdecke ab und wünschte sich, dass Bastian noch die Kraft aufbringen könnte
selber zu essen. Er wollte ihn nicht füttern müssen, er hätte es nicht gekonnt. Unter sichtlicher Anstrengung kämpfte Bastian gegen die schwere Decke an, die seine Arme unter sich begrub. Er nahm seine ganze Kraft zusammen und bäumte sich gegen die erdrückende Last, gegen die aufwallenden Schmerzen auf. Immer wieder peitschten die grässlichen Stiche durch seinen Körper, zerrissen den lähmenden Schleier seines morphiumgetränkten Körpers. Aber er bekam seine Arme frei und lächelte zufrieden. Er wollte nicht gefüttert werden, er wollte es selber tun.
Währenddessen hatten die anderen den Kuchen aufgeteilt und sie begannen gemeinsam zu essen. Bastian aß seine Torte mit Genuss, auch wenn ihm die letzten Stücke sichtlich Mühe bereiteten. Sie unterhielten sich über die Dinge, die sie gemeinsam erlebt hatten, die Katastrophen, die sie durchgestanden hatten und sie lachten oft, auch wenn die bedrückende Traurigkeit, die das Zimmer durchflutete, sie
schnell wieder verstummen ließ. Nach jedem dieser kurzen Triumphe der Heiterkeit entstand eine unheimliche Stille.
»Ich bin müde«, beendete Bastian die letzte dieser lautlosen Pausen, »es ist besser, wenn ihr geht.«
»Sicher«, sagte Mark und nickte ihm zu, als würden sie sich morgen wiedersehen.
Er erhob sich nur langsam von seinem Stuhl und die anderen folgten seinem Beispiel zögerlich. Nur Katrin blieb sitzen und fixierte Mark mit ihrem Blick. Sie wollte noch einen Moment bei ihm bleiben. Niemand sagte mehr etwas, aber alle ließen sie ihren letzten Blick eine Weile fest auf Bastian ruhen, bevor sie den Raum verließen.
Katrin griff nach Bastians dünner, blasser Hand und sah ihm tief in die Augen, sah den unvorstellbaren Schmerz und die Qualen dahinter. Sie begann sich ein wenig besser zu fühlen.
»Bastian...« Sie konnte den Satz nicht fortführen. Und wenn sie es gekonnt hätte, sie hätte nicht gewusst, was sie hätte sagen wollen.
Bastian deutete ein Nicken an. »Ihr seid die größten Freunde, die man haben kann.« In seiner Miene leuchtete etwas auf, durchbrach den vom Schmerz gezeichneten Ausdruck auf seinem Gesicht, verbannte die Qualen für einen Moment und ließ ihn beinahe glücklich erstrahlen. »Ich werde euch das niemals vergessen.« Seine Stimme wurde immer schwächer, war kaum noch hörbar. »Niemals!«, wiederholte er. Katrin wandte sich von ihm ab, um die Tränen zu verbergen, die sie nicht mehr zurückhalten konnte.
»Danke«, keuchte Bastian und nahm all seine Kraft zusammen, um seine Hand fest um ihre zu schließen. Katrin spürten den leichten Druck und sah ihm in die Augen. Sie waren matt geworden, matt und müde.
»Das war der schönste Geburtstag...«, seine Stimme versagte, aber Katrin nickte und brachte ein erleichtertes Lächeln zustande.
»Geh...«
Sie schluckte und stand ganz langsam von ihrem Stuhl auf, ohne ihre Augen von ihm zu nehmen. Einige Herzschläge stand sie einfach so da und hielt seine Hand. In seinen Augen, hinter dem matten Schleier erkannte sie unendliche Dankbarkeit. Dann ließ sie seine Hand langsam zurück auf die Decke gleiten und wandte sich mit einem Lächeln von ihm ab. Sie schritt durch den Raum auf die Tür zu. Sie wollte rennen, aber sie war wie gelähmt. Sie öffnete die Tür und das dämmrige Licht flutete in den Raum. Sie trat auf den Flur, wo die anderen auf sie warteten und schloss die Tür ganz leise hinter sich. Kaum hörbar rastete das Schloss ein. Sie stürzte herum und fiel Mark mit tränenüberströmtem Gesicht in die Arme. Auch er weinte und drückte sie fest an sich, legte seine Hand an ihren Hinterkopf.
»Es war richtig«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wir haben das Richtige getan.«
»Es war sein größter Wunsch...«, schluchzte Katrin dumpf und war diesesmal wirklich selbst von dem überzeigt, was Mark ihr immer wieder gesagt hatte.
Mark nickte, die Tränen rannen über seine Wangen. »Es war der einzige, den er noch haben konnte.«
 

Rems Florian

Mitglied
Hi Rupert Davis,

also so schlecht find ich die Geschichte gar nicht. Sie liest sich durchgängig flüssig und man fühlt sich ein wenig in die traurige Atmosphäre hinein. Nur die Einführung wirkt in meinen Augen ein wenig zäh. Aber sonst gibt es nicht viel auszusetzen.
Einen Vorschlag hab ich noch, der aber nicht unbedingt als Verbesserungsvorschlag angesehen werden muss.
Man könnte doch den Kampf von Basti gegen die Schmerzen noch ein wenig unterstreichen, auf seinen von der Krankheit gestärkten Willen zu sprechen kommen. Aber wie gesagt, keine wirkliche Verbesserung, nur ein Anreiz so zu sagen.

Rems Florian
 

Rupert Davis

Mitglied
ha, da sagst du was...

hallo florian,

danke erstmal fürs lesen und schreiben!
ja, da sagst du wirklich was, denn ich habe es genau umgekehrt gesehen: am anfang erstmal atmo, atmo, atmo. man kann gar nicht genug diese drückende grundlage der geschichte darstellen.
allerdings könnte es auch sein, das du meinst, dass am anfang der geschichte recht lang der eigentliche plott im unklaren bleibt. wir haben einen ort, von dem der leser nicht weiß, was die charaktere dort wollen. sie reden über dinge, die der leser nicht versteht, sie haben also kein ziel und kein motiv (jedenfalls nicht aus sicht des lesers).
ich dachte damit den eindruck einer eingeschworenen gruppe besser rüberbringen zu können. der leser selbst ist eben ein wenig aussen vor. ich muß dir allerdings zustimmen, das der leser in der beziehung recht schnell ungeduldig wird. mir selbst würde es wohl nicht anders gehen. allerdings fällt es mir eben schwer, meine eigenen geschichten als leser zu erleben. in der beziehung hast du mir also schonmal sehr weitergeholfen!
naja, und dann, die sache mit basti und seinem leiden, da dacht ich mir, bloß nicht zu lange darauf herumreiten, bloß nicht zu deutlich werden, um den "ist ja gut, ich (leser) habs langsam begriffen" effekt zu vermeiden!
aber du meinst also, das wäre noch erweiterungsfähig?
nun gut, gefährlich daran ist aber das man schnell triefig wird. vielleicht ist es mal eine herausforderung, das zu versuchen, ohne gleich allzusehr auf die tränendrüse zu drücken. müßte eigentlich ganz gut funktionieren, indem man einen eher kühlen, nur beschreibenden schreibstil wählt und einfach kalt die dinge zeigt wie sie sind, ohne groß auf die emotionale zu kommen und entsprechend "schwere" wörter und gefühlsmetaffern mit einzubinden.
allerdings, kann ich dabei nicht auf den "von seiner krankheit gestärkten willen" eingehen. dieser satz ist mir gleich ins auge gesprungen und führt mich zu der frage: hat es denn auf dich so gewirkt, als wenn sein wille durch die krankheit gestärkt wäre?
wennn ja, wäre es toll, wenn du mir ein paar stellen nennen könntest, von denen du meinst das das so rüberkommt. sein wille ist nämlich alles andere als gestärkt von dieser krankheit.
denn, und ich hoffe das ist rübergekommen, sein größter wunsch war ja, von seinen qualen erlöst zu werden. unzwar durch die einzige möglichkeit die er sah: den tod. das ist sein größter und einziger wunsch, aber er selbst kann ihn nicht mehr verwirklichen, deshalb haben seine freunde ihm ja diese torte gemacht! seine letzte torte, sein letzter wunsch...

danke erstmal und viele grüße,

rupert
 
R

Rote Socke

Gast
Hallo Rupert!

Ersteinmal: Da ist Dir eine starke, bewegende Geschichte gelungen. Die Einführung nicht schlecht und niemals langweilig. Sehr begeistert war ich vom Spannungsaufbau.

Was mir an abgestochenen Worten auffiel, will ich Dir gerne kurz nennen. Musst aber selbst wissen, ob diese Stellen trotzdem so bleiben sollen oder Du was ändern willst:

(zähflüssige Agonie) Hm ich weiß nicht. Solche Ausdrücke vermitteln mir gern das Gefühl, dass der Autor mit etwas Gewalt der Story einen intelektuellen Stil verpassen will. Es gibt sicher Texte wo gewisse gehobene Ausdrucksformen Verwendung finden sollen/müssen, aber nicht in diesem Text, er ist sehr lebendig, das genügt.

(perfide) ist an dieser Stelle überflüssig

(seiner Miene manifestieren) unnötig schwülstiger Ausdruck

Sonst gefällt mir alles prima.

Schönen vorweihnachtlichen Gruß
Volkmar
 

Rems Florian

Mitglied
Hi Rupert,

tut mir leid, dass mein Beitrag n'bisschen auf sich warten hat lassen. Und jetzt tut's mir nochmal leid, weil ich nämlich was falsch verstanden hab. Mein Fehler. Ich hatte einfach das Gefühl, Basti würde sich nicht unterkriegen lassen wollen. Ich als Optimist...

mach auf alle Fälle weiter so!

Rems Florian
 



 
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