Der Harfenspieler

Cyrano

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Der Harfenspieler


...Du.
Du bist der Harfenspieler.
Ich meine, klar, du hast den Meister nicht gelesen, und daher wirst du mit dem Vergleich nicht viel anfangen können. Aber ich denke auch nicht, dass man das muss, um der Harfenspieler zu sein.
Darum bist du der Harfenspieler. Dich verbinden das gewöhnungsbedürftige Äußere, die spröde – liebenswürdige Art, die Kunst. Ja, ganz besonders die Kunst, und ganz besonders die Kunst des Lebens verbindet dich mit dem Harfenspieler.

Nun, sicher ist dein Äußeres in völlig anderer Art und Weise gewöhnungsbedürftig als das des Harfenspielers: Er trug, wenn ich mich nach all der vergangenen Zeit nicht irre, ein Gewand, wie es das eines Klosterbruders ist. Edel und schlicht. Aber im Rockschoß, da war es ziemlich dreckig, und auch ansonsten hatte es wohl schon bessere Zeiten gesehen. Kein wunder, der Harfenspieler ist alt.
Dem Gewand ist er immer treu geblieben.

Einen Bart hat der Harfenspieler auch. Den hast du natürlich nicht. Natürlich, dass sei an dieser Stelle vielleicht zu erwähnen, natürlich, weil du eine Frau bist.
Denen stehen Bärte nicht. Finde ich. Das mag der ein oder andere anders sehen.
Die Haare des Harfenspielers sind zerzaust. Ergraut sind sie auch. Genau wie der Bart. Deine Haare sind ebenso oftmals zerzaust, aber keineswegs grau.
Du bist nicht alt. Nicht auf die gleiche Art, wie der Harfenspieler alt ist.
Goethes Harfenspieler, möchte ich hier einwerfen, um die Schwere der Harfenspieler-Metapher zu erhöhen, bevor ich beginne, auch dich eingehender zu beschreiben:

Wie schon erwähnt, erscheinst du nicht auf die gleiche Art und Weise gewöhnungsbedürftig wie der Harfenspieler, aber die Ähnlichkeiten sind doch nicht zu übersehen.
Die Wichtigste Ähnlichkeit ist in der Ausstrahlung zu finden. Ich meine, dein Mund, der ist ziemlich klein, und nur sehr selten kann er sich ein spöttisches Lächeln verkneifen. Dein Kopf, im Gegensatz dazu, der ist groß. Verdammt groß sogar. Und die Augen, die sitzen in der Mitte, hinter Gläsern verborgen. Ob dich das intelligenter erscheinen lässt, vermag ich nicht zu sagen, ich würde es aber im ersten Moment eher verneinen.
Da nun alle zentralen Organe deines Gesichtes recht mittig versammelt sind, ist es ein ungewöhnlich weiter Weg bis zu den Ohren. Wenn du dich freust, dann vermag dein Lächeln (dass selbst bei echter Freude noch ein wenig spöttisch wirkt), niemals den ganzen Raum zwischen den Schallempfängern an der Seite deines Kopfes zu durchspannen. Dass du dich jemals bis über beide Ohren freust, würde ich nicht zu sagen wagen.
Außerdem gibt es wirklich eine Menge schlankerer Frauen.

Und dennoch bist du schön. Das kann ich nicht bestreiten. Du wirkst, und du wirkst in dieser Weise nicht nur auf mich. Es ist nicht das was du sagst, obwohl dies seine Wirkung auch selten verfehlt, und wohl auch kaum das was du tust. Der Zauber muss in dem liegen, was du bist, so denkend ertappe ich mich ein jedes Mal, wenn wir durch die Straßen schlendern, und wieder und wieder Menschen sich reihenweise nach dir umdrehen.
Und obwohl deine Gewandung sich im allgemeinen als eher wandelbar erwiesen hat, so bist du ihr doch treu geblieben.

Du bist der Harfenspieler.
Ich hoffe, anhand der äußeren Anlagen das Bild schon ein wenig klarer gezeichnet zu haben.

Wie du wirkte auch der Harfenspieler auf den Meister:
Faszinierend im ersten Augenblicke, obwohl kaum von beeindruckender Gestalt oder Kunst. Seine Fähigkeiten gut zu verstecken wissend, begeisternd aber schon durch den Schatten derselben, den er in seiner steten Melancholie vor sich her schob. Und dann: In seiner Entwicklung so überraschend wie berechenbar, wie ein Irrlicht, dass die Schiffe sicher in den Hafen bringen wird.

Obwohl du der Harfenspieler bist, glaube ich nicht, dass du ein Instrument spielst. An der Frage, wie musikalisch du überhaupt bist, scheiden sich die Geister. Das spielen eines Instrumentes ist aber keine Notwendigkeit. Der Harfenspieler hätte genauso gut eine Geige spielen können, einen Dudelsack. Ja, hätte er Schuhe geflickt, er wäre doch der Harfenspieler geblieben.

Es macht dies die besondere Eigenschaft des Harfenspielers, gleichzeitig mehrerlei zu sein. Er ist ein Gehetzter, ein Verfolgter, mit den Bürden des Lebens überlasteter, von Gott schwer geprüfter ( so musste er es sehen, war er doch Klosterbruder), ja, wahrscheinlich verratener und verfluchter Mann.
Durch die Liebe zur eigenen Schwester in den Wahnsinn getrieben, zieht der arme verstoßene Mönch rastlos umher, und muss, und will, ja, hat die Pflicht (das bestimmte der der ihn in die Schranken seiner Geschichte gezwungen hat), auf allen Abschnitten der langen Reise den Meister, und dieser ist schließlich niemand anderes als die Hauptfigur, dass Ganze, das einzig Wichtige, auf die richtigen Bahnen zu lenken.
Mittel des Harfenspielers zu diesem Zwecke (der ihm selbst vielleicht irgendwo im Dunkeln bekannt gewesen sein könnte), war nun oberflächlich die Musik, in der Tiefe betrachtet waren es aber sein Zweifeln und sein Schaffen, sein ziellos zielgerichtetes Umherirren, dass den Meister geleitet hat.

Wer möchte an dieser stelle noch deine enge Verwandtschaft zu dem Harfenspieler leugnen?

Wann du deinen Verstand verloren hast, das vermag ich wahrlich nicht zu sagen. Doch ist mir bisher keine Menschenseele über den Weg gelaufen, die behaupten wollte, dich gekannt zu haben, bevor dir dein Denken, dein Wissen, und dessen Gegenteil zu Kopf gestiegen sind.

Natürlich glaubst du in den meisten Fällen mit dir klar zu kommen, aber genau das ist ja die Natur der Verrückten.
Oftmals aber, da wirst schon du selbst dir zu viel. Deine eigenen Wünsche, deine Träume, deine Hoffnungen (eine fast Klischeehafte Begriffsfolge, die aber ihre wiederkehrende Nutzung allein ihrer eminenten Wichtigkeit für den Menschen verdankt), sie scheinen dir kaum annähernd zu befriedigen zu sein, würdest du dich allein auf dein eigenes Wohlergehen konzentrieren wollen.

Du aber, und hier wage ich eine kühne Behauptung aufzustellen, noch deutlich klarer als der Harfenspieler, spürst deine große Aufgabe.
Du wirst deiner Bürde gewahr, du siehst. Die Sehenden aber, sie müssen am Ende triumphieren, oder den jämmerlichen Tode der Cassandra und der Ophelia nach – erleben.

Oder, und hier schlage ich die Brücke zurück zum Harfenspieler, sie müssen sich selbst einen Ausweg schaffen. Eine Tragetasche vielleicht, aber so eine, die es ermöglicht, zeitweise jegliche Last mit sich herumzuschleppen, und sie womöglich auch noch dem Ziele näher zu bringen, aber, und erst dann kann sich wirklich ein kleines Schlupfloch eröffnen, auch die Option bereithaltend, alles, ja alles, sich selbst eingeschlossen, fallen zu lassen, und nur den Geiste immer luftigeren Höhen zuzutreiben.

Afrika ist deine Flasche mit Opiumkonzentrat. Ja, hier kommen du und der Harfenspieler endlich in scheinbarer Deckungsgleichheit zusammen. Wann immer es dir zu schwer wird, darfst du loslassen, Wann immer es dir zu schwer wird, willst du loslassen.
Wirst du loslassen.
Und genau deshalb lässt du nicht los. Genau deshalb wird es dir nicht zu schwer, wird es dir nie zu schwer werden.

Du könntest dich in den nächsten Flieger setzen, bei Sonnenaufgang wirst du die Steppe bewundern. Du könntest Matthias heiraten. Du würdest deinen Esel wieder sehen, und vielleicht hätte er dir verziehen, dass du solange weg warst. Was kümmert denn dich die Welt?

Aber es ist mit deinem Afrika eben wie mit dem Opium des Harfenspielers. Es ist wertlos, hast du die letzte Option erst einmal gezogen.
Afrika schenkt dir die Illusion von Kontrolle. Ja, vielleicht schenkt es dir die Gewissheit der Kontrolle. „Der Ausweg ist ja da. Ich kann ihn jederzeit gehen. Warum schon heute? Ist er denn morgen weniger existent? Oder übermorgen“.
Und so schleppt ihr euch, Tag um Tag, Schritt um Schritt. Du, und der Harfenspieler. Und mit euch mit schleppt ihr die Sorgen unzähliger Menschen und einiger Tiere.

Der Harfenspieler hatte Glück. Er musste die Wirksamkeit seines Ausweges nie auf die Probe stellen. Seine Aufgaben erfüllten sich, ehe die Ewigkeit sich ihres Zaubers beraubte. Das Nichtwissen über die Richtung, in die der Weg des Opiums ihn tragen würde konnte bewahrt werden.
Musste unbedingt bewahrt werden

Aber das ist nur eine Geschichte, sie hätte anders nicht enden dürfen.
Wenn dein Leben, und davon bist du wohl überzeugt, aber tatsächlich mehr sein sollte, so ergeben sich für dich Komplikationen, die sich leicht wie ein Massiv unüberwindbarer Felsen vor dir auftürmen könnten.

Bedenke daher immer:

Afrika ist nur solange deine Flasche mit Opium, wie du es in der Tasche lässt.

Erlaubt sind Gedanken. Ist die Flasche aber erst mal geöffnet, so gibt es kein zurück. Du versinkst augenblicklich in der Bedeutungslosigkeit. Das mag angenehm sein, aber es wird dich langweilen

Trink also erst, wenn du all deine Aufgaben gewissenhaft, und zweifelsfrei bis zum Ende ausgeführt hast
.
Musst du dann noch trinken?

Trinke also im Zweifelsfalle nie!

Trinkst du frühzeitig, so hörst du mit sofortiger Wirkung auf, der Harfenspieler zu sein. Wenn aber diese Existenz Hoffnung haben soll, so musst du eben dieser Harfenspieler sein.

Du bist der Harfenspieler.
Du...



Cyrano
 



 
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