Der Hund des Sirius

Klaus Moll

Mitglied
Der Hund des Syrius

Er war mehr als ungewöhnlich.
Ein Vierbeiner von einem anderen Stern, der wegen der mangelnden Verfeinerung seiner Pfoten nichts be“greifen“ konnte. In seinem Falle hätten wir da mehr erwartet. Wir hielten ihn für beschränkt. Schließlich widmet sich ein Drittel unseres Hirns den Händen, während er dieses Drittel offenbar für wer weiß was welchen Unsinn einsetzte. Auch war er, völlig untypisch für einen irdischen Hund, nicht am anderen Geschlecht interessiert, an überhaupt keinem. So fehlte ihm ein zweites Merkmal, über das man sich mit ihm hätte verständigen können. Schließlich ist ein erheblicher Teil des menschlichen Verhaltens an dieses Thema geknüpft, wenn sich auch nicht viele wirklich Mühe mit den Beziehungen zu ihren Partnern machen. Schließlich und endlich war er außerdem kein Gourmet. Man brauchte ihn nicht zu füttern. Ja, er hielt sogar geheim, wie er sich ernährte und unsere Nachbarn behaupteten, er sei in Wirklichkeit ein Roboter, der wie ein Vampir heimlich Energie aus der Steckdose sauge. So konnten wir auch über diesen Aspekt des Lebens kaum einen Kontakt zu ihm aufbauen. Man konnte ihn nicht zum Essen, – oder Fressen – einladen. Ein unangenehm bedürfnisloser Geselle.
Außerdem bewegte er sich auf vier Beinen, eine Gangart, die abgelegt zu haben uns sehr viel Überlegenheitsgefühl über das Tier verschafft, das immer noch von der Natur abhängig ist. Wenn nicht gerade Haustier oder Batterieküken oder Schaudelphin etc. sind ja manche Tiere sogar Teil der Natur. Wir konnten also recht wenig mit ihm anfangen, wenn uns seine Lebenszeichen auch manchmal merkwürdig artikuliert vorkamen, so als wolle er uns eine Mitteilung machen. Aber niemand war übermäßig neugierig.
Wir hatten alle unseren normalen Ablauf, den Beruf, die Familie, die Kinder, die Schule, die Freunde, die Vergnügungen, die Musik, die Reisen, das neue Auto. Was wollte man schon mit einem Hund, der einen nicht zu brauchen schien. Nicht einmal programmieren wie einen Roboter konnte man ihn, oder auch nur dressieren, so daß er wenigstens eine der vielfältigen Funktionen ausführen konnte, die wir im Laufe der letzten fünf bis zehntausend Jahre auf seine Rasse abgewälzt haben. Kaninchen aus den Löchern aufstöbern, Rehe stellen, Enten verbellen, Haus bewachen, Kinder hüten, Blinde führen, Kokain schnüffeln, - das letztere natürlich nicht um des Genusses willen wie die Menschen - , und so vieles andere mehr. Bernhardiner mit Schnapsfläschchen sind ethische Vorbilder, wenn sie zum Beispiel in Filmen Menschen unter Schneemassen entdecken. Das Bild des Hundes auf dem Grabe des Herrn rührt unser Herz.
Aber hier? Sirio, wie wir ihn bald genannt hatten, lief nur um uns herum, schaute hoch, zur Seite, hinab, und keine Bewegung schien ihm zu entgehen, ohne daß er auf irgendetwas instinktiv reagierte, wie es ja ganz besonders von Tieren zu erwarten ist. Auch schien er sehr intensiv jeden Laut zu erfassen, den wir von uns gaben, ja scheinbar folgte er sogar den Unterhaltungen, was daraus zu erkennen war, daß er sich nicht entfernte und seine Ohren leicht aufstellte, wenn zwei oder mehr Menschen miteinander sprachen. Manchmal war er uns sogar unheimlich. Wir dachten dann, er könne wirklich verstehen, was wir zueinander sagten, vor allem, wenn wir privat miteinander redeten, das heißt so, daß wir die Öffentlichkeit wegen möglicher Störungen unserer Absichten, hätten wir denn solche gehabt, ausgeschlossen hätten. Da er aber keine Anstalten machte, sich in unsere Angelegenheiten einmischen zu wollen, empfanden wir ihn schließlich doch wie ein normales Wesen, abhängig von uns, wie es uns schien, wie ein Kind oder eben ein Hund, wenn es auch für eine solche Abhängigkeit wegen seiner Bedürfnislosigkeit keine rationale Begründung gab.
Sirio hatte nun schon drei Monate bei uns verbracht. Manchmal erinnerten wir uns, wie er sich uns beim Spaziergang im Tannenwald ganz selbstverständlich zugesellt hatte wie jeder andere herrenlose Hund und wir wußten nicht einmal mehr, wie wir auf den Namen Sirio gekommen waren. Wir ahnten jedoch nicht, wie sich die Dinge dann geradezu überschlagen würden.
Sirio verschwand nämlich völlig für eine Woche. Natürlich nahmen wir an, daß nun doch eine Hündin seinen Gefallen gefunden habe. Traurig machte uns der Gedanke, er könne von einem Auto erwischt worden sein. Irgendwie war er uns nämlich vertraut geworden, wie ein richtiger Hund, ja, beinahe wie ein Mensch.
Dann kam er wieder. Sein spitzes Gesicht schien zu strahlen, seine Schnauze zu lächeln und sein Gang bewegte sich, wie es schien, im Rhytmus der Musik, die aus dem Radio tönte. Sein Rhytmusgefühl hätte den Neid jeden Tänzers erweckt und seine Züge hätten jeden ägyptischen Bidhauer zu einer weiteren Statue eines Hundes herausgefordert zu Ehren jenes Sternbildes, in dem sich der hellste Stern des Himmels befindet.
Sirio sprach. Zunächst klang es wie ein Murmeln, ein Stimmen der Bänder, ein leises Räuspern, aber dann kamen klare Worte: „Ich wollte Euch einmal fragen, so sagte er, warum Ihr soviel Zeit mit Dingen verbringt, die ich nur allzu leicht verstehe, und so wenig mit dem, was uns beschäftigt“.
Wir fanden das völlig deplaziert, was wir ihm auch deutlich zu verstehen gaben, fragten dann aber doch, pikiert, zurück:
„Was beschäftigt Euch denn, – und wer seid Ihr überhaupt -, was für uns wichtig sein könnte“.
Er meinte, diese Art zu fragen, entspräche durchaus nicht dem Niveau unserer Intelligenz, die er sehr hoch einschätze. Wir täten ja dauernd so, als hätten wir alle Probleme gelöst: mit den Talkshows den gesunden Menschenverstand zum Nutzen der Menschheit aktiviert, mit der Psychologie die seelischen Probleme geheilt, die Gesundheit ebenso wie die Umweltverschmutzung fest im Griff, mit Reality oder Big Brother die letzten Diskretionen überrannt, den menschlichen Transport sicher und problemlos gemacht, die Welternährung auch für die Hungernden abgesichert, das menschliche Potenzial zum Nutzen aller durch Information und Erziehung aktiviert und uns hierdurch für Höheres frei gemacht.
Wir hielten sein Verhalten, vor allem für einen Vierbeiner, für unverschämt und ließen ihn unseren Unmut deutlich spüren. Ob er noch nicht begriffen habe, daß wir die weitest entwickelte Rasse auf der Erde, ja überhaupt die denkbar höchste Intelligenz seien, die es überhaupt geben könne, schließlich.....
Ein Lächeln ging über seine Züge und er meinte, wir seien kaum aus den Kinderschuhen der Agressivität geschlüpft, ganz im Gegenteil. Man brauche nur die Themen der Fernsehfilme zu sehen, die das Problem, in seiner Heimatsprache kurz „bum bum“ genannt, durch Wiederholung immer wieder neu unbearbeitet ließen, wenn man das so nennen könne. Unsere Reaktion bestätige nur seine Beobachtungen.
Sie selbst, die Vierbeiner vom Sirius, hätten im übrigen längst erkannt, daß sie noch lange nicht die Höhen erklommen hätten, zu denen der Geist fähig sei. Uns seien ja mittlerweile sogar die früheren Ahnungen von höheren Geistern abhanden gekommen, vielleicht auf Grund gewisser selbst aufgestellter Regeln, die zu der wissenschaftlichen Denkweise führe, es sei nur das real, was auch zu beweisen sei. Man solle sich einmal eine solche Regel bei Mauwürfen vorstellen. Einfach katastrophal, meine er.
Sirio ging uns nun wirklich auf den Geist und wenig hätte gefehlt daß er mit einem Fußtritt, wie ein Hund, vor die Türe befördert worden wäre, hätte er nicht selbst den Verstand gehabt, sich leise aus dem Staube zu machen, wohl wissend, daß er – irgendwie – zu weit gegangen war. Soviel Verstand, zum mindesten, schien er zu haben. Ja, wir hätten ihn sogar vielleicht fast lieb gewinnen können. Klaus Moll
 



 
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