Ann-Kathrin Deininger
Mitglied
Der Kampf der Titanen
oder: Eine fast alltägliche Frage
In einem Linienbus, der, voll beladen, vom Venusberge in Richtung der Innenstadt unterwegs, stand die Frau B..., eine ältere Dame von kräftiger Gestalt in der Nähe der mittleren Türen; ihr mit den Jahren erschlafftes Gesicht halb hinter den Gläsern ihrer großen Brille verborgen, die dem Blicke ihrer blauen Augen, den sie in vielen Jahren zu ernster Schärfe und strenger Durchdringlichkeit erzogen, durch die reine Vergrößerung einen bedeutungs-schweren Ausdruck verliehen; und umfasste mit kleiner, feister Hand die Haltestange.
Mürrisch ließ sie den Blick über die Menschen wandern, die meist scheu die Augen niederschlugen, wie von der geballten Kraft ihres gestrengen Auges schwer getroffen, und lauschte mit regem Desinteresse der Unterhaltung zweier vor ihr stehender junger Damen, die sich offensichtlich zum Zwecke des Studiums in der Stadt aufhielten und, wie aus ihren Worten leicht zu erschließen, soeben auf dem Heimweg von ihrem Sportkurs waren, der bedauerlicherweise aufgrund der plötzlichen Erkrankung der Kursleiterin, einer gewissen Frau S... , ausgefallen war.
Beim nächsten Halt des Busses bemerkte die Frau B..., deren scharfem Auge nichts entging, wie ein Herr, der zuvor direkt in ihrer Nähe gesessen, sich nun erhob und in Richtung der Türe drängte, durch die er elegant ins Freie entglitt. Dies blieb ihr jedoch ungesehen, richtete sich ihr Augenmerk doch vielmehr auf einen hochgewachsenen, älteren Herrn, der als Herr A... bekannt war, und der nun, im Bemühen, den eben noch besetzten Sitz zu erlangen, jedoch nicht, wie man glauben mag, für sich selbst, sondern vielmehr für seine kranke Frau, die dicht bei ihm stand, mit der ganzen Kraft seines starken Armes die Menschen zur Seite drängte, die dicht aneinander standen, ähnlich Schafen in einem zu kleinen Pferch. Jedoch war ein Kind, vielleicht auch schon eine sehr junge Dame, das zuvor neben dem Herrn gestanden, der soeben mit graziöser Eleganz den Bus verlassen, in eben diesem Moment schneller als der Herr A..., der diesen Umstand wohl bemerkte, und ließ sich, da es sich im Recht des zuerst Gekommenen glaubte, auf gerade diesem Platze nieder, den der Herr A... gerne seiner Frau gesichert hätte.
Nun war der Herr A... jedoch ein großmütiger, wohlerzogener Mann und so nahm er, gleichsam seinen guten Manieren und seiner Eitelkeit, die ihm niemals gestattete sich als alt zu betrachten, folgend, von dem Gedanken, das Kind, welches seinerseits sehr blass und schüchtern, beinahe ängstlich wirkte, um seinen Sitz zu bitten, Abstand, zumal es ihm vielleicht selbst nicht wohl sein mochte und es des Sitzens genauso bedurfte wie die Gattin des Herrn A....
Die Frau B... allerdings, die solche Scham nicht kannte und zudem sehr genau wusste, ihre herausragenden Eigenschaften um des eigenen Vorteils willen geschickt einzusetzen, richtete ihren durchdringenden, beinahe bösartigen Blick auf das Kind und sprach mit ihrer gewaltigen, an einen Donner erinnernden Stimme zu dem Herrn A..., dass das Kind ja wohl nicht zu sitzen brauche, dass es dies bestimmt nicht nötig habe, dass genügend alte und gebrechliche Menschen im Bus seien, dass dies nur eine Frage der Manieren sei, dass man ihr diese früher beigebracht habe, dass die Jugend nur auf eigenes Wohlbefinden bedacht sei, dass Rücksichtnahme generell ein Wort sei, dass allmählich aussterbe und ob er sich nicht setzen wolle.
Das Kind, dem diese feierliche Ansprache doch eigentlich gegolten, bedachte sie lediglich mit einer befehlend herrischen Geste, die es beinahe entsetzt aufspringen ließ, um sich geduckt aus der Reichweite des Blickes der Frau B... zu entfernen, was ihm allerdings nicht vergönnt war, da der Bus so angefüllt war, dass man sich kaum einen Fuß weit bewegen konnte, zumindest war dies vollkommen undenkbar, wenn man, wie eben das Kind, nicht über die körperliche Kraft verfügte die Mitfahrenden zur Seite zu schieben.
„Nicht ich“, ließ sich der Herr A... darauf vernehmen, „bedarf des Platzes, jedoch mein Weib an meiner Seite, das lange Zeit an schwerer Krankheit litt, so dass ich zu weilen in dem Glauben war, es würde mir verlustig gehen; sie soll sich setzen, die Herrliche, einst Stern meines Himmels, macht sich das Alter und die Müdigkeit in ihren Knochen, anders als in den meinigen, jetzt doch im letzten Schluss bemerkbar.
Die Frau B... jedoch, vom Triumph über das Kind noch völlig berauscht, gedachte nicht daran, die schwer erkämpfte Siegesbeute kampflos der Gattin des Herrn A... nun abzutreten, zumal dieselbe sich in dieser Angelegenheit ganz still verhielt, im völligen Vertrauen, dass der Herr A... es schon zu richten wusste, und damit die Verachtung der Frau B... auf sich beschwor, diese bedachte sie nur mit einem vernichtenden Blick und setzte sich.
Die Frau B... wurde wohl im gleichen Augenblicke der Missbilligung im Gesichte des Herrn A... gewahr, worauf sie sich jedoch schnell rechtfertigte, dass sie selbst vom Alter schwer getroffen, dass ihr Rücken ständig schmerze, dass ihre Beine ihr Gewicht kaum noch zu tragen verstünden, dass sie, zur Behebung dessen, mehrere Operationen habe über sich ergehen lassen, dass diese ihren Zweck nur mäßig erfüllt hätten, dass sie aus diesen Gründen über einen Schwerbehindertenausweis verfüge, dass sie dieses Dokument stets bei sich trage, dass sie durchaus willens sei, es seinem Blicke vorzulegen, auf dass er bemerke, dass sie nicht gelogen, und ob er es sehen wolle. Nein, erklärte der Herr A... ärgerlich, dies sei bestimmt nicht von Nöten, er schenke ihren Worten Glauben und erkenne ihren Anspruch an, erwarte jedoch von ihr dieselbe Haltung, da er seinerseits über ein ebenso geartetes Dokument verfüge, dass ihm genau wie ihr ein Recht auf freies Sitzen sichere, dass allerdings vor mehreren Jahren ausgestellt worden wäre und seine Krankheit sich seitdem verschlimmert hätte, und bat sie, aus diesen guten Gründen seinen Anspruch anzuerkennen und den von ihr in Beschlag genommenen Platz wieder frei zu geben.
Nein, erwiderte die Frau B..., wobei sie ihre gewaltige Stimme spielen ließ, dass könne sie nicht glauben, zumal ihr Dokument ebenfalls älteren Datums sei, so seien sie dazu gezwungen, ihre beiden Dokumente daraufhin zu prüfen, welches nun den älteren Anspruch erhob; dass dies jedoch nur durch eine dritte, nicht durch den Streit betroffene und somit unparteiische Person geschehen könne. Dies abgemacht, zogen der Herr A... und die Frau B... gleichsam ihre Papiere hervor und reichten sie einer der jungen Damen, die zuvor über die Krankheit der Frau S... geklagt hatte und die sie sich als Schiedsgericht auserkoren hatten, welche beide Dokumente sorgsam prüfte und alsbald zurückreichte, mit dem Urteilsspruch, dass das der Frau B... gehörende Papier wahrhaft das ältere sei.
Während die Frau B... sich nun mit einem siegessichren Lächeln zurücklehnte und der Herr A... vor Zorn errötet seinen Blick abwandte, beschloss die zweite der jungen Damen, ihm ein paar Worte zu sagen, nämlich, dass es eben auch unverschämt unerzogene Erwachsene, und genauso, wie von der Frau B... zuvor heftig abgestritten, auch gut erzogene Kinder gäbe. Der Herr A... jedoch, vom Zorn über den verlorenen Zweikampf erfüllt, blickte sie nur funkelnd an und fragte bissig, was sie sich denn erlaube, wieso sie sich denn einmische, dass er es nicht hören wolle, dass dies nicht ihre Sache sei, dass sie sich herauszuhalten habe, dass sie erst in vielen Jahren die Weisheit erlangen werde, in Fragen, die Erwachsene erörterten ihre Meinung kundzutun und dass er das jetzt nicht hören wolle.
Die junge Dame schwieg betroffen, doch war sie nicht die einzige, die das Verhalten der Frau B... empörte, denn die Dame auf dem Sitz neben jener sprach diese an, warum es denn nötig sei, so ein Gezeter anzufangen, das Kind hätte den Platz doch mit Sicherheit freigegeben und so hätte man auch höflich fragen können.
Ja, erwiderte die Frau B..., durch ihre jüngst errungenen Siege gnädig gestimmt, da habe sie durchaus recht, allerdings habe sie gar kein bösartiges Wort gesprochen, nein, diese Haltung unterstelle man ihr oft, dabei handle es sich bloß um eine unbeabsichtigte Nebenwirkung, die von ihrer Stimme und ihrem Blick herrührte, dass Kind müsse diese missverstanden haben, sie hege wirklich keinen Groll gegen es und wäre durchaus bereit, sich zu entschuldigen, wobei sie sich bereits in seine Richtung wandte.
Das Kind jedoch war aus dem Stand bereits, von jedermann unbemerkt, da aller Augen nur dem Kampf der Titanen beigewohnt, auf den Boden gesunken, da es an einer schweren Form von Atemnot, besonders in engen Räumen und in Aufregung seines Gemüts, litt – und während die Frau B... sich ungläubig zu ihm hinunterbeugte, rang es noch einmal nach Luft und verschied.
Als man es später forttrug, entdeckte man an der Stelle, wo es gelegen, direkt vor dem Sitz, den die Frau B... gegen den Herrn A... erkämpft hatte, eine Schrift, die, wie mit Feuer für immer in den Boden gebrannt, so lautete: Mögen Gerechtere über sie richten.
Der Bus, in dem sich all dies zugetragen, existiert noch, und es leben noch Männer und Frauen, die ihn mit besagter Schrift gesehen.
Ann-Kathrin Deininger, 4. 12. 2002
Inspiriert durch Heinrich von Kleist
oder: Eine fast alltägliche Frage
In einem Linienbus, der, voll beladen, vom Venusberge in Richtung der Innenstadt unterwegs, stand die Frau B..., eine ältere Dame von kräftiger Gestalt in der Nähe der mittleren Türen; ihr mit den Jahren erschlafftes Gesicht halb hinter den Gläsern ihrer großen Brille verborgen, die dem Blicke ihrer blauen Augen, den sie in vielen Jahren zu ernster Schärfe und strenger Durchdringlichkeit erzogen, durch die reine Vergrößerung einen bedeutungs-schweren Ausdruck verliehen; und umfasste mit kleiner, feister Hand die Haltestange.
Mürrisch ließ sie den Blick über die Menschen wandern, die meist scheu die Augen niederschlugen, wie von der geballten Kraft ihres gestrengen Auges schwer getroffen, und lauschte mit regem Desinteresse der Unterhaltung zweier vor ihr stehender junger Damen, die sich offensichtlich zum Zwecke des Studiums in der Stadt aufhielten und, wie aus ihren Worten leicht zu erschließen, soeben auf dem Heimweg von ihrem Sportkurs waren, der bedauerlicherweise aufgrund der plötzlichen Erkrankung der Kursleiterin, einer gewissen Frau S... , ausgefallen war.
Beim nächsten Halt des Busses bemerkte die Frau B..., deren scharfem Auge nichts entging, wie ein Herr, der zuvor direkt in ihrer Nähe gesessen, sich nun erhob und in Richtung der Türe drängte, durch die er elegant ins Freie entglitt. Dies blieb ihr jedoch ungesehen, richtete sich ihr Augenmerk doch vielmehr auf einen hochgewachsenen, älteren Herrn, der als Herr A... bekannt war, und der nun, im Bemühen, den eben noch besetzten Sitz zu erlangen, jedoch nicht, wie man glauben mag, für sich selbst, sondern vielmehr für seine kranke Frau, die dicht bei ihm stand, mit der ganzen Kraft seines starken Armes die Menschen zur Seite drängte, die dicht aneinander standen, ähnlich Schafen in einem zu kleinen Pferch. Jedoch war ein Kind, vielleicht auch schon eine sehr junge Dame, das zuvor neben dem Herrn gestanden, der soeben mit graziöser Eleganz den Bus verlassen, in eben diesem Moment schneller als der Herr A..., der diesen Umstand wohl bemerkte, und ließ sich, da es sich im Recht des zuerst Gekommenen glaubte, auf gerade diesem Platze nieder, den der Herr A... gerne seiner Frau gesichert hätte.
Nun war der Herr A... jedoch ein großmütiger, wohlerzogener Mann und so nahm er, gleichsam seinen guten Manieren und seiner Eitelkeit, die ihm niemals gestattete sich als alt zu betrachten, folgend, von dem Gedanken, das Kind, welches seinerseits sehr blass und schüchtern, beinahe ängstlich wirkte, um seinen Sitz zu bitten, Abstand, zumal es ihm vielleicht selbst nicht wohl sein mochte und es des Sitzens genauso bedurfte wie die Gattin des Herrn A....
Die Frau B... allerdings, die solche Scham nicht kannte und zudem sehr genau wusste, ihre herausragenden Eigenschaften um des eigenen Vorteils willen geschickt einzusetzen, richtete ihren durchdringenden, beinahe bösartigen Blick auf das Kind und sprach mit ihrer gewaltigen, an einen Donner erinnernden Stimme zu dem Herrn A..., dass das Kind ja wohl nicht zu sitzen brauche, dass es dies bestimmt nicht nötig habe, dass genügend alte und gebrechliche Menschen im Bus seien, dass dies nur eine Frage der Manieren sei, dass man ihr diese früher beigebracht habe, dass die Jugend nur auf eigenes Wohlbefinden bedacht sei, dass Rücksichtnahme generell ein Wort sei, dass allmählich aussterbe und ob er sich nicht setzen wolle.
Das Kind, dem diese feierliche Ansprache doch eigentlich gegolten, bedachte sie lediglich mit einer befehlend herrischen Geste, die es beinahe entsetzt aufspringen ließ, um sich geduckt aus der Reichweite des Blickes der Frau B... zu entfernen, was ihm allerdings nicht vergönnt war, da der Bus so angefüllt war, dass man sich kaum einen Fuß weit bewegen konnte, zumindest war dies vollkommen undenkbar, wenn man, wie eben das Kind, nicht über die körperliche Kraft verfügte die Mitfahrenden zur Seite zu schieben.
„Nicht ich“, ließ sich der Herr A... darauf vernehmen, „bedarf des Platzes, jedoch mein Weib an meiner Seite, das lange Zeit an schwerer Krankheit litt, so dass ich zu weilen in dem Glauben war, es würde mir verlustig gehen; sie soll sich setzen, die Herrliche, einst Stern meines Himmels, macht sich das Alter und die Müdigkeit in ihren Knochen, anders als in den meinigen, jetzt doch im letzten Schluss bemerkbar.
Die Frau B... jedoch, vom Triumph über das Kind noch völlig berauscht, gedachte nicht daran, die schwer erkämpfte Siegesbeute kampflos der Gattin des Herrn A... nun abzutreten, zumal dieselbe sich in dieser Angelegenheit ganz still verhielt, im völligen Vertrauen, dass der Herr A... es schon zu richten wusste, und damit die Verachtung der Frau B... auf sich beschwor, diese bedachte sie nur mit einem vernichtenden Blick und setzte sich.
Die Frau B... wurde wohl im gleichen Augenblicke der Missbilligung im Gesichte des Herrn A... gewahr, worauf sie sich jedoch schnell rechtfertigte, dass sie selbst vom Alter schwer getroffen, dass ihr Rücken ständig schmerze, dass ihre Beine ihr Gewicht kaum noch zu tragen verstünden, dass sie, zur Behebung dessen, mehrere Operationen habe über sich ergehen lassen, dass diese ihren Zweck nur mäßig erfüllt hätten, dass sie aus diesen Gründen über einen Schwerbehindertenausweis verfüge, dass sie dieses Dokument stets bei sich trage, dass sie durchaus willens sei, es seinem Blicke vorzulegen, auf dass er bemerke, dass sie nicht gelogen, und ob er es sehen wolle. Nein, erklärte der Herr A... ärgerlich, dies sei bestimmt nicht von Nöten, er schenke ihren Worten Glauben und erkenne ihren Anspruch an, erwarte jedoch von ihr dieselbe Haltung, da er seinerseits über ein ebenso geartetes Dokument verfüge, dass ihm genau wie ihr ein Recht auf freies Sitzen sichere, dass allerdings vor mehreren Jahren ausgestellt worden wäre und seine Krankheit sich seitdem verschlimmert hätte, und bat sie, aus diesen guten Gründen seinen Anspruch anzuerkennen und den von ihr in Beschlag genommenen Platz wieder frei zu geben.
Nein, erwiderte die Frau B..., wobei sie ihre gewaltige Stimme spielen ließ, dass könne sie nicht glauben, zumal ihr Dokument ebenfalls älteren Datums sei, so seien sie dazu gezwungen, ihre beiden Dokumente daraufhin zu prüfen, welches nun den älteren Anspruch erhob; dass dies jedoch nur durch eine dritte, nicht durch den Streit betroffene und somit unparteiische Person geschehen könne. Dies abgemacht, zogen der Herr A... und die Frau B... gleichsam ihre Papiere hervor und reichten sie einer der jungen Damen, die zuvor über die Krankheit der Frau S... geklagt hatte und die sie sich als Schiedsgericht auserkoren hatten, welche beide Dokumente sorgsam prüfte und alsbald zurückreichte, mit dem Urteilsspruch, dass das der Frau B... gehörende Papier wahrhaft das ältere sei.
Während die Frau B... sich nun mit einem siegessichren Lächeln zurücklehnte und der Herr A... vor Zorn errötet seinen Blick abwandte, beschloss die zweite der jungen Damen, ihm ein paar Worte zu sagen, nämlich, dass es eben auch unverschämt unerzogene Erwachsene, und genauso, wie von der Frau B... zuvor heftig abgestritten, auch gut erzogene Kinder gäbe. Der Herr A... jedoch, vom Zorn über den verlorenen Zweikampf erfüllt, blickte sie nur funkelnd an und fragte bissig, was sie sich denn erlaube, wieso sie sich denn einmische, dass er es nicht hören wolle, dass dies nicht ihre Sache sei, dass sie sich herauszuhalten habe, dass sie erst in vielen Jahren die Weisheit erlangen werde, in Fragen, die Erwachsene erörterten ihre Meinung kundzutun und dass er das jetzt nicht hören wolle.
Die junge Dame schwieg betroffen, doch war sie nicht die einzige, die das Verhalten der Frau B... empörte, denn die Dame auf dem Sitz neben jener sprach diese an, warum es denn nötig sei, so ein Gezeter anzufangen, das Kind hätte den Platz doch mit Sicherheit freigegeben und so hätte man auch höflich fragen können.
Ja, erwiderte die Frau B..., durch ihre jüngst errungenen Siege gnädig gestimmt, da habe sie durchaus recht, allerdings habe sie gar kein bösartiges Wort gesprochen, nein, diese Haltung unterstelle man ihr oft, dabei handle es sich bloß um eine unbeabsichtigte Nebenwirkung, die von ihrer Stimme und ihrem Blick herrührte, dass Kind müsse diese missverstanden haben, sie hege wirklich keinen Groll gegen es und wäre durchaus bereit, sich zu entschuldigen, wobei sie sich bereits in seine Richtung wandte.
Das Kind jedoch war aus dem Stand bereits, von jedermann unbemerkt, da aller Augen nur dem Kampf der Titanen beigewohnt, auf den Boden gesunken, da es an einer schweren Form von Atemnot, besonders in engen Räumen und in Aufregung seines Gemüts, litt – und während die Frau B... sich ungläubig zu ihm hinunterbeugte, rang es noch einmal nach Luft und verschied.
Als man es später forttrug, entdeckte man an der Stelle, wo es gelegen, direkt vor dem Sitz, den die Frau B... gegen den Herrn A... erkämpft hatte, eine Schrift, die, wie mit Feuer für immer in den Boden gebrannt, so lautete: Mögen Gerechtere über sie richten.
Der Bus, in dem sich all dies zugetragen, existiert noch, und es leben noch Männer und Frauen, die ihn mit besagter Schrift gesehen.
Ann-Kathrin Deininger, 4. 12. 2002
Inspiriert durch Heinrich von Kleist