Der Kapitän

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Danwalker

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Hier also mein zweiter Versuch diese Geschichte zu posten, der erste wurde abgelehnt.
Ich schrieb sie als Hausaufgabe, ich würde mich über zahlreiche konstruktive Kritik sehr freuen.

Der Kapitän

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich mich noch genau an alles erinnere, aber das tue ich nicht. Mit der Zeit verblasst so vieles. Farben eines Lieblings T-Shirts, wenn man es zu oft wäscht. Aber das ist ja nur ganz äußerlich. Viel schlimmer ist es doch, wenn Erinnerungen verblassen. Und das tun sie. Keiner kann das bestreiten. Man sagt zwar über viele Dinge: \"Das werde ich meinen Lebtag nicht vergessen!\" Aber wer kann sich noch ganz genau an diese Sachen dann erinnern. Ich sagte das immer über ein Lied, als ich noch kleiner war. Doch nun habe ich keinen Schimmer, wie das Lied geht, oder wer es gesungen hat. Es ist zu viel Zeit ins Land gegangen, seid ich das letzte Mal das Lied vernahm. Ja, Erinnerungen sind schön, aber ungenau.
Wieso erzähle ich das? Ich stehe hier grad auf einer Brücke in der Speicherstadt. Lange, sehr lange, war ich nicht mehr hier. Auf der einen Seite, auf der ich stehe, kann man die kleineren Schiffe, Boote, sehen die unter der Brücke durch in die Speicherstadt fahren. Wenn man auf der anderen Seite steht, sieht man die wunderschönen alten Konstruktionen des Hamburger Lagerbereiches.
Früher war ich jeden Tag auf dieser Brücke. Eigentlich ist nichts Außergewöhnliches an der ihr, es fahren und fuhren immer ein paar Autos auf ihr und ein paar Boote unter ihr hindurch. Als ich jünger war, verbrachte ich viel Zeit auf der Brücke und beobachtete beide. Ich tat das immer, wenn ich aus der Schule kam. Das heißt ich ging erst nach Hause um zu essen und dann begleitete ich meine Eltern zur Arbeit. Beide arbeiteten am Hafen. Geld für ein Kindermädchen hatten wir nicht. Und zuhause wollten mich meine Eltern nicht alleine lassen, ich wollte auch gar nicht alleine bleiben.
Da ich nicht bei meinen Eltern bleiben konnte, weil sie nicht ungefährliche Arbeiten an Schiffen in einer Werft zu verrichten hatten, ließen sie mich immer ein wenig durch den Hafen spazieren. Sie ermahnten mich zwar nicht zu weit wegzulaufen, doch welcher kleine Junge hält sich schon an so was? Jeden Tag ging ich ein Stück weiter. Bis ich dann eines Tages an die Brücke kam.
Wenn ich mich recht entsinne, war es bewölkt, es könnte natürlich auch strahlender Sonnenschein gewesen sein, die Erinnerung daran ist verblasst...
Ich ging über die Brücke, als mir eine Plastiktüte auf dem Boden auffiel. Sie fiel mir so auf, weil sie Rot war und kleine grüne Punkte hatte, oder vielleicht umgekehrt, auf jeden Fall, war sie sehr auffällig. Ich bemühte mich die Tüte zu schnappen, neugierig wie ich war. Doch ich kam zu spät, der Wind wehte sie von der Brücke weg und sie schwebte ins Wasser. Ich denke, ich bin sehr enttäuscht gewesen. Ein wenig missmutig schaute ich über das Wasser hinweg. Ich sah etwas Unglaubliches, etwas Wunderbares, etwas Fantastisches. Ein kleines Schiff. Nun sagen andere: \"Na und?\" Sie haben schon viele Schiffe gesehen. Auch ich hatte natürlich schon eine ganze Menge Schiffe gesehen. Aber dieses kleine Schiff...sah genauso aus wie alle anderen. Doch eine Sache war anders. Der Kapitän. Von meiner Position konnte ich schlecht sehen, was sich im Inneren der Schiffsbrücke befand, alles erschien mir dunkel. Doch ich konnte den Kapitän sehen. Wieso? Nun er hatte einen langen weißen Bart, ein bisschen wie der Weihnachtsmann. Der Bart war vollkommen weiß. Und deshalb stach er so aus dem Dunkel der Schiffsbrücke heraus.
Jeder wird bestätigen, dass der Anblick so einer Person einen ein klein wenig in seinen Bann zieht. Und so ging es mir. Ich stand auf der Brücke und sah dieses kleine Schiff langsam auf mich zukommen. Und immer deutlicher konnte man das Gesicht, auf dem dieser Bart lag erkennen. Es war ein alter Mann, etwas dicklich, auf jeden Fall hat er irgendwie gemütlich gewirkt. Er hatte etwas an, was glaube ich, eine Uniform war, aber das kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.
Das Schiff war schließlich so nah an die Brücke gekommen, dass es schließlich unter ihr verschwand. Heute weiß ich kaum noch wie ich es geschafft habe, aber ich drehte mich um und rannte über die Straße auf die andere Seite. Eigentlich hätte mich irgendein Auto erwischen müssen. Tat es aber nicht, ich hätte da dann auch nicht mehr viel mitgekriegt, denn ich rannte für einen kleinen Menschen viel zu schnell, alle meine Gedanken blieben an dem Bild dieses bärtigen Mannes.
Als ich auf der anderen Seite der Brücke war, wurde ich bitter enttäuscht. Ich war höchstwahrscheinlich in der Hoffnung auf die andere Seite gerannt, dass ich den Kapitän noch mal sehen würde. Doch das einzige, was ich sah, war das Deck des Schiffes. Kein Kapitän. Der war ja auch auf der Schiffsbrücke. Ich stand dann noch eine ganze Weile da und sah das Schiff mit dem Kapitän verschwinden, denn als meine Mutter mich anbrüllte und sagte, sie hätte mich überall gesucht und ich solle nicht noch einmal so weit weglaufen, war es bereits dunkel.
Am nächsten Tag saß ich in der Schule und konnte mich nicht am Unterricht beteiligen, denn ich musste ständig an diesen Mann, den ich Kapitän nannte, auch wenn er das vielleicht gar nicht war, denken. Nachdem ich nach Hause kam, aß ich auch kaum was zum Mittag. Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass meine Eltern zur Arbeit aufbrachen und ich mit ihnen, so dass ich mich wieder zur Brücke begeben konnte, denn vielleicht würde der Kapitän ja wiederkommen.
Nachdem meine Eltern mit ihrer Arbeit anfingen, lief ich so schnell meine Beine es zuließen zur Brücke. Ich raste. Als ich ankam war ich zunächst wieder enttäuscht. Denn kein Kapitän war da. Traurig kickte ich eine Dose in Richtung Autos, das weiß ich heute noch so genau, weil ein Autofahrer sich erschreckte, scharf bremsen musste und mich danach wütend anhupte. Ich denke, er wollte aussteigen und mich ausschimpfen, doch die Autos hinter ihm hupten ihn an und so fuhr er doch weiter.
Ich wartete noch eine ganze Weile, aber der Kapitän kam nicht. Ich wollte gerade gehen, da sah ich sein Schiff kommen. Ich sah seinen langen weißen Bart schon aus einiger Entfernung. Ich war wie verzaubert. Das Schiff kam wieder auf mich zu und verschwand dann wieder unter der Brücke. Heute verzichtete ich darauf über diese zu rennen, denn ich wusste ja, dass ich meinen Kapitän nicht wiedersehen würde.
Von da an, ging ich jeden Tag auf die Brücke, das Wiedersehen meines Kapitäns war mein Tageshöhepunkt geworden. Aber auch wenn ich nicht auf der Brücke war, waren meine Gedanken voll mit seinem Erscheinungsbild beschäftigt. So kam es, dass ich anfing Bilder zu malen. Auf diesen Bildern war der Kapitän. So gut es meine bescheidenen Fähigkeiten zuließen, malte ich den Kapitän in einer Uniform und immer mit einem eindrucksvollen Bart. Ich hing mir diese Bilder dann in meinem Zimmer auf. Meine Eltern beachteten das nicht, sie dachten, ich hätte das irgendwo im Fernsehen gesehen und würde es nachahmen. Dabei war ich eigentlich immer in der Schule oder auf meiner Brücke und wartete auf meinen Kapitän, der jeden Tag kam.
Bei jedem Wetter ging ein kleiner Junge auf diese Brücke und wartete, dass ein Schiff kam, dessen Kapitän des Jungens größter Held war.
Es war an irgendeinem regnerischen Tag, ich war auf der Brücke. Ich hatte einen kleinen Schnupfen und doch saß auf dem nassen Fußboden. Es war relativ dunkel. Jedenfalls mussten die Autos schon ihre Scheinwerfer einschalten. Und windig war es auch noch. Doch trotz dieser Widrigkeiten war ich gut gelaunt. Denn ich war immer gut gelaunt, wenn ich auf den Kapitän mit seinem langen weißen Bart wartete, denn ich wusste der Kapitän mit dem Rauschebart würde kommen. Als er an diesem Tag kam, passierte etwas für mich damals ganz Unglaubliches. Wieder kam das Schiff auf mich zu. Ich hatte mich schon wieder ganz auf den Kapitän konzentriert, als ich zusammenzuckte. Ein lautes Geräusch hatte mich zusammenfahren lassen. Es war ein langgezogener, tiefer Laut. Ich brauchte einen Moment um mich wieder zu sammeln, da merkte ich was das Geräusch war. Es war eine Schiffssirene gewesen. Es war DIE Schiffssirene gewesen. Sie kam vom Schiff meines Kapitäns. Dem mit dem langen weißen Bart. Ich sah auf die Schiffsbrücke und konnte verschwommen den Kapitän erkennen. Das konnte ich nur wegen seines Bartes. Er winkte. Ich hab mich darüber wohl so erschrocken, dass ich erst mal zurücktaumelte, und schließlich stolperte. Ich stand sofort wieder auf, doch das Schiff verschwand grad mal wieder unter der Brücke.
Am nächsten Tag ging ich nicht auf die Brücke, weil es Wochenende war und meine Eltern nicht arbeiteten. Alleine durfte ich nicht zum Hafen. Die ganze Zeit musste ich überlegen, ob ich das wirklich erlebt hatte. Hatte der Kapitän mir wirklich zugewunken? Konnte das sein? Das wäre so ein Erlebnis gewesen, wie den echten Weihnachtsmann persönlich zu treffen, nicht meinen Vater, der sich an Weihnachten immer in ein billiges Kostüm kleidete, um mir dann vorzugaukeln, er wäre der Weihnachtsmann.
Am Montag war das Wetter wieder besser. Natürlich war ich wieder auf der Brücke und musste an diesem Tag nur kurze Zeit warten, bis der Kapitän kam. Als er kam, passierte es wieder. Er betätigte die Sirene. Und er winkte mir zu. Diesmal winkte ich zurück. Wie winkten uns solange zu, bis sein Schiff wieder unter der Brücke verschwand. An dem Tag rannte ich über die Brücke und winkte dem Schiff auf der anderen Seite hinterher.
In dieser Nacht träumte ich vom Kapitän. Das tat ich oft, doch das waren immer nur kleine Träume gewesen, so zum Beispiel, dass ich auf die andere Seite der Brücke rannte, dahin, wo ich eigentlich nur noch die Rückseite des Schiffes sehen konnte, doch auf einmal war da ein großes Fenster gewesen und ich konnte den Kapitän sehen.
Doch dieser Traum war anders. Ich träumte, ich wäre auf dem Schiff. Mit dem Kapitän mit dem langen weißen Bart. Wir waren nicht im Hafen, nein, wir waren auf hoher See .Überall wo man hinsah nur Wasser. Wir hatten exotische Sachen an Bord. Und Schätze. Wir waren wochenlang unterwegs. Piraten kreuzten unsere Wege, aber wir konnten immer wieder entfliehen. Meine Eltern waren nicht dabei.
Und so kam es, dass ich jeden Tag dem Kapitän zuwinkte. Und er antwortete mit dem Sirenenlaut und seinem Winken. Dass wir auf diese Weise Kontakt, aufnahmen beeinflusste mich auch in anderen Bereichen. Immer wenn man mich fragte, was ich werden wolle, was im übrigen als kleines Kind ziemlich oft vorkam, dann antwortete ich nicht nur Kapitän, nein, ich wollte jetzt Kapitän auf hoher See werden, ich wollte einen langen weißen Bart, ich wollte edel werden wie mein Kapitän. Ich wusste zwar nicht ob der Kapitän edel war, aber ich war sicher, dass er es war, hätte mir jemand etwas anderes erzählt, wäre ich über diese Person wahrscheinlich hergefallen. Niemand durfte etwas über meinen Kapitän sagen.
Als meine Mutter eines Tages in mein Zimmer kam, bemerkte sie etwas über die zahlreichen Bilder, die an meinen Wänden hingen.
\"Willst du nicht einmal etwas anderes anhängen?\"
Ich glaube, dass ich eine Woche oder vielleicht sogar länger nicht mehr mit ihr redete.
Alles in allem würde ich heute sagen, dass der Kapitän, sein langer weißer Bart und sein Schiff mein ganzer Lebensinhalt geworden waren. Irgendwie komisch. Ich kann das heute niemandem so richtig erklären. Der Kapitän war mein Freund. Ein kleiner Junge sollte in dem Alter eigentlich andere Freunde gehabt haben. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber wenn ich mich recht entsinne hatte ich überhaupt keine Freunde zu der Zeit. Nur den Kapitän. Und wieso? Ich weiß es nicht.
Es war an einem sonnigen Tag gewesen. Ich kam wieder auf die Brücke, freute mich schon darauf den Kapitän zu sehen. Doch an diesem Tag kam er nicht. Ich wartete den ganzen Tag, er kam nicht. Kein langer weißer Bart, welchen man schon aus der Ferne erkennen konnte. Keine Schiffssirene, die mich immer ein wenig erschreckte. Nichts. Mal wieder musste meine Mutter mich holen, um nach Hause zu gehen, und ich ging nur unter größtem Widerstand. In der Nacht konnte ich nicht schlafen. In der Schule am nächsten Tag war ich nur körperlich anwesend. Was war geschehen? Wieso kam der Kapitän nicht?
Ich ging nach der Schule nicht zum Essen nach Hause. Ich stieg in eine U-Bahn und fuhr in die Speicherstadt zu meiner Brücke, in der Hoffnung den Kapitän zu sehen. Doch er kam auch an diesem Tag nicht. Und auch nicht am darauffolgenden Tag. Noch eine ganze Menge Tage ging ich immer wieder zu Brücke, doch den Kapitän und seinen langen weißen Bart und sein Schiff sah ich nie mehr. Er war weg.
Nach einer ganzen Reihe von Tagen, die ich auf der Brücke verbracht hatte ohne den Kapitän zu sehen, hörte ich auf jeden Tag dorthin zurückzukehren zu gehen. Ich saß meist vor der Werft, in der meine Eltern arbeiteten und wartete den ganzen Tag auf sie.
In den Nächten schlief ich schlecht. Ich träumte, ich wäre mit dem Kapitän unterwegs, alles sei so wie in meinen anderen Träumen gewesen, doch diesmal bekamen uns die Piraten. Immer wenn sie unser Schiff enterten, wachte ich auf.
Ich war ein sehr trauriger kleiner Junge. Doch die Zeit heilt alle Wunden, so sagt man und so war es auch bei mir. Es begann mit Stunden, in denen ich mich nicht mehr mit dem Kapitän beschäftigte, daraus wurden Tage, daraus wurden Wochen. Schließlich vergaß ich den Kapitän ganz. Andere Sachen waren wichtiger geworden. Schule. Freunde, welche ich gefunden hatte, als ein Zwillingsgeschwisterpaar neben uns eingezogen war.
Ich blicke nun noch einmal rauf hinaus auf das Wasser. Irgendwo in meinem Herzen wünscht sich etwas den Kapitän mit seinem langen weißen Bart zu sehen und eine Sirene zu hören. Doch nichts geschieht, das einzige, was ich höre, sind die Autos auf der Straße.
Ich wende mich ab und überquere die Brücke, ich will nachhause gehen. Ein letztes Mal blicke ich mich um und sehe einen kleinen Jungen, der aufs Wasser schaut und einem kleinen Schiff zuwinkt...
 

ming

Mitglied
Hallo,
beim Lesen fiel mir auf, daß ich passagenweise den Text nur überfliegen konnte weil er mich langweilte.Zu viel Beschreibung, es sei denn es wird ein Drehbuch.Heftig "eingedampft"würde ich die Story gerne nochmal lesen!Grüße,ming
 



 
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