Der Kater im Freibad

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Dorian

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Die beiden Katzen strichen mir um die Beine, als ich die Untertassen mit ihrem Mittagessen zum Futterplatz hinübertrug.
Da Niki erstaunlicherweise das dominierende Tier in ihrer kleinen Hierarchie war, suchte sie sich zuerst aus, von welcher Untertasse sie fressen wollte. Der Kater, der einfach nur eine große Klappe hatte, bekam üblicherweise die rechte Futterschale, weswegen ich rechts immer etwas mehr Futter aufhäufte. Dann schlang der Kater so schnell er konnte, bis Niki ihn scharf ansah und er sich trollen musste. Das Alpha-Weibchen wollte fressen, was er übrig gelassen hatte, auch wenn sie mit ihrer eigenen Portion noch nicht fertig war. Nur, um mal klarzustellen, wer hier die metaphorischen Hosen anhatte, vermutete ich.
Nach beinahe zehn Jahren extensiven Fressens sah Niki, die eher kurz geraten war, wie eine flauschige schwarze Grapefruit aus, der jemand Beine und einen fragezeichenförmigen Schwanz angeklebt hatte.
„Warum lässt du dir das eigentlich gefallen?“, fragte ich den Kater, als er aus der Küche ins Wohnzimmer geflohen war.
„Was meinst du?“
„Ich bin ja nur froh, dass du dich inzwischen an das schnelle Fressen gewöhnt hast. Früher hast du uns immer die Bude vollgekotzt.“
„Ach, geh doch zum...“
„Wunder Punkt, was?“
„Ich hoffe du vergisst nicht, dass ich immer noch Krallen habe.“
„Keine Gewalt bitte. Ich meine das durchaus ernst. Du solltest dich emanzipieren, dir nicht alles gefallen lassen.“
„Was weißt du schon? Das hat mit Instinkten und so weiter zu tun.“
„Ha, ja. Gute Ausrede.“
„Moment mal, irgend etwas läuft hier falsch. ICH sollte eigentlich so mit DIR reden, nicht umgekehrt.“
„Tja, vielleicht wird es Zeit, das auch ich mich emanzipiere. Und wenn wir schon dabei sind, wie wäre es, wenn ich dir einen Namen gebe?“
Der Kater sah mich mit einem Ausdruck unbeschreiblichen Grauens an, wie jemand, der gerade einen Blick in seine persönliche Hölle geworfen hat.
„Neineinein“, rief er. „Das wollen wir ganz schnell wieder vergessen!“
„Wie wär’s mit ‚Petzi’? Wir hatten mal einen Kater, der so hieß.“
„Vergiss das mit dem Namen. Und vergiss auch deine Emanzipation.“
„Ich kannte mal jemanden, der seine Katze ‚Marlboro’ genannt hat. War ein starker Raucher, wenn ich mich recht entsinne. Dieser Jemand, nicht die Katze.“
„Was?! Ich habe gesagt, du sollst das vergessen!“
„Murli? Immerhin BIST du schwarz.“
Der Kater kam zu mir herüber und begann unter Einsatz seiner Krallen an mir empor zu klettern. Besser gesagt: Zu gehen. Der kleine Aufstieg bereitete ihm keine sichtliche Mühe.
„Jetzt hör mal gut zu, mein Lieber“, sagte er, als sein Gesicht auf einer Höhe mit meinem war. „Ich will keinen Namen UND ich will NICHT, ich wiederhole, NICHT, dass du dich in meine Angelegenheiten oder Beziehungen einmischst. Ist das klar?“
„Franz.“
„Hä?“
„Ein Freund von mir hatte mal eine Katze, die so hieß. Wurde letztes Jahr im Sommer vergiftet. War erst vier Monate alt. Die Katze, nicht der Freund.“
„Jetzt reichts aber wirklich!“

Etwa zehn Minuten später stand ich vor dem Badezimmerspiegel und versorgte meine Wunden.
„Tut mir ja sehr leid“, sagte der Kater, ohne irgendeine Form von Reue zu zeigen, „aber du hast es herausgefordert. Wenn man mich reizt werde ich zum Tier.“ Er dachte kurz darüber nach. „Im übertragenen Sinn, meine ich“, fügte er hinzu.
„Schon gut“, sagte ich. „Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Aber jetzt kann ich nicht ins Strandbad gehen.“
„Strandbad? Was ist das?“
„Ein großes Freibad. Jemand hielt es irgendwann mal für eine gute Idee dort eine riesige Sandkiste anzulegen. Sollte wohl so was wie Strandflair erzeugen, aber da der Sand durch einen breiten Gehweg vom nächsten Becken getrennt ist, kommt kein richtiges Barcadi-Feeling auf.“
„WIE riesig?“, fragte der Kater mit leuchtenden Augen.
„Die Sandkiste? Oh, sicher hundertfünfzig Meter lang und achtzig Meter breit.“
„Hundertfünfzig mal achtzig?“, hauchte der Kater.
„Ja. Und das ganze zweimal.“
„ZWEImal?“
Ich blickte auf den Kater hinab, der mich so ansah, wie ich es noch nie gesehen hatte. So ähnlich sah er mich an, wenn er etwas von mir wollte, aber das hier war ein ganz anderes Kaliber. Er wollte nicht nur etwas von mir, er WOLLTE etwas von mir mit aller Kraft, die seiner kleinen Katzenseele innewohnte. Langsam dämmerte die Erkenntnis in mir.
„Es tut mir leid, aber ich kann dich nicht ins Strandbad mitnehmen“, sagte ich fest.
Krallen wurden sichtbar.
„Wie war das?“
„Wir haben Hochsaison, deswegen sind die Sandflächen immer von irgendwelchen bleichen Leuten besetzt. Das heißt, du kannst dort nicht einfach dein Geschäft verrichten. Man würde uns rausschmeißen. Ich habe außerdem einen Ruf zu verlieren. Man kennt mich dort.“
Der Kater schien nachzudenken.
„Dann bring mich rein, nachdem geschlossen wurde.“
„Du meinst einbrechen? Das ginge schon, aber...“
„Jetzt erzähl mir nicht, dass du noch nie nächtens Nacktbaden warst.“
„Doch“, seufzte ich und gewisse Erinnerungen zogen an meinem inneren Auge vorbei.
„Du denkst an Sex, nicht wahr?“, mutmaßte der Kater.
„Das geht dich gar nichts an.“

Vorsorglich sah ich mich noch einmal um, bevor ich das Verkehrsschild erkletterte. Es war nicht wahrscheinlich, dass jemand um diese Uhrzeit noch hier vorbeikam, aber Vorsicht war bekanntlich die Mutter der Porzellankiste.
Seltsames Sprichwort, schoß es mir durch den Kopf, als ich mich vom Verkehrsschild auf das niedrige Dach der Außenkabinen des Strandbades schwang. Als ich das Sprichwort das erste Mal hörte, verstand ich zuerst nicht, was das bedeuten sollte. Ist die Kiste AUS Porzellan, oder ist sie der Aufbewahrungsort FÜR Porzellan? Und seit wann hatten Kisten Mütter?
Das Blech, mit dem das Dach verkleidet war, hatte sich an dieser Stelle aufgeworfen und so eine Blase gebildet, die nachgab als ich darauf trat und ein viel zu lautes metallisches Geräusch erzeugte. Mit angehaltenem Atem wartete ich einige Sekunden, bevor ich langsam vorwärts kroch, mich auf der anderen Seite des Daches herunterließ und hingebungsvoll keuchte. Der Weg war jetzt frei und es war ein ziemliches Kinderspiel gewesen, weswegen ich annahm, dass es hier Nachtwächter gab. Ja, ich war schon oft nachts hier gewesen, aber das letzte Mal war schon Jahre her und in der Zwischenzeit hatte ich Gerüchte über patrouillierende Polizisten und Bewegungsmelder gehört. Nun, es half alles nichts und ich vermutete, wenn ich mich in den Schatten hielt, bestand eine gute Chance mit heiler Haut aus der Sache herauszukommen.
Ich nahm den Rucksack ab und ließ den Kater heraus.
„Im Dunkeln siehst du besser als ich“, sagte ich. „Du müsstest die Sandfläche von hier aus sehen können. Komm so schnell wie möglich wieder genau hierher zurück.“
Der Kater nickte nur und schlich davon.
Ich war auf wenigstens eine halbe Stunde Wartezeit eingestellt, daher zog ich mich weiter in die Schatten zurück. Ich lehnte mich an die Seitenwand einer Umkleidehütte, einer sogenannten Kabane, und rauchte getarnt, indem ich die Zigarette unter der Jacke anzündete und die Glut in der gewölbten Hand verbarg, wie ich es beim Bundesheer gelernt hatte. Ein oder zwei Dinge, die man dort lernt, dachte ich, kann man doch immer wieder gebrauchen. Zum Beispiel Wache stehen. Meine Bundesheerzeit lag schon acht Jahre zurück, aber Wache stehen verlernte man anscheinend nicht. Und es war viel angenehmer, wenn man dabei sitzen konnte.
Nach der dritten Zigarette warf ich einen Blick auf die Uhr. Der Kater war schon seit drei Viertel Stunden verschwunden und ich begann langsam nervös zu werden. Ich stand auf, um mich umzusehen.
„Guten Abend“ sagte eine Stimme.
Schlaganfall, Herzinfarkt, spontane Selbstentzündung, Haarausfall, Wanderhoden. Eines oder mehrere dieser Dinge lauerten in der Nähe und konnten mich jeden Moment anspringen.
Langsam drehte ich den Kopf...
Da war niemand.
„Miau“, sagte jemand.
Es war natürlich der Kater, wie ich feststellte, als ich nach unten sah.
„Wenn du das noch mal machst, fall ich tot um. Wo warst du denn so lange? Was hast du dir dabei gedacht, mich so zu erschrecken? Warum hast du mir nie erzählt, dass du Stimmen imitieren kannst?“
„Nörgel, nörgel, nörgel“, erwiderte der Kater. „Können wir gehen?“
Ich packte den Kater am Genick und warf ihn aufs Dach, dann sammelte ich meinen Rucksack ein und kletterte hinterher. Wenn ich jetzt noch ungesehen auf den Gehsteig springen konnte, war ich ein ganz normaler Passant, um ein Uhr morgens, an einem Wochentag,... schwarz gekleidet... und in einer Gegend, wo es keine Nachtlokale gab...
Hm.
Ich beschloss vorsichtig zu sein, solange ich mich in der Nähe des Bades aufhielt.
„Weißt du“, sagte ich, „während ich auf dich gewartet habe, hatte ich Zeit nachzudenken.“
„Oh, verdammt. Nicht schon wieder“, meinte der Kater.
„Ahaha. Das war sehr lustig“, entgegnete ich. „Ich hatte Zeit mir einen Namen für dich auszudenken.“
„Wenn du jetzt ‚Scheißi’ sagst, findet man von dir nicht mal mehr Moleküle.“
„Ähm.“ Ich nahm die Drohung durchaus ernst. „Ich glaube, ich werde dich an deinem Geburtstag damit überraschen.“
„Du weißt doch gar nicht, wann ich Geburtstag habe. Ich übrigens auch nicht.“
„Ich lass mir was einfallen.“
Schweigend gingen wir eine Weile nebeneinander her. Ich hatte den Weg hinter dem Bad vorbei durch die Allee gewählt, weil man hier kaum Gefahr lief jemandem zu begegnen. Nicht weit von hier hatte bis vor kurzem eine alte Flamme von mir gewohnt. Als mein Blick auf das Haus fiel, blieb ich stehen und dachte unwillkürlich über zwischenmenschliche Beziehungen und die Wirkung von Kondomen auf ebendiese nach.
„Weißt du“, sagte die Stimme der Oma hinter mir in Knöchelhöhe, „das war lustig heute. Wir können das jederzeit wiederholen. Trotzdem sollten wir jetzt machen, dass wir nach Hause kommen.“
„Ja“, antwortete ich. „Ich brauch jetzt ein Bier. Aber wenn du schon Stimmen imitieren musst, dann nicht ausgerechnet die von der Oma.“
Ich zündete mir eine Zigarette an und wir gingen weiter. Meine Stimmung war ein wenig gedrückt, mir gingen viele Erinnerungen aus den letzten zwölf Jahren durch den Kopf. Der Kater hingegen schien... ausgelassen. Er lief immer ein Stück voraus, kam wieder zurück, schnüffelte an verschiedenen Stellen, besuchte einige Vorgärten...
„Herrlich“, sagte er. „Ich fühle mich, als wäre ich wieder Zwei.“
Schließlich standen wir vor der Haustür und ich kramte meinen Schlüssel hervor.
„Halt jetzt den Schnabel“, sagte ich, während ich die Türe aufsperrte, „wir wollen niemanden aufwecken.“
Wir schafften es das Haus zu durchqueren und meine Zimmerflucht zu erreichen, ohne allzuviel Lärm zu machen. Ich schaltete den Fernseher ein und begann mich fürs Bett fertig zu machen. Der Kater saß vor seiner Katzenkiste und betrachtete diese. Selbst von hinten fiel mir auf, dass sein Blick wohl nachdenklich war.
„Ziemliche Enttäuschung, was?“
„Hm? Nein, erstaunlicherweise nicht. Ich frage mich nur, ob...“
„Ob was?“
„... ob wir das nächste Mal nicht Sand aus dem Strandbad mitnehmen könnten.“
„Nun, wenn du darauf bestehst. Aber wozu?“
„Erstens, weil der Sand nach Sonnenöl riecht. Ich finde das sehr anregend. Und zweitens, weil er so schön angenehm ist am... du weißt schon.“
„Du meinst also, ich soll in eine von der Gemeinde betriebene Badeanstalt einbrechen und dort Sand klauen, weil er gut ist für deinen ARSCH?“
„Freilich.“
„Na schön.“
Und so sind wir dann auch verblieben. Einmal im Monat breche ich mit dem Kater im Strandbad ein, verbringe dort etwa eine Stunde mit ihm und nehme einen Kübel Sand mit. Allerdings wird der Kater in letzter Zeit immer anspruchsvoller. Er hat bereits verlangt die Frequenz der Besuche auf einmal die Woche zu erhöhen und Sonnenöl mitzunehmen. Dass es mitten in der Nacht ist scheint ihn nicht zu stören...
Was?
Ja, ich schreibe über dich...
Nein, Sonnenliege gibt’s nicht. Und auch keine Sonnenbrille. Badetuch auch nicht...
Verschwinde jetzt, was sollen die Leute von mir denken?
Was soll DAS heißen?! Na warte!!
Ähm, tut mir leid, ich muß jetzt Schluß machen, der Kater will keine Ruhe geben. Er hat was von Bikinimäuschen gemurmelt... und zerfetzten Ledersofas, wenn er die nicht kriegt.
Man sieht sich.
 

majissa

Mitglied
Hi Dorian,

auch wenn ich kein Freund von Katzengeschichten bin, kann ich mich dem Charme deines Katers einfach nicht entziehen. So ging es mir bereits bei deiner letzten Story. Die Dialoge sind witzig, streckenweise maliziös, ohne dabei übertrieben zu wirken. Das gefällt mir. Wanderhoden und spontane Selbstentzündung waren besonders apart.

Noch ein paar Anregungen: Das getarnte Rauchen solltest du schon näher erklären. Nicht jeder kann das wissen. Die gelegentlich von dir praktizierte Großschreibung ist meines Erachtens unnötig. Auch ohne sie wird klar, was du zum Ausdruck bringen möchtest. Eine wirklich gute Geschichte braucht dieses unhübsche Hilfsmittel nicht. Ach ja - meiner bescheidenen Meinung nach lädt die Überschrift nicht gerade zum Lesen ein.

LG
Majissa
 

Dorian

Mitglied
Hallo Majissa!

Danke für Deine nützliche Kritik.

In dem Punkt mit dem getarnten Rauchen hast Du recht und das habe ich auch gleich geändert, wie Du feststellen wirst.

Was das mit der Großschreibung angeht: Mir wäre es auch lieber, wenn ich einige der Stellen kursiv schreiben könnte. Zu dem Thema habe ich mich auch schon bei den FAQ umgesehen, aber es funktioniert einfach nicht. Andererseits bin ich der Meinung, daß die Großschreibung an manchen Stellen schon notwendig ist, zum Beispiel wenn jemand schreibt und ich das übertrieben hervorheben will.

Zum Thema Überschrift kann ich nichts sagen. Ich habs nicht so mit Titeln, daher bin ich froh, daß mir überhaupt einer eingefallen ist.

LG

Dorian
 

Dorian

Mitglied
schreibt/schreit

P.S.: Das sollte natürlich heißen: "... wenn jemand schreit und ich das übertrieben hervorheben will."

LG

Dorian
 



 
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