Der Kapaun, der aus dem Bratrohr hüpfte

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disul

Mitglied
Eins müsst ihr wissen: Das Leben eines Kapauns ist kein Körnerschleck. Zuckerschleck sagt ihr Spezis. Ich nenne euch Spezis. Menschen ist mir zu menschlich. Ob jetzt Zucker oder Körner, ist eh alles Wurst, wenn’s endgültig an den Kragen geht.

Was? Ihr seit immer noch der Meinung, das Leben des Federviehs sei ausgehaucht, wenn ihr ihm genüsslich den Hals umdreht, oder, wenn ihr ihm speicheltriefend die Kehle durchneidet? Das glaubten vielleicht die Spezis, die unsereins als Haustiere stallfähig machten. Das war damals, als sie in ihrer Freizeit in riesigen Steinkreisen umherhopsten. Für uns Hähne war dies der zweit-grausamste Abschnitt unserer Kulturgeschichte. Erst noch konnten wir als freie Flattertiere das Leben geniessen, und dann wurde es unser wohl immerwährendes Schicksal als eingekerkerte Stallinsassen den Spezis als Fressen dienen zu müssen. Ihr sagt dem „essen“, ich nicht. Punkt.

Ja, und dann war’s damals, wenn man mit heute vergleicht, noch echt gut. Geil, wie ihr Spezis sagt. Keiner von euch wäre damals auf den Gedanken gekommen, uns unserer ehrwürdigen Hahneswürde zu berauben, uns den stolzen Kamm und die Bartlappen - schnipp-schnapp - wegzuschneiden. Operieren nennt ihr das. Möchte mal schauen, wenn wir euch männlichen Spezis den ... Was, ich soll aufhören? Greulich, schrecklich, unmenschlich, sagt ihr. Na, ja, wo ihr recht habt, habt ihr recht.

Eben, das machten die Spezis damals noch nicht. Damals konnten wir noch Hähne sein! Wunderbar anzuschauen mit unserem prächtigen Kamm, dem tollen Bartlappen und den bunten, langen Federn und mit gesunder Farbe im Gesicht und - lange, lange lebend. Heute werden wir nach wenigen Wochen schon abgemurkst. Ist eh alles Wurst. Oder meint ihr etwa, das mache uns Kapaunen etwas aus! Das, was ihr so grossspurig Würde nennt, habt ihr uns genommen. Bleich sehen wir aus. Nein, nein, nicht etwa, weil wir euer Schafott fürchten. Furcht kennen wir nicht. Die Blässe verdanken wir dem, was ihr OP nennt. Die - ha, ha, da seid ihr dann pingelig - die Operation wird nur von Tierärzten vorgenommen. Und das alles auf nüchternen Magen.

Schön ist es, nüchtern zu sein. Ehrlich, glaubt mir’s. Der Einfallsreichtum eurer Spezies kennt keine Grenzen. Nach diesem Eingriff, der uns nicht nur das nimmt, was uns am meisten Spass bereitet hatte, werden wir mit Fressen vollgestopft. Stopf, stopf. Ja, liebes Kapaunchen, denke doch nur an die armen Tierchen in Afrika. Die haben nichts zu essen, also friss schön dein Fütterchen und sei ein braves Kerlchen. Und Kapaunchen frisst und frisst und frisst. Und Kapaunchen hat keine Hühnerchen mehr um sich. Ja, manchmal geht einem das Gegackere ja schon echt auf den Keks, aber wenn’s fehlt, ist auch nicht gut. Und fehlen tut’s, weil wir nun die untersten in der Hackordnung sind. Ja, ich weiss, bei euch Spezis gibt es auch unterste in der Hackordnung. Nichts da von ausgleichender Gerechtigkeit.

Eins aber ist toll: Ihr Spezis verpasstet uns einen wunderbaren Namen. Kapaun. Nicht ordinär und gewöhnlich wie „Hahn“. Kapaun. Lasst doch das Wort mal auf der Zunge zerfliessen. Ja, gut, dass könnt ihr Spezis nicht. Wörter auf der Zunge zergehen lassen ist nicht eure Spezialität. Das macht ihr schon lieber mit uns selbst. Weiss zwar kein Federvieh, was ihr an Fleisch mögt, dass weiss und mild und fett ist. Fett! Fett! Ihr sagt dem Genusssteigerung!
Kapaun. Klingt doch irgendwie wie Faun. Göttlich! Ihr Spezies habt uns einen göttlichen Namen verpasst. Schade, dass wir keine göttlichen Wesen sind! Denn dann würdet ihr uns wohl kaum fressen.

Aus mir wurde eines frühen Morgens, schnipp schnapp, ein Kapaun. Und etwas später ein kaputter Kapaun. Und noch etwas später ein einbalsamierter Kapaun. Ihr Spezies sagt dem Marinade. In Wortschöpfungen seid ihr schon wahre Künstler. Kapaun statt der Todgeweihte, ins Bratrohr schieben statt dem Ende entgegenschmoren, verspeisen statt den endgültigen Todesstoss geben. Ja, liebe Spezis, ihr lest richtig. Erst, nachdem ihr unser Fleisch genüsslich auf euren Vierzinken gestochert habt, es dann zwischen eure Beisser gesteckt, dort zermalmt und zu Pampe zerdrückt habt und es dann in eurem Schlund verschwunden ist, erst dann haben wir unser endgültiges Ende gefunden.

Und deshalb habe ich mich entschieden, aus dem Bartrohr zu hüpfen. Ist ganz leicht: Du brauchst nur diese Tunke von dir abzuschütteln, und dann, schwupps und weg. Sagt doch ehrlich Spezis, das würdet ihr doch auch tun!



Gepostet von disul unter 11:42 0 Kommentare



01/04/08 12/30/07 Startseite
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P

Papyrus

Gast
das ist eine gute geschichte über das elend der massentierhaltung.

ich esse fleisch, wohl mangelt es mir an mitgefühl, dass ich schon mal 4 jahre vegetarisch lebend, besass,
aber ein ruhiges gewissen habe ich nicht, wenn ich fleisch esse.

nun ja, es ist wohl so zu verstehen,
ein huhn ist nicht attraktiv und liebenswürdig und ein schwein ist eben ein schwein, dreckig und niedrig (nicht meine meinung)
aber kühe sind doch eigentlich majestätisch. trotzdem wird alles gegessen was sich nicht wehren kann.

das fehlende mitgefühl in der welt ermöglicht die massentierhaltung,
und wenn man von der arbeit nach hause kommt, will man sich nicht großartig um sein essen kümmern und fragen woher es kommt.

du hast gut das elend beschrieben und aufgezeigt das tiere ein recht auf leben besitzen, egal wie klein oder wichtig und intelligent.


gruß papyrus
 

disul

Mitglied
Guten Tag, Papyrus,
vielen Dank für deine Rückmeldung zu meiner Kapaun-Geschichte. Es ist schon eine Weile her, seit ich sie geschrieben habe, und ich habe kaum mehr an die Geschichte gedacht. Ich schreibe nicht allzu viel, und wenn, dann "fliesst" es mir nicht immer leicht aus der Feder. Aber diese Kapaun-Kömödie, die zugleich eine elendigliche Tragödie aufzeigt, konnte ich nur so niederschreiben. Das wirklich Traurige an der Geschichte ist, dass ich leider das Publikum, das es nötig hätte, solches zu lesen, nicht erreichen werde. Du erwähnst das fehlende Mitgefühl der Menschen. Ich möchte das gerne noch mit der immensen Profitgier, die im Fleischhandel vorherrschend ist (nicht nur dort), ergänzen.

Mit lieben Grüssen


Disul
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Kann das sein, dass ich diesen Text hier schon einmal gelesen
habe?

Fragende Grüße
Franka
 

disul

Mitglied
Liebe Franka, ich habe die Kapaun-Geschichte im Januar eingestellt (einmalig) und gestern erfolgte ein erster Kommentar. Mehr kann ich dir dazu auch nicht sagen.

Mit lieben Grüssen

Disul
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Dann ist es doch schön, dass sie durch einen Kommentar wieder aus dem Keller geholt wurde. Schön auch, dass ich sie noch in Erinnerung hatte, sie muss mich daher bewegt und interessiert haben.
Dank an Papyrus!

Lieben Gruß
Franka,

die diese Geschichte gern noch einmal gelesen hat.
 
T

Thys

Gast
Hallo disul,

eigentlich gefällt mir Deine Geschichte ganz gut. Eigentlich deswegen, weil sie meiner Meinung nach mit dem Ende

Und deshalb habe ich mich entschieden, aus dem Bartrohr zu hüpfen. Ist ganz leicht: Du brauchst nur diese Tunke von dir abzuschütteln, und dann, schwupps und weg. Sagt doch ehrlich Spezis, das würdet ihr doch auch tun!

etwas zerstört wird. Das ist mir doch ein wenig arg an den Haaren herbeigezogen. Natürlich rechtfertigt sich damit die Überschrift, die mich zugegebenermaßen erst dazu gebracht hat, den Text anzuklicken; d.h. die Überschrift gefällt mir gut. Aber nur um die Überchrift zu rechtfertigen, dieses Ende einzubauen, finde ich schade. Ich würde das Ende streichen und die Überschrift ändern. Möglichkeit wäre z.B.

* Aus dem Leben eines Kaupauns
* Ein Kapaun erzählt
* Refelxionen eines Kapauns

o.ä.

Gruß

Thys
 

disul

Mitglied
Lieber Thys,

vielen Dank für deine konstruktive Kritik. Vorgestern, als ich wegen eines unerwarteten Kommentars meine Kapaun-Geschichte wieder durchlas, kam mir das Ende auch ziemlich daneben vor. Eigentlich gut, was ein bisschen Abstand bewirken kann, gell! Dass du jetzt den gleichen Punkt anspricht, bestätigt mich in meinem Vorhaben, das Ende anders zu gestalten. Ich werde das in der nächsten Woche - bin dann mal weg, in Urlaub - probieren!

Mit lieben Grüssen

Disul
 

disul

Mitglied
Reflexionen eines Kapauns

Hallo, guten Morgen!

Fast fünf Jahre hat es gedauert, bis ich Thys Anregungen in die Tat umsetzte. Die Kapaun-Geschichte hat einen neuen Titel und das Ende ist gestrichen. Vielen Dank für die konstruktiven Anregungen.

Liebe Grüsse
Disul



Reflexionen eines Kapauns


Eins müsst ihr wissen: Das Leben eines Kapauns ist kein Körnerschleck. Zuckerschleck sagt ihr Spezis. Ich nenne euch Spezis. Menschen ist mir zu menschlich. Ob jetzt Zucker oder Körner, ist eh alles Wurst, wenn’s endgültig an den Kragen geht.

Was? Ihr seit immer noch der Meinung, das Leben des Federviehs sei ausgehaucht, wenn ihr ihm genüsslich den Hals umdreht, oder, wenn ihr ihm speicheltriefend die Kehle durchneidet? Das glaubten vielleicht die Spezis, die unsereins als Haustiere stallfähig machten. Das war damals, als sie in ihrer Freizeit in riesigen Steinkreisen umherhopsten. Für uns Hähne war dies der zweit-grausamste Abschnitt unserer Kulturgeschichte. Erst noch konnten wir als freie Flattertiere das Leben geniessen, und dann wurde es unser wohl immerwährendes Schicksal als eingekerkerte Stallinsassen den Spezis als Fressen dienen zu müssen. Ihr sagt dem „essen“, ich nicht. Punkt.

Ja, und dann war’s damals, wenn man mit heute vergleicht, noch echt gut. Geil, wie ihr Spezis sagt. Keiner von euch wäre damals auf den Gedanken gekommen, uns unserer ehrwürdigen Hahneswürde zu berauben, uns den stolzen Kamm und die Bartlappen - schnipp-schnapp - wegzuschneiden. Operieren nennt ihr das. Möchte mal schauen, wenn wir euch männlichen Spezis den ... Was, ich soll aufhören? Greulich, schrecklich, unmenschlich, sagt ihr. Na, ja, wo ihr recht habt, habt ihr recht.

Eben, das machten die Spezis damals noch nicht. Damals konnten wir noch Hähne sein! Wunderbar anzuschauen mit unserem prächtigen Kamm, dem tollen Bartlappen und den bunten, langen Federn und mit gesunder Farbe im Gesicht und - lange, lange lebend. Heute werden wir nach wenigen Wochen schon abgemurkst. Ist eh alles Wurst. Oder meint ihr etwa, das mache uns Kapaunen etwas aus! Das, was ihr so grossspurig Würde nennt, habt ihr uns genommen. Bleich sehen wir aus. Nein, nein, nicht etwa, weil wir euer Schafott fürchten. Furcht kennen wir nicht. Die Blässe verdanken wir dem, was ihr OP nennt. Die - ha, ha, da seid ihr dann pingelig - die Operation wird nur von Tierärzten vorgenommen. Und das alles auf nüchternen Magen.

Schön ist es, nüchtern zu sein. Ehrlich, glaubt mir’s. Der Einfallsreichtum eurer Spezies kennt keine Grenzen. Nach diesem Eingriff, der uns nicht nur das nimmt, was uns am meisten Spass bereitet hatte, werden wir mit Fressen vollgestopft. Stopf, stopf. Ja, liebes Kapaunchen, denke doch nur an die armen Tierchen in Afrika. Die haben nichts zu essen, also friss schön dein Fütterchen und sei ein braves Kerlchen. Und Kapaunchen frisst und frisst und frisst. Und Kapaunchen hat keine Hühnerchen mehr um sich. Ja, manchmal geht einem das Gegackere ja schon echt auf den Keks, aber wenn’s fehlt, ist auch nicht gut. Und fehlen tut’s, weil wir nun die untersten in der Hackordnung sind. Ja, ich weiss, bei euch Spezis gibt es auch unterste in der Hackordnung. Nichts da von ausgleichender Gerechtigkeit.

Eins aber ist toll: Ihr Spezis verpasstet uns einen wunderbaren Namen. Kapaun. Nicht ordinär und gewöhnlich wie „Hahn“. Kapaun. Lasst doch das Wort mal auf der Zunge zerfliessen. Ja, gut, dass könnt ihr Spezis nicht. Wörter auf der Zunge zergehen lassen ist nicht eure Spezialität. Das macht ihr schon lieber mit uns selbst. Weiss zwar kein Federvieh, was ihr an Fleisch mögt, dass weiss und mild und fett ist. Fett! Fett! Ihr sagt dem Genusssteigerung!
Kapaun. Klingt doch irgendwie wie Faun. Göttlich! Ihr Spezies habt uns einen göttlichen Namen verpasst. Schade, dass wir keine göttlichen Wesen sind! Denn dann würdet ihr uns wohl kaum fressen.

Aus mir wurde eines frühen Morgens, schnipp schnapp, ein Kapaun. Und etwas später ein kaputter Kapaun. Und noch etwas später ein einbalsamierter Kapaun. Ihr Spezies sagt dem Marinade. In Wortschöpfungen seid ihr schon wahre Künstler. Kapaun statt der Todgeweihte, ins Bratrohr schieben statt dem Ende entgegenschmoren, verspeisen statt den endgültigen Todesstoss geben. Ja, liebe Spezis, ihr lest richtig. Erst, nachdem ihr unser Fleisch genüsslich auf euren Vierzinken gestochert habt, es dann zwischen eure Beisser gesteckt, dort zermalmt und zu Pampe zerdrückt habt und es dann in eurem Schlund verschwunden ist, erst dann haben wir unser endgültiges Ende gefunden.


© Disul (29.11.12)
 
U

USch

Gast
Hallo disul,
du kannst den Forenredakteur bitten, den Titel zu ändern und dann den neuen Text selber oben einstellen.
Ich finde die Geschichte sehr berührend, war eine Zeit lang wegen der Massentierhaltung auch mal Vegetarier, aber so ganz ohne Fleisch mag ich´s heute auch nicht mehr. Meine erwachsenen Kinder essen kein Fleisch mehr. Sind durch Kinderbuchtexte dahin gekommen.
Entscheide dich für Spezies oder Spezis, besser finde ich Spezies.
Was? Ihr [red]seit [/red]immer noch der Meinung
[blue]seid[/blue]!
Schau noch mal nach den Kommatas. Im Urtext fehlt da was.
LG Uwe
 

disul

Mitglied
Rezensionen eines Kapauns

Lieber Uwe,

herzlichen Dank für deinen Kommentar. Die Idee zur Geschichte lieferte mir ein Bericht über weihnächtliche Festtagsbraten. Besonders in Frankreich, aber auch in Italien werden im Advent Kapaune angeboten. Die Geschichte ist also zur Zeit wieder top-aktuell.
Ich bin erst ein paar Jare Vegetraierin und lebe gut damit. Die Zeit des "schlechten Gewissens" ist vorbei. Gestern habe ich einen neuen Vegi-Text geschrieben. Ich bin nun kein Kapaun mehr, sondern ein Schwein.:)Er ist aber noch nicht fertig.
Danke, dass du mich auf Fehler im Text aufmerksam machst. Ich wähle auch "Spezies" und verbessere dies. Wo nun aber?

Ich wünsche dir einen schönen Tag und sende liebe Grüsse aus der Schweiz
Disul
 



 
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