Der Gutachter

Simmias

Mitglied
Der Gutachter
15.09.2010

In Zeiten wie diesen hat es der Gutachter schwer.
Ist eine wichtige Entscheidung zu treffen, die längst getroffen ist, hält man es für ratsam, einen Gutachter hinzuzuziehen. Dem Gutachter wird die Problematik erklärt, man bemüht sich sachlich zu bleiben, das sei ja grade der Sinn des Gutachtens. Trotzdem gelingt es dem Gutachter selten, in beiläufigen Kommentaren nicht doch etwas Zielsetzung zu erahnen. Er nimmt sie zur Kenntnis, unbeeindruckt und keinesfalls überrascht von dieser Unprofessionalität, denn zu erkennen war sie bereits in der Einladung zum Dinner. Man bräuchte, um dies und das zu zeigen, eine objektive Einschätzung hier und da zu, eigentlich sei offensichtlich, dass es sich so und so verhalte, aber hilfreich sei neutrales, unvoreingenommenes letztes Wort.

Auch ohne diese Einladung weiß der Gutachter Bescheid.
Immer informiert hat er zu jeder Problematik Statistiken und Einschätzungen parat, zudem kennt er die Leute, denn wer etwas auf sich hält, hat sich schon mit ihm bekanntmachen lassen, und so lebt es sich als Gutachter recht gut. Doch folgt jedem öffentlichen Gutachten auch eine öffentliche Entscheidung und der Gutachter hört von ihr, nicht selten wird sie mit eben seinem Gutachten begründet, was ihm durchaus schmeicheln könnte, aber von Zeit zu Zeit denkt er an diese und jene Sitzung, zu der er eingeladen war, und diese laufen recht ähnlich:

Zunächst wird ein jeder begrüßt.
Diese vermeintlich kurze Prozedur zieht sich länger hin, als man es für eine reine Formalität erwartet, denn es sind viele Mitglieder anwesend und wenn es um Fußball geht, sieht man auch Gäste, doch sie sind noch teilnahmslos, zu trocken ist ihnen eine Sitzung wie diese. Das geht dem Vertreter der verschiedenen Fanclubs keineswegs ähnlich. Er ist heiß auf die Diskussion, hat sich schon lange auf diesen Moment vorbereitet. Leider musste er aufgrund der begrenzten Redezeit einige Punkte zusammenstreichen, Punkte, die er zuvor in trauriger Mühseligkeit als wichtiger eingestuft hatte als die vielen weiteren, die ihm von tausenden Fans in wütender Schrift zugespielt worden waren, nicht zu vergessen, dass auch hier schon von den einzelnen Vorständen gekürzt worden war.

Viel gelassener sitzen die Komitees der Sponsoren in ihren Sesseln.
Man kann nicht verallgemeinert sagen, dass sie gelangweilt wirken, denn einige beobachten interessiert das Geschehen oder unterhalten sich in den bunten Treiben untereinander, auch wenn man in ihren stets souveränen Gesichtern nicht erkennen kann, in welcher Form oder gar über welche Themen. Anderen jedoch scheint nicht bewusst zu sein, sich unter Menschen zu befinden, denn wenn sie sich nicht gerade am Buffet befinden, lehnen sie sich zurück und scheinen zu träumen. In ihren genährten Gesichtern meint man einen wissenden Ausdruck wahrzunehmen. Und während der Fanvertreter gehetzt seine Unterlagen sortiert, während die Gäste untereinander leise tuscheln, ruft der Präsident in aller Ruhe Name für Name aus dem Kreis der Sponsoren auf, einander wird zugenickt, denn man kennt sich.

Der Präsident trägt die geballte Verantwortung auf seinen Schultern
An seiner Stelle möchte man nicht sein, nur seltenst gelingt ihm das Kunststück, am Ende des Tages alle Parteien zufrieden nach Hause zu entlassen. Wie könnte er auch? Er versteht doch die Probleme und Sorgen der Fans, so albern sie auch sein mögen, aber schließlich ist er auch nur ein Mensch, verheiratet obendrein und das Herz seines Sohnes schlägt mit aller Kraft für den Verein. Doch muss er für eben diesen Verein sorgen und die Sponsoren sitzen im Raum und sie rechnen in Geld und fordern Ausbau und Umbenennung des Stadions, Werbung auf den Trikots und bei weiterhin fallenden Umsätzen die Rechte auf den Teamnamen, wenn dadurch auch Tradition und Würde des Vereins verloren gingen. Wie kann er das nur vor den Fans rechfertigen, ja selbst der Fanvertreter ahnt davon noch nichts und er hat ohnehin schon genug Kritik und Forderungen für drei Sitzungen vorbereitet, das sieht der Präsident ohne aufzustehen. So graut es ihm vor der Verkündung, er weiß, dass es für die Fans weiterhin teurer wird und dass er die Sponsoren gewähren lassen muss.

So hat er aus Erfahrung Diskussionen zu Beginn der Tagesordnung gelegt.
Diskussionspunkte, bei denen es um Verbesserungsvorschläge geht. Ihrer gibt es genug und hier soll sich der Fan in Rage bringen, austoben und der Präsident kann ihn durch freundliche Blicke und dahingesagte Versprechen gnädig stimmen. Und er tut es, nickt von Zeit zu Zeit wenn die Fans jubeln, bejaht die Probleme auf widerwärtigste Weise und bald wird es ihm peinlich, doch er bleibt ernst, denn seine Persönlichkeit erlaubt kein Wanken, auch wenn die Rede lange dauert, unendlich lange. Die Fans klatschen und er kann einigen den Blickkontakt nicht verwehren, wenn ihr in ihren Augen diese kindliche Hoffnung sieht. Und schließlich ist ihr Zorn besänftigt, sie sind ihre Probleme losgeworden. Was können wir als Fans schon mehr tun, müssen sie denken. Die Vorschläge sind gesagt und haben sich damit für ihre Umsetzung beworben, alles weitere liegt nicht in ihrer Macht, immerhin scheint der Präsident ein verständnisvoller Kerl zu sein.

Dann wird über das Relevante des Abends gesprochen.
Ein Komitee stellt kurz und knapp ihr Konzept vor und der Präsident ist erfüllt von Schuldgefühlen als er den fassungslosen Blick des Fanvertreters sieht und er blickt mitleidig auf dessen gestammelte Versuche, in seiner zunehmenden Resignation die herzlose Ungerechtigkeit der Sponsoren zu verfluchen. Diese wenden sich bereits ab, sie wissen was nun passiert, sie wussten es schon vorher. Sobald der Präsident ihren Konzept zugestimmt hat, ist die Sitzung für sie zuende, es wird allmählich Zeit, denn das Buffet ist getilgt, ohne es hätte sich ein Großteil unter ihnen diese Veranstaltung gar nicht erst angetan. Der Präsident beteuert nun in offensichtlich gespielter Überraschung, dass eine solche Entscheidung nicht heute, nicht ohne viel Überlegung getroffen werden könne, es gehe um zentrale Objekte der Vereinszukunft, die auch die Fans betrifft, und er habe in den letzten Stunden zu genüge erfahren, was diese wirklich bewege. Wenn nun einige klatschen, fährt er traurig lächelnd fort, es sei hingegen auch in ihrem Sinne, dass den Verein mit schwarzen Zahlen zu führen und hier kämen Sponsoren ins Spiel, außerdem habe ein prächtigeres Stadon auch Vorteile für sie und er listet weitere Vorteile auf und kommt zu dem Schluss, man wolle einen Gutachter hinzuziehen.

Der Gutachter ist eine göttliche Erscheinung für den Präsidenten.
In diesem Moment gibt er die Verantwortung ab, er wird sich im abschließenden Urteil auf den Gutachter beziehen können. Mit Glück überzeugt dieser ohnehin schon einzelne Fans durch Argumentation, andere, leichtgläubigere durch eine Statistik und wenn der Gutachter weit geht, besänftigt er sogar das Unterbewusstsein der wildesten von ihnen durch Prophezeihungen. Aber in jedem Fall erlaubt es dem Vorstand, in der kurz anhaltenden Stimmung der Nachdenklichkeit die Entscheiung zu verkünden, die Sitzung zu schließen. Sofort und ohne Skrupel, dann trottet ein jeder nach Hause und schon morgen denkt niemand mehr daran, solange es nur kein Widerstand in der heutigen Sitzung gibt.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf bittet er den Gutachter nach vorne.
Er bedankt sich schon im Vorraus bei ihm, vorbildlich sei es, seine Zeit heute für Fans, Sport und die Zukunft des Vereins zu opfern. Und damit letzte Bedenken in Vergessenheit geraten, folgt eine kurze Pause um die Technik zu installieren, denn so kurzfristig konnte man nicht auf den Gutachter vorbereitet sein, schließt der Präsident und übergibt das Mikrofon. Warum der Gutachter vorbereitet ist, fragt sich der Fanvertreter nicht mehr, er hat schon mit dieser Sitzung abgeschlossen, blickt geschlagenzu den Gästen hinüber, fast entschuldigend. Sie träumten von neuen Tranfers, Jugendförderung, billigeren Jahreskarten, sie träumen immernoch, denn es wurde ihnen versprochen.

Auch der Gutachter blickt nun in die Runde.
Was er zu sagen hat ist nicht wahr, aber notwendig. Oder wird er vielleicht heute sagen, dass der Verein nur durch seine Fans überleben kann? Dass die Popularität des Vereins, die die Sponsoren lockt, nur durch die Fans aufrecht erhalten werden kann. Soll er aus sich herausschreien, dass der Präsident, bei aller Vernunft die er heute bewiesen hat, nun endlich Interesse an den Fans zeigen muss? Ihnen einmal nachgeben sollte? Dass, wenn er diese Sponsoren vergrault, genug andere warten? Sich darum schlagen ihr Logo auf der Brust dieses Clubs zu drucken?

Würde das etwas ändern? Denkst du etwa der Gutachter hätte auch nur ein kleines bisschen zu sagen? Es wäre sein letztes Gutachten, er kann doch gar nichts gegen sie tun!
Er erkennt es, wenn er in diese Runde blickt. Und jede Nachricht in den Zeitungen erinnert ihn daran. Ja, der Gutachter hat es schon schwer!
 



 
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