Der Kannibale

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KultUrknall

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Bahnfensterrauschen. Verwischte Grosstadt im Halbdunkeln zieht viel zu schnell an mir vorbei. Aufkommender Schwindel kämpft gegen Langweile. Schwindel gewinnt, also zurück in den Zug: Vor mir kauert ein Mann und verspeist seine Fingernägel. Nag, Nag. Inbrünstig, wie ein Eichhörnchen nach der Eiszeit. Neben ihm eine riesenhafte Sporttasche und eine Segelfliegerzeitschrift. Ein Flieger also. Wahrscheinlich ist sein ganzes Cockpit voll mit Fingernagelresten. In allen Ecken verwesen sie vor sich hin und wenn man sich setzen will, zerstechen sie einem den Hintern. Deshalb will auch niemand mehr mit ihm in die Luft und er muss immer alleine hoch. Nur der Mann und seine Nägel. Vor Einsamkeit ist er fast verrückt geworden und da haben sie ihm die Linzens entzogen. Jetzt fährt er Bahn. Der arme Kerl.

Mittlerweile hat er sich an der rechten Hand satt gekaut, unterliegt aber kurz darauf den kulinarischen Verlockungen seines linken Zeigefingers. Nag, Nag, Er wirkt ganz nervös, wie er da sitzt und sich frisst. Seine glänzenden Haare hängen wie altersschwache Putzlappen vor den Augen. Hin und wieder streicht er sie hinter das linke Ohr, unterbricht dafür sogar seinen Nagelsnack. Er konnte sich wohl länger nicht waschen. Wahrscheinlich ist er auf der Flucht. Deshalb auch die Sporttasche. Nachdem sie ihn aus dem Segelfliegerclub geworfen haben, ist er völlig durchgedreht. Hat Damenunterwäschegeschäfte überfallen und soviel Spitzenhöschen geklaut, wie in seine Tasche passten. Jetzt ist er auf dem Weg in sein Versteck um alles anzuprobieren. Der kann’s kaum mehr erwarten, dieser perverser Idiot.

Hoffentlich merkt er nicht, dass ich ihn beobachte. Hat eh nur Augen für seine Fingerspitzen. Nag, Nag. Aber wer weiß, ob er nur auf seine eigenen Fingernägel steht. Wahrscheinlich ist die ganze Tasche voll mit fremden Händen. Die Hände des gesamten Segelfliegervorstandes sind da drin und wenn ich nicht aufpasse, schnappt er sich auch noch meine. Der sitzt da, kaut sich die halbe Hand ab und überlegt, wie er an meine Fingernägel kommt. Deshalb ist der auch so ungepflegt. Der zieht durch das Land, klaut Damenunterwäsche und hackt Hände. Sollte mich besser schleunigst wegsetzten. Nein, am besten sofort ganz aus hier. Wäre ja eh nur noch eine Station bis zuhause, das kann ich auch laufen. Ich packe meinen Rucksack und stehe auf. Vom sicheren Bahnsteig aus, schaue ich zurück ins Abteil. Da sitzt er und kaut als sei nicht gewesen. Gerade setzt sich ein junges Mädchen mit Kopfhörern auf meinen alten Platz. Sein neues Opfer. Nag, Nag. Dieses perverse Schwein.
 
Hallo Kurt,
ich finde Deine KG wirklich witzig. Die Gedanken des Reisenden hast Du auch fabelhaft umgesetzt und ich muss sagen, dass ich Deine Geschichte gerne gelesen habe.

Aber eines sollte noch gesagt werden. Hin und wieder gibt es Stellen die mich gestört haben, da sie einfach überflüssig oder schlampig waren.

Bsp:

"Inbrünstig, wie ein Eichhörnchen nach der Eiszeit."
-> Das habe ich nicht verstanden!Passt auch irgendwie nicht in den Text rein.

"Vor Einsamkeit ist er fast verrückt geworden und da haben sie ihm die Linzens entzogen."

"Hoffentlich merkt er nicht, dass ich ihn beobachte."

"Aber wer weiß, ob er nur auf seine eigenen Fingernägel steht."

"Deshalb will auch niemand mehr mit ihm in die Luft und er muss immer alleine hoch. Nur der Mann und seine Nägel. Vor Einsamkeit ist er fast verrückt geworden und da haben sie ihm die Linzens entzogen"
-> Gute Idee, schlecht umgesetzt.

So das war's auch schon. Aber an sonsten wirklich ulkig!

Grüße
Herbert
 



 
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