Der Kartoffelkrieg

Der Kartoffelkrieg
von Dagmar Buschhauer

In seinem Lieblingsrestaurant, „Goldene Knolle", bestellte Jonny Potatoe eine große Portion Bratkartoffeln. Nachdem er gespeist hatte, entspannte sich der Gangsterboss mit einer dicken Zigarre. „Hey Linda“, rief er der Bedienung zu, „bring uns einen Kartoffelschnaps und Chips!“
Dann fragte er seinen Begleiter: „Vincenzo, hast du den Auftrag erledigt?“ „Klar, Boss“, antwortete der Killer, „ich habe Tomasos Gehirn gesehen.“ „Gut, gut“, sagte Potatoe heiser und grinste, „ich wusste, auf dich ist Verlass. Das bringt die Gegenseite erst mal davon ab, uns bei den Geschäften zu stören. Höre genau zu, morgen Abend ist ein Transport Erdäpfel unterwegs. Darunter befindet sich eine wertvolle neue Sorte aus Frankreich mit dem schönen Namen „Cherie“. Ich habe einen der beiden Fahrer bestechen lassen, damit er mir die Route verrät. Schnapp dir ein paar von unseren Jungs und fange die Fracht ab. Alles muss rasch über die Bühne gehen, ehe die ersten Kartoffeln anfangen zu keimen. Ich will keine Zeugen, verstehst du?“ „Soll dein Informant auch dran glauben?“, fragte Vincenzo gleichgültig. „Wie immer“, kam die eiskalte Antwort.

Am nächsten Tag zur gleichen Stunde versammelten sich die Hinterbliebenen des Ermordeten im Hause der Witwe Adretta. „Das haben sie nicht umsonst getan, jetzt gibt es Krieg“, tobte Don Castellano. Tomaso war seine rechte Hand und engster Vertrauter in einer Person. „Wir werden Jonny Potatoe einen Schlag versetzen, von dem er sich so schnell nicht mehr erholt. Morgen Nacht brennt sein Lagerhaus vollständig ab, ein Höllenfeuer wird nichts dagegen sein.“
„Du kommst gerade nur mal bis zum Tor“, bemerkte jemand. „Die haben bis an die Zähne bewaffnete Wachen am Lagerhaus aufgestellt. Man kommt nur mit einem bestimmten Codewort da rein.“
„Und genau das habe ich mir über einen Spitzel besorgt“, meinte Castellano gelassen. „War gar nicht so schwer ihn rumzukriegen, hab ihm einen ganzen Sack von der Forelle versprochen.“
„Was? Ein Sack voller Fische?“, fragte einer der Gangster entgeistert.
„Mensch, bist du blöd“, sagte ein anderer, „das ist eine Kartoffelsorte. Aber war das nicht ein wenig zu großzügig, Don?“
„Diese Ausgabe lohnt sich“, knurrte der Gangsterboss und strich über sein gepflegtes Oberlippenbärtchen. „Das Codewort lautet: Solanum tuberosum.
„Hä?“, wer ist das denn?“, rief Bintje, ein eingewanderter Holländer, der seine Ähnlichkeit mit einem Kartoffelkäfer nicht verleugnen konnte. Nervös fuhr er mit beiden Händen durch seine öligen schwarzen Haare.
„Das ist lateinisch und heißt Kartoffelblüte, du Esel“, antwortete Castellano ungeduldig, die Dummheit seiner Leute nervte ihn. „Lernt es auswendig, damit ihr es nicht vergesst. Wenn die Wachen euch hereingelassen haben, legt ihr sie um. Ich warte draußen in Deckung mit den anderen. Anschließend stecken wir den Laden an und verschwinden auf dem schnellsten Wege.“

Kommissar Fritten lehnte lässig am Stehtisch der Pommesbude und aß mit Genuss einen Kartoffelpuffer nach dem anderen. „Hier gibt es die besten“, meinte er mampfend zu seinem neuen Schweizer Assistenten, Klaus Rösti, der die Kroketten mit Spezialsoße bevorzugte.
„Mag sein“, antwortete Rösti und leckte sich die Reste der Soße von den Fingern. „Wie geht es weiter im Fall Tomaso? Der Boss wird sich schon Gedanken machen, denn diesen Mord lassen sie sicher nicht ungesühnt. Es erwischte Tomaso, als er gerade seine Pommes salzte. Wer ist dieser Castellano eigentlich?“
„Der Typ hat es in sich“, meinte der Kommissar, nachdem er den letzten Bissen genüsslich heruntergeschluckt hatte, „er ist ein Nachfahre des berühmten Spaniers Castellano, der die heute heiß begehrte Kartoffel 1536 in Kolumbien entdeckte. Deswegen meint er nun, ein Anrecht auf alle Kartoffelsorten der Welt zu haben. Immer wieder gerät er mit Jonny Potatoe aneinander, der den Handel kontrolliert. Durch raffinierte Verfahren und Betriebsspionage stellt Potatoe die verschiedensten Produkte her und macht so Millionen. Eines davon ist das Püree von Kartoffelglück. Das sitzt dem Don natürlich wie ein Stachel im Fleisch, er möchte das Geschäft selbst machen, oder wenigstens hoch daran beteiligt werden. Potatoe wird aber niemals einen anderen neben sich dulden, das hat der hinterhältige Mord wieder einmal bewiesen. Dieser Aasgeier ist mit allen Wassern gewaschen. Bisher wusste er geschickt alle Angriffe der Gegenseite zu verhindern. Wir versuchen schon lange die Gangster einzulochen, doch zum Schluss fehlen uns immer die endgültigen Beweise. Der Anwalt des Syndikats, Theo Kloß, haut sie jedes Mal wieder raus. Auch die Gegenseite beschäftigt einen gerissenen Rechtsverdreher. Diese Halunken begehen einen Überfall nach dem anderen, zuletzt war es eben dieser Kartoffellaster. Die beiden Fahrer wurden umgelegt. Den einen steckten sie anschließend in einen Kartoffelsack, mit einem Knödel zwischen den Zähnen. Das ist ihre Art, mit vermeintlichen Verrätern umzugehen. Der Mann hatte Wind von der Sache bekommen und uns heimlich informiert. Leider kamen wir zu spät.“

„Raue Sitten, hier in Chicago“, stellte Rösti fest.
„Kann man wohl sagen, aber ich weiß jetzt, wie wir die beiden Unterweltbosse für immer hinter Schloss und Riegel bringen können“, redete Kommissar Fritten weiter. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass morgen Nacht ein Ding am Kartoffellager von Jonny Potatoe steigen soll. Bei solchen Aktionen sind die Don`s stets anwesend, wenn auch nur im Hintergrund.“ Gespannt lauschte der Schweizer den Ausführungen seines Vorgesetzten. „Also, wenn das klappt“, meinte Fritten, „lade ich unsere ganze Abteilung zum Essen ein. Meine Frau Sieglinde macht einen wunderbaren Kartoffelsalat. Im letzten Jahr wurde sie - unter anderem auch dafür - zur Kartoffelkönigin in unserem Bezirk gekrönt.“

Am nächsten Tag, bei Anbruch der Dunkelheit, brachen Castellano und seine Gangsterbande zur Lagerhalle auf. Mitten in der Nacht erreichten sie ihr Ziel. Außer einigen Wortfetzen der Bewacher, die zu ihnen herüber drangen, herrschte tiefe Stille ringsum. Wie ihr Boss vorhergesagt hatte, befanden sich nur eine handvoll Wachen, allerdings schwer bewaffnet, auf dem Gelände. „Los geht’s“, zischte Castellano seinen Leuten zu, „ihr wisst, was ihr zu tun habt.“ Sich laut unterhaltend, schlenderten drei der Halunken auf das Tor zu. Misstrauisch kamen die Aufpasser näher heran. „Hi, Jungs, der Boss schickt uns, wir sollen noch mal im Lager nach dem Rechten sehen“, riefen sie den Wachen aufgeräumt entgegen und nannten das Codwort Solanum tuberosum“. Daraufhin wurde ihnen Einlass gewährt, und das Drama begann.

Blitzschnell zückten die Gangster ihre Revolver und eröffneten das Feuer. Dann stürmte der Rest der Bande auf das Gelände und rannte in Windeseile auf den Kartoffelspeicher zu. Zu ihrem Entsetzen wurden sie aus der Halle heraus unter Beschuss genommen. Panisch suchten sie Deckung und setzten sich zur Wehr. Einer nach dem anderen fiel auf beiden Seiten getroffen zu Boden. Geistesgegenwärtig sprang Castellano im letzten Augenblick hinter eine Mauer, als die Kugeln auch schon in die Steine einschlugen. „Verdammt, dumm gelaufen“, dachte er noch, als ihn ein Querschläger traf und sein Lebenslicht auslöschte. Er hörte schon nicht mehr die Sirenen der Polizeiautos, die plötzlich von allen Seiten näher kamen.

Jonny Potatoe lief wild um sich schießend mit dem Rest seiner Gang aus dem Gebäude. Sein Adrenalinspiegel stieg mit jeder Sekunde der wahnsinnigen Flucht. Sollte er tatsächlich verspielt haben? Er keuchte schwer und hustete sich den Kartoffelstaub aus der schmerzenden Lunge. Weit kam er nicht mehr. Noch auf dem Anwesen wurde er von Kommissar Fritten und seinen Beamten überwältigt und festgenommen. Klaus Rösti kümmerte sich mit den anderen Kollegen um den Rest. „Das wär`s also“, meinte Fritten, „hat doch gut geklappt, was, Rösti?“ Der Schweizer nickte erschöpft.

Wie aus dem Boden gestampft stand plötzlich ein Reporter vor ihnen. “Wo kommen sie denn auf einmal her?“, fragte der Kommissar erstaunt. „Mein Name ist Pit Drahtwurm, vom Chicagoer Kartoffelblatt“, antwortete der Schreiberling grinsend. Ich werde ihnen doch nicht meine Quellen verraten. Was war hier los? Sieht so aus, als seien die großen Bosse aufeinander losgegangen.“ „So ist es“, bestätigte Klaus Rösti, „Wer hätte gedacht, dass die Unterwelt sich so leicht gegeneinander ausspielen lässt. Haben Jonny Potatoe durch einen Informanten einen Tipp zukommen lassen, dass man seine Halle abfackeln will. Und Patatoe war in seiner grenzenlosen Wut so unvorsichtig, nicht mit uns zu rechnen. Schade nur, dass Castellano sich jetzt die Erdäpfel von unten ansehen muss, denn den hätten wir auch gern gehabt.“

Auf dem Rückweg zum Revier meinte der Kommissar erleichtert: „Jetzt wird es wieder ruhiger in Chicago werden.“ Sein Assistent sah aus dem Autofenster auf die schlafende Stadt und schüttelte den Kopf: „Was ist das nur für eine Welt, in der es im Kartoffelgeschäft so viel Mord und Totschlag gibt.“ Sein Vorgesetzter schielte ihn von der Seite an: „He, mach dir bloß keine Gedanken darum, es geschehen auch für weniger wertvolle Dinge schlimme Verbrechen. Übrigens treffen wir uns am Wochenende alle bei mir zum Kartoffelsalatessen, wie versprochen.“ Der Schweizer grinste: „Ich werde deiner Frau einen Strauß Solanum tuberosum mitbringen.“
 



 
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