Der Globus-Teil 1

knychen

Mitglied
Der Globus- Teil 1

Ganze drei mickrige Anrufe hatte ich auf meine Annonce bekommen.
„Globus zu verkaufen, alt, dekorativ, ca.30cm hoch, einfach mal ansehen,1000DM VB, Tel.030/...........“
Nachdem zwei der Anrufer- ein Schüler, der eigentlich einen beleuchteten Globus suchte und eine ältere Dame, die ihren Mann, einen pensionierten Geografielehrer, mit dem Stück zum Geburtstag überraschen wollte und gehofft hatte, der Preis wäre ein Druckfehler- ziemlich schnell wieder absprangen, meldete sich der Dritte im Bunde mehrmals und schließlich konnten wir uns auf einen Termin einigen. Wir wählten eine Musikkneipe in Neukölln, weil man dort draußen sitzen konnte,
ohne großartig vom Straßenverkehr belästigt zu werden. Es war September und die Abende luden zum Freiluft-Bier ein.
Den Mann, am Telefon nannte er sich Jamsir Gottok oder so ähnlich, übrigens fast ohne Akzent, hatte ich gebeten, ein bisschen Zeit mitzubringen, denn ich wollte ihm, in dem ich einen verständnisvollen Sammler vermutete, die Geschichte des angebotenen Stückes erzählen.
Er machte zwar nicht direkt Ausflüchte, schob keine Termine vor, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, er war nur an dem Stück interessiert, nicht an der Geschichte. Dabei war sie in diesem Falle immens wichtig und ich musste sie endlich einmal los werden.
Wir trafen uns an einem späten Samstagnachmittag. Fast zur gleichen Zeit bogen wir aus zwei unterschiedlichen Richtungen in den Eingangsbereich des „Dilemma“. Der Einfachheit halber hatte ich mich als klein, langhaarig und blond bezeichnet und dass ich wahrscheinlich abgeschnittene Bundeswehrhosen und ein schwarzes Tuch um den Kopf tragen würde. Nicht gerade die beste Kleidung um seriös zu wirken, wie ich im Nachhinein zugeben muss, aber ich wollte hinterher noch um die Blöcke ziehen und meinen Profit verfeiern, denn dass der Mann den Globus kaufen würde, war sicher.
Also wir trafen uns an der Tür zur Kneipe und er sprach mich sofort an.
Shake-hands, ein Schultheiß für mich und ein Wasser für ihn bestellen und dann holte ich das Teil aus dem Rucksack.
Der Globus lag immer noch in dem Pappkarton, den der Trödler mir damals zur Verfügung gestellt hatte.
„Herr Gottok- so war doch der Name ?- hätten sie etwas dagegen, wenn ich zuerst alles erzähle, was ich über dieses seltsame Gerät weiß und es dann erst zeige?“
„Herr Wade- so war doch der Name ?- lassen sie mich kurz in den Karton sehen; wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege und der Inhalt dem entspricht, was ich zu sehen wünsche, werde ich mir mit Vergnügen ihre Geschichte anhören, ihre Getränke bezahlen und ihnen zum Schluss diesen Umschlag übergeben. Über den Preis werde ich nicht diskutieren.“ Dabei lächelte er in einer Form, die in manchen Romanen als ölig bezeichnet wird.
Ich fand, dass das nur fair wäre und öffnete den Pappdeckel. Er schaute wirklich nur ganz kurz hinein. Sichtlich befriedigt lehnte er sich dann zurück und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er ganz Ohr wäre.
Die Bedienung brachte das Bier und das Wasser, ich holte mir eine Gauloise aus der Schachtel, bot ihm ebenfalls eine an, die er dankend ablehnte, und begann.
„Es war letztes Jahr im Spätsommer. Wir waren wie immer in Frankreich unterwegs, meine Freundin und ich, und gerade auf dem Weg von Pont Saint Esprit nach Mende, der Hauptstadt des Departements Lozere. Da wir völlig ohne Zeitdruck waren, fuhren wir auf winzigsten und unbedeutendsten Straßen fast entlang der Luftlinie und kamen ungefähr zwanzig Kilometer vor Mende bei der kleinen Ortschaft Laubert auf die Nationalstraße 88. Es war erst früher Nachmittag und genau die richtige Zeit für einen Grande Creme. Die Straße würde nun in immergleichen Serpentinen die restliche Strecke gestalten und irgendwie hatte ich die Erinnerung an einen oder zwei Gasthöfe auf diesem Stück im Hinterkopf.
Und richtig, ich hatte noch nicht das erste Mal komplett hochgeschaltet, da stand schon ein verwittertes Schild mit der Aufschrift: ANTIK-BROCANTE 0,5 à droite.
Das heißt ja eigentlich nichts weiter, als das uns nach circa 500 Metern ein Mittelding zwischen Antiquitätenhandel und Trödler erwarten würde, aber erfahrungsgemäß stehen irgendwo auf dem Grundstück zwei, drei der überall vorhandenen ehemals weißen Plastikstapelmöbel und ein Kaffee, wenn auch in ranzigen Tassen , wäre nicht mehr weit.
Das Anwesen lag in einer Rechtskurve. Mit der Rückseite an die Schieferfelsen geduckt und an der Vorderseite von ausladenden Platanen beschattet, bot es einen idyllischen Anblick.
Ehemals sicherlich eine Raststätte für geplagte Fuhrleute mit der Möglichkeit die Pferde zu tränken und ein paar Stunden auszuruhen, war es nun bedingt durch die permanent gewachsene Mobilität der Gesellschaft und des dazu notwendigen höheren Aktionsradius der Fahrzeuge seiner eigentlichen Funktion beraubt. Also hatten sich die jetzigen Besitzer die nostalgischen Gefühle der Touristen zunutze gemacht und durch den umsichtigen Ankauf alter Haushaltsgeräte und Möbel den Grundstock für einen halbwegs florierenden Antikhandel gelegt.
Meine französischen Sprachkenntnisse reichen im nüchternen Zustand nicht über Wegerklärungen und das Übersetzen von Speisekarten hinaus, aber aus egoistischen Gründen hatte ich mir irgendwann den Standardsatz angeeignet, den man braucht, wenn man alte Bücher sammelt. Auf meine diesbezügliche Frage an den gelangweilt herumsitzenden Aufpasser antwortete dieser mit einer vagen Handbewegung, die den gesamten Bereich vom Scheuneneingang bis zur an den Felsen reichenden Rückwand des Hauptgebäudes einschloss.
Meine Freundin, geübt in solchen Situationen, setzte sich mit „Damals bei uns daheim“ von Hans Fallada in einen der Stapelstühle, ließ sich eine kalte Coke bringen und wusste: Das kann jetzt dauern.
Die allgemeinüblichen Bauernmöbel, Kinderbettgestelle, Stehlampen und Wäscheständer, behängt mit den abenteuerlichsten Gewändern, ließ ich bald hinter mir und hatte plötzlich das Gefühl, mich nicht mehr in dem Gebäude zu befinden.
Richtig, die Wände waren aus fugenlosem Naturstein, also gab es einen Stollen, wahrscheinlich als Keller angelegt und heute eben als Ausstellungsraum genutzt. Die Kühle umfing mich und dann war ich endlich im Reich meiner Träume.
Bücher über Bücher lagen wahllos gestapelt und aufgereiht in durchhängenden Regalen, Schränken ohne Türen, Wäschekörben, kurz in allem, was geeignet ist, Gegenstände aufzubewahren.
Ich versuchte mir einen groben Überblick zu verschaffen, aber der Versuch war sinnlos. Alles lag kreuz und quer, nicht thematisch, nicht alphabetisch, nicht nach Größe geordnet, es war ein „grand bordelle“.
Selbst in die Steinwände waren Nischen geschlagen, angefüllt mit vergilbten, schimmligen, sich in alle Richtungen biegenden Erzeugnissen der Buchkunst aus grob geschätzt dreihundert Jahren.
Mehr oder weniger wahllos griff ich hinein und musste nach einigen Stichproben feststellen, dass ich bisher nur Bände mit kirchlichen Themen gefunden hatte.
In einer Felsnische jedoch entdeckte ich hinter braunen goldbedruckten Buchrücken einen Globus. Zuerst wollte ich ihn mit einer Hand herausnehmen, er war ja nicht groß, aber die Hebelgesetze und sein Eigengewicht ließen mich doch beidhändig zugreifen. Mit meiner Entdeckung kehrte ich in den besser beleuchteten vorderen Teil zurück, suchte mir eine freie Stelle auf einem stabilen Tisch und besah mir das Fundstück.
Der Fuß war quadratisch und aus poliertem braunrotem Marmor. Er stieg etwa fünf Zentimeter pyramidenartig an und kurz vor dem Treffpunkt der vier gratlos geschliffenen Kanten begann eine Spirale aus bronzefarbenem Material. Wie eine um einen unsichtbaren Fussball gewickelte Rolle Isolierband verlief sie in vollendeter Regelmäßigkeit zum oberen Pol, wobei der Abstand der einzelnen Bahnen konsequent bei etwa fünf Millimetern lag. Das Band selbst war vielleicht vier Millimeter breit. Vom oberen zum unteren Pol dieses Gebildes schwang sich in etwa zwei Zentimetern Abstand ein gleichmäßiger Bogen aus dem gleichen Material, ähnlich den heute handelsüblichen Globen, nur ohne Skalierung.
In der Mitte dieses Bogens befand sich eine Öse, in welcher ein Dorn steckte. Er glänzte kobaltblau, wie man es von einigen Angelhaken und Mistkäfern kennt. Die Spitze des Dornes zeigte in die Kugel hinein und oben endete er fünf Zentimeter über dem Zenitpunkt des Bogens. Vom Marmorfuß einmal abgesehen, machte das Ganze einen sehr filigranen und zerbrechlichen Eindruck, was aber täuschte, wie ich mit vorsichtigem Druck feststellen musste. Die Spiralkugel war stabil und unnachgiebig wie Gußstahl
In der durchsichtigen Kugel befand sich eine zweite Kugel aus nicht identifizierbarem Material. Ich konnte ja nicht hineingreifen und auch mit meinen Blicken nur Bruchstücke erhaschen. Soviel ich aber sehen konnte, waren auf dieser zweiten Kugel die Umrisse der Kontinente mit Gebirgen und so weiter plastisch abgebildet.
Was mich irritierte, waren zwei Dinge.
Zum einen gab es keine sichtbaren Berührungspunkte zwischen der inneren und der äußeren Kugel, zum anderen standen die Pole in senkrechter Linie zum Untergrund, ich vermisste die Neigung der Erdachse.
Dann sah ich, dass in zweien der Pyramidenflächen am Fuß jeweils fünf Punkte in Kreisform eingedrückt waren.
Wo hatte ich so was schon gesehen?
Na klar, vorgestern am Strand, ich saß direkt am Wasser und die mutigsten Ausläufer der Wellen streiften gerade so meine Badehose. Jedes mal wenn eine Welle leicht schaumig zurückfloss, machte der Strandsand eine wundervolle farbliche Methamorphose durch. Ich hab sie vor Augen, aber ich kann sie nicht beschreiben. Darum geht es auch nicht.
Zurück blieb nämlich eine glatte feuchte Sandschicht, die geradezu einlud, mit sinnlosen Hieroglyphen bemalt zu werden.
Für Freunde des geschriebenen Wortes eine Herausforderung, man muss schnell sein, die nächste Welle kommt bestimmt. Irgendwann hatte ich das Spiel satt und fing an zu malen und um mir das Gestalten einer Blume zu erleichtern, drückte ich fünf Fingerkuppen leicht auf den nachgiebigen Sand.
Genauso sahen die Abdrücke auf dem Fuß des Globus aus.
Aber die fehlende Befestigung?
Erst dachte ich an eine magnetische Spielerei, ich versuchte weiterhin durch die Ritzen des Geflechtes zu spähen und entdeckte dabei auf der mir abgewandten Seite des Fußes eine Inschrift. Nachdem ich sie mir ins Licht gedreht hatte, deutete ich die Schrift als Hebräisch. Es sah für mich eindeutig aus wie die Inschriften auf den Gräbern dieses alten jüdischen Friedhofes in Prag. Lesen kann ich so was leider nicht, aber einige der Zeichen schienen ein Muster zu ergeben, das mich an das Wort „mazel“ erinnert. Mazel heißt auf hebräisch „Viel Glück“ und wenn das kein gutes Zeichen ist.
Beim Umdrehen des Globus hatte ich unbeabsichtigt die Fingerkuppen in die Vertiefungen gelegt und als ich jetzt das Wort „mazel“ aussprach, begann sich die innere Kugel zu drehen.
Aber wie?
Völlig planlos linksrum, rechtsrum, vorwärts, rückwärts, ein abrupter Richtungswechsel jagte den nächsten.
Erschrocken nahm ich meine Finger von dem Ding und im selben Augenblick schoss der Dorn mit einem harten, klackenden Geräusch in das Innere der äußeren Kugel und blieb mit seiner Spitze auf der Außenfläche der inneren Kugel stehen.
Die innere Kugel stoppte ihre rasanten Drehungen, ohne auch nur im Mindesten nachzufedern oder sonst welche Schwingungen zu zeigen.
Vorsichtig hob ich den Globus empor und konnte erkennen, dass der Dorn auf eine Inselgruppe zeigt, die in einem schönen Bogen das Ochotskische Meer vom Pazifik trennt, nämlich die Kurilen.
Den Globus wollte ich haben.
Ich trug ihn voller Entdeckerglück strahlend vor mir her wie eine Trophäe, das Falscheste, was man machen kann, wenn man handeln will, aber das war mir egal. Ich wollte ihn haben.
Als ich dem träge Fliegen verscheuchenden Aufseher mit den Worten:
„Que le truc?“ oder so aus seiner gewiß wohlverdienten Siesta aufstörte, erschrak er förmlich, als er erkannte , was ich in der Hand hatte.
Er versuchte mir wortreich zu erklären, dass dieses Stück unverkäuflich sei. Aber ich ließ nicht locker und so sagte er schließlich was von „patron“, griff sich ein Portable und rief jemanden an. Jemand schien wissen zu wollen, wer sein bestes Stück kaufen möchte, denn der Typ erzählte ihm was von VOWEEBÜSS und BERLENG und nannte mir endlich den Preis von dömijfrong. Ich hatte mit mehr gerechnet. Zweitausend Franc, sechshundertfünfzig Mark, ich sagte : JA.
Er gab mir einen Karton, der ehemals eine Küchenmaschine transportfähig gemacht hatte, ebendiesen Karton, der jetzt hier auf dem Tisch steht, Herr Gottok, steckte das Geld in die Hosentasche, rief :“Bon route“ und „Fermer“ und wir mussten vom Gelände.
Am Abend saßen wir mit Freunden in Mende vor der „Cristall Bar“, radebrechten uns in einem Mischmasch aus deutsch, englisch und französisch durch die Neuigkeiten des vergangenen Jahres und zu vorgerückter Stunde gab es kaum noch Kommunikations-, dafür umsomehr Motorikprobleme.
Ich erlitt gerade eine vernichtende Niederlage beim Billard, als mich ein Bild im schräg über uns befindlichen Fernseher aufmerksam machte. Es zeigte in grafischer Darstellung wie ein Atlas den Pazifik, das Ochotskische Meer, ein bißchen Festland und die Kurilen. Auf einer gepunkteten Linie fuhr ein symbolisiertes Schiff bis zur am weitesten vorgelagerten Insel und dort endete die Linie mit einem roten Kreuz. Es war exakt der gleiche Punkt, den auch der Dorn des Globus am Nachmittag angezeigt hatte.
Ich rief Michel, unseren Bekannten vor Ort herbei und fragte ihn, was dort los sei.
Er wusste nicht sofort über Einzelheiten Bescheid und wechselte deshalb ein paar lautstarke Worte mit Christian, dem Barkeeper. Das Gespräch endete mit dem üblichen Olala und Merde und dem lockeren Schütteln der rechten Hand aus dem Handgelenk heraus auf Michel’s Seite und einem mehrmaligen „Cest la vie“ des gläserpolierenden Christian.
Dann berichtete Michel.
Um 15 Uhr 10MET war am heutigen Nachmittag ein amerikanisches Kreuzfahrtschiff ohne vorherige Gefahrenmeldung von sämtlichen Bildschirmen verschwunden. Es war eindeutig gesunken, was anhand herumtreibender Gegenstände geschlussfolgert wurde, Rettungsboote jedoch konnten wohl nicht mehr ausgesetzt werden. Man rechne mit im schlimmsten
Falle 973 Toten, mehrere Rettungsschiffe sind vor Ort.
Soweit die Fakten.
Das war mir etwas zu viel des Zufalls.
Meine rotweinumnebelten Gedanken versuchten einen logischen Zusammenhang zwischen dem Globus und der Unglücksmeldung herzustellen, aber wenn die Synapsen ersteinmal verklebt sind, hilft nur noch ausnüchtern.
Am nächsten Morgen redete ich mit Melanie über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Katastrophe und meinem gestrigen Einkauf, aber die Vorstellung, das Eine hätte mit dem Anderen zu tun erschien uns bei allem Hinundherüberlegen
als zu bizarr.
Was wären die Konsequenzen aus einem Zusammenhang ?
Die erste Möglichkeit, von mir erhoffte, sah so aus: Das Unglück stand unausweichlich bevor und der Hinweis des Globus könnte zur Gefahrenabwendung gedacht sein. Das brächte mich aus der Verantwortung und ließe sich nur über eine nochmalige Anwendung mit genauer Zeitregistrierung ermitteln. Dann müsste man nur noch die Nachrichten verfolgen und würde sehen. Tja, was würde man denn sehen? Was hoffte man denn zu sehen? Wäre man zufrieden und beruhigt, wenn nichts passieren würde?
Die zweite Möglichkeit, und vor dieser hatte ich Angst, war ein minutiöses zeitliches Zusammentreffen eines Experiments mit einem erneuten Unglück. Das konnte dann eindeutig nicht mehr als Warnung verstanden werden, denn wozu eine Warnung, wenn man darauf nicht mehr reagieren kann. In dem Falle wäre der Globus oder die ihm innenwohnenden Kräfte also die Ursache eines Unglücks und mich als den neugierigen Tester träfe ein riesiger Teil der Schuld.
Langsam wurde es philosophisch.
Würde ich neugierig genug sein, einen erneuten Versuch zu wagen und könnte ich mit einer eventuellen Schuld am Tode von vielleicht vielen Menschen leben?
Andererseits, wer könnte mir diese Mitschuld nachweisen?
Ich entschloss mich für einen erneuten Versuch. Aber ich wollte Melanie nicht damit belasten, an einem eventuellen Unglück schuld zu sein und setzte sie von meinem Vorhaben nicht in Kenntnis.
Wenn jemals jemand wegen dieser Sache ein Urteil abgeben müsste, sollte mich dieses ganz allein treffen.
Als am Nachmittag Melli zu einem kleinen „parcour de commerce“ durch die Boutiquen von Mende schlenderte, setzte ich mich in unseren Bus, fuhr zum die Stadt monumental überragenden Mont Mimat und parkte mit der rechten Seite des Autos, dort wo die Schiebetür ist, ganz dicht am Abbruch des Felsplateaus.
Ich öffnete die Tür und hatte die ganze Welt vor mir.
In eintausendvierhundert Metern Höhe, die Stadt mit ihrer mittelalterlichen Kathedrale und den ringförmig angelegten Straßen, welche die sämtlich mit Schiefer gedeckten Häusermengen in gleichmäßige Segmente zerschnitt, vor mir aus gebreitet. Und soweit man sah Berge, Berge mit einem Farbton, der nur mit irgendwo zwischen dunklem Blau und hellem Grün umschrieben werden kann. Ein Kleinod in dunkel schimmerndem Samt. Darüber ein blauer Himmel, der höchstens noch in der Provence schöner ist, durchzogen von schneeweißen Wölkchen. Weiße Schäfchen auf dem Weg in den heimatlichen Stall.
Wenn ich schon die schöne Welt auslöschen sollte, musste sie mir wenigsten in bester Erinnerung bleiben.
Aber ich schweife ab.
Ich holte den Globus heraus, stellte ihn passenderweise auf unsere Überlebenskiste, das ist so eine alte Munitionskiste, in der wir Dinge wie Gaskocher, Töpfe, Besteck, all den Kram, den man für ein mehrtägiges Picknick außerhalb der Zivilisation braucht, aufbewahren, setzte mich davor und legte die Fingerspitzen beider Hände Kuppe an Kuppe.



Ende Teil 1
 



 
Oben Unten